Das 20. Türchen – eine Adventsgeschichte

Fabian

„Und du meinst, wir sollten damit zur Polizei?”, fragte Mum.

„Damit ist nicht zu spaßen, ich will nicht, dass unserem Fabian was passiert”, antwortete Dad.

Er richtete sich etwas auf und schaute zu Carsten.

„Du solltest deine Eltern her bitten.”

„Wieso das?”, fragte Carsten verwirrt.

„Denkst du, dass Thorsten nicht auch einen Groll gegen dich hat, als Freund von Fabian?”

Freund von mir, wie sich das anhörte. Carsten lächelte leicht verlegen.

„Okay, dann ruf ich gleich mal an”, sagte er und sprang auf.

„Nimm unser Festnetztelefon, brauchst nicht dein Handy nehmen”, meinte Mum.

„Danke…”

„Sabine, mein Name ist Sabine.”

Carsten lächelte und verschwand im Flur.

„Danke”, meinte ich zu Mum.

„Für was?”

„Hm… für alles eben.”

Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und setzte sich zu Dad. Einige Minuten später kam auch Carsten zurück.

„Fabian, könntest du nach unten gehen und eine Flasche vom Rotwein holen?”

„Ja, gerne.”

„Soll ich mit?”, fragte Carsten, der besorgt beobachtete, wie ich schwankend aufstand.

„Kannst du gerne, klar!”

So lief ich mit Carsten in den Keller, holte artig den Rotwein, wobei Carsten darauf bestand, ihn tragen zu dürfen, damit ich mich noch schonen konnte. Im Wohnzimmer zurück standen bereits vier Gläser auf dem Couchtisch.

Anscheinend hatte Dad vor, mit den Kammerers noch einen Wein zu trinken.

„Carsten, meinst du, du könntest die Flasche auch noch aufmachen?”, fragte Dad.

„Öhm, ja gerne, wenn Sie mir sagen, wo der Flaschenöffner ist.”

„Erstens heiße ich Jost und du kannst du sagen und zum zweiten, hat dieser Wein einen Schraubverschluss unter der roten Verschlusskappe.”

„Ach so… äh ja… danke.”

Ich fand es richtig süß, wie Carsten rot anlief. Er öffnete die Flasche und goss meinen Eltern ein.

„Wollt ihr nichts?”, fragte Dad.

Ich sah ihn mit großen Augen an.

„Dachte, trotz der Begebenheiten könnten wir auf euch zwei anstoßen.”

„Auf uns zwei?”, fragte ich.

„Ja, ihr seid doch jetzt zusammen, oder nicht?”

Carsten schaute mich verlegen, aber auch hoffnungsvoll an. Jetzt war es wohl an mir, endlich Farbe zu bekennen. Langsam verfiel mein Kopf in eine Nickbewegung, worauf Carsten anfing heftig zu strahlen.

Bisher hatte ich ja nur um Zeit gebeten, auch wenn wir uns schon geküsst hatten, aber jetzt war mir klar, dass ich diesen Kerl wollte.

„Carsten, walte deines Amtes und schenk euch ein”, meinte Dad.

Wie geheißen, goss nun Carsten auch unsere Gläser hab voll und wenig später hallte ein Klingen der Gläser durch das Wohnzimmer.

„Auf euch zwei”, sagte Dad und nippte am Wein.

Es klingelte an der Wohnungstür. Carsten wollte aufspringen, aber Mum hielt ihn zurück.

„Es ist wohl besser, ich öffne. Du solltest dich nicht an der Haustür blicken lassen.”

„Sind doch sicher meine Eltern.”

„Weißt du das genau…? Ich geh mal aufmachen.”

Und schon war sie weg.

Carsten

Ich traute meinen Augen nicht, denn Simone war mitgekommen.

„Du hier?”, fragte ich erstaunt.

„Wundert es dich? Mum und Dad waren so aufgeregt nach deinem Anruf, dass ich sie hergefahren habe. Was ist denn eigentlich los?”

„Lass dir das mal von Jos… ähm Fabians Dad erklären.”

Simone schaute mich seltsam grinsend an.

„Hallo”, meinte mein Vater etwas verhalten.

„Hallo”, kam es von Fabians Dad, „entschuldigen Sie, wenn ich nicht aufstehe zur Begrüßung, aber ich bin etwas gehandikapt.”

„Bleiben Sie ruhig sitzen, es tut mir sehr Leid mit Ihrem Unfall”, sagte meine Mutter, „das ist übrigens unsere Tochter Simone… sie hat uns hergefahren.”

„Hallo Simone”, sagte Fabian.

„He du, dich haben sie aber ganz schön zugerichtet”, meinte Simone und im Raum wurde es still.

„Setzten Sie sich doch bitte”, unterbrach Fabians Mum die Stille.

Ich setzte mich zu Fabian und machte es mir auf der Lehne des Sessels bequem.

Fabian

„Warum wir Sie hierher gebeten haben”, begann Dad, brach aber dann mitten im Satz ab.

„Carsten holst du mal bitte noch Gläser für deine Eltern?”

„Bitte machen Sie sich doch keine Umstände wegen uns”, meinte Frau Kammerer.

„Das macht keine Umstände. Aber nachdem unsere zwei Jungs jetzt hochoffiziell zusammen sind und sich gerade etwas ergeben hat, was unsere vollste Aufmerksamkeit verlangt, würde ich vorschlagen, das ‚Sie’ weg zulassen…”

„Gute Idee”, meinte Herr Kammerer, der strahlend seinen Sohn anschaute, der gerade die Gläser abstellte.

„Glückwunsch Brüderchen, hast einen guten Geschmack”, gab Simone von sich.

