„Hallo, ich bin von der Ortszeitung, kann ich ein paar Fragen stellen?“, meinte der Mann, der gerade seinen Kopf herein steckte.
Hilflos sah ich Dirk an.
„Ich glaube, Sie sind hier falsch.“
„Nein, das ist doch der Junge, der vor der Schule zusammengeschlagen wurde?“
„Ja schon, aber haben Sie sich eine Genehmigung eingeholt, meinen Schüler hier belästigen zu dürfen?“
„Sie sind der Lehrer?“
„Ja, aber das ist für sie unwichtig. Verlassen Sie jetzt bitte das Zimmer oder ich rufe eine Stationsschwester.“
Was Dirk nicht wusste, ich hatte schon lange nach eben selbiger geklingelt.
„Du hast gerufen?“, kam eine Schwester herein.
Ich zeigte auf den Reporter. Die Schwester schaute den Mann kritisch an.
„Sie wünschen?“
„Ich bin von der hiesigen Zeitung und möchte…“
„Was Sie möchten ist mir egal, Sie haben hier auf diesem Zimmer nichts verloren, oder haben Sie eine Genehmigung der Eltern?“
„Öhm nein, aber unsere Leser haben das Recht…“
„Was ihre Leser haben oder nicht haben ist mir genauso egal, der junge Mann braucht seine Ruhe und Sie verschwinden jetzt oder ich rufe die Polizei!“
Der Mann zog von dannen, ohne noch ein Wort zu sagen.
„Danke“, meinte Dirk, „eine Frage hätte ich noch.“
„Ja?“
„Weiß man schon, wann Fabian heute abgeholt werden kann?“
„Da muss ich noch einmal nachfragen, aber ich habe so etwas wie heute Mittag gehört.“
„Könnten Sie das bitte in Erfahrung bringen, da ich Fabian abholen werde.“
„Und die Eltern?“
„Hatten selbst einen Unfall und kein Auto zur Zeit.“
„Und das alles vor Weihnachten.“
*-*-*
Ich war froh, endlich wieder in meinem eigenen Bett liegen zu können. Mum schaute alle zehn Minuten vorbei und fragte mich, ob ich etwas bräuchte. Erst als Dad ein Machtwort sprach kehrte Ruhe in mein Zimmer ein.
Allerdings hielt die nicht lange an. Eine Stunde später fielen vier neugierige Klassenkameraden bei mir ein. Verdutzt schaute ich Thomas an, der mit einem blauen Auge ins Zimmer marschierte.
„So weit ich mich erinnere, warst du doch gar nicht an der Schlägerei beteiligt“, meinte ich.
„Das nicht, aber er dachte, er muss sich noch mal mit seinem Bruder anlegen“, erklärte Gabriella.
„Ist der denn schon zu Hause?“, fragte ich verwundert.
„Leider“, kam es enttäuscht von Thomas.
„Aber…“, begann ich aber Carsten fiel mir ins Wort.
„Er ist noch nie aufgefallen und angeblich war er nicht daran beteiligt, hat uns kein Haar gekrümmt. Nur seine Freunde sind noch auf der Wache.“
„Na toll“, meinte ich und setzte mich langsam auf.
„Bleib doch liegen“, sagte Carsten besorgt.
„Ja und euch wie ein kränkelnder Bubi von unten anschauen.“
Carsten lächelte und streckte mir die Zunge raus. Die anderen machten sich auf dem Sofa breit. Es klopfte an der Tür und Mum schneite mit einem Tablett herein. Darauf war Tee und allerlei Gebäck.
„Danke Mum“, meinte ich gerührt.
„So, als kleine Stärkung für euch, dacht ich…“
Kurz darauf war sie schon wieder verschwunden.
„Und was wird jetzt? Ich mein, ich find es absolut scheiße, dass Thorsten da so einfach mit durch kommt“, ärgerte sich Marcel.
„Keine Sorge, der bekommt seine Strafe schon noch“, meinte Thomas und knabberte vorsichtig an einem Zimtstern.
„Weißt du mehr als wir?“, fragte Marcel.
Das mit dem Aufsetzen war wohl doch keine so gute Idee gewesen. Ich spürte meine Rippen und mein Gesicht fing an zu drücken, als wollte es gleich platzen. So legte ich mich wieder hin. Carsten lächelte mich immer noch an und reichte mir meinen großen Bären, der in der Ecke lag.
Darauf gebetet, konnte ich alle sehen und lag doch gemütlich auf dem Bett.
„Süß!“, kam es von Gabriella und alle grinsten.
„Als meine Eltern mitbekamen, was mein lieber Bruder in der Schule, oder besser vor der Schule getrieben hatte, gab es natürlich einen riesen Krach zu Hause. Ihr müsst wissen, wir sind wegen ihm hier her gezogen, weil er von der letzten Schule geflogen ist…“
Das war ja interessant.
