Welcome to Australia – Teil 11

„Wer da mit meiner Mutter aus dem Wagen steigt…“, flüsterte Berry plötzlich.

Ich schaute Richtung Wagen. Klar kannte ich Berrys Mutter Linda, aber den Mann kannte ich nicht.

„Wer ist das?“, fragte ich genauso flüsternd, obwohl ich mir sicher war, das die uns aus dieser Entfernung nicht hören konnten.

„Timothys Vater Riley.“

„Timothy Stefferson?“

„Ja…“

Berry löste sich von mir und wankte langsam nach hinten, bis er an der Hauswand ankam.

„Berry, was ist?“

„Ich glaube das nicht…, sie geht mit Riley Stefferson aus.“

Mir war schon klar, auf Bezug zu Timothy, dass ihm das nicht Recht war. Aber ich kannte diesen Mann nicht, konnte also nicht sagen, ob das jetzt positiv oder negativ war. Ich beschloss einfach zu fragen.

„Berry, ich weiß, vielleicht ist meine Frage etwas daneben…, ist das negativ oder positiv, wenn sie mit ihm ausgeht.“

Berry atmete tief durch, zeigte auf die Zwei und schüttelte den Kopf. Sollte das jetzt nicht gut heißen? Ich konnte es nicht deuten.

„Warum…, warum dieser Mann?“, stammelte Berry.

„Wieso… er ist doch geschieden, hat mit seiner Familie nichts mehr zu tun, dachte ich.“

„Das wird Ärger geben…“

„Du kannst doch nicht mit deiner Mutter deswegen Krach anfangen.“

Berrys Kopf senkte sich.

„Das meinte ich nicht…, Tom. Du hast ja Recht. Mr. Stefferson ist ein netter Mann und hat nie in diese Familie gepasst. Aber wenn seine Exfrau das hier mitkriegt, wird sie den beiden die Hölle heiß machen.“

„Wieso? Die sind geschieden, der kann doch tun was er will.“

„Tom… denk doch nur ein Stückchen weiter, auch wenn es Fantastereien sind. Wenn meine Mum und er jetzt heiraten würden…“

„Ja, was wäre dann?“

„Dann wäre ich der Stiefbruder von Timothy.“

„Wäre schlimm, aber du musst dich doch nicht mit ihm abgeben und wenn du wünschst, redete ich auch nicht mehr mit ihm.“

„Tom, jetzt hör auf, dass würde ich nie von dir verlangen. Weißt du aber noch wie Mrs. Stefferson auf uns reagiert hat.“

„Uns beide?“

„Ja!“

„Klar, so etwas kann ich nicht vergessen. Sie hasst Schwule und…“

Jetzt klingelte es bei mir. Wenn die zwei heiraten würden und Berry automatisch Timothy Stiefbruder werden würde, dann…

„Na, verstehst du jetzt was ich meine?“, unterbrach Berry meinen Gedanken.

… dann… hatte Timothys Mutter genug Gründe ihrem Exmann die Hölle heiß zu machen, weil er ein schwules Pärchen in die Familie bringt. Bei den Stefferson gibt es Schwule. Berry und mich.

Ich nickte. Sie würde Angst um ihren Ruf bekommen und alle Mittel einsetzten um dass zu verhindern.

„Du bist also nicht sauer, dass deine Mum diesen Mann ausgesucht hat?“

Berry schüttelte den Kopf.

„Du hast eher Angst um sie…?“

Dieses Mal nickte er.

„Und was sollen wir jetzt tun?“, fragte ich.

„Ich weiß es nicht.“

*-*-*

Diese Nacht schlief ich unruhig. Ich träumte von Berry und seiner Familie und auch von den Stefferson. Ich wachte mehrere Male auf, verwirrt und zitternd. Natürlich saß ich am nächsten Morgen total zerknittert am Frühstückstisch.

„Was ist denn mit dir passiert?“, wollte Bob wissen.