So stießen wir alle erneut an, bis auf Simone, die sich mit einem Wasser begnügte, da sie ja noch Auto fahren musste. Es wurden die Vornamen genannt und nochmals angestoßen.

„So, jetzt kann ich das leichter erklären. Ihr habt sicher mitbekommen, was alles vorgefallen ist, das Resultat sieht man ja”, begann Dad und zeigte auf mich.

„Wie wir erst mitbekommen haben, wurde der Rädelsführer nicht belangt und ist wieder zu Hause bei seinen Eltern.”

„Das kann ja wohl nicht wahr sein”, meinte Henning, Carstens Vater.

„Ist nun mal so. Nur hat meine Frau einen Umschlag vor der Tür gefunden, dessen Inhalt wir vielleicht ernst nehmen sollten und vor allem darüber reden sollten, wie wir uns verhalten können.”

„Darf ich den Brief sehen?”, fragte Henning.

„Klar”, meinte Dad und reichte ihm den Zettel.

Er und seine Frau und dann auch Simone lasen sich die Mitteilung durch. Geschockt gaben sie den Zettel zurück.

„Also ich bin dafür, dass wir die Polizei rufen”, meinte Gisela, Carstens Mutter.

„Daran haben wir auch gedacht, nachdem die Jungs geäußert haben, dass der Brief nur von diesem Thorsten sein kann.”

„Dann sollten wir das gleich tun, oder?”

„Können wir tun. Aber es geht mir noch darum, dass wir die Jungs, solange bis alles ausgestanden ist, nicht alleine lassen. Ich meine, dass sie einer von uns in die Schule bringt und auch wieder abholt.”

„Dad, findest du das nicht übertrieben?”, fragte ich.

„Nein dein Vater hat Recht, die Idee ist gut und wir machen das natürlich gerne.”

Da waren sich wohl zwei schon einig. Carsten saß die ganze Zeit bewegungslos auf meiner Lehne. Ich stupste ihn leicht an und er schaute mich an.

„Hättest du gedacht, dass du mit deinen Witzen über mich unter der Dusche so etwas auslösen kannst?”, fragte ich.

Im Raum wurde es wieder still und wenn ich mit meinen Augen nicht so gestrahlt und ein winziges Lächeln auf den Lippen gehabt hätte, wäre Carsten sicher der Meinung gewesen, dass ich ihn jetzt kritisieren wollte.

*-*-*

Die Kammerers hatten Sachen da gelassen, in weiser Voraussicht, dass ihr Sohn wieder hier nächtigen würde. Wir waren mittlerweile wieder in meinem Zimmer.

„Legst du dich gleich wieder hin?”, fragte Carsten.

„Ja, würde ich gerne, aber dazu muss ich mich erst wieder ausziehen…, könntest du mir wieder helfen?”

Carsten grinste. Er kam zu mir und entledigte mich sanft meines Shirts.

„Das Muskelshirt auch noch, der Verband ist so warm.”

So stand ich dann oben ohne, nur mit einem Verband um die Rippen vor ihm.

„Hm, gleiches Recht für alle”, meinte Carsten und schneller als ich schauen konnte, stand auch er nur noch in Jeans da.

Langsam kam er näher und streichelte sanft über den Verband auf meiner Brust.

„Schade, dass man den nicht auch ausziehen kann.”

„Der Arzt meinte bis Sonntag drauf lassen, als Stütze und so. Also die paar Stunden bis Sonntag wären es noch, aber ich denke, wir können den auch runter machen.”

Carsten lächelte und umrundete mich. Wenig später fing er schon an, den Verband aufzuwickeln. Dabei küsste er meine Schulter, was mich erzittern ließ. Ich drehte meinen Kopf auf die Seite und lächelte ihn an.

„Bin ich zu grob?”, fragte Carsten.

„Öhm… nein…”

Eine Minute später war der Verband ab. Ich rieb über die freigewordene Fläche, weil es etwas juckte.

„Vielleicht sollte ich duschen gehen”, meinte ich.

Ein Schlag am Fenster ließ mich zusammen fahren, ein weiterer in Deckung gehen.

„Was war das?”, fragte ich ängstlich.

„Eier.”

„Bitte?”

„Da hat jemand Eier ans Fenster geworfen.”

„Mir reicht das jetzt…”, meinte ich und rannte aus dem Zimmer.

Carsten

Ich lief ihm hinter her. Er strauchelte die Treppe herunter und rannte an die Haustür, um sie aufzureißen. Gerade noch rechtzeitig konnte ich das verhindern.

„Jetzt nicht durchdrehen Kleiner bitte.”

Ich stemmte meinen Fuß gegen die Tür und er hatte immer noch seine Hand am Griff.

„Was ist denn hier los?”, hörte ich Fabians Mum hinter mir.

„Jemand hat Eier an Fabians Fenster geworfen”, antwortete ich.

„Und nun wolltet ihr raus, gucken wer das war?”

„Fabian wollte raus.”

„So, so. In dem Aufzug. Aber ganz schnell nach oben, hier wird nicht vor die Tür gegangen. Und ich rufe die Polizei.”

*-*-*

Gut geschlafen hatte ich die Nacht nicht, denn Fabian war sehr unruhig gewesen und hatte sich im Bett hin und her gewälzt. Natürlich war die Polizei noch da gewesen, aber nicht mal verwendbare Fußspuren im Schnee hatte man finden können.

Fabian saß gedankenverloren an seiner Tasse Kaffee. Um ihn aufzumuntern lief ich einfach zu seinem Adventskalender und öffnete das nächste Türchen,

Liebe bedeutet

das Leben des anderen zu leben

den man liebt

Irgendetwas heckte Fabian aus, ich wusste nur nicht was. Den Spruch nahm er nur halb war, aber sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren.

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