„… und nun fängt er wieder damit an. Er hat alles abgestritten, meinte er wäre nur dabei gestanden wie die anderen auch. Da ist mir halt der Kragen geplatzt und nachdem ich alles detailgenau erzählt hatte…, das Resultat seht ihr ja hier.“
„Er hat dich einfach geschlagen?“, fragte ich entsetzt.
Thomas nickte.
„Das ist krass“, sagte Marcel.
Die anderen stimmten zu.
„Meine Eltern haben beschlossen…, dass er weg kommt…“, sprach Thomas leise weiter.
Gabiella legte ihren Arm um ihn.
„Wie weg kommt?“, fragte Carsten.
„In ein Internat, jedenfalls so etwas Ähnliches. Auf alle Fälle wird er nicht mehr zu Hause wohnen.“
„Hammer…“, kam es von Marcel.
„Ist er aber selber schuld oder? Wenn er sich so daneben benimmt“, meinte ich und versuchte mich auch am Gebäck.
„Dann müsstest du dich doch freuen“, meinte Marcel zu Thomas.
Dieser schüttelte den Kopf.
„Er hat das ganze Weihnachtsfest versaut. Meint ihr, wir können dieses Jahr normal Weihnachten feiern?“
Traurig sah ich Thomas an.
„Ist er denn jetzt über Weihnachten zu Hause?“, fragte Marcel.
Thomas schüttelte erneut den Kopf, aber Gabriella antwortete für ihn.
„Er kommt zu einem seiner Onkel. Der hat einen Bauernhof und beschäftigt sich dort mit verzogenen Jüngelchen“, erklärte sie.
„Wenigstens etwas“, meinte Thomas und nippte an seinem Tee.
*-*-*
Die Nacht war wie die letzte, mehr schlecht als recht. Trotz Carstens Nähe wachte ich bei jeder geringsten Bewegung meinerseits auf. Carsten war trotzdem wahnsinnig liebevoll, obwohl ich ihn durch mein Schmerzgestöhne natürlich mehrfach weckte.
Er nahm mich dann immer wieder vorsichtig in den Arm bis ich eingeschlafen war. Dementsprechend gerädert sahen wir dann beide am nächsten Morgen aus.
„Und du willst wirklich aufstehen?“, fragte Carsten, als er sich anzog.
„Ja, dieses ewige Bett liegen geht mir auf den Sack.“
„Solch ungewöhnliche Worte aus deinem Munde?“, fragte Carsten grinsend.
Ich zeigte ihm den Vogel und versuchte mich anzuziehen.
„Soll ich dir helfen?“, fragte Carsten besorgt.
„Wäre vielleicht ratsam, denn ich kann nicht mal meinen rechten Arm richtig heben.“
Fertig angezogen liefen wir dann nach unten, wobei ich viel langsamer war, da ich jeden Schritt schmerzhaft spürte. Mum hatte sich wieder viel Mühe gegeben und einen wunderschönen Tisch gedeckt.
Sie hatte ja jetzt mehr Zeit, da sie durch den Unfall ungewollt frei hatte. Ab Montag würde sie wieder Arbeiten gehen.
„Wie wäre es, wenn du heute ein Türchen aufmachst!“, sagte ich zu Carsten.
„Ich darf wirklich?“, fragte Carsten und strahlte über beide Wangen.
„Klar, sonst würde ich es ja nicht sagen.“
Carsten griff zielstrebig zum Türchen und öffnete es. Er entnahm den Zettel und faltete ihn auf.
„Und was steht drin?“
Alles was ich bin
und dass ich bin,
bin ich durch dich.
Ich musste grinsen, denn nichts passte so gut zu Carsten, wie dieser Spruch. Etwas verlegen sah er mich an.
*-*-*
„Du, da lag wieder ein Brief auf der Treppe“, meinte Mum und reichte ihn mir.
Ich schaute verwirrt zu Carsten, der aber nur mit der Schulter zuckte.
„Ich hab den nicht geschrieben.“
„Bist du sicher?“, grinste ich.
„Bestimmt!“
Ich riss den Umschlag auf und zog ein Blatt heraus. Darauf waren mit Zeitungsbuchstaben ein paar Wörter zusammengeklebt.
Wenn ich dich nicht haben kann, dann soll es auch niemand anders tun.
„Was soll das denn jetzt.“
„Von wem kann das sein?“, fragte Carsten.
„Von wem wohl… da gibt es nur einen… Thorsten.“
Aus Wut zerknüllte ich den Zettel und feuerte ihn in die Ecke.
„He nicht kaputt machen, den brauchen wir noch.“
„Für was denn?“, fragte ich verärgert.
„Du, das ist eine Drohung, wenn der etwas vorhat.“
„Ach Quatsch.“
„Immerhin hat er dich zusammenschlagen lassen und weiß, wo du wohnst.“
„Wieso denn?“
„Wie soll der Brief sonst auf eure Treppe gelangt sein?“
Ungläubig schaute ich Carsten an.
„Du denkst doch nicht wirklich, der will mir etwas antun, oder?“
„Warum nicht.“
„Mach mir keine Angst Carsten…“