Zoogeschichten II – Teil 60

Brüder

Dennis

Immer noch erschrocken schaute ich zu Volker und Michael. Volker tat mir so leid, aber wie konnte man ihm helfen?

„Dennis, ich gehe wieder rüber und du hilfst Fritz hier bitte noch beim Aufräumen“, meinte Sabine. Weiterlesen

Das Boycamp III – Teil 13

Es dauert nicht lange, bis sich herausstellt, wem oder was Ricks Aufmerksamkeit gilt.
Schon wenige Minuten später ändert sich schlagartig das Leben im Camp und die Ereignisse überschlagen sich.
Rick setzte sich hin und fuhr mit seiner Zunge um seine Schnauze. Abwechselnd blickte er die beiden Männer an, dann wieder hinüber zum Wald.
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Das Boycamp III – Teil 12

Wie ausgemacht, verlassen die Betreuer das Gelände am Verladebahnhof und Nico ist das erste Mal völlig allein mit den Jungen. Es verwundert ihn nicht, dass ihm Marco bei der Feuerwache Gesellschaft leisten möchte, nachdem die Gruppe schlafen gegangen war.
Am anderen Morgen stellt Nico fest, dass die Jungen doch nicht so harmlos waren wie es schien und zudem taucht eine Gruppe Pfadfinder auf.
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Zoogeschichten II – Teil 59

Zusammenbruch

Fritz

Ich traute meinen Augen nicht. Alles war durcheinander geworfen. Die Tiere rannten kreuz und quer durch den Gang, alle Käfige waren offen. Weiterlesen

Zoogeschichten II – Teil 58

Die Ohrfeige

Dennis

„Machst du kurz noch mal die Flasche warm?“, fragte ich Sabine.

Ich musste mich wohl meinem Schicksal ergeben und den Bären spielen, oder sollte ich sagen, den Affen machen? Volker stand immer noch mit traurigen Augen etwas abseits, nicht bei der Sache. Weiterlesen

Zoogeschichten II – Teil 57

Verkleidung

Volker

Fritzens Handy klingelte. Er nahm es aus seiner Weste und nahm das Gespräch an.

„Ja? – einen was? – du, da kann ich dir nicht weiterhelfen – frag Michael – ja, der hat immer gute Ideen auf Lager – okay, klar – Tschüss!“ Weiterlesen

Zoogeschichten II – Teil 56

Schamgefühle

Dennis

„Morgen zusammen“, rief ich, als ich die Zooküche betrat.

Ein gemeinschaftliches >Guten Morgen< schallte zurück. Sabine war bereits voll in Aktion und hatte schon fast alles Gemüse und Obst für die Bären geschnitten. Weiterlesen

Zoogeschichten II – Teil 55

Einsehen

Volker

Ich versuchte die Tatsache einfach zu ignorieren und schmierte mir mein Brot.

„Mach ich dich wirklich nicht irgendwie an?“, fragte David etwas enttäuscht.

„David… ich steh auf Frauen… und zudem bist du mein Bruder, okay?“ Weiterlesen

Drachenblut – 2. Buch – Linien

Segato

Hurenkind

Crossar verfügt über ein umfangreiches Angebot an sinnlichen Dienstleistungen. Die Huren der Stadt sind, und dies lässt sich sonst nur sehr selten sagen, die besten und talentiertesten der bekannten Welt. Weiterlesen

Zoogeschichten II – Teil 54

Bettgeflüster

Adrian

Ich spürte jeden einzelnen Muskel an meinem Körper, hier auf dem Stuhl einzuschlafen, war nicht gerade eine der glorreichsten Ideen von mir. Mein Kopf lag dennoch die ganze Zeit weich.

Der war mit der Zeit immer tiefer gesunken und irgendwann dann auf Roberts Bett gelandet. Langsam richtete ich mich auf und streckte mich erst mal. Robert lag wie gestern unverändert auf seinem Bett. Weiterlesen

Zoogeschichten II – Teil 53

Zweite Chance

Sebastian

„Sollen wir reingehen?“

Ich atmete tief durch. Mann, war das kompliziert.

„Dich kenn ich aber auch irgendwo her?“, meinte Volker und strahlte Brit an. Weiterlesen

Zoogeschichten II – Teil 52

Die Suche

Sebastian

„Guck der ist da, im Bärenhaus brennt schwach Licht“, meinte ich und klopfte Michael auf den Rücken.

Michael beschleunigte sein Tempo, so dass Brit und ich ihm nur schwer folgen konnten. Er zückte seine Codekarte und schon war er im Bärenhaus verschwunden. Weiterlesen

Das Boycamp III – Teil 11

Die Feier erreicht ihren Höhepunkt, aber der Übermut der Jungen endet beinahe mit einer Tragödie.
Stein tauft das Camp und Marco stellt Nico vor eine Entscheidung. Überraschend beschließt Falk Stein, dass die Jungen die Nacht am Steinbruch verbringen sollen und dafür wird eine Aufsicht gebraucht..
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Zoogeschichten II – Teil 51

Regen

Was das letzte Mal passierte… Sebastian bekommt von Dennis’ Mutter Maria das Angebot, bei ihnen fest einzuziehen. Bei diesem Gespräch erfährt er auch, dass Dennis nicht der leibliche Sohn der Kahlbergs ist, sondern adoptiert wurde. Dieses Gespräch bekommt Dennis zufällig zu hören und erfährt so von seiner Adoption. Er bekommt Panik und läuft weg. Weiterlesen

Drachenblut – 1. Buch – Kreuzungen

Nickstories – Vielfältiger als jeder RegenbogenProlog

DRACHEN Sie sind Geschöpfe der Magie. Netterweise aber auch ausgesprochen bodenständig und durch und durch mit der Erde, dem Leben an sich, verbunden, wie kein anderes Lebewesen in unserer Welt. Es sind beeindruckende Wesen Weiterlesen

Margie 63 – Lauschaktion

Just in dem Moment klopfte es erneut an die Tür. Wieder sahen wir uns alle an, Charly machte den berühmten Satz nach vorn. Jetzt fiel mir auf, dass er seine Hand irgendwie komisch in Hüfthöhe hielt, was mich dann mutmaßen ließ, dass er doch eine Waffe trug. Weiterlesen

Das Boycamp III – Teil 10

Wo liegt der Unterschied zwischen Freizeit und Dienst im Camp? Auf alles findet Nico keine Antwort und Teil seines Praktikums ist es, das selbst herauszufinden.
Am Steinbruch findet Steins Abschiedsfeier statt, zu der er auch eine Überraschung mitgebracht hat. Weiterlesen

Blaues Licht – Teil 7 – Rücksprung

Michi fühlt sich angemacht

Worin Michael Müller aus falschen Gründen die Fassung verliert

Michi glotzte erstaunt auf den Bildschirm, kratzte sich am Ohr und brach schließlich in ein ohrenbetäubendes Gelächter aus. Er war der einzige der lachte, was er beim ersten Luftholen dann auch merkte. Als Michi dann Ralfs und meine ernsten Gesichter sah, schaute er ungläubig Weiterlesen

Blaues Licht – Teil 6 – Joe

Liniennetz

Worin das Studium einer Skizze zu tieferer Einsicht führt

Unsere kleine Vorortsiedlung lag 12 S-Bahnstationen vom Innenstadtbahnhof entfernt. An den Wänden der Züge befanden sich sogenannte „Netzspinnen“, Karten, die dem Liniennetz schematisch darstellten. Jede Station war auf diesen Netzplänen Weiterlesen

Margie 62 – Beratschlagung

Nach ein paar Schrecksekunden kam die Einsicht, dass meine Vermutung völliger Quatsch war und auch, dass ich das lieber für mich behalten sollte. Außerdem soll man ja keine Pferde scheu machen. »Hör mal. Als ich dort im Sender war hab ich Besuchergruppen gesehen. Weiterlesen

Das Boycamp III – Teil 9

Kein Wasser im Camp – somit lernt Nico den Wasserpeicher auf dem Berg kennen. Dort scheint alles in Ordnung, es muss an der Leitung liegen. Aber im Wald mitten in der Nacht ereignet sich ein Zwischenfall, an den nicht nur Nico lange denken wird.
In ihrer Freizeit fallen den Jungs auch Dinge ein, die Nico nicht für möglich gehalten hätte. Mehr aus Zufall wird er Zeuge einer solchen Einlage…
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Black or White

Black or White

Es fiel schon wieder Schnee. New York versank langsam im Schnee. Und ich saß zu Hause und versuchte, durch die Feuerleiter etwas im Haus gegenüber zu erkennen. Seit Dad bei einem schweren Unfall sein Leben verloren hatte und Mum das Haus verkaufen musste, lebten wir nun in New York

In einem dieser Wohnblocks, wo einer den anderen nicht kannte. Der Unfall hatte uns schlichtweg ruiniert. Ich war alleine zu Hause, denn Mum musste noch arbeiten. Ich dagegen saß in meinem Zimmer, war gerade mit meinen Schularbeiten fertig.

Wieder mal dachte ich sehnsüchtig an Zuhause, wo die Welt noch in Ordnung schien. An meine Freunde, die ich zurücklassen musste. Es half nichts, ich war jetzt hier und musste das Beste daraus machen.

Bei Mum wurde es sicher wieder spät. Ich lief durch die Wohnung und löschte außer der kleinen Lampe in der Küche das komplette Licht in der Wohnung. Irgendwo im Haus gab es wieder Krach.

Deutlich war der Streit zu hören, knallende Türen und Kindergeschrei. Nachbarn, die sich darüber aufregten und mehr als laut gegen die Wände klopften. Draußen konnte man die Feuerwehr hören.

Sie hatten nun verstärkt Einsätze, seit die Kältewelle begonnen hatte. Geplatzte Rohre, brennende Elektroöfen und…, und, … und. Im Fernsehen gab es auch nichts. Ich zappte mich durch die Vielzahl der Programme. Außer einer Menge von Spielshows und Wiederholungen verschiedener Filme kamen nur Werbesendungen.

Ich schaltete den Fernseher aus und ging zurück in mein Zimmer. Die Flamme der Kerze, die auf dem Fenstersims stand, tanzte unruhig. Das Fenster war undicht. Trotz der Tücher, die ich davor gelegt hatte, zog es immer noch herein.

Mich fröstelte es und so legte ich mich aufs Bett. Eingekuschelt in eine Decke nahm ich mir ein Buch. Aber wie es immer war, lesen konnte ich eh nicht. Es war viel zu laut in diesem Haus.

Die Wände zu dünn und das Haus voller Menschen. An Weggehen war nicht zu denken. Viel zu gefährlich, sich um diese Zeit als Jugendlicher draußen herum zutreiben – laut Mum. Und da wäre ja noch die Kälte und überhaupt… mit wem?

Ich bewunderte Mum, wie sie sich tapfer jeden Abend durch diese Eishölle nach Hause bewegte. Dass ihr noch nichts passiert war, wunderte mich. Hoffentlich blieb es so. Den Verlust von Dad hatte sie, wie ich, immer noch nicht verkraftet.

Und immer wenn diese schrecklichen Gedanken an den Unfall wiederkamen und ich merkte, wie diese lautlose Traurigkeit langsam an mir heraufkroch, schnappte ich mir ein Buch aus der Schule und lernte.

Morgen würden wir in Geschichte eine Arbeit über die amerikanische Unabhängigkeit schreiben. Die dreizehn Kolonien – das britische Imperium – die Schlacht von Lexington und Concord… es war so unheimlich viel.

Irgendwann war ich über meinem Geschichtsbuch und dem fernen Lärm draußen und hier im Haus eingeschlafen.

*-*-*

„Thomas aufstehen, es wird Zeit.“

Mit diesen Worten wurde ich aus meinen Träumen gerissen. Im Zimmer war es kalt und dunkel. Nur ein schwacher Lichtschein war durch den Spalt der offenen Tür zu sehen.

 „Thomas!“

 Ja, ich bin wach.“

 Die Tür ging auf und das Licht vom Flur erhellte mein Zimmer.

 „Das Bad ist frei, du kannst rein.“

 „Danke Mum.“

 Mühselig kämpfte ich mich aus dem Heer von Decken, die mich begruben. Etwas übertrieben, aber es hielt schön warm. Müde lief ich ins Bad. Es dauerte wie jeden Morgen eine Weile, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten.

Und wie jeden Morgen sah ich in dieses verknitterte Teenagergesicht, das es jetzt zum Leben erwecken hieß. Meine braunen Haare standen wild in alle Richtungen und ich konnte jetzt sogar die Abdrücke der Knöpfe meines Kissens entdecken.

