Aschenbrödels Bruder – Teil 3

Ich konnte es nicht glauben, Constanze hatte meiner Schwester wirklich eine geklebt.

„Und hier einfach hereinzustürmen, wenn dein Bruder Besuch hat und überhaupt, er ist krank!“

Sabine, wohl keines Wortes mächtig, rannte flennend aus dem Zimmer.

Dann wandte sich Constanze wieder zu mir.

„Entschuldige, aber das war mal nötig. In der Schule geht sie uns schon laufend auf den Wecker, aber jetzt ist Schluss.“

Sie ging zur Tür, die Sabine offengelassen hatte und schloss sie. Dann kam Constanze ans Bett zurück, und redete plötzlich leise weiter. Als wäre nie was gewesen. Immer noch schaute ich leicht geschockt auf sie.
So hatte ich sie noch nie erlebt.

„Ich weiß es zwar nicht, wie du darüber denkst, aber die Bemerkungen in der Schule schienen immer von dir abzuprallen und ich dachte, weil du über dich Bescheid weißt, macht es dir nichts aus.“

„Bescheid… wissen?“, stammelte ich.

„Benjamin, jetzt tu nicht so…, wie lange weißt du schon, dass du schwul bist?“

„Äh… was?“, krächzte ich.

Constanze sprach nicht weiter, sondern sah mich nur leicht lächelnd an.

„Ich… ich…“, ich suchte nach Worten, aber mehr als stottern kam nicht heraus.

Sie nahm meine Hand in die ihre.

„Ist es denn so schwer, darüber zu sprechen?“

Ich setzte mich auf und lehnte mich nach hinten.

„Constanze, du musst mir glauben, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht…“

„Komm, du bist siebzehn, hast du beim Duschen nach dem Sport dir die anderen noch nie betrachtet? Oder…“

„Ähm… vielleicht bin ich ein Spätzünder, aber… das war bisher nie ein Thema für mich, ob ich Mädchen interessant finde…, oder…“

„Jungs!“

Ich nickte zaghaft.

„Ich fass es nicht…, vor mir sitzt eine siebzehn jährige Jungfrau und hat von Tuten und Blasen keine Ahnung… oh…, entschuldige“, und schon fing Constanze an zu kichern.

Genervt rollte ich mit den Augen.

„Du hattest wirklich keine Ahnung…, Gedanken… oder Gefühle?“

„Nee“, gab ich Wahrheitsgemäß zur Antwort und schüttelte den Kopf.

„Bei Lucas kann man auch schwach werden, meinte du er ist auch schwul?“

„Constanze, woher soll ich das wissen? Da macht man sich Gedanken über seine Gefühle und soll sofort andere Schwule Bescheid wissen.“

Wieder kicherte sie.

„Wenigstens hat dein Gesicht wieder eine normale Farbe, naja, etwas rot vielleicht“, grinste sie.

*-*-*

Sabine ließ sich den ganze Mittag und Abend nicht mehr blicken. Constanze war noch etwas geblieben und dann heim gegangen.
Ganz untypisch hatte ich von Madame Toufon eine SMS bekommen, mit Besserungswünschen und wenn es mir möglich war, doch morgen Vormittag zum neuen Termin des Vortanzens zu erscheinen.
Warum war meine Anwesenheit plötzlich so wichtig. Ich lag immer noch auf dem Bett und schaute zum Fenster. Von draußen her sah ich schwach das Laternenlich auf der Straßen. Ich – schwul, war das wirklich wahr?
Hätte mir das nicht früher auffallen müssen? Komisch war es schon, wie Constanze das Duschen vorhin erwähnte. Nie wäre mir in den Gedanken gekommen, andere heimlich zu beobachten, sie überhaupt anzuschauen.
Und doch kamen plötzlich Erinnerungsfetzten hervor, wo ich wusste, wie die Jungs in meiner Klasse nackt aussahen. Hatte ich doch unbewusst geschaut? Ich rieb mir durchs Gesicht und plötzlich sah ich Lucas vor mir.
Seine strahlenden braunen Augen, dieses erwärmende Lächeln, die blonden Locken, die bei jeder Bewegung seines Körpers anders vielen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn wahr genommen hatte.
Irgendwann überkam nicht die Müdigkeit und ich schlief ein. Ein leises Klopfen an der Tür weckte mich und blinzelnd stellte ich fest, dass es schon morgen war.

„Ja?“, krächzte ich und musste husten.

Die Tür ging auf und Sabine streckte den Kopf herein.

„Ist sie weg?“

„Wer“, fragte ich verwundert.

„Deine Freundin… Constanze.“

„Hä?“

„Sie heißt doch Constanze, dieses brutale Miststück…!“

Ach daher wehte der Wind, jetzt verstand ich.

„Constanze ist weder brutal, noch ein Miststück! Das gestern hast du dir ganz alleine zu zuschreiben!“

Verwirrt schaute sie mich an. Ich setzte mich auf den Bettrand und zog mein Shirt zu recht.

„Was denkst du, warum sie das gestern getan hat? Einfach so, weil sie Spaß daran hat, jemanden anderen zu schlagen?“

Sie wollte etwas sagen, aber ich redete einfach weiter.

„Merkst du denn nicht, wie du die anderen mit deinem Gehabe nervst, dass jeder froh ist, wenn du wieder weg bist und das geht mir genauso. Du benimmst dich wie, …, ich weiß nicht mal mit was ich dich vergleichen soll.“

Ich redete mich in Rage und wurde lauter. Als ich aufstand wich Sabine zurück.

