Dass plötzlich Dad im Bad stand, gab mir nun doch zu denken.
„Wie lange gedenkst du eigentlich noch das Bad zu blockieren?”, fragte er.
„Wieso, ich war doch nur…”
„… nur eine ganze Stunde jetzt hier drin!”, beendete Dad meinen Satz.
„Bitte?”
„Ich glaub, ich sollte hier eine Uhr aufhängen. Und nun mach, dass du die Kurve kratzt, ich muss auf die Toilette.”
„Unten hat es auch eine Toile…”
„Fabian!”
Kichernd verließ ich das Bad und wanderte zurück in mein Zimmer. Carsten lag fertig angezogen auf dem Bett und las gerade in einer Zeitschrift.
„Da bist du ja wieder. Grad wollte ich diesen Sörens anrufen und dich als vermisst melden.”
„Komm, solange war ich jetzt auch nicht im Bad.”
Carsten grinste und schaute auf die Uhr. Meine Reaktion darauf bestand darin, mein Geschmacksorgan in seine Richtung zu zeigen.
„Hm, die könnte ich mir jetzt auch woanders vorstellen”, grinste er weiter.
Ich ging an den Schrank und schaute hinein. Was sollte ich nur anziehen?
„Falls du überlegst, was du anziehst mein Engel, das wäre egal… du siehst in allem toll aus.”
Ich drehte mich um und sah Carstens Blick, der jetzt nicht so recht zu deuten war.
„Aber ich würde langsam hinne machen, denn meine Mutter kommt gleich uns abholen.”
Zweiter Versuch. Ich zog meine weiße Jeans heraus und das schwarze Hemd mit dem silbernen Drachen darauf. Carsten machte große Augen, als ich in die Sachen schlüpfte. Als ich dann noch das ultramarinefarbene Sakko überwarf, konnte ich ein lautes „Wow” hören.
„Nimmst du mich so mit?”, fragte ich und posierte etwas.
„Ich weiß nicht…”
„Bitte…?”
Carsten kicherte laut.
„Du siehst traumhaft aus… danke.”
„Für was?”
„Dass du mich mitnimmst”, meinte Carsten und erhob sich.
„Dass ich einen solchen fabelhaften Traumboy zur Seite habe.”
Ich lehnte mich an Carsten und gab ihm einen sanften Kuss. Es wäre sicher mehr geworden, wenn es nicht ausgerechnet jetzt an der Haustür geklingelt hätte.
„Deine Mutter.”
„Ich weiß”, seufzte Carsten.
*-*-*
Ungefähr eine Stunde später trafen wir zusammen mit Gabriella, die sich uns unterwegs angeschlossen hatte, bei Fastrick ein.
„Ihr ruft bitte an, wenn ich euch abholen soll, okay?”
„Ja Mutter”, meinte Carsten.
So verließen wir den Wagen und liefen zur Eingangstür, während Carstens Mutter losfuhr.
„Komisch, eigentlich wollte Thomas vor der Tür auf mich warten”, meinte Gabriella.
„Dem wird sicher kalt geworden sein und ist reingegangen”, kam es von Carsten.
Ich drückte auf die Klingel, die man innen sachte hörte. Eigentlich dachte ich, man würde den Trubel schon auf der Straße hören, aber es war richtig still hier. Ich wollte gerade noch einmal die Klingel betätigen, als plötzlich die Tür aufgezogen wurde.
Dirk stand vor uns.
„Da seid ihr ja endlich, alle anderen sind schon da!”, begrüßte er uns.
„Auch hallo”, meinte ich und schob mich an ihm vorbei.
Noch immer war alles sehr ruhig, ab und zu konnte man Gelächter hören.
„Legt nicht ab und folgt mir ins Wohnzimmer”, meinte Dirk.
Ich verstand zwar nicht warum, aber tat wie geheißen. Wir folgten ihm durch den Flur und schon hier merkte ich, wie lange ich schon nicht mehr hier gewesen war. Er lief mit uns durch das Wohnzimmer, hinaus auf die Terrasse.
Und plötzlich war sie da, die Lautstärke, die ich an der Vorderseite des Hauses vermisst hatte. Alle standen sie im Garten, dick eingepackt, um den Holzkohlegrill herum. Knut war wohl zum Grillmeister ernannt worden, wild fuchtelte er mit der Grillzange herum.
„Wenn ihr Durst habt, dort im großen Topf auf dem Tisch steht Punsch”, meinte Dirk und mischte sich wieder unter die Leute.
„Punsch? Wir dürfen Alkohol trinken?”, fragte Carsten verwundert.
„Das ist sicher ein Kinderpunsch, glaub es mir”, grinste ich.
Marcel hatte uns wohl bemerkt und kam auf uns zu.
„Hallo ihr, da seid ihr ja. Wer will auch einen Glühstrumpf?”
