Berry
Erneut hob ich das Schreiben hoch und las nochmals, was dort stand. Was mir vorher nicht aufgefallen war, weil Toms Traurigkeit Vorrang hatte, war die Begründung.
Begründung
Ihre leibliche Mutter Mrs. Kathleen Spencer geb. Wagner,
– geboren am 13.06.1968 in Colma, CA, USA.
– Heirat mit Athur Miller am 14.04.1989
– Scheidung von Athur Miller 26.06.1999
– Heirat mit Ronald Spencer am 06.09.2002 (Australischer Staatsbürger)
Dadurch ist Mrs. Kathleen Spencer in Besitz der australischen Staatsbürgerschaft. Hier steht Ihnen nach §234 Absatz 34, EwBG automatisch die australische Staatsbürgerschaft zu. In der Anlage finden Sie die benötigten Unterlagen, mit denen Sie bei der Meldestelle ihre Pässe beantragen können.
Mit freundlichen Grüßen
Henry Athur Daniels
Ich las den Absatz noch einmal.
„Tom?“
Er reagierte nicht und so ruckelte ich an seiner Schulter.
„Ähm … ja?“
Zwei traurige Augen schauten mich an.
„Hast du den Brief bis zum Ende gelesen?“
„Nein“, schluchzte er.
Ich nahm den Brief in die Hand und las ihn Tom noch einmal komplett vor.
Tom
Trotz meiner Arbeit am Schreibtisch lauschte ich Berrys Worten.
„…automatisch die australische Staatsbürgerschaft zu…“
„Was sagst du da?“, fragte ich und hielt mit meiner Arbeit inne.
Vor mir stand Kundschaft und hörte aufmerksam zu, aber das war mir in diesem Augenblick egal. Doch Berry gab mir einen Wink zur Kundschaft.
„Äh… Mrs. Parker wäre Ihnen am Donnerstag um 11:30Uhr Recht?“
„Ja, danke.“
Ich notierte den Termin und reichte ihr den Notizzettel. Sie blieb trotzdem stehen und schaute mich an.
„Kann ich noch etwas für Sie tun?“, fragte ich sie höflich.
Mrs. Parker schaute kurz zu Berry, lächelte verlegen und schüttelte dann ihren Kopf.
„Einen schönen Tag noch…“, wünschte ich und wandte mich dann zu Berry.
„Herzlich Willkommen in Australien mein Schatz“, grinste mich Berry an.
Die Tür zum Behandlungszimmer Drei ging auf und Abby kam heraus.
„Tom, könntest du mir das bitte bei der Apotheke bestellen?“, fragte sie und schaute uns erst dann an.
„Nanu, was ist denn mit euch? Warum grinst ihr so?“
Berry reichte ihr den Brief. Sie überflog die Zeilen und ein Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.
„Das ist doch mal eine tolle Nachricht“, meinte sie und umarmte mich kurz, „können wir aber heute Abend weiter darüber reden? Ich muss weiter machen.“
„Ja, aber natürlich“, meinte ich.
„Gut…, du kannst den nächsten Patienten in die Zwei schicken.“
Und schon war sie wieder verschwunden.
„Du Tom, ich mach mich mal auf den Heimweg, bevor meine Mum auf die Barrikaden steigt.“
„Okay… Rufst du an, wenn du zu Hause bist?“
„Klar, kein Problem.“
Er gab mir einen flüchtigen Kuss und verschwand dann aus dem Empfang. Ich hingegen griff mir die nächste Kartei und ging zum Wartezimmer.
*-*-*
„Darf ich nicht wenigstens einen kleinen Schluck Sekt haben?“, fragte Bob.
„Bob, du weißt was Doc Ebeny gesagt hast. Du musst dich mit dem Saft begnügen.“
Molly und ich mussten uns arg zusammen reißen, um nicht zu kichern.
„Lieber Tom, somit bist du hochoffiziell Australier“, sagte Molly und stieß mit mir an.
Dann fiel sie mir um den Hals und drückte mich kräftig an sich.
„Herzlichen Glückwunsch, Tom!“, kam es von Bob und Abby gleichzeitig.
Berry
Es war recht ungewohnt wieder nach Hause zu fahren. Die letzten Tage hatte ich ja fast nur mit Tom verbracht und schon auf den Heimweg fehlte er mir.
„Hi Mom, warte ich helfe dir.“
„Oh, wir bekommen Besuch“, grinste sie.