Ich drehte den Wasserhahn auf, der erst einmal blubberte und komische Geräusche von sich gab bevor ich überhaupt einen Tropfen Wasser zu sehen bekam.

 „Mum, wann kommt denn der Mann für die Rohre?“

 „Eigentlich schon gestern“, hörte ich sie aus der Küche rufen.

 Nach und nach verstärkte sich der Strahl des Wassers. Trotzdem wartete ich noch, bis sich das Braun des Wassers in Nichts auflöste und klares Wasser zum Vorschein kam. Ich hielt den Finger darunter. Eiskalt wie immer.

Die Nachbarn mögen mir verzeihen, wenn jetzt gleich ein Schrei durchs Haus fuhr. Bis ich aber endlich anfing, mein Gesicht zu waschen, war es handwarm. So blieb der Nachbarschaft mein Urschrei erspart und ich fror nicht den ganzen Morgen.

Mein Frühstück bestand aus einer kleinen Schüssel Müsli und einem Glas Milch. Auf mehr hatte ich morgens kein Bock. Als auch dieses Morgenritual beendet war, ging ich in den Flur und schlüpfte in meine Sachen.

Jacke eins, anziehen und Reisverschluss zu. Jacke zwei, anziehen und Reisverschluss zu Mütze auf, bis tief ins Gesicht gezogen. Dann wickelte ich den Schal um den Hals. Nachdem ich den Rucksack noch geschultert hatte, schob ich die dicken Handschuhe über meine Finger.

 „Mum, ich geh dann!“

 „Okay Thomas, viel Spaß und pass auf dich auf“, meinte sie und kam aus der Küche.

 Sie trug ihren roten Morgenmantel, den ihr Dad mal geschenkt hatte. Die Haare eingewickelt in ein Handtuch. Als sie mich sah, fing sie an zu lachen.

 „Du könntest fast als Sumoringer durchgehen.“

 Sie gab mir auf die einzige freie Stelle einen Kuss… meine Nase.

 „Bis heute Abend“, meinte sie und öffnete mir die Wohnungstür.

 „Tschüss.“

 Ich nahm wie immer die Treppe. Der Aufzug war die meiste Zeit kaputt. Nach demschon mehrere Nachbarn darin stecken geblieben waren, war ich von diesem Aufzug kuriert. Als ich die Haustür öffnete, blies mir ein eisiger Wind entgegen.

Jetzt gilts, dachte ich. Ich pfriemelte den Schal über die Nase und hangelte mich die glatte Treppe hinunter. Es war heute Nacht noch mehr Schnee gefallen. Irgendwoher hörte ich eine Kirchturmglocke. Jetzt hieß es, sich zu beeilen.

Bis zur Subway waren es ungefähr zehn Minuten. Im Laufschritt ging es los, aber immer darauf bedacht, nicht auf eine glatte Stelle auszurutschen. Keuchend erreichte ich wenig später die Treppe zur Subway.

Die allmorgendliche Drängelei zu den Gleisen nervte mich total. Immer war irgendein Arsch dabei, der mir auf den Fuß trat. Heute Morgen war es ein kleiner, runder, fetter Mann. Ich biss vor Schmerz in den Schal.

Es war eigentlich fast unmöglich, die Türen der U-Bahn zu verfehlen. Man wurde regelrecht in die Waggons geschoben. Hoffnung auf einen Sitzplatz machte ich mir eh nicht, ich versuchte nur immer an eine der Stangen zu kommen.

Das Anfahren oder das Bremsen war heikel. Schneller, als man gucken konnte, saß man auf seinem Hintern. Der Weg zur Middle School war weit. Jeden Morgen war ich fast eine Stunde unterwegs.

Im Sommer war es herrlich. Manhattan hatte viel zu bieten. Die Schule lag genau zwischen dem Hudson River und dem Centralpark. Hatte ich eine freie Stunde, spazierte ich immer in den Centralpark.

Doch jetzt im Dezember in dieser Eiseskälte, blieb ich lieber im Schulgebäude. Ich musste zweimal umsteigen, um schließlich die Bahn zur 70th Street zu bekommen. Je kälter es draußen wurde, umso mehr Leute fuhren mit der Subway.

Heute Morgen war das Gedränge wieder besonders schlimm. Froh, meine Station endlich erreicht zu haben, machte ich mich auf den Weg zum Ausgang. Ich kämpfte mich durch Geschäftsleute, Arbeiter und andere, undefinierbare Personen.

Die Bahn bremste ab und ich hatte den Ausgang erreicht. Auch hier wurde man einfach durch die Flut der aussteigenden Leute herausgedrückt. An der Treppe angekommen, sah ich von oben Schnee fallen. Na toll, es schneite schon wieder.

Langsam stampfte ich die Treppen hinauf und spürte, wie es wieder kühler wurde. Erneut zog ich den Schal über die Nase. Je näher ich der Schule kam, umso mehr Schüler strömten in meine Richtung.

Erkennen konnte ich niemand, denn alle waren so vermummt wie ich. Die wenigen, noch fahrenden Schulbusse waren bereits vorgefahren. Aber nur wenige Schüler stiegen aus. Viele blieben wegen der heutigen Unwettermeldungen einfach zu Hause.

Ich hätte auch zu Hause bleiben können, aber das duldete Mum nicht. In meiner Klasse war ich einer der wenigen, die recht weit weg wohnten. Ich war froh, endlich den Eingang zu erreichen.

Ich zog meine Mütze ab und entwirrte den Schal von meinem Hals. Jetzt noch quer durch das Gebäude und mein morgendlicher Schulweg war beendet. Überall standen kleine Gruppen, die sich ihrer Klamotten entledigten und in die Spinte verräumten.

Auch ich war an meinem Spint angekommen und öffnete das Zahlenschloss.

 „Morgen Millford“, hörte ich neben mir.

 Das war Lighthouse, einer aus meiner Klasse.

 „Morgen. Ich dachte, du wolltest nicht kommen.“

 „Wollte ich auch nicht, aber die Überredungskunst meines Vaters ist unschlagbar.“

 „Genauso wie bei meiner Mum.“

 „Hast du Geschichte gebüffelt?“

 „Bis zum Verrecken…, ich glaube, ich habe alles wieder vergessen.“

 Lighthouse grinste.

 „Vielleicht haben wir auch Glück und Mrs. Johnson ist im Schnee stecken geblieben.“

 „Ist sie nicht“, hörten wir eine Stimme hinter uns.

 Mrs. Johnson höchst persönlich stand direkt hinter uns und hatte wohl unsere kleine Unterhaltung mitgehört.

 „Der Unterricht fängt gleich an“, meinte sie nur noch und verschwand den Flur runter.

 „Wann haben wir schon mal Glück“, sagte Lighthouse und warf seine Spinttür zu.

 Ich nahm mir die Bücher, die ich brauchte und schloss ebenso meinen Spint. Gemeinsam mit Lighthouse betrat ich das Klassenzimmer. Etwa die Hälfte der Klasse fehlte noch, wobei nicht auszumachen war, ob sie noch kamen, oder wegblieben.

Das würden wir spätestens wissen, wenn die Schulklingel ertönte. Ich legte meine Bücher auf den Tisch und ließ mich erschöpft auf den Stuhl fallen.

 „Morgen Thomas“, sagte Claire neben mir.

 „Morgen Claire“, erwiderte ich und begann, herzhaft zu gähnen.

 „Wirklich wach bist du nicht.“

 „Wie denn, jeden Morgen so früh aufstehen.“

 „Warum bist du nicht zu Hause geblieben? Das Wetter ist die beste Entschuldigung.“

 „Nicht für meine Mum.“

 Es gab hier eigentlich keine richtigen Freundschaften. Man kannte sich aus der Schule, hatte aber sonst nichts miteinander zu tun, außer man wohnte rein zufällig recht nah beieinander. Claire war einer der wenigen Mädchen in der Klasse, die nicht flippig nach allen Modetrends herumrannte.

Was nicht hieß, dass sie irgendwie altmodisch herumrannte. Sie nahm es nur nicht so wichtig. Ich hatte mich hier etwas mit angefreundet. Man war ja schließlich bis zum späten Nachmittag hier in der Schule zusammen.

Mehr Kontakt hatten wir nicht, denn Claire wohnte auf der anderen Seite der Stadt, was bei Besuchen zu einer halben Weltreise ausufern würde. Die Schulklingel ertönte und es dauerte nicht lange und Mrs. Johnson erschien.

In der Tür blieb sie kurz stehen und ließ ihren Blick durch die Klasse wandern. Kopf schüttelnd schloss sie die Tür hinter sich und lief ans Pult.

 „Die Herrschaften, die heute Morgen fehlen, werden wohl die Arbeit nachschreiben müssen.“

 Also keine Chance, dass der Termin wegen schlechten Wetters verschoben wurde. Sie öffnete ihre Tasche und zog einen Stapel Blätter heraus. Krampfhaft versuchte ich mich derweil zu erinnern, was ich alles gelernt hatte.

Mrs. Johnson lief durch die Reihen und verteilte die Blätter. Die Klassentür wurde aufgerissen und Lucas kam hereingestampft.

 Sorry, Mrs. Johnson. Der Wagen meines Vaters wollte nicht anspringen.“

 „Setz dich!“

 Mehr sagte sie zu dieser Ausrede nicht, denn jeder in der Klasse wusste, dass Lucas’ Dad gar keinen Wagen mehr besaß. Ich blätterte mich durch den Fragenbogen. Vier Blätter müssten eigentlich in 55 Minuten zu schaffen.

Na ja 50 Minuten. Ich zückte meinen Kuli und machte meine Kreuzchen. Was mir am Anfang noch leicht erschien, wurde Blatt für Blatt schwerer. Immer mehr versuchte ich, mich an das Gelernte zu erinnern.

 „Abgeben!“, schreckte mich aus den Tiefen meiner Gedanken.

 Mist, die letzten drei Fragen hatte ich nicht, ich überflog sie kurz und setzte auf gutes Glück meine Kreuzchen.

 „Mr. Millford, das gilt auch für sie!“, hörte ich Mrs. Johnsons mahnende Stimme.

 Ich stand auf und brachte meine Arbeit zum Pult, um sie auf den Stoss der Anderen zu legen. Kaum drehte ich mich vom Pult weg, ertönte auch schon die Schulklingel. Vier Minuten Zeit, die Bücher zu wechseln und den Physikraum zu erreichen.

Ich rannte die Treppe hinunter und stolperte fast. Auf der letzten Stufe konnte ich mich gerade noch so fangen. Zu meinem Nachteil, denn ich stieß mit jemandem zusammen, der die Treppe hinaufwollte.

 „Eh Mann, kannst du nicht aufpassen?“

 Etwas geknickt, stand ich wieder auf und schaute in das Gesicht eines Schwarzen.

 „Sorry, ich bin gestolpert“, sagte ich leise.

 Der Schwarze ging ärgerlich an mir vorbei, ohne noch irgendeinen Kommentar von sich zu geben. Ich bückte mich vorsichtig und hob meine Sachen auf. Ein Buch, das mir nicht gehörte, war auch dabei.

 „He… hallo…, ich glaube das gehört dir!“, rief ich dem Typ hinterher.

 Er schien mich gehört zu haben, denn er drehte den Kopf. Ich hielt ihm sein Buch entgegen. Er lief wieder die paar Schritte die Treppe herunter.

 „Danke!“, meinte er und griff nach seinem Buch.

 Unsere Blicke trafen sich kurz, als er sein Buch entgegennahm. Ich konnte mich von diesem Blick nicht lösen, bis er sich wieder wegdrehte und die Treppe eilig hinaufrannte. Etwas verwirrt erinnerte ich mich, dass ich noch zu meinem Spint wollte.

Die Flure leerten sich langsam, so hatte ich Glück und erreichte gerade noch rechtzeitig den Physiksaal. Der Kurs war beliebt und der Hörsaal brechend voll. Ich lief die Treppe hinauf und fand in der letzten Reihe noch einen Platz.

 „Morgen“, schallte es von unten entgegen.

 Mr. Jason hatte den Saal betreten. Ein lautes >Morgen< kam von den Rängen. Ohne weitere Floskeln begann er gleich mit dem Unterricht.

 „Der Feldbegriff Elektronik eröffnet ihnen eine Möglichkeit, Kraftwirkungen im Raum zu beschreiben. Bei der Einführung der Feldlinien erkennen sie eine weitere Art der Modellbildung. Sie werden dann verstehen, wie die Funk­tionsweise zahlreicher Geräte, z. B. des Elektromotors oder der Fernsehbildröhre, auf den Kräften basiert, die in elektrischen und ma­gnetischen Feldern auf Ladungen wirken. Mit der Induktion erschließt sich ihnen ein physikalisches Phä­nomen, das beim Generator zur Erzeugung elektrischer Energie genutzt wird.“

 Ich hatte mich in diesen Kurs eingetragen, weil mir noch einer fehlte. Ich zog meinen Block heraus und machte mir die üblichen Notizen. Ich versuchte, die Aufbauten auf seinem Pult zu zeichnen, an denen er uns verschiedene Sachen darstellte.

