Welcome to Australia – Teil 09

Berry

Als ich draußen auf dem Schulhof ankam, atmete ich erst einmal tief durch und lief dann zu meinem Fahrrad, um es aufzuschließen.

‚Warum? Warum nur muss sich Tom mit Timothy abgeben, hat der nicht schon genug angerichtet?‘

Wütend trat ich in die Pedale und verließ das Schulgelände. Dass ich eigentlich noch zwei Stunden Schule hatte, interessierte mich im Augenblick nicht. Planlos und viel zu schnell fuhr ich durch die belebten Straßen von Griffith.

Erst als ein paar Autoreifen quietschten und eine Frau auf dem Bürgersteig schrie, wurde ich wach.

„Kannst du nicht aufpassen?“

Der Fahrer des quietschenden Autos fuchtelte wild mit seinen Armen und schrie aus dem offenen Fenster.

Ich sah nur, dass ich so schnell wie möglich weg kam und hörte ihn noch hinter mir weiter schreien.

„Idiot, erst nicht aufpassen und dann auch noch abhauen!“

Schnell fuhr ich weiter. Dieses Mal in Richtung nach Hause.

Als ich schon fast zu Hause war, fiel mir ein, dass ja noch niemand dort war. Meine Mutter war auf der Arbeit und Lesley natürlich noch in der Schule.

Jetzt ärgerte ich mich über mich selbst und über meine Reaktion vorhin. Ich musste unbedingt mit jemandem reden und so fuhr ich kurzentschlossen weiter zu den Millers, in der Hoffnung, dass Bob für mich Zeit haben würde.

Dort angekommen, stellte ich mein Rad an seinen, mittlerweile angestammten, Platz und lief ins Haus.

Bob konnte ich nach einigem Suchen auf der hinteren Veranda in seinem Schaukelstuhl sitzend finden.

„Was machst du denn schon hier?“

Bob schaute überrascht auf die Uhr und sah mich fragend an.

„Das ist eine lange Geschichte, darf ich mich zu dir setzen?“

Bob nickte und deutete mir, den anderen Stuhl heranzuziehen.

„Na dann lass mal hören.“

Er legte sein Buch zur Seite, wandte sich zu mir und sah mir in die Augen.

Ich fing an, ihm die Geschichte mit Timothy zu erzählen. Angefangen bei dem Tag, als wir Nathaniel und Timothy händchenhaltend in der Stadt getroffen hatten. Erzählte noch mal den Vorfall mit dem Outing in der Schule und von dem Besuch im Krankenhaus. Und zum Schluss die Ereignisse des heutigen Tages. Den Vorfall mit dem Auto ließ ich aber lieber aus.

Bob hörte mir aufmerksam zu. Ab und an, wenn er etwas nicht genau verstanden hatte, fragte er zwar nach, ließ mich aber ansonsten immer weiter erzählen.

Als ich fertig war, überlegte er einen Moment.

„Du meinst Timothy und Nathaniel sind mehr als normale Freunde?“

„Ich weiß es nicht…“

„Also, so wie ich das sehe, deutet einiges darauf hin, dass Timothy auch schwul ist.“

Ich nickte zustimmend.

„Ich glaube, Tom weiß das auch und möchte versuchen ihm zu helfen.“

Ich seufzte.

„Berry, mach dir wegen Tom keine Gedanken. Er liebt dich über alles und er meint es nur gut. Versuch lieber, ihn dabei zu unterstützen.“

„Das sagt sich so einfach. Mit seinem Outing vor der ganzen Klasse hat er mir schon einen heftigen Hieb zwischen die Rippen verpasst.“

„Das verstehe ich und ich will es nicht gutheißen. Was er gemacht hat, das ist mehr als daneben und ich wäre wohl auch sehr, sehr sauer. Aber jeder hat eine zweite Chance verdient. Vielleicht gibst du ihm diese zu gegebener Zeit.“

Nachdenklich schaute ich auf die Pferdekoppel.