„Schlecht geträumt…“, antwortete ich nur.

Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen sollte. Noch konnte ich mir nicht vorstellen, dass Bob und Abby nichts darüber wussten. Dafür waren sie mit Linda einfach zu eng befreundet. Aber ich brauchte jemand zum reden.

So beschloss ich nach der Schule am Mittag jemanden zu besuchen, der in dieser Sache für mich neutral schien. Ich trank nur meinen Kaffee aus, Hunger hatte ich eh keinen.

„Molly kommst du?“, fragte ich.

Sie nickte.

„Dann bis heute Mittag“, meinte Molly und schnappte sich noch ein Brot.

„Viel Spaß ihr zwei“, rief Abby uns nach.

Nach einer Weile schweigenden Radfahrens, meldete sich plötzlich Molly zu Wort.

„Was hast du denn geträumt?“

„Wirres Zeug“, gab ich knapp zur Antwort.

Ich wusste nicht, ob sie mit dieser Antwort zu frieden war, aber sie sagte nichts mehr. Wir kamen ans Haus der Johnsons, aber es waren kein Berry oder Lesley zu sehen.

„Komisch, wo sind denn die beiden? Sie sind doch sonst immer pünktlich“, meinte Molly.

Wir fuhren die Auffahrt hinauf und stellten unser Räder ab. Gerade als ich klingeln wollte, wurde die Tür auf gerissen und Lesley kam mir entgegen gestürmt.

„Du spinnst doch… nein das kann echt nicht war sein“, schrie er fast und ließen Molly und mich zurück schrecken.

Er rannte an uns vorbei, ohne uns eines Blickes zu würdigen, öffnete die Garage und holte sein Fahrrad heraus.

„Was ist denn hier los?“, flüsterte Molly, „so habe ich ihn ja noch nie erlebt.

Wenig später erschien auch Berry. Seine Augen waren feucht und die seiner Mutter, die knapp hinter ihm erschien ebenfalls. Ich schaute Berry an, doch er schüttelte den Kopf.

„Morgen Kinder“, meinte Linda und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Guten Morgen Linda“, sagte ich leise.

Entschuldigt…“, meinte sie dann nur noch und schob hinter sich die Haustür zu.

Lesley hatte sich auf sein Fahrrad geschwungen und radelte los.

„Lesley!“, rief Molly, „kannst du vielleicht mal warten?“

*-*-*

Berry

Mum schloss hinter sich die Tür. Ich atmete tief durch.

„Was ist?“, fragte Tom leise.

„Später…, ich kann jetzt nicht darüber reden“, antwortete ich und holte mein Fahrrad aus der Garage.

Etwas später fuhren Tom und ich schweigend hinter Molly und Lesley hinter her, die ebenso schwiegen. Die Stimmung war drückend und ich fühlte mich dafür irgendwie verantwortlich. Hätte ich doch nicht den gestrigen Abend erwähnt.

Eigentlich wollte ich Mum damit nur zeigen, dass es mir nichts ausmacht, wenn sie sich mit Timothys Vater ausginge und ihn vielleicht auch dabei näher kennen lernen würde. Aber nicht Mum hatte mich falsch verstanden, sondern Lesley.

Er wusste nichts davon, daran hatte ich auch nicht gedacht. Er schrie Mum an, wie sie Vater einfach vergessen konnte und war aus dem Haus gerannt. Mum dagegen, blieb wie angewurzelt stehen und bekam feuchte Augen.

„Berry, ich mach mir Sorgen um dich…“, hörte ich Tom neben mir sagen.

„Es geht schon, Tom“, meinte ich, merkte aber, dass ich wohl diese eine Spur zu heftig gesagt hatte.

„Du weinst…“

Ich wischte mir die Tränen ab, ohne einmal zu Tom zu schauen.

„Dann mach doch gerade was du willst, aber du brauchst nicht mehr zu mir kommen“, hörte ich Molly wütend schreien.