Während die anderen mit Begeisterung dabei waren, langweilte ich mich eher. Auf die kommenden zwei Stunden freute ich mich umso mehr. Modern Art. Ich zeichnete für mein Leben gern.

Als auch diese Stunden klanglos an mir vorüber gegangen war, machte ich mich in der Pause wieder auf, meinen Spint aufzusuchen. Alle Bücher in den Schrank und meine Zeichenutensilien in die Hand.

Das Schulgebäude war in U-Form gebaut. Der Raum für bildende Künste lag auf der anderen Seite des Komplexes. Jedes Mal eine Tortur, dies pünktlich in der geringen Zeit zu schaffen. Ich verschloss den Spint und machte mich auf den Weg.

Etwas später und ein Klingeln weiter, betrat ich den Klassenraum. Ich bemerkte gleich, dass einige neue Gesichter da waren. Unter anderem der Typ von vorhin. Als ich auf meinen Platz zusteuerte, musste ich mich an ihm vorbei drängen.

 „Hi“, kam es von ihm und er lächelte mich an.

 „Hi“, gab ich zurück und setzte mich auf meinen Platz.

 Mrs. Korbinsky betrat den Raum und augenblicklich wurde es ruhig im Zimmer. Sie schätzte das Gerede nicht und war recht schnell dabei, Strafen zu verteilen. Was aber wieder dem wiedersprach, was sie uns lehrte.

Sie war recht freizügig, was die Motive oder Modelle betraf.

 „So meine Herrschaften, wie versprochen, werden wir heute eine lebende Person zeichnen.“

 Ein breites Grinsen ging durch die Stuhlreihen.

 „Und damit ich sehe, wie geschult ihre Augen mittlerweile sind, wird dieses Modell… fast nackt vor ihnen sitzen.“

 Ein paar Pfiffe hallten durch den Raum, die aber sofort unter den strengen Blicken von Mrs. Korbinsky verstummten.

 „Begrüßen sie mit mir unser Modell Jakob Milton“, sprach Mrs. Korbinsky weiter und begann zu klatschen.

 Ich musste etwas grinsen, denn ich fand ihre Aufführungen, wenn sie jemanden vorstellte, jedes Mal kitschig. Mir verschlug es aber den Atem, als genau der Typ, mit dem ich heute Morgen zusammengestoßen war, an mir vorbeilief.

 „Jakob, sie können ihre Sachen dort über den Stuhl hängen“, hörte ich Mrs. Korbinsky sagen.

 Jetzt zog der Typ… dieser Jakob, sich sogar wirklich aus. Als er nur noch in einer engen Boxer da stand, kletterte er auf den Tisch und legte sich seitlich hin. Ich musste schlucken. Mann, hatte der einen tollen Body.

 „Sie können beginnen!“, kam es von unserer Lehrerin.

 Ich stand also auf und ging zu meiner Staffelei. Ich stellte die Box mit meinen Stiften auf die Ablage. Wie ich es gelernt hatte, begann ich mit dem Rohschnitt. Mit dem Kohlestift malte ich die ungefähren Umrisse auf den Block.

Jakobs Blick wanderte durch das Klassenzimmer und blieb bei mir haften. Warum starrte dieser Typ mich schon wieder an? Etwas verlegen grinste ich zurück und versuchte, mich auf meine Leinwand zu konzentrieren.

Ich begann mit dem Oberkörper. Mit einem anderen Stift in der Hand versuchte ich nun den Muskelaufbau von Jakobs Oberkörper einzufangen. Irgendwie vergaß ich alles um mich herum und zeichnete einfach drauf los.

Immer wieder fiel mein Blick auf Jakob. Wissbegierig sog ich jedes Detail von ihm in mich auf. Mein Stift jagte regelrecht über das Papier. Ich merkte nicht mal, dass plötzlich Mrs. Korbinsky hinter mir stand.

 „Thomas…, sie haben das gut getroffen, aber mit der Schattierung der Armmuskeln bin ich noch nicht zufrieden. Schauen sie zu Jakob, der Lichteinfall lässt die Muskel anders wirken als auf ihrem Bild.“

 Wie geheißen, schaute ich wieder zu Jakob, der durch Mrs. Korbinskys Gerede wieder auf mich aufmerksam geworden war. Gerade wollte ich wieder den Stift ansetzen, als die Klingel losging.

 „So, fünf Minuten Pause! Der Tee steht wie immer drüben auf dem Tisch für sie bereit“, ließ Mrs. Korbinsky verlauten und verschwand kurz aus dem Klassenzimmer.

 Jakob war aufgestanden und verhüllte seinen Körper in einer Decke. Meine Kehle war trocken und so beschloss ich, Mrs. Korbinskys Früchtetee zu trinken, den ich überhaupt nicht mochte.

Als ich mir eine Tasse einschenkte, sah ich, wie neben mir eine Hand erschien und ebenfalls nach einer Tasse griff und sie mir hinhielt.

 „Könntest du mir etwas einschenken?“, hörte ich jemanden sagen.

 Ich schaute auf und sah in Jakobs Augen, der, in die Decke gehüllt, neben mir stand. Ich nickte und schenkte ihm Tee ein.

 „Ich habe dein Bild gesehen…, gefällt mir.“

 Ich verschluckte mich fast am Tee, als er das sagte.

 „Danke“, meinte ich verlegen.

 „Du hast mit Abstand die schönste Zeichnung von mir.“

 Könnte er bitte aufhören, mir solche Komplimente zu machen? Die anderen schauten schon nach uns.

 „Findest… du?“, stammelte ich.

 „Ja!“, meinte er mit einem breiten Grinsen.

 „Danke“, zum Zweiten.

 Was war nur mit mir los, dass ich nicht mehr wusste, was ich sagen sollte.

 „Du heißt Thomas…?“, fragte er nun weiter.

 „Ja.“

 „Hat dein Wortschatz auch noch mehr drauf als >Danke< und >Ja<?“

 Ich spürte, wie mir sämtliches Blut in den Kopf schoss. Meine Rettung nahte, die Klingel zeigte das Pausenende an. Auch erschien Mrs. Korbinsky wieder.

 „Und weiter geht es! Jakob, würden sie sich bitte wieder auf den Tisch begeben?“

 Erleichtert ging ich zu meiner Staffelei zurück, während Jakob wieder auf dem Tisch Platz nahm. Diesmal nahm ich mir sein Gesicht vor, was sich als nicht leicht herausstellte. Denn jedes Mal, wenn Jakob in meine Richtung schaute, zierte ein Lächeln sein Gesicht.

Ein Gesicht soll neutral sein, hämmerte es in meinem Kopf. Aber irgendwie konnte ich mich von diesem Lächeln nicht losreisen.

 „Thomas, sie sollen keine Mona Lisa malen!“, hörte ich hinter mir Mrs. Korbinsky, „und sie, Jakob, unterlassen dieses Grinsen, sie verwirren meine Schüler.“

 So nahm ich den Radierer und versuchte Schadensbegrenzung. Mit ein paar wenigen Strichen und Schattierungen wurden die Lippen neutral. Dafür verwendete ich recht viel Zeit für die Augen.

Ich konnte dieses Glitzern nicht einfangen. Bei mir sah sein Blick irgendwie stumpf und leer aus. Nach dem dritten Versuch gab ich es vorerst auf und widmete mich der unteren Partie von Jakobs Körper.

Mein Stift jagte wieder übers Blatt. Von den Füssen hinauf zu den Knien, weiter über die Schenkel bis zum… Ich musste hart schlucken, weil mein Blick an der Beule in der Boxer hängen blieb.

Wie konnte ich sowas zeichnen? Ich wusste, Mrs. Korbinsky provozierte gerne. Aber hier hatte ich, so wie auch bei den Augen, Schwierigkeiten. Langsam zeichnete ich die Kurven und Formen der Boxer.

Es waren, wie am Rest des Köpers, nur ganz minimale Unterschiede der Schattierungen. Jakob war ein Schwarzer und somit war es nicht leicht, Konturen zu setzen. Aber man sah sie real, also mussten sie auf dem Bild auch zu sehen sein.

Ich wechselte mehrere Male meine Kohlestifte, um diese sanften Schattierungsunterschiede auf meinem Bild einzufangen, was mir dann auch gelang.

 *-*-*

 Vor mir stand mein Tablett mit einem Essen, in dem ich Gedanken versunken herumstocherte.

 „Und, wie war dein Morgen?“, riss mich Claire aus den Gedanken, als sie sich an meinen Tisch setzte.

„Wie immer“, antwortete ich.

 „Da habe ich etwas anderes gehört…“

 Noch immer in Gedanken, schaute ich auf.

 „Bitte?“

 „Eifrige Erzählerlein trugen mir zu, dass ihr heute Akt malen im Unterricht hattet.“

 „Jakob hatte eine Boxer an.“

 „Jakob?“

 „Der Typ, den wir malten.“

 „Und wer ist Jakob?“, fragte Claire weiter.

 Ich ließ meinen Blick durch die Cafeteria wandern.

 „Er ist nicht hier. Sonst hättest du ihn dir selbst anschauen können.“

 „Deine Zeichnung soll sehr realistisch gewesen sein.“

 „Sie ist wie immer sehr realistisch“, meinte ich genervt, „sag mal, wer hat dir denn das alles erzählt?“

 „Ich werde mich hüten, meine Quellen preiszugeben.“

 Wieder mal zeigte Claire, wie gut sie informiert war. Schon oft wusste sie Sachen, bevor es in der Schule rum war. Trotz alledem empfand ich Claire als Quasselstrippe. Sie war eben immer gut informiert.

 „Ich kann sie dir ja mal bei Gelegenheit zeigen…“, meinte ich und stopfte die nächste Gabel mit dem undefinierbaren Brei in den Mund.

 Plötzlich ging das Licht aus.

 „Was ist denn jetzt los?“, fragte Claire.

 „Ich weiß nicht“, antwortete ich und versuchte, mich im Halbdunkeln zu orientieren.

Dann begannen die Neonröhren, zu flackern und das Licht war wieder da. Die Lautsprecher krachten, also kam eine Durchsage.

„Da in unserem Viertel der Strom ausgefallen ist, bitte ich sie, ihre Sachen zu nehmen und nach Hause zu gehen. Der Notstromgenerator bringt nicht genügend Leistung, um die ganze Schule zu versorgen.“

Ein lauter Jubel durchdrang die Cafeteria.

„Na toll…“, meinte ich.

„He, warum freust du dich nicht?“, fragte Claire.

„Wenn im Viertel der Strom ausgefallen ist, wie soll ich dann heimkommen…, die Subway ist bestimmt auch betroffen.“

„Jetzt warte es doch erst einmal ab. Ich werde mich jedenfalls so schnell wie möglich aus der Schule begeben, bevor die sich es da oben noch anders überlegen.“

Das Essen schmeckte mir sowieso nicht. Also nahm ich wie Claire mein Tablett und trug es zum Schalter zurück.

*-*-*

Nun stand ich in der klirrenden Kälte und wusste nicht, wie nach Hause kommen. Für ein Taxi fehlte mir das Geld. Zudem fuhr im Augenblick auch kein Auto. Das Einzige, was mir einfiel, ich könnte bis rüber nach Long Island laufen und dann dort versuchen, mit der Subway weiter zu kommen.

Mir blieb eigentlich nichts anderes übrig. Ich atmete tief durch und setzte mich in Bewegung. Der Schneefall war mittlerweile so stark, dass mir wirklich kein Auto mehr entgegen kam. Lediglich die Winterdienste waren unterwegs, die vergeblich versuchten, die Straße frei zu halten.

Ich bemerkte, dass die Idee mit Jersey anscheinend auch andere hatten. Zumindest lief ich nicht alleine. Nach dem ich den Central Park durchquert hatte und eine drei viertel Stunde später am Eastriver.

Die Brücke war für Autos gesperrt worden, zu glatt und gefährlich war die Fahrbahn geworden. Umso interessanter war das Bild, das sich mir bot. Richtige Menschenmassen liefen, wo sonst mehrspurig Autos fuhren, über die Queensborough Bridge.

Wie die anderen Schüler, die den gleichen Weg eingeschlagen hatte, betrat ich nun auch die Brücke. Es war ein verrücktes Gefühl, hier mitten auf der Fahrbahn zu laufen, von der man unter der Schneeschicht nur erahnen konnte, wo sie sich genau befand. Manhattan hinter mir war ins Dunkle gehüllt, nur vereinzelt brannten Lichter.