„Darf ich dich was fragen?“, sagte ich nach einer Weile.

„Ja, klar.“

„Molly hat erzählt, dass ihr jemanden neues in der Praxis habt?“

Bob schaute mich ernst an.

„Meine Frau hat gemeint, wir bräuchten Hilfe und hat, ohne mich zu fragen, einen Assistenten eingestellt, Barney Eknad.“

Ich überlegte, ob ich den Namen schon mal gehört hatte.

„Der Name sagt mir nichts.“

„Barney kommt auch nicht von hier. Er studiert Tiermedizin in Sydney und hat aktuell Semesterferien.“

„Ich finde die Idee eigentlich nicht schlecht. Doc Ebeny hat doch gesagt, dass du kürzer treten sollst und für Abby alleine ist es ja auch zu viel.“

Nun seufzte Bob

„Vielleicht hast du Recht.“

Tom

Als ich bei Timothy angekommen war, sah ich, wie Berry aus der Aula stürmte. Nanu was war denn nun los?

„Hallo“, sagte ich zu Timothy, der mit gesenktem Kopf an seinem Essen saß, aber eher lustlos darin herum stocherte.

Er schaute mich kurz an, wandte sich aber sofort wieder ab.

„War meine Mum nicht deutlich genug“, sagte er leise, „du sollst dich von mir fernhalten?“

„Das ist die Meinung deiner Mutter, aber ich bin mir sicher, dass es nicht deine ist.“

„Wie kommst du da drauf?“

„Ist so mein Gefühl.“

Er war nun still und schaute immer noch auf sein Essen. Ich spürte, wie die Blicke der umliegenden Tische auf mir hafteten, aber das war mir jetzt egal. Einen Stuhl zurückziehend setzte ich mich zu ihm.

„Was soll das?“, fragte Timothy leicht säuerlich.

„Ich will mit dir reden?“

„Und wenn ich nicht will?“, fragte er und schob sein Essen auf die Seite.

„Ich denke du willst schon, aber irgendwas hemmt dich.“

„Vor dir Hemmungen…, dass ich nicht lache.“

„Den Macho brauchst du nicht raushängen lassen, ich weiß, dass du auch anders kannst“, meinte ich und schaute Richtung Nath, der immer noch mit den Anderen an unserem Tisch saß.

Er folgte diesem Blick und zuckte zusammen, als sich seine und Naths Blicke trafen.

„Was geht dich das an?“

„Eine Menge, du greifst mich für etwas an, worüber du dir selbst nicht im Klaren bist.“

Timothy wurde kreidebleich, erhob sich und stürmte davon. Das war nun schon der Zweite, der aus der Aula rannte.

„Was ist passiert?“, fragte plötzlich Nath neben mir und ich fuhr etwas zusammen.

„Ich habe bloß etwas klar gestellt.“

„Du solltest dich vielleicht um deine eigenen Sachen kümmern“, meinte Nath leicht verärgert.

„Wieso meint jeder, mich geht das nichts an? Er hat mich vor der ganzen Klasse geoutet!“

Nun war ich ebenso sauer, stand auf und ließ Nath einfach stehen. Am Tisch zurück nahm ich mein Tablett und trug es zum Sammelpunkt. Ich wollte einfach nur zu Berry, mit ihm reden, er verstand mich.

Im Klassenzimmer angekommen sah ich zwar Berrys Sachen, aber keinen Berry. So beschloss ich, raus in den Hof zu laufen. Aber auch dort fand ich ihn nicht.

*-*-*

Nach den zwei Stunden Unterricht, in denen Berry nicht wieder aufgetaucht war, machte ich mir nun doch Sorgen. Molly und Lesley zuckten nur mit den Schultern, als ich sie fragte, ob sie wüssten wo Berry sein könnte.