„Glühstrumpf?”, fragte Carsten.
„Ja, der Punsch, den Fastrick für uns angesetzt hat, schmeckt täuschend echt, wie Glühwein, ist aber ohne Alkohol.”
Gabriella stand die ganze Zeit teilnahmslos neben mir.
„Was ist?”, fragte ich.
„Ich wundere mich gerade über Thomas, er hat mich ein paar Mal angeschaut, aber begrüßen will er mich anscheinend nicht.”
„Habt ihr euch gestritten oder so was.”
„Nein, eher das Gegenteil… ich versteh grad nichts mehr.”
„Ah, die Regenbogenfraktion ist auch schon eingetroffen”, rief Cosmo, „Knut, beschütz unsere Würstchen, Fabian ist angekommen.”
„Du Cosmo, ich bin Größeres gewohnt”, meinte ich und marschierte auf direktem Wege zum Punsch.
Ein Lachen ging durch die Klasse. An solche blöden Sprüche sollte ich mich eigentlich gewöhnen. Der Abend versprach, amüsant zu werden. Was mir aber Gedanken machte war, dass Thomas sich so komisch verhielt. Gabriella schien regelrecht abgemeldet zu sein.
Dann stand er bei den Freunden um Carsten, sprach mit Cosmo und Kurt. Die einen standen nun beim Grill, das andere Grüppchen hatte sich um den Punsch versammelt.
Dirk lief zwischen den Gruppen hin und her und versuchte den Gesprächen zu folgen. Marcel, Gabriella und ich saßen am Tisch und beobachteten das Treiben und so verlief fast der gesamte Abend.
Carsten versorgte mich ganz lieb mit Essen und Trinken, damit ich mich etwas schonen konnte. Gabriella dagegen war schon eine Weile nicht mehr in meinem Sichtfeld und Marcel war aufgestanden, um sich etwas zu essen zu holen.
Da erblickte ich plötzlich Thomas, der auf mich zu hielt.
„Du Fabian, kannst du mir mal kurz helfen?”
„Bei was denn?”
„Ach Gabriella ist so komisch, ich weiß nicht was los ist.”
„Und was soll ich jetzt machen?”
„Kannst du nicht bitte mit ihr reden, du bist ihr bester Freund…”
Warum konnte ich bei solchen Sachen nie NEIN sagen? Ich erhob mich also aus meinem warmen Stuhl und seufzte innerlich.
„Wo ist sie denn?”
„Da seitlich am Haus.”
Ich folgte ihm und war bald aus dem Sichtfeld der anderen verschwunden.
„Wo denn?”
„Na da vorne…”
Ich sah absolut nichts von einer Gabriella und drehte mich suchend um. Mittlerweile standen wir fast vorne im Vorgarten, verdeckt von mehreren Büschen. Dort drehte ich mich zu Thomas um, um erneut zu fragen, wo Gabriella denn nun sei, doch als ich ihn ansah, stockte mir der Atem. Ich war mir gelähmt, wurde kreidebleich und starrte auf das Messer, welches er drohend in seiner Hand hielt.
„Spinnst du nun auch Thomas?”, entfuhr es mir nach der ersten Schrecksekunde.
„Ach Schätzchen, ich weiß gar nicht, warum du mich immer Thomas nennst.”
Ach du Scheiße, vor mir stand tatsächlich Thorsten und ich hatte nicht mal den Unterschied bemerkt. Immer noch stand er da und zielte mit dem Messer auf mich.
„Wo ist… Thomas.”
„Der probiert zu Hause Fesselspiele aus… das war vielleicht ein Spaß, sollte so etwas öfter machen.”
Dieses Getucke ging mir gehörig auf den Sack.
„Kannst du mir sagen, was das alles soll? Nur wegen meinem Spruch in der Schule?”
„Ach Quatsch. Fabilein… ich liebe dich, du gehörst mir und niemand anderem.”
„Wenn…, dann gehöre ich nur mir selbst…”
Thorsten fuchtelte mit einem hysterischen Gesichtsausdruck wild mit dem Messer vor mir herum.
„So böse Sachen darfst du nicht sagen Fabilein. Du wirst sehen, wir werden uns prima verstehen. Hach, ich hab mir so schöne Dinge ausgemalt, was wir alles zusammen machen können.”
„Und… und was willst du dann mit dem Messer?”
Thorsten schaute mich an und seine Augen verengten sich. Schwenkten von einer Sekunde auf die andere von dem euphorischen Ausdruck in einen äußerst unberechenbaren und gefährlichen. Mir war mittlerweile sowas von schlecht. Ich rechnete jede Sekunde damit, dass er nach vorne stürmen und sich auf mich stürzen würde.
„Thorsten, hast du den kleinen Arschficker endlich?”, hörte ich plötzlich eine Stimme im Hintergrund und ließ mich erzittern.
War das Carsten?