Wahrscheinlich die Häuser, die über eine eigene Stromversorgung verfügten. So reihte ich mich ein und begann meinerseits mit der Überquerung der Brücke. Bisher war ich immer nur drüber gefahren und sie kam mir recht klein vor.

Doch jetzt zu Fuß, zog sie sich unheimlich in die Länge. In Long Island schien der Strom noch da zu sein. Der Stadtteil war hell erleuchtet. Die dunklen Wolken und der starke Schneefall machten dies wohl nötig.

Auf der Brücke spürte ich jede Windböe, die über unsere Köpfe hinweg fegte. Es war der Wind vom Atlantik, der eisig kalt war. Ich zog meine Mütze noch weiter ins Gesicht, gerade so, dass ich noch etwas sehen konnte.

Außer dem Knirschen des Schnees hörte man nicht viel. Trotz der vielen Menschen, die gerade auf dieser Brücke unterwegs waren, hörte man fast keine Stimme. Langsam kam das andere Ufer näher.

Ich spürte nun auch die Kälte, wie sie langsam aber sicher durch meine Kleidung kroch. Die Feuchtigkeit des Schnees tat ihr Übriges. Froh, aber gleichzeitig auch verfroren, kam ich auf der anderen Seite an. Nun hieß es, die U-Bahnstation zu finden.

Ich folgte einfach dem Strom der Leute und ließ mich in den Massen treiben. Und siehe da, ein Subwayschild kam in Sichtweite. Meine Zehen begannen langsam, ihren Geist aufzugeben, besser gesagt, ich spürte sie schon fast nicht mehr.

Auf den Bahnsteigen war ein derartiges Gedränge, dass ich fast nicht zu den Sichttafeln durchkam. Umso mehr freute ich mich, dort angekommen, eine Bahn direkt zu meiner Haltestelle zu finden.

Nun hieß es warten. Der Strom von Menschen, der die Treppe herunter kam, riss nicht ab. Und jedes Mal begann der Run, wenn eine Subway einlief. Die Menschen pferchten sich in die Waggons.

Die nächste kam und ich konnte an der Nummer sehen, dass es meine Linie war. Ich stand schon recht dicht am Bahnsteig, als hinter mir das Gedränge stärker wurde und ich einen Stoss von hinten bekam.

Mit einem Schrei fiel ich nach vorne – zu weit nach vorne – ich sah die Gleise – ich hörte das Quietschen der Bremsen – die Lichter der U-Bahn blendeten mich… bis ich plötzlich zurückgerissen wurde.

Entsetzt schauten mich die umstehenden Personen an, während mir mein Herz bis in den Kopf schlug.

„Kleiner, du musst besser auf dich aufpassen!“

Die Stimme kam mir bekannt vor. Während mir aufgeholfen wurde, drehte ich den Kopf nach hinten.

„Jakob…“, stammelte ich.

„Ja… so heiße ich“, meinte er mit einem breiten Grinsen.

Ich wollte etwas sagen, aber Jakob schob mich zur Tür der eingefahrenen Bahn.

„Komm, unsere Bahn!“, meinte er.

„Woher weißt du?“, fragte ich.

„Zum Einen stand ich fast neben dir, als du den Fahrplan studiert hast und zum Anderen, stehst du so dich an der Fahrbahnkante, dass du diesen Zug sicher nehmen wolltest. Und ich muss eben auch in diese Richtung.“

„Du wohnst auch in Queens?“

„Japp!“

„Ich habe dich noch nie dort gesehen.“

„Du weißt doch, wie groß Queens ist. Zudem verkehren wir wohl nicht an denselben Orten.“

„Ich verstehe nicht, was du meinst.“

Mittlerweile standen wir recht eng aneinander gelehnt in der Bahn. Als sie sich in Bewegung setzte, drückte es mich dann auch noch vollends gegen Jakob.

„Du bist echt lustig, Thomas, weißt du das?“

„Wieso denn?“

„Hallo…, schau mich an… siehst du den kleinen Unterschied zwischen dir und mir? Bist du so naiv, oder tust du nur so?“

Ich fragte mich, ob ich jetzt sauer reagieren sollte, naiv war ich sicher nicht!

„Dass du besser aussiehst?“

Ach du Scheiße, was hatte ich da jetzt losgelassen.

„Mann, bist du goldig… lieber Thomas, falls es dir entgangen sein sollte, ich bin schwarz.“

„Klar! Na und?“

„Weiß – schwarz, schwarz – weiß. Fällt dir dazu nichts ein?“

Mir wurde das Gespräch langsam peinlich. Umstehende Personen schauten mich schon an.

„Was soll mir dazu einfallen, es ist doch egal, welche Farbe man hat… oder?“, fragte ich jetzt eine Spur leiser.

Jakob sah mich mit großen Augen an.

„Noble Gesinnung, aber stehst du auch zu ihr?“

„Wie meinst du das?“

„Sagen wir mal, ich nehme dich heute Abend mit in den Club…“

„Welchen Club?“

„Ist doch jetzt egal, nimm es einfach an.“

„Ich bin doch noch keine achtzehn.“

„Vergiss das jetzt alles, Thomas. Wir zwei gehen in den Club, abtanzen.“

Ich traute mich es fast nicht zu sagen.

„Ich kann nicht tanzen…“, meinte ich kleinlaut.

Jakob fuhr sich genervt übers Gesicht.

„Okay, nehmen wir mal an, du bist achtzehn, kannst tanzen und gehst mit mir in den Club, der voll mit Negern ist, was sagst du dann?“

Der Mann neben mir, ebenfalls ein Schwarzer, schaute mich grinsend an.

„Ich weiß nicht, ob ich mich da wohl fühlen würde.“

„Siehste, du hast doch Vorurteile.“

„Quatsch, ich wüsste nicht, ob ihr nicht unter euch sein wollt“, wehrte ich mich.

„UNTER EUCH – das ist schon wieder so eine Bemerkung in diese Richtung.“

„Jetzt dreh mir doch nicht das Wort im Mund rum!“, sagte ich leicht säuerlich.

Fragend sah mich Jakob an. Wie sollte ich ihm das jetzt erklären, ohne ihm zu nahe zu treten. Mir stieg der Duft von Jakob in die Nase. Er roch irgendwie nach Vanille.

„Ich kenne eure Kultur nicht, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Ich bin ganz Ohr und wir haben ja noch etwas Zeit.“

Mittlerweile war die Bahn zwei Stationen weitergefahren und das Gedränge lichtete sich.

„Komm, da drüben werden zwei Plätze frei“, meinte Jakob und schob mich vor sich her.

Etwas müde ließ ich mich auf die Bank fallen. Jakob setzte sich dicht neben mich, nahm seinen Rucksack auf den Schoss. Ich zog die Kappe ab und öffnete etwas den Schal.

„So, und nun erklär mir genau, was du meinst.“

Puh… er gab nicht auf!

„Mag sein, dass du das jetzt als Vorurteil verstehst“, begann ich, „ich weiß nicht, ob ich mich wohl fühlen würde, weil mir das unbekannt wäre. Ich war noch nie in einem Club, geschweige denn, kann ich tanzen.“

Jakob wollte etwas sagen, aber ich sprach einfach weiter.

„Deswegen kann ich mir das nicht vorstellen, mit dir in einen Club zu gehen. Klar, ich habe Filme gesehen, wie getanzt wird, wie lustig das sein kann – die gute Stimmung. Aber was sagen deine Freunde, wenn ich als einziger Weißer mit vielleicht einer anderen Lebensauffassung unter euch Schwarzen sitze?“

Oha… jetzt kapierte ich Jakob. Gerade hatte ich das gesagt, was er die ganze Zeit meinte. Jakob grinste nur.

„Sorry…“, meinte ich.

Jakob legte den Arm um mich und wieder stieg mir dieser Vanilleduft in die Nase.

„He Kleiner, du bist in Ordnung. Und wenn du willst, nehm ich dich wirklich mal mit in den Club.“

Ich wollte etwas erwidern.

„Auch wenn du noch keine achtzehn bist und nicht tanzen kannst.“

„Danke“, sagte ich verlegen.

„So, bei der nächsten Station muss ich raus“, sagte Jakob.

„Ich muss noch eine weiter.“

Jakob zog den Reisverschluss seiner Jacke auf und suchte etwas.

„Was machst du heute Abend noch?“, fragte er plötzlich.

„Zu Hause sitzen und lernen…, was sonst?“

„Schade…, hier hast du meine Handynummer. Vielleicht am Wochenende… wenn du Zeit hast.“

„Zeit….für was?“

„Für den Club…in der 23th.“

Ich grinste.

„Gehst du da jeden Abend hin… auch unter der Woche?“

„Nicht jeden Abend, damit wäre meine Mum nicht einverstanden. Schule muss ja auch sein. Aber ich wohne in der Nähe, in der 39th.“

„Ich wohne in der 35th. Fährst du morgen mit dieser Bahn?“

„Klar, mit welcher sonst.“

„Dann sehen wir uns ja vielleicht“, meinte ich.

Die Bahn bremste ab. Jakob erhob sich.

„Ich muss dann… bye… Thomas.“

„Bye … Jakob.“

Und schon war er weg. Nur der Vanilleduft lag noch in der Luft. Ich sog ihn ein, als würde ich keine Luft bekommen. Ich sah, wie er draußen auf dem Bahnsteig sich noch einmal umdrehte und mir zuwinkte.

Ich winkte zögerlich zurück, da fuhr die Bahn bereits schon wieder an. Ich setzte wieder meine Mütze auf und zog den Schal enger. Dann stand ich auf und begab mich zum Ausgang. Der Mann, der vorhin neben mir stand, nickte mir zu und zwinkerte mich an.

Verlegen zuckte ich mit meinen Schultern und war froh, dass die Bahn wieder abbremste. Die Tür ging auf und ich war draußen. Erst mal atmete ich tief durch. Jetzt war ich fast zu Hause. Wie heute Morgen, fiel auch hier der Schnee den Eingang herunter.

Die Treppe war mit Schneematsch übersät, so musste ich eben aufpassen, nicht auszurutschen. Oben angekommen, traute ich meinen Augen nicht. Wo heute Morgen noch ungefähr zehn Zentimeter Schnee lagen, konnte man jetzt nicht mal mehr sehen, wo die Straße anfing, oder der Gehsteig aufhörte.

Autos sah man auch keine mehr, nur noch Hügel, unter denen man die Autos vermuten konnte. So folgte ich der Trampelspur, die Richtung nach Hause führte. Zehn Minuten später kämpfte ich mich die Treppe zum Haus hinauf, kramte meinen Schlüssel hervor und schloss auf.

Endlich geschafft, dachte ich, als ich die Haustür ins Schloss fallen ließ.

„Putz gefälligst deine Schuhe ab, du machst ja alles nass!“, meckerte die alte Dame von der ersten Wohnung.

Ich nickte und zog sogar meine Schuhe aus. Mit den Schuhen in den Händen lief ich die Treppe hoch, bis ich im fünften Stock angekommen war. Den Flur entlang bis zur letzen Tür. Ein Vorteil hatte ja unsere Wohnung.

Es war eine Eckwohnung und somit hatten wir nur einen Nachbarn an der Seite. Wiederum schlecht, weil wir eine kalte Hausmauer mehr hatten. Ich schloss die Tür auf und wunderte mich, dass nicht abgeschlossen war.

„Schatz, bist du das?“, hörte ich Mum rufen.

„Jaha!“, antwortete ich und stellte meine Schuhe ab.

Mum kam aus der Küche.

„Wieso bist du zu Hause?“, fragte ich.

„Das Gleiche könnte ich dich fragen, aber Elaine hat angerufen, in Manhattan wär der Strom ausgefallen und die Schule wurde geschlossen.“

„Genau und ich bin den halben Weg gelaufen.“

„Zieh doch erst mal die nassen Sachen aus“, meinte Mum und zog mir die Mütze vom Kopf.

Ich schüttelte mich, weil mir immer noch kalt war.

„Lass alles einfach auf den Boden fallen, ich hebe es nachher auf“, meinte sie, „aber erst lass ich dir ein heißes Bad ein.“

Mmmh, ein heißes Bad, genau das, was ich mir jetzt wünschte.

„Du hast noch immer nicht gesagt, warum du noch zu Hause bist“, meinte ich.

„Ich habe mit einer Kollegin die Schicht gewechselt, fange also erst in zwei Stunden an.“

Mum arbeitete in diesem Kinderhaus. Sie half bei der Betreuung der Kinder. Ein paar mal war ich schon dabei und spielte dort einfach nur mit den Kindern, was denen aber sichtlich Spass machte.