Ich nahm seinen Rucksack und lief mit den anderen total in meinen Gedanken versunken hinter her. Warum war er verschwunden… hatte mir keine Nachricht hinterlassen? Ich schloss mein Rad auf und radelte Molly einfach hinterher, ohne auf mein Umfeld zu achten.

„Tom pass doch auf, wo du hinfährst“, hörte ich sie rufen.

Ich schaute auf, oder besser gesagt, mir wurde plötzlich klar, dass ich ohne aufzupassen einfach drauflos gefahren war. Zwei Meter vor mir lief eine Frau über die Straße, die ich nur um Haaresbreite verfehlte.

„Sind heute nur Idioten auf der Straße. Euch Fahrradfahrern sollte man auch einen Strafzettel geben.“

Ich wusste nicht, warum sich die Frau so aufführte, das konnte doch jedem passieren. Ich stieg wieder auf und fuhr weiter hinter Molly und Lesley her. Der ließ sich zurück fallen und radelte neben mir.

„Was ist denn los mit dir?“, fragte er.

„Ich weiß nicht, wo Berry ist und warum er verschwunden ist.“

„Wo, weiß ich auch nicht, aber warum!“

„Du weißt warum?“, fragte ich und wäre fast vom Rad gefallen, weil ich vom Pedal abrutschte.

„Wundert es dich nicht, dass Berry einfach wegstürmt, wenn du zu deinem Erzfeind läufst?“

„Was hat Timothy mit Berry zu tun?“

„Tom…, ich will mich ja bei euch nicht einmischen. Aber hast du mit Berry darüber geredet?“

„Über was geredet?“

„Dass du mit Timothy reden willst.“

„Wieso… ich dachte…“

„Tom ich kenne meinen Bruder, wenn er etwas nicht leiden kann, dann das, wenn man ihn vor vollendete Tatsachen stellt.“

„Aber ich…“

„Tom, nichts aber, glaube mir ruhig…“

Traurig schaute ich ihn an, während Molly schon vor der Einfahrt der Johnsons stand.

„Sein Rad ist nicht da“, rief sie uns entgegen.

Ich hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen und Berry war bestimmt sauer auf mich. Das erste Mal. Ich unterdrückte meine Tränen, die versuchten, sich ihren Weg zu bahnen. Lesley nahm, ohne noch etwas zu sagen, Berrys Rucksack und verschwand im Haus.

Molly stand einfach nur da und schaute mich an. Am liebsten wäre ich jetzt in das nächste Mausloch verschwunden. Da legte Molly ihr Rad auf dem Rasen ab, kam zu mir und nahm mich einfach in den Arm.

„He, das kann doch mal passieren.“

Ich schluckte und nun brachen die Tränen endgültig hervor.

„Molly, du tröstest den Falschen… lass uns lieber meinen Bruder suchen.“

„Du bist ein Trampel, Schatz… weißt du das?“

Ich löste mich von Molly und wischte meine Tränen ab.

„Schon in Ordnung, entschuldige“, sagte ich leise und fuhr Richtung nach Hause.

„Tom, so warte doch!“, rief Molly, „siehst du, was du jetzt angerichtet hast“, schien sie zu Lesley zu sagen, aber das war mir egal.

Ich wollte nur nach Hause. Dort angekommen, stellte ich mein Fahrrad weg, beachtete weder das Rudel Hunde um mich herum, noch Gustav, der an mir hochsprang. Ich wollte nur noch alleine sein.

Leise betrat ich das Haus und steuerte direkt mein Zimmer an. Ich schloss hinter mir die Tür, ohne drauf zu achten, dass Gustav auch herein wollte. Seine Kratzgeräusche nahm ich nicht wirklich war.

Ich ließ den Rucksack fallen und schmiss mich aufs Bett. Berry war sauer auf mich, dass erste Mal. Ich hatte es verbockt. Meine Tränen rannen ungehindert auf mein Kissen.

„He… was ist denn?“, fragte eine mir bekannte Stimme.

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