Meine Mutter war gerade dabei, die Einkäufe aus dem Auto auszuladen. Schnell stellte ich mein Rad ab und trug die schweren Sachen in die Küche.
„Wie war die Schule?“
„Ganz okay soweit. Wir wollen im Herbst eine Studienfahrt nach Sydney machen.“
„Ja, Lesley hat mir das schon erzählt.“
Mein Bruder war heute früher nach Hause gefahren, da er sich nicht gut fühlte und somit war meine Mutter schon informiert. Sie kam zu mir und schaute mich an.
„Berry, ich weiß nur nicht, ob wir das bezahlen können. Je 600$A für vier Tage ist schon eine Menge Geld.“
Meine Mutter war sichtlich betrübt. Seit dem Tod meines Vaters vor 12 Jahren war es finanziell nicht so einfach. Meine Mutter arbeitete zwar als Sekretärin und bekam eine kleine Witwenrente, aber für große Sprünge oder gar einen Urlaub reichte es leider nicht.
„Ich weiß Mum.“
Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich enttäuscht war. Zu genau wusste ich, dass wir uns das nicht leisten konnten. Um meine meine Mutter zu trösten, nahm ich sie in den Arm und meinte: „Ist nicht so schlimm, wir werden das auch hinbekommen.“
Meine Mutter seufzte.
„Ich gehe hoch und mache mal Hausaufgaben.“
„Okay, ich rufe euch, wenn das Essen fertig ist.“
Ich ging hoch und brachte Lesley kurz die Aufgaben, die er nicht mehr mitbekommen hatte.
„Alles okay bei dir?“
„Ja, geht schon wieder … es ist nur, diese Klassenfahrt. Als Mister Sanchez’ es vorhin erzählt hat und alle in der Klasse gejubelt haben, wusste ich ja schon, dass wir nicht mitfahren können.“
Ich setzte mich neben Lesley auf das Sofa.
„Dabei wäre ich gerne mitgefahren. Schon alleine der Gedanke, mit Molly und euch beiden zusammen ein paar Tage in Sydney zu verbringen. Das alles hat mir irgendwie auf den Margen geschlagen.“
Ich nahm Lesley in den Arm.
„Hey, mein kleiner. Das schaffen wir schon irgendwie.“
Lesley schien einen Moment in Gedanken versunken zu sein. Plötzlich schaute er mich grimmig an.
„Wer ist hier kleiner?“
Er warf sich auf mich und drückte mich auf den Rücken. Triumphierend saß er auf meinem Becken und drückte meine Arme nach hinten.
„Okay du hast gewonnen, ich gebe auf. Aber kannst du vielleicht runtergehen, du quetscht mir da was ein.“
Grinsend ließ er von mir ab und setzte sich wieder.
„Na, da will ich ja Toms Spielzeug nicht kaputt machen.“
Ich streckte ihm die Zunge heraus und ging in mein Zimmer, um Hausaufgaben zu machen. Gerade als ich fertig war, hörte ich meine Mutter von unten rufen.
„Kinder … das Essen ist fertig.“
*-*-*
Tom
Meine Hausaufgaben hatte ich schnell erledigt. Aber noch so ein paar Tage mit Schule, Abby helfen und noch Hausaufgaben, da freute ich mich echt auf das Wochenende. Mister Sanchez’ Idee, im Herbst nach Sydney zu fahren, fand ich gut.
Mich wunderte dabei nur Lesleys trauriges Gesicht, während alle anderen gejubelt hatten. Nun lag ich in meinem Bett… alleine. War ungewohnt, wo doch Berry fast jeden Abend hier geblieben war.
Also griff ich nach dem Tagebuch und lehnte mich aufs Kissen zurück.
…Timothy hielt inne und schaute mich mit seinen wachen Augen an. Leise sagte er, dass er schon seit längerer Zeit mehr für mich empfinde, nur Angst hätte, dass dies unsere Freundschaft belasten würde.
Ich zog ihn zu mir heran und beantwortete diese Zweifel mit einem langen Kuss. Langsam schob sich Timothys Körper auf den meinen. Dieses Gefühl, seine warme weiche Haut auf mir zu spüren, entfachte etwas, was ich bisher noch nicht gekannt hatte.
Wie bei mir spürte ich seine Erregung und begann mit meinen Händen seinen Rücken zu streicheln. Als meine Hände tiefer wanderten…