Während Mum ins Bad ging, begann ich, mich erst mal an zu entkleiden. Erste Jacke – zweite Jacke… Pulli und Tshirt. Ein Kleidungsstück nach dem anderen fiel zu Boden. Und alle waren feucht.

Nur noch in Strümpfen und Boxer, nahm ich meinen Rucksack und trug ihn in mein Zimmer. Dort angekommen, war es richtig schön mollig warm.

„Der Heizungsmann war auch da, jetzt funktioniert das Wasser wieder und sogar die Heizung“, hörte ich meine Mum hinter mir sagen, „du kannst, das Wasser habe ich dir eingelassen.“

„Danke Mum!“

Das Telefon klingelte und Mum verschwand. Und ich machte mich auf ins Bad. Ein Duft stieg mir in die Nase und ich dachte an Jakob. Mum hatte wieder das Vanillebad verwendet. Ich ließ die Boxer fallen und stieg ins Wasser.

Scheiße war das heiß! Ich zuckte zusammen. Es klopfte an der Tür.

„Ja?“, rief ich.

„Das war eben Elaine. Du hast den Rest der Woche frei!“

Mittlerweile war ich in die Wanne eingetaucht und halb im Schaum versunken.

Die Tür öffnete sich und Mum streckte den Kopf herein.

„Die Schule bleibt bis Ende der Woche geschlossen… wegen technischen Problemen!“

„Wow!“

Das war mal eine super Nachricht.

„Soviel Glück wie du möchte ich mal haben“, meinte Mum zerknirscht.

Tja, das Kinderhaus lag nur einen Block weiter. Ich war wieder alleine und ließ meinen Kopf auf den Beckenrand sinken. Der Vanilleduft übermannte mich und ich musste wieder an Jakob denken.

Ich hatte die Augen geschlossen und sah ihn vor mir. Nein, nicht in der Bahn, sondern heute Morgen… fast nackt auf dem Tisch. Jetzt erst merkte ich, wie ich mit meinem Schwanz spielte und der mittlerweile steif wurde.

Shit, was machte ich da. Ich dachte an einen Jungen und befummelte mich. Entsetzt und verwirrt richtete ich mich auf.

*-*-*

Entspannt lag ich auf meinem Bett. Ich hatte die Telefonnummer von Jakob in der Hand. Ich hörte, wie Mum dabei war, sich fertig zu machen. Ich stand auf und öffnete meine Tür zum Flur.

„Schatz, ich bin dann weg, es wird heute sehr spät werden, warte nicht auf mich.“

„Kein Problem.“

Sie schaute mich an.

„Thomas, wenn du mich so anschaust, hast du etwas auf dem Herzen, also raus damit.“

„Also… ähm… wenn ich morgen keine Schule habe… könnte ich heute Abend etwas weggehen?“

„Bitte?“

„Ach vergiss es einfach“, meinte ich und wollte schon aufgeben.

„Halt, junger Mann. Ich bin es nicht gewohnt, dass du weggehen möchtest. Seit Vaters Tod bist du nicht mehr weg gewesen, seit wir hier in New York wohnen, erst Recht nicht.“

Ich sagte nichts und schaute sie nur an.

„Mit wem willst du denn weg gehen, du kennst doch hier niemanden…wie denn auch, wenn du bloss zu Hause rumsitzt.“

Sie schlüpfte in ihre dicken Boots.

„Mit einem Jungen aus der Schule…, er heißt Jakob, wohnt in der 39th.“

„Kenne ich die Familie…?“

„Weiß ich nicht.“

„Und zu Jakob möchtest du jetzt?“

„Ja… würde schon gerne. Wo doch morgen keine Schule ist.“

„Und wer ist dieser Jakob?“

„Wir haben gemeinsam Modern Art, wobei… er heute Morgen nur als Modell saß.“

„Du hast ihn gezeichnet?“

„Ja!“, meinte ich verlegen.

„Das Bild dabei?“

„Ähm, ja.“

„Dann zeig her, du bist doch sonst nie so schüchtern, wenn es um deine Zeichnungen geht.“

Ich ging ins Zimmer und zog die Rolle aus meinem Rucksack. Ich pfriemelte den Deckel ab und zog meine neue Zeichnung heraus.

Zurück im Flur rollte ich das gute Stück auseinander.

„Der ist ja fast nackt…!“, meinte Mum, „süßer Kerl!“

Entsetzt schaute ich Mum an. Aber kein Wort darüber kam, dass Jakob schwarz war.

„Okay ich muss los und du übertreibe es nicht mit dem nach Hause gehen, okay?“

„Ich darf weg?“

„Ja, darfst du, also bye“, meinte Mum, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und weg war sie.

Total aufgedreht lief ich zurück in mein Zimmer. Noch immer hatte ich die Zeichnung in der Hand. Ich schaute mich kurz im Zimmer um und legte die Zeichnung ab.

„Dich wollte ich doch schon lange abhängen“, meinte ich zu einem großen Poster über meinem Bett.

Vorsichtig löste ich die Klebestreifen von der Tapete. Das Bild gefiel mir schon lang nicht mehr. Ich war nur zu faul, es abzuhängen und ein Neues zu besorgen. Dann nahm ich Jakobs Zeichnung und hängte sie über mein Bett.

Jakob hatte etwas an sich, was mir gefiel. Nur kam ich damit nicht richtig klar. Ich verstand nicht, warum Jakob so eine Wirkung auf mich hatte. Mein Blick fiel auf den Schreibtisch, wo Jakobs Handynummer lag.

Mit zitternden Händen nahm ich mein Handy und versuchte, die Nummer zu wählen. Nach dem dritten Versuch klingelte es.

„Ja…, Jakob hier.“

„Hi… Jakob… hier ist Thomas.“

„He Thomas, du bist das. Ich wunderte mich schon, weil ich die Nummer nicht kannte. Was steht an?“

„Du weißt, dass die Schule bis Ende der Woche geschlossen bleibt?“

„Bitte? Wow! Nein, wusste ich nicht, wie denn auch, uns sagt das ja keiner.“

„Ich dachte… ähm hast du heute Abend Zeit?“

Auf der anderen Seite blieb es ruhig…, vorerst.

„Jetzt sei doch still, ich verstehe überhaupt nichts!“, brüllte Jakob ins Handy, „sorry, meine Schwester nervt. Du willst also heute Abend weggehen, sehe ich das richtig?“

„Ja, mit offizieller Erlaubnis meiner Mum.“

„Wie lange?“

„Hat sie mir überlassen“, antwortete ich.

„Wow, du hast eine sympathische Mum.“

„Danke… sie hat dein Bild gesehen…“

„Welches Bild?“

„Das ich heute Morgen von dir gezeichnet habe.“

Wieder Stille am Handy.

„Jakob?“

„Ja?

„Alles in Ordnung?“

„Was denkt deine Mutter jetzt von mir…, so fast nackt auf einem Bild.“

„Zum Ersten hat sie mir erlaubt, zu dir zu gehen, nachdem sie dein Bild gesehen hatte und gesagt hat sie …“

„Was?“

„Süßer Kerl“, kicherte ich ins Handy.

„Du spinnst!“

„Nein, tu ich nicht. Das hat sie wirklich gesagt.“

Wieder ein kurzes Schweigen.

„Du möchtest also zu mir“, fragte Jakob.

„Oder, was du dir einfallen lässt. Bin für alles zu haben.“

„Für alles?“

Ups, was hatte ich da gesagt?

„Ich lass mich einfach überraschen“, meinte ich.

„Okay, du hast gesagt, du wohnst in der 35th.“

„Ja.“

„Gut, dann laufe ich dir entgegen, nämlich auf der 24th.“

„Kein Problem… und wann?“

„Sagen wir so… in zwei Stunden?“

„Okay.“

„Dann bis nachher… ich muss noch etwas zu Hause machen.“

„Okay .. bye Jakob…“

„Bye Thomas!“

Und weg war das Gespräch. Ich hatte ein Date… wow! Na ja… mit einem Jungen, aber was soll’s. Noch immer stand ich nur in Boxer im Zimmer. Mein Blick fiel auf den Schrankspiegel.

Gut ich hatte nicht die Figur wie Jakob. Ich war dünner, aber hatte zumindest auch  ein bisschen Muskeln oder was ein bisschen danach aussah. Wie komme ich jetzt auf diesen Gedanken? Ich schaute wieder zu Jakobs Bild, wie er so vor mir lag.

Mein Kopf spielte mir gehörig mit. Warum war ich plötzlich Jakob so verfallen, warum hatte ich so ein komisches Gefühl im Bauch? Was sollte ich überhaupt anziehen? Tausend Gedanken überrollten mich.

Ich zog eine frische Jeans heraus und einen neuen Wollpulli. Konnte ich sowas anziehen? Draußen war es schweinekalt. Ich zog noch ein Shirt im Zwiebellook heraus. Ich sagte deswegen Zwiebellook dazu, weil  verschiedene Teile aneinander genäht waren.

Das würde gehen. Schnell waren die Teile übergestreift. Halt, ich konnte ja jetzt den dicken Pulli noch nicht anziehen. Die Wohnung war warm, noch fast zwei Stunden, bis ich ging. Also wieder raus aus dem guten Stück.

So ging ich ins Bad und schaute mich im Spiegel an. Ich sah furchtbar aus. Die Haare noch total wild in alle Richtungen stehend und rot im Gesicht. Die Nachwirkungen vom zu-lang- im- heißen-Wasser-liegen.

Ich nahm das Gel, das ich von Mum zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte und schmierte mir davon etwas ins Haar. Nun versuchte ich, nach verschiedenen Richtungen mein Haar zu richten. Aber nichts gefiel mir.

Shit. Ich drehte den Wasserhahn auf und – oh Wunder, es kam gleich ein klarer Strahl warmen Wassers heraus. Ich hielt meinen Kopf unter das Wasser und wusch das Gel wieder aus meinen Haaren.

Nach dem ich sie kräftig trocken gerubbelt hatte, standen sie genauso wirr wie vorher. Nach längerem Betrachten kam ich zu der Überzeugung, dass sie so eigentlich am Besten aussahen.

Zufrieden ging ich in mein Zimmer zurück. Ich schalte meine kleine Anlage an und drückte Play beim Cd – Player. ‚Family Affair’ von Mary J. Blige lief an. Zum Takt der Musik räumte ich etwas das Zimmer auf.

*-*-*

Nervös lief ich die 24th hinunter. Fast alle Geschäfte waren schon weihnachtlich geschmückt. Ich hatte noch gar keine Weihnachtstimmung, auch keinen Bock drauf. Dad war vor zwei Jahren an Heiligabend verunglückt.

Mum und ich hatten letztes Jahr Weihnachten einfach zu Hause ausfallen lassen. Wir versuchten, es normale Tage sein zu lassen. Es gelang uns nur anfänglich. Irgendwann saßen wir beide auf dem Wohnzimmersofa und heulten um die Wette.

Dieses Jahr wollte es Mum anders machen, aber darauf hatte ich keinen Bock. Ich hasste Weihnachten.

„Thomas?“

Ich schaute auf. Jakob kam mir entgegen. Auch er hatte etwas anderes an als heute Morgen.

„Hi Jakob.“

Er kam auf mich zu und umarmte mich kurz. Für mich völlig ungewohnt, aber ich spielte mit.

„So, dann können wir ja gleich wieder ins Warme wandern.“

„Wo willst du mit mir hin? In den Club?“

„Nein, der hat heute Ruhetag. Lass dich einfach überraschen!“

„Okay…“

Also liefen wir in seine Richtung zurück, bis wir in die Ecke 24th. – 38th. kamen. Dort leuchtete ein kleines Schild >Mac Guinness<.

Was ist das?“, fragte ich.

„Ein kleiner irischer Pub.“

„Da können wir rein?“

„Klar, hier gibt es nicht nur Bier, sondern auch super gute heiße Getränke.“

Ich verließ mich einfach auf die Aussage von Jakob. Er lief die drei Treppenstufen hinauf und öffnete die Tür. Von drinnen klang uns gedämpft Musik entgegen. Ich folgte Jakob hinein.

„Hi Jay“, rief der Mann hinter der Theke.

„Hi Fred!“

„Lange nicht gesehen.“

„Wenig Zeit, du kennst doch Ma.“

„Ja, die kenne ich nur zu gut.“

„Könntest du für mich zwei Pharisäer machen?“

„Klar, kein Problem.“

„Pharisäer?“, fragte ich.