Sie trat in die Pedale und zog davon. Toms und meine Blicke trafen sich kurz und auch er wurde plötzlich schneller und fuhr Molly hinterher. Ich schloss für ein paar Sekunden meine Augen.

Lesley wurde langsamer und ich holte ihn ein. Ich überlegte, ob ich überhaupt etwas sagen sollte. Die Stimmung war viel zu aufgeheizt, als dass jetzt etwas Vernünftiges von ihm kommen würde.

*-*-*

In der Schule hatte ich Probleme mit dem mitkommen. Ich konnte mich nicht konzentrieren und dass Tom nicht in meiner Nähe war, machte mir noch mehr zu schaffen. Er saß wie jeden Tag bei Molly und zog es wohl vor, keine Notiz von mir zu nehmen.

„Was ist denn mit euch los?“, wollte Horaz wissen.

Ein böser Blick von Lesley ließ ihn aber verstummen. Wenig später klingelte es zur Pause. Ich packte meine Sachen und sah dabei, wie Tom mit Molly das Klassenzimmer bereits verließ.

„Herzlichen Dank“, meinte ich zu Lesley und verschwand ebenfalls.

Ich konnte Molly und Tom wenig später bei den anderen finden. Sie sprachen über irgendetwas und so bemerkten sie mich nicht mal. Ich machte etwas, was ich so in der Öffentlichkeit in der Schule noch nie gemacht hatte.

Während Tom gerade etwas erzählte, nahm ich ihn von hinten in den Arm und zog ihn zu mir. Tom unterbrach und drehte seinen Kopf zu mir. Die anderen schauten leicht irritiert.

„Alles okay?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. Er drückte sich näher an mich und legte seine Hände auf meine.

„Sophie hat sich gerade über das Verhalten von Timothy aufgeregt“, erklärte Tom.

„Nicht nur Sophie, mir geht sein ewiges Genörgel auch auf den Geist“, meinte Horaz.

„Ich weiß gar nicht was ihr habt, als ich meine, er zieht sich eher immer mehr von uns zurück“, sagte Nathaniel.

Ich muss Nath Recht geben“, pflichtete ich ihm bei, „ich habe versucht mit ihm zu reden, aber er wehrt nur ab.

„Warum wolltest du mit ihm reden?“, wollte Joshua wissen, „so wie er dich und Berry behandelt hat, würde jeder verstehen, wenn du ihn links liegen lässt!“

„Das entspricht nicht meinem Tom!“, sagte ich.

Ich war selbst über mich erstaunt, dass ich so frei plötzlich sprechen konnte. Die anderen schauten zwar immer och etwas irritiert, aber es machte mir überhaupt nichts aus. Ich spürte, wie Tom mir sanft über den Arm streichelte.

„Was ihr nicht wissen könnt“, begann Tom zu erklären, „ich war in meiner alten Klasse in den Staaten nicht geoutet, niemand wusste es. Meine Stellung in der Klasse glich der einer Außenseiterposition. Trotzdem wurde ich oft geärgert und bin manchem Prügel knapp entgangen. Ich möchte hier nicht den gleichen Fehler machen und wieder außen vor stehen. Was Timothy betrifft, denke ich einfach, dass er Hilfe von uns braucht, es stimmt etwas nicht und alleine kommt er da nicht heraus.“

„Woher weißt du das?“, fragte Molly.

Mein Blick fiel kurz auf Nathaniel.

„Ich habe da so ein Gefühl, dass ich dir nicht genau beschreiben kann“, antwortete Tom.

„Du hast doch wohl jetzt kein Mitleid, weil er mit einem Gipsarm herum läuft?“, fragte Joshua.

„Das hat nichts damit zu tun“, wehrte sich Tom.

Aus dem Blickwinkel sah ich Lesley aus der Schule kommen. Horaz hatte meinen Blick anscheinend verfolgt.

„Und was ist mit euch beiden los?“, fragte er mich.

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