„Immer nur du, du und du, alles andere ist dir scheiß egal, so wie ich dein eigener Bruder egal ist. Hauptsache du kannst mich herum kommandieren, das macht dir wohl Spaß. Aber dass du mit deinem Benehmen und Auftreten andere Menschen kränkst…, verletzt, dass siehst du gar nicht.“

„Das… das stimmt doch gar nicht“, kam es klein laut von dir.

„Ach ja, fangen wir doch mal beim Ballett an. Du tanzt super, deine Technik ist überzeugend, was ich dir auch gar nicht absprechen will, aber mit dem Gefühl hapert es sehr und irgendwann kommt der Augenblick, wenn dir die Leute, dass was du tanzt, nicht mehr abnehmen.“

Sabines Augen wurden glasig.

„Ich weiß selbst, ich bin nicht so gut wie du, ich habe noch einiges zu lernen, aber ich habe schon mehr Gefühl in meinen Jetè oder Pas de chat*² als du in deinem Pas d`action*³ je haben wirst!“

„Was fällt dir eine meine…“

„Was mir einfällt?“, unterbrach ich sie, „ich bin dein Bruder und habe es satt mir ständig alles anhören zu müssen, sei es von dir oder den anderen!“

Sabines Brust bebte und Tränen liefen ungehindert die Wangen herunter.

„Hör endlich auf andere herum zu kommandieren, sie schlecht zu machen. Keiner ist besser oder schlechter als du, wir sind alles gleich, dass ändert sich auch nicht, weil Mama und Papa etwas mehr Geld haben als andere, das macht dich nicht zu etwas hochwertigen.“

Im Haus war es Mucks Mäuschen Still. Ich wusste nicht wo meine Eltern oder die Bediensteten waren, aber das war mir auch egal.

„Und jetzt lass mich bitte alleine, ich will mich fertig machen und nicht zu spät in die Schule kommen.“

„Schule…?“, kam es leise von Sabine.

„Ja, Madam Toufon hat doch jedem eine SMS geschickt…“

„Mir nicht…“

„Ja Sabine…, dass würde mir zu denken geben. Wer tanzt eigentlich deine zweite Besetzung, wenn du mal ausfällst?“

*-*-*

Während ich zur Bushaltestelle lief, durchzog mein Kopf das eben erlebte und ich fühlte mich dabei irgendwie mies. Noch nie hatte ich jemanden so herunter gemacht, auch wenn es bei Sabine nötig war.

„Benjamin?“

Ich drehte mich um und sah Lucas und Constanze auf mich zu kommen. So blieb ich stehen.

„Hallo, wie geht es dir?“, kam es von Constanze, als sie mich eingeholt hatten.

Gemeinsam liefen wir weiter zur Haltestelle.

„Es ging schon besser.“

„Solltest du dann nicht lieber im Bett liegen bleiben“, fragte Lucas.

Verwirrt schaute ich Lucas an.

„Ich habe Lucas erzählt, dass ich dich gestern ins Bett gesteckt habe“, erklärte Constanze.

Ach so, was hat sie ihm denn noch erzählt.

„Nein, das ist es nicht, ich hatte Streit mit Sabine und war recht unfair.“

„Nanu, das ist doch normalerweise ihr Part.“

„Ich bin heute Morgen ausgetickt, bezogen auf deine Ohrfeige, die du ihr gestern gegeben hast.“

„Ohrfeige? Davon hast du nichts gesagt“, mischte sich Lucas ein.

„Das ist auch nicht so wichtig gewesen…, eher nur nötig.“

Ich blieb stehen.

„Sie hat gesagt du seist brutal und ein Miststück!“

„Das hat sie gesagt?“

„Ja!“

„Das klingt ja fast wie ein Kompliment aus ihrem Munde.“

Aus den Frauen soll einer schlau werden.

„Bei euch geht es ja wirklich ab, an meiner letzten Schule war es ja richtig langweilig dagegen“, meldete sich Lucas zu Wort.

„Ein Grund, warum du sie verlassen hast?“, fragte ich.

Lucas Gesichtsausdruck veränderte sich fast unmerklich.

„Äh…, nein. Meine Mutter hat einen anderen Job angenommen und sind deswegen hier her gezogen.“

Interessant, aber irgendwie eine zu einfache Erklärung für mich, da schien etwas anderes dahinter zu stecken.

„Da kommt der Bus“, merkte Constanze an.

*-*-*

Ich war echt sprachlos. Den kurzen Part, den Lucas vortanzte war so fehlerfrei, selbst Madam Toufon schien nichts auszusetzten zu haben. Sie machte eine leicht applaudierende Bewegung mit den Händen, aber es war kein Klatschen zu hören.

„Bravo junger Mann, weiter so!“

„Das heißt, ich kann in ihrer Schule anfangen?“, fragte Lucas.

„Ja, aber da reden wir nachher noch in meinem Büro darüber. Ich würde jetzt gerne die Szene zwischen Schwiegermutter und Prinzen sehen, Benjamin, wärst du bereit?“

Ach du Käse, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht, dass ich ja als zweite Besetzung Karls Rolle übernehmen sollte. Ich nickte und begann mich warm zu machen.

„Die anderen wärmen sich bitte ebenfalls auf, denn ich möchte diese Szene mit allen sehen, um mir ein Bild mit den neuen Tänzern machen zu können.“

Auch das noch. Ich blickte auf die hochhackigen Schuhe, die ich als Schwiegermutter anziehen musste. Das wird übel werden.

*² einfache Tanzschritte *³ dramatisch besonders auffallende Szene

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1 Kommentar

  1. Huhu, hm wird sehr interessant, sehr intensiv, weiter so bitte. Gefällt mir sehr.

    LG Andy

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