„Lass dich überraschen, vertrau mir einfach.“

„Würde ich das nicht tun, wäre ich nicht hier mit dir rein gegangen.“

Jakob fasste dies nicht böse auf, sondern lachte.

„Komm, gib mir deine Jacke“, meinte er und hob die Hand.

Ich packte mich aus und reichte sie ihm. Er lief zu einem alten Kleiderständer aus Holz und verstaute unsere Jacken, auf dem eh hoffnungslos überladenen Teil. Dann gab er mir einen Wink, ihm zu folgen.

Das Pub war recht verwinkelt. Über kleine Treppen kam man immer zu neuen Sitzgelegenheiten. Fast alle waren besetzt. Eins schien frei, denn Jakob zog mich am Ärmel hinein.

Von hier aus hatte man eine gute Übersicht auf den ganzen Laden. Aber wir saßen so hoch, das man uns fast nicht sehen konnte. Dieser Fred kam kurz nach uns an. Er stellte zwei große Tassen auf den Tisch.

Jakob schob eine Fünf-Dollar-Note hinüber.

„Danke, lasst es euch schmecken“, meinte Fred und verschwand wieder.

„Jetzt wohne ich hier schon seit zwei Jahren, aber dieser Pub ist mir noch nie aufgefallen.“

„Erst seit zwei Jahren?“

„Ja… wir haben davor in Gloversville gelebt.“

„Und warum seid ihr dann nach New York gezogen?“

Ich schaute zu Boden, denn gerade dieses Thema war eins, das ich außer mit Mum mit keinem besprach.

„Sorry Thomas“, meinte Jakob und legte mir seine Hand auf die Schulter, „ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

Ich sah auf und er sah garantiert meine glasigen Augen.

„Shit Thomas, habe ich was Falsches gefragt?“

„Nein…“, antwortete ich leise, „ich habe seither nur noch nie mit jemandem darüber geredet, außer mit meiner Mum.“

„Thomas, wenn du es nicht erzählen willst…, entschuldige, dass ich mit dem Thema angefangen habe.“

Er schob mir die Tasse hin.

„Probier einfach, aber Vorsicht, sehr heiß!“

Ich nahm den Löffel und fuhr unter die Sahneschicht, die das Getränk bedeckte. Den kleinen Löffel befüllt, pustete ich erst mal, was auf Jakobs Gesicht wieder ein Lächeln erscheinen ließ.

Dann nahm ich es vorsichtig in den Mund und versuchte, den Geschmack zu erraten.

„Kaffee?“, fragte ich verwundert, schmeckte aber gleich, dass da noch etwas drin ist.

„Und?“, fragte Jakob grinsend.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Irgendetwas mit Alkohol, aber ich weiß nicht, was.“

„Das ist Rum.“

„Schmeckt gut“, meinte ich und fuhr noch mal mit dem Löffel in die Tasse.

„Rühr ihn ja nicht um!“, mahnte mich Jakob.

„Wieso?“

„Das würde dich eine Runde ans ganze Pub kosten“, lächelte Jakob.

„Oh…“

Jakob schlürfte wie ich am Pharisäer und schaute mich durchdringend an.

„Was?“, fragte ich.

„Wer steckt hinter diesem Thomas Millford?“

„Weiß nicht!“, antwortete ich und merkte jetzt doch schon den Rum.

Konnte das sein?

„Ein Geheimnis?“, fragte Jakob weiter.

„Über mich gibt es nichts Interessantes.“

„Doch, du kannst gut zeichnen!“

„Geht so…“

„Jetzt untertreib mal nicht so. Mich hat noch niemand so gut eingefangen wie du.“

Ich wurde rot, trotzdem freute es mich, dass Jakob das Bild gefiel.

„Und was ist da noch?“, fragte Jakob und schaute meinen Kopf von verschiedenen Richtungen an, als wollte er eine Öffnung zu meinem Gehirn finden.

Ich begann zu kichern. Ein mollig warmes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Ich zog den Reisverschluss meines Wollpullovers herunter.

„Du wolltest wissen, warum wir hierher gezogen sind…“

„He Thomas… vergiss es einfach… ist nicht so wichtig.“

Ich schaute direkt in Jakobs dunkle Augen. Sie funkelten im Kerzenschein.

„Vor zwei Jahren ist mein Dad mit dem Auto verunglückt… wir haben unser Haus… verkaufen müssen… sind dann hier hergezogen… um Abstand zu gewinnen…“

„Bullshit… sorry Thomas, daran wollte ich dich nicht erinnern.“

„No Problem, daran denke ich jeden Tag.“

Während der ganzen Zeit hatte ich meinen Blick nicht abgewendet, starrte immer noch in Jakobs Augen.

„Hast du das heute Mittag ernst gemeint?“, fragte Jakob leise.

„Was?“

„Dass ich gut aussehe…“

Shit…, er hatte es nicht vergessen. Nun schaute ich nach unten, mein Gesicht glühte eh schon. Ich wusste aber nicht, ob es von dem Getränk kam, oder weil Jakob neben mir saß.

„Ja“, sagte ich fast unhörbar.

„Das hat mir noch keiner gesagt und jetzt sagst es du…, ein Weißer!“

„Könnten wir diese Debatte über weiß oder schwarz lassen?“, fragte ich.

Jakob senkte den Kopf zur Seite und sah mich wieder durchdringend an. Ich fing an zu kichern, wusste nicht mal warum.

„So gefällst du mir besser.“

„Ich gefalle dir auch?“, meinte ich auch und schaute wieder auf.

„Na ja, etwas blass um die Nase, aber ganz passabel!“

Ich streckte Jakob die Zunge heraus und fing wieder an zu kichern. Meine Tasse hatte ich  leer getrunken.

„Was denn? Ich meine das Ernst! Du siehst wirklich gut aus.“

Ich konnte nicht anders und fing laut an zu lachen. Einige Leute im Pub drehten den Kopf nach uns um.

„He lach mich nicht aus, das ist gemein!“, meinte Jakob empört.

„Sorry, mir hat aber auch noch niemand gesagt, dass ich gut aussehe und schon gar nicht ein Schwarzer…“

Jakobs Augen begannen wieder zu funkeln und seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. Unsere Gesichter waren nun nicht mehr weit entfernt. Irgendwie verlor ich mich in den Augen von Jakob.

Und ich verlor auch irgendwie meine Kontrolle über mich selbst. Langsam wanderten unsere Gesichter aufeinander zu. Dann kam der Moment, wo wir so dicht waren, dass sich unsere Lippen berührten.

Ich schloss kurz die Augen und spürte die warmen, weichen Lippen Jakobs. Plötzlich durchfuhr es mich wie ein Blitz. Ich küsste hier einen Jungen. Entsetzt fuhr ich nach hinten, starrte kurz Jakob an.

Dann sprang ich auf und rannte die kleinen Treppen hinunter, die wir vorhin hinaufgestiegen waren.

„Thomas, was ist?“, hörte ich Jakob rufen, aber ich war bereits unten.

Ich riss meine Jacke vom Ständer, der dadurch umfiel.

„He!“, rief nun Fred hinter der Theke.

Ich rannte weiter, wollte nur weg. Hinaus auf die Straße. Wo ich natürlich, nicht an den Schnee denkend, erst mal auf die Fresse fiel. Ich rappelte mich auf und stolperte mehr oder weniger Richtung nach Hause.

Oh Gott, was hatte ich da eben getan? Ich habe einen Jungen geküsst! Scheiße, das geht doch nicht! Ich streifte mir die Jacke über, denn so langsam spürte ich die eisige Kälte, die hier draußen herrschte.

Immer wieder rutschte ich aus, rennen war einfach nicht gut bei Schnee. Aber ich wollte so schnell wie möglich weit weg… weg von diesem Ort…, weg von Jakob.

*-*-*

Ich wusste nicht, wie spät es war, als ich aufwachte. In der Wohnung schien es ruhig, auch im Haus, war es einigermaßen ruhig. Ich richtete mich auf, aber ich spürte einen leichten Schmerz im Kopf.

Ach so… war vielleicht dieser Pharisäer, den ich gestern mit Jakob… mein Gedanke hielt inne, denn plötzlich war alles wieder da… die Erinnerung kam wieder. Ich schüttelte den Kopf.

Nein es war kein Traum, ich hatte Jakob geküsst. Einen Jungen! Ich schüttelte den Kopf und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Ich krabbelte aus dem Bett und stellte fest, dass ich immer noch die Jeans von gestern Abend anhatte.

Ich zog sie aus und pfefferte sie sauer in die Ecke. Scheiße, was war nur in mich gefahren, sowas zu machen? Was würde Jakob jetzt von mir denken… die Leute im Pub. Ich drückte mich vom Bett auf und stellte mich hin.

Schmerzen durchfuhren meinen Körper und ich sah an mir herunter. Meine Beine waren mit blauen Flecken übersät. Fuck, tat das weh. Es klopfte an der Tür und sie öffnete sich langsam.

„Morgen Junior und… was ist denn mit dir passiert?“

Mum stand in der Tür und starrte mich an.

„Bin gestern ausgerutscht…“, sagte ich leise und kämpfte gegen die Tränen an, die langsam in mir aufstiegen.

„Thomas… ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Mum besorgt.

Ich konnte nicht mehr und fiel ihr weinend um den Hals.

„Mein Gott, Schatz, was ist denn?“

Ich war nicht fähig, irgendetwas zu sagen, schluchzte nur laut. Mum streichelte mir sanft über die Haare.

„Scchht Thomas…, es wird alles wieder gut.“

„Gar nichts wird gut“, wimmerte ich.

„Wieso… was ist denn passiert…?“

„Ich… ich habe… ich habe…“

Nein, ich konnte es nicht sagen! Zu peinlich war mir das Ganze. Mum zog mich auf mein Bett und nahm ich in den Arm.

„Thomas, hör mal, du hattest nie Geheimnisse vor mir. Du weißt doch…, du kannst mit mir über alles reden!“

Ich musste niesen, griff nach einem Taschentuch und putze mir die Nase. Shit, jetzt hatte ich mir wahrscheinlich auch noch eine Erkältung geholt.

„Na… besser?“

Ich nickte.

„Was ist passiert mit meinem Großen?“

„Ich habe … jemanden geküsst…“, sagte ich ganz leise.

„Ja und, was ist daran so schlimm?“

Ich schaute kurz auf und in die Augen meiner Mum.

„Mum… es war … ein Junge…“

Erneut fing ich an zu schluchzen und fiel ihr wieder um den Hals. Begann meine Mum jetzt zu lachen? Hörte ich da richtig?

„Aber Thomas, davon geht doch die Welt nicht unter.“

Ich schaute hoch und sie lächelte mich an.

„Ich… ich fand das …, aber irgendwie schön…“, wimmerte ich leise, wischte mir die Tränen aus den Augen.

„Das kann ich mir vorstellen… küssen ist immer schön.“

„Mum, du verstehst nicht, was ich meine… ich habe einen Jungen geküsst!“

„Ja und, was ist dabei?“, fragte sie.

Ich schaute sie mit großen Augen an. Sie nahm meine Hände in die Ihren.

„Schau mal, Thomas. Du bist jetzt siebszehn Jahre alt, wirst im Januar achtzehn. Ich habe dich nie in Begleitung eines Mädchens gesehen, geschweige denn etwas bemerkt, das in die Richtung führt.“

Geschockt sah ich sie an… was wollte sie… sich glaubte doch nicht…

„Kann es sein, dass du dir nicht bewusst bist…, dass du auf Jungs stehst?“

Bitte was? Das kann nicht sein… ich schwul? Nein… wie soll das gehen.

„Anscheinend nicht… das deute ich jedenfalls aus deinem Gesichtsausdruck!“

„Aber Mum…“, stotterte ich, wieder meiner Stimme mächtig.

„Was?“

„Ich … schwul…?“

„Thomas, ab und zu kommst du mir ganz schön naiv vor!“

„Jetzt fang du nicht auch noch an“, sagte ich säuerlich.

„Bitte?“

„Das hat Jakob gestern auch schon gesagt…“

Jakob… oh Mann, was musste er von mir denken? Ich und schwul…

„Hast du Jakob geküsst?“

Erschrocken schaute ich auf.

„Und was hat er dazu gemeint?“, fragte Mum.

Ich senkte wieder meinen Blick.

„Weiß nicht…, ich bin weggerannt.“

„Du….? Ach so, deswegen die blauen Flecken.“

Irgendwie schämte ich mich grad unheimlich. Ich wäre am liebsten unter meine Decke gekrochen und nie wieder heraus gekommen.

„Du gehst jetzt erst mal duschen, du siehst fürchterlich aus und riechen… na ja… wo warst du überhaupt? Alles riecht nach Bier!“

„Ich war mit Jakob in einem Pub an der 39th.“

„Das Guinness?“

„Du kennst das?“

„Klar, bin ich schon öfter mit Kollegen gewesen. Fred zaubert immer so schöne Drinks. Besonders jetzt… ich liebe…“

„Du kennst Fred?“

„Ja, klar, wer kennt Fred nicht. Ist eine gute Seele.“

„Na ja… ich glaube, auf mich ist er nicht mehr gut zu sprechen…“

„Warum?“, ragte Mum neugierig.

„Na ja, als ich gestern aus seinem Pub stürmte… hab ich glaub den Kleiderständer umgerissen.“

Mum fing schallend laut an zu lachen. Verblüfft schaute ich Mum an.

„Was denn?“

„Das wird teuer für dich“, meinte sie und lachte weiter.

„Wieso denn? Der wird schon nicht kaputt gegangen sein.“

„Nein Thomas, jeder der den Ständer umschmeißt, muss eine Runde ausgeben…“

„Fuck!“

„Sohnemann, beherrsche dich mit deiner Ausdrucksform… so! Jetzt gehst du duschen und ich mach uns ein schönes Frühstück.“

Somit ließ sie mich alleine im Zimmer zurück. Ich … schwul… ich drehte mich um und starrte auf Jakobs Bild. Es würde zumindest vieles erklären… aber was sollte ich Jakob erklären?

Ich seufzte und schleppte mich ins Bad.

*-*-*

Mum hatte Recht. So eine heiße Dusche konnte Wunder bewirken. Etwas umgänglicher als vorher kam ich aus dem Bad und lief wieder in mein Zimmer. Nur mit einem Handtuch um die Taille öffnete ich die Zimmertür und erstarrte zur Salzsäule.

„Hallo Thomas…“

Scheiße! Hätte Mum mich nicht vorwarnen können?

„Ach Thomas… Jakob ist da…ah, du hast ihn schon gefunden… ich mach noch ein Gedeck mehr dazu.“

Typisch Mum! Ich schloss hinter mir die Tür.

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Jakob erschrocken und stand auf, „du hast überall blaue Flecken.“

„Bin ausgerutscht…“

„Du Thomas… es tut…“

„Du brauchst gar nichts zu sagen…sorry, das war ein Ausrutscher…wird nie wieder vorkommen…!“, unterbrach ich ihn.

Er stand nun direkt vor mir. Er mit Wollpulli und Jeans und ich nur mit Handtuch bekleidet. Wieder funkelten seine Augen so schön. Ich musste aufpassen, dass ich nicht mein Gleichgewicht verlor, denn irgendwie wurden meine Knie weich.

„Thomas,… wenn ich gewusst hätte… Tut mir leid, das war alleine meine Schuld… ich bin irgendwie von falschen Anzeichen ausgegangen…“

Hä? Was meinte er jetzt. Ich sah ihn fragend an.

„Ich dachte… du wusstest, dass ich… schwul bin.“

Hilfe, wo war ich hier nur hingeraten? Aber irgendwo in meinem Kopf machte es >Klick<… Konnte es nicht einfach sein, dass…?

„Als du mir gestern sagtest, du fändest mich gut aussehend und ich mich so super mit dir verstand, obwohl wir uns erst seit gestern kannten… tut mir leid, dass wollte ich nicht. Ich war mal wieder viel zu schnell…“

„Ähm…dürfte ich mir kurz was anziehen?“

„Soll ich raus gehen?“

Ich verzog mein Gesicht und hielt den Kopf schräg. Er sah mich verwirrt an. Ich gab ihm einen kleinen Schubs und er landete auf meinem Bett. Ich ging an den Schrank und zog mir eine frische Boxer heraus.

Jakobs Augen wurden groß. Ich ließ das Handtuch fallen und zog mir die Boxer an… vor seinen Augen. Ich krallte mir meinen Jogging und zog auch diesen an. Dann setzte ich mich neben den total verdutzen Jakob.

„Hör mal, es kann sein… dass du die Anzeichen schon richtig gedeutet hast?“

„Aber…“

„Lass mich bitte aussprechen…“

Jakob nickte und hielt den Mund.

„Ich hatte nie viele Freunde, oder besser gesagt, keine. Als mein Vater vor zwei Jahren starb und wir hier her zogen, schob ich es auf ihn, dass ich mit keinem anderen Kontakt wünschte. Erst gestern, als ich dich malte, begann sich in meinem Kopf etwas in Bewegung zu setzen, was ich nicht verstand… was ich immer noch nicht richtig verstehe.“

Jakob schaute mich nur an. Es klopfte an der Tür.

„Moment Mum, wir kommen gleich“, rief ich.

An der Tür blieb es still.

„Meine Mum hat mir vorhin dann die Augen geöffnet… über etwas, was mir nicht bewusst war, oder verdrängt hatte, oder auch gar nicht wahr haben wollte.“

„Und das war?“

„Jakob… ich bin… auch schwul.“

Über Jakobs Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Ich ließ mein Gesicht sinken.

„Tut mir Leid…, ich habe da etwas überregiert…“

„Etwas?“, Jakob fing an zu lachen, „du hast Freds Laden in helle Aufregung versetzt.“

„Das tut mir Leid!“

„Muss es nicht!“

„Und jetzt?“

„Was meinst du“, fragte mich Jakob und zog mit der Hand mein Kinn hoch, so dass er mir wieder in die Augen sehen konnte.

„Was jetzt wird? Ich weiß nicht weiter… steh irgendwie auf dem Schlauch.“

„Ich wüsste da was“, meinte Jakob, ohne mein Kinn loszulassen.

„Was?“, fragte ich leise.

Jakob näherte sich, zog mich zärtlich am Kinn zu sich heran. Wir machten da weiter, wo ich es gestern so abrupt enden ließ. Wir küssten uns. Ich hob meine Hand und streichelte vorsichtig über Jakobs Wange.

Dieser zog mich vollends zu sich heran und nahm mich in den Arm. Komplett außer Atem fuhren wir auseinander.

„Wow!“, keuchte Jakob und schaute so komisch verklärt.

„Was?“, fragte ich, noch immer nicht bewusst, was ich hier gerade machte.

„Dein Kuss… es war, als ob du meinen Körper unter Strom gesetzt hast.“

Jetzt spürte ich selbst, dass ich am ganzen Körper zitterte.

„Ich habe noch nie…“

„…einen Jungen geküsst?“, beendete Jakob meine Satz.

„Überhaupt… ich hatte ja nicht mal eine Freundin!“

„Dafür kannst du es aber verdammt gut.“

Ich musste verlegen grinsen.

„Ich habe dir schon gestern gesagt, so gefällst du mir besser.“

„Gehen wir frühstücken?“, fragte ich.

„Um ehrlich zu sein… ich habe mordsmäßig Hunger… heute Morgen bekam ich keinen Bissen herunter.“

„Dann los…Mum wartet nicht gerne.“

Ich stand auf, aber Jakob stellte sich mir in den Weg. Er hob seine Hand und legte sie um meinen Nacken. Dann zog er mich noch mal an sich heran und küsste mich erneut. Ich diesmal viel mutiger, nahm ihn ebenso in den Arm und streichelte ihm über den Rücken.

„Für einen Weißen küsst du verdammt gut!“

Ich grinste.

„Für einen Schwarzen fühlst du dich unheimlich gut an!“

Lachend gingen wir gemeinsam zu Mum in die Küche.

*-*-*

Es hatte endlich aufgehört zu schneien. Doch der Wetterfrosch im Fernsehen hatte noch mehr Schnee vorhergesagt. Mittlerweile war draußen eine dicke Schneeschicht. Es fuhren fast keine Fahrzeuge mehr, bis auf die Polizei und ab und zu mal ein Krankenwagen.

Die Schule war immer noch geschlossen, so saß ich zu Hause, über meinen Büchern. Wann konnte ich sonst so ausgiebig auf die nächste Arbeit lernen, wie jetzt. Nachher wollte mich Jakob abholen, zu einem ausgedehnten Sparziergang.

Er meinte, es tät mir auch mal gut, vor die Tür zu kommen. Ich schwebte auf Wolke sieben. Mum war schon weg, arbeiten. Es klingelte an der Tür. Ich schloss meine Bücher und ging zur Wohnungstür und sah durch den Türspion.

Draußen vor der Tür stand ein dick vermummter Jakob. Ich entriegelte die Tür und öffnete. Mit einem Strahlen im Gesicht begrüßte ich Jakob.

„Hi… und, fertig zum Rausgehen?“, brummte er durch den dicken Schal….

…den ich nun herunter zog und ihm einen Kuss gab.

„Ja Moment, ich ziehe mich nur noch schnell an.“

Also zog ich mich genauso dick an wie Jakob. Am Schluss noch die dicken Schuhe. So dick eingemummt, liefen wir beide die Treppe hinunter.

„Was hast du denn heute mit mir vor?“, fragte ich Jakob.

„Lass dich überraschen!“

Immer diese Überraschungen! Aber ich musste zugeben, er überraschte mich wirklich immer, ich wurde nie enttäuscht. Dick eingemummt stampften wir die Treppe hinunter. New York war im Schnee gefangen.

Die Schneefälle wurden immer noch nicht weniger und wenn Jakob nicht wäre, würde ich erst gar nicht vor die Tür gehen. So lief ich jeden Mittag mit Jakob spazieren. Ihm machte der Schnee Spass.

Wir waren schon eine halbe Stunde unterwegs, als vor uns eine größere Menschenmenge auftauchte.

„Was ist denn da vorne?“, fragte ich.

„Meine Überraschung!“, kam es von Jakob.

Eine Dunstfahne stieg aus seinem Schal hervor, hinter dem er seinen Mund versteckte. Wir erreichten schließlich die johlende Menge und ich traute meinen Augen nicht. Der See war gefroren und die Leute liefen Schlittschuh.

„Du willst mit mir doch nicht etwa da drauf?“

„Warum nicht?“, meinte Jakob und sah mich an.

„Ich kann keine Schlittschuhe laufen!“

„Dann bringe ich dir das eben bei.“

„Jakob … bitte.“

„Keine Wiederrede. Du bist eh so dünn, du solltest etwas Sport treiben!“

„Dünn? … muss es aber ausgerechnet Schlittschuhlaufen sein?“

„Wenn du lieber joggen willst?“

Eiskalt erwischt. Jakob wusste, dass ich Sport eigentlich verabscheute. Außer meinen Gängen zur Untergrundbahn hatte ich nicht viel Bewegung. Er zog mich an den Stand, wo man die Schlittschuhe ausleihen konnte.

„Welche Schuhgröße“, fragte der Mann hinter der provisorischen Theke.

„43 und…“, Jakob sah mich an.

„41“, brummelte ich, immer noch nicht von dieser Überraschung begeistert.

„Macht fünf Dollar“, sagte der Mensch und zog aus Kisten die Schuhe heraus.

Jakob legte eine Fünf-Dollar-Note auf den Tisch und nahm seine Schuhe entgegen. Jakob zahlte recht häufig, was mir unangenehm war. Auch wusste ich nicht, woher er immer so viel Geld hatte.

Er wohnte wie ich und Mum,  mit seiner Mutter und Geschwistern in so einem großen Klotz, dessen Bausubstanz auch mal bessere Tage gesehen hatte. Wir waren nicht arm, aber reich waren wir eben auch nicht.

Und so schätzte ich Jakobs Familie auch ein, wo sie ja auch noch vier Personen waren.

„Komm, da drüben können wir die Schuhe wechseln“, meinte er und schob mich vor sich her.

Ich setzte mich auf die aus Schnee geformte Bank und wechselte die Schuhe, die Jakob mit seinen dann abgab.

„Und jetzt?“, fragte ich ängstlich.

„Gehen wir aufs Eis“, antwortete Jakob und zog mich hoch.

„He Jakob, was willst du mit dem Weisbrot?“, hörte ich jemanden rufen.

„Schlittschuhlaufen beibringen“, rief Jakob zurück und ich entdeckte ein paar Jungs und Mädels auf dem gefrorenen See, die alle zu uns schauten.

Einer der Jungs kam zu uns gelaufen und bremste direkt vor uns, was etwas Eis aufkratze und meine Hosen bedeckte.

„Wo hast du denn den aufgegabelt?“, wollte der Junge wissen.

„Das ist mein Freund Thomas!“, sagte Jakob.

Der Typ musterte mich von oben bis unten und streckte mir dann die Hand, besser gesagt den Handschuh entgegen.

„Sam“, meinte er.

Ich griff nach seiner Hand… dem Handschuh und schüttelte sie.

„Thomas…, aber das hast du ja schon gehört.“

„He, Weisbrot kann sogar sprechen“, meinte Sam, der gut einen Kopf größer war als ich und sich bedrohlich nahe sich zu mir beugte.

„Sam lass das, okay?“

„Schon gut Jakob, aber ich habe dir gesagt, was ich davon halte“, meinte Sam und lief wieder zu den Anderen zurück.

„Was meinte Sam?“

„Ach nichts…, gib mir deine Hand.“

Ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber, was ich eben gehört hatte, die Angst vor dem Eis überwiegte. Also reichte ich ihm die Hand.

„Versuch dich einfach nur auf den Füssen zu halten, ich ziehe dich!“

„Aha…“, meinte ich, keines anderen Wortes fähig.

Meinen ersten Schritt aufs Eis bereute ich sofort. Mein Bein rutschte weg und wäre da Jakob nicht im Weg gestanden, läge ich schon auf der Fresse. Die Gruppe um Sam begann zu lachen.

Na toll, ich machte mich hier zum Kaspar.

„Ganz ruhig“, meinte Jakob und zog mich an sich, „vertau mir einfach.“

Recht wacklig stand ich nun auf dem Eis. Meine Hände klammerten sich fest um Jakobs. Er lief ohne Mühe rückwärts und zog mich hinter sich her. Irgendwie war es ja toll, über das Eis zu gleiten, das gab ich ja zu… aber der Boden und schwupp, verkantete ich mich und flog auf Jakob.

Ich riss ihn zu Boden, fiel zumindest weich.

„Uffz“, war von ihm zu hören.

Eine erneute Lachsalve kam aus Sams Richtung.

„He, ihr seid gemein, ihr konntet auch nicht gleich am ersten Tag Pirouetten drehen“, rief Jakob zu ihnen.

Pirouetten? Ich wäre froh, wenn ich mich schon mal auf dem Eis halten könnte.

„So, zweiter Versuch. Du darfst nicht versuchen zu laufen, als hättest du Schuhe an, versuche mal auf den Schienen zu gleiten, dafür sind sie nämlich da“, erklärte Jakob.

Er ließ mich los und lief eine kleine Runde und bremste mit einer kleinen Drehung vor mir.

„Wow“, stammelte ich.

„So, jetzt du!“

„Bitte?“

„Gib mir deine Hand!“

Misstrauisch gab ich ihm meine Hand und er begann, mich zu ziehen.

„He, nicht ziehen lassen. Versuch, selber zu laufen“, rief Jakob.

Also hob ich einen Fuß an und versuchte zu GLEITEN, wie Jakob sagte. Zu meiner Verwunderung ging das ziemlich gut. Ich spürte, wie ich selbst Geschwindigkeit bekam, ohne dass Jakob nachhalf.

Etwas mutiger versuchte ich den zweiten Fuß zu heben und glitt weiter.

„Geht doch. Langsam einen Fuß vor den anderen!“

Die Gruppe um Sam begann zu pfeifen und zu klatschen. Doch plötzlich ließ mich Jakob los und ich fuhr alleine. Fataler Weise erschreckte ich dabei so, dass es mich wieder hin schlug.

„Gleich aufstehen, weiter probieren.“

Sam und die anderen lösten sich auf und zogen nun selbst wieder ihre Kreise. Angespornt durch deren gutes Fahren, stand ich gleich wieder auf und versuchte mein nächstes Glück.

*-*-*

Mir tat alles weh. Ich lag in der Wanne und konnte mich nicht mehr regen. Überall auf meinem Körper waren blaue Flecke verteilt. Ich hörte die Wohnungstür.

„Thomas, ich bin zu Hause!“, hörte ich Mum rufen.

„Bin in der Wanne“, rief ich zurück.

Wenig später klopfte es an der Tür.

„Kann ich reinkommen?“

„Ja“, meinte ich und schob den Schaum zusammen um nicht völlig nackt vor meiner Mutter zu liegen.

Die Tür öffnete sich und meine Mum steckte den Kopf herein.

„Wie kommt’s, dass du so früh in der Wanne sitzt?“

„Ich war mit Jakob Eislaufen.“

„Ähm… du kannst doch gar nicht Eislaufen…“

„Ja…, das habe ich zu spüren bekommen… mir tut alles weh.“

Mum grinste breit, doch verbiss sich ein Kommentar.

„Weswegen ich dich störe. Ich habe Marias Dienst heute Abend übernommen, weil sie auf eine Feier will. Kommst du ohne mich klar?“

Ich seufzte.

„Ja, ich werde schon nicht zusammenbrechen“, meinte ich.

„Du, irgendwo muss ich eine Salbe haben, ich leg sie dir ins Zimmer. Dann kannst du deinen geschundenen Körper einreiben.“

Wieso hatte ich das Gefühl, dass meine Mum dies grad nicht ernst meinte? Lag wohl an ihrem Grinsen, das nicht mehr von den Lippen verschwand.

„Ich richte noch schnell das Abendessen, dann bin ich wieder weg“, meinte sie im hinausgehen und ich war wieder alleine.

Die Tür war nur angelehnt. So langsam begann ich zu frieren, das Wasser hatte schnell seine Temperatur verloren. Ich versuchte aufzustehen, aber die Schmerzen bremsten mich ab. Ich stöhnte kurz laut auf.

„Alles klar da drinnen?“, rief meine Mutter.

„Ja, geht schon!“, meinte ich und startete den zweiten Versuch etwas langsamer.

Ich biss mir einfach auf die Lippen und stand auf. Erfolgreich ließ ich das Wasser ab und trocknete meinen Körper ab. Mein Blick fiel in den Spiegel. Jakob hatte dünn gesagt. Ich betrachtete mich von der Seite.

Na ja, ich hatte wirklich nicht so viele Muskeln… aber dünn? Ich band mir das Handtuch um die Hüften und verließ das Bad. Eine Gänsehaut überkroch meinen Körper, denn der Temperaturunterschied zwischen Bad und Flur war enorm.

Ich linste kurz in die Küche, wo Mum am Werkeln war.

„Oha… du hast wirklich einige blaue Flecken“, meinte Mum, als sie mich kurz betrachtete.

„Ich werde es überleben.“

Ich wollte weiter, blieb aber dann doch stehen.

„Mum?“

„Ja?“

„Findest du mich dünn?“

„Na ja, wie Arnold Schwarzenegger siehst du nicht aus!“

Ich verdrehte die Augen.

„Wieso fragst du?“

„Jakob meinte, ich wäre dünn.“

Sie musterte mich erneut.

„Da muss ich Jakob leider Recht geben, viel hast du wirklich nicht auf deinen Knochen.“

War ja klar, dass dies von Mum kam, wo ich mir doch insgeheim gewünscht hätte, etwas Anderes von ihr zu hören.

„Ich gehe mich anziehen!“, meinte ich.

„Die Salbe liegt auf deinem Bett!“

„Danke!“, meinte ich und verschwand in mein Zimmer.

Wie eine verletzte Katze, die ihre Wunden leckte, lag ich auf meinem Bett und cremte vorsichtig die schmerzenden Partien  meines Körpers ein. Ich hörte den Türgong, schenkte ihm aber keine weitere Beachtung, bis es an meine Zimmertür klopfte.

„Thomas … Jakob ist da… ich bin dann wieder weg.“

Die Tür ging auf und Jakob kam herein.

„Bye Mum!“, rief ich.

„Bye ihr zwei, und warte nicht auf mich, es wird spät werden!“

Und schon war sie weg. Vor mir stand Jakob, der mich musterte. Ich saß immer noch nur mit dem Handtuch bekleidet auf meinem Bett. Durch meine Verrenkungen beim eincremen, war mein Handtuch verrutscht, was zur Folge hatte, dass mein Prachtstück jetzt im Freien lag.

„Lecker!“, gab Jakob von sich.

Verlegen zog ich mein Handtuch zu Recht.

„Schade“, grinste mich Jakob an und setzte sich neben mich.

Sanft nahm er mich in den Arm und küsste mich. Ich spürte seine warme Hand auf meinem Rücken, was sich wohltuend auf meinen Körper auswirkte.

„Ich sehe schon… du hast dir ordentlich blaue Flecke eingefangen.“

Und als wollte er dies unterstreichen, drückte er auf einen am Arm.

„Aua!“, entfuhr es mir und er grinste.

„Soll ich dir den Rücken auch noch eincremen?“

„Wieso, bin ich da auch blau?“

„Na ja… geht…“

Ich reichte ihm die Tube.

„Leg dich auf den Bauch“, sagte Jakob.

Ich tat wie geheißen und wenig später spürte ich Jakobs Hände auf meinem Rücken, wie sie sanft über die Haut glitten. Es tat überhaupt nicht weh, sondern war einfach nur schön. Ich schloss meine Augen und genoss es in vollen Zügen.

Irgendwann zog Jakob, ohne einen Ton zu sagen, einfach am Handtuch. Etwas verschüchtert hob ich meinen Hintern und er zog das Handtuch unter mir weg. Bisher war es bei mir und Jakob nur beim Schmusen und Streicheln geblieben.

Bis auf das eine Mal im Unterricht hatte ich Jakob auch nie wieder so entblößt gesehen, wie jetzt auf dem Bild, das über meinem Bett hing. Ich spürte, wie sich in der unteren Region das Blut sammelte, aber die weichen Hände von Jakob dominierten.

Süchtig nach den Streicheleinheiten, stöhnte ich leise auf, als Jakobs Hand über meinen blanken Hintern wanderte. Plötzlich verschwanden Jakobs Hände kurz und ich wollte schon aufsehen, doch da waren sie wieder an meinem Körper.

Ich ließ mich einfach fallen, spürte nur noch Jakobs Hände. Seine Hände hielten inne und dann spürte ich etwas Weiches am Nacken. Jakob küsste mich. Ein Schauer lief durch meinen Körper.

Ich konnte Jakobs Atem spüren, der warm über meinen Nacken streifte. Die Hände wanderten über meine Schultern zu meinen Armen. Plötzlich spürte ich Jakobs Oberkörper auf meiner Haut und er küsste mich wieder.

Er hatte schnell seinen Pulli ausgezogen und so nahm ich die Wärme seiner nackten Haut auf meiner Haut wahr. Es war ein herrliches Gefühl und ich konnte nur leise aufstöhnen, wenn ein weiterer Kuss auf meinem Nacken folgte.

Plötzlich spürte ich Jakobs Hände auf der Seite, wie er versuchte, mich umzudrehen. Etwas verschüchtert ließ ich das geschehen, voll bewusst, dass mein Schwanz steif war. Ich öffnete meine Augen und schaute in Jakobs Augen.

Er grinste und näherte sich wieder. Wenig später vereinigten sich unsere Lippen zu einem Kuss. Anfänglich noch sanft, dann immer stürmischer. Meine Hände wanderten über Jakobs nackten Rücken, was ein irres Gefühl war.

Während seine Hände über meinen Körper wanderten, was ein Stöhnen nach dem anderen verursachte. Bis seine Hand plötzlich meinen Schwanz berührte. Keuchend hielt er inne und schaute mich an.

Ich sagte nichts, ließ ihn einfach gewähren. Er stand auf, kickte seine Schuhe von sich und im Nu stand er ebenso nackt vor mir. Bis jetzt hatte ich ja nur die Beule unter der Shorts auf dem Bild, das ich gezeichnet hatte.

Aber jetzt stand mir ein großes Teil entgegen, das genauso steif war wie meiner. Langsam kuschelte sich Jakob wieder an mich. Es heizte mich noch zusätzlich auf, Jakobs nackten Körper nun auf meinem zu spüren.

Unsere Schwänze standen hart zwischen uns rieben sich aneinander. Ein leises >ich liebe dich< hauchte mir Jakob ins Ohr, bevor wir wieder ins Küssen verfielen. Heftig rieben sch unsere Körper aneinander.

Ich spürte tief in mir ein wohlbekanntes Gefühl aufkommen, dass ich bisher immer nur alleine verspürt hatte. Mir kam es, ohne dass auch nur eine Hand meinen Schwanz berührte. Zu sagen >ich komme< dazu kam ich nicht mehr.

Mit einem lauten Aufschrei entlud ich mich, bekam nur am Rande mit, dass Jakob in meinen Armen ebenso laut aufschrie und spürte nur noch in den Wellen des Orgasmus, wie es ziemlich feucht zwischen uns wurde.

Keuchend lag Jakob auf mir. Beide waren wir nicht in der Lage, einen Ton zu sagen. Immer noch zuckten unsere Körper unter den leichten Berührungen des Anderen.

„Wow“, kam es von Jakobs Lippen.

Er hob seinen Kopf und sah mich an.

„Hast du das schon einmal erlebt?“, fragte ich leise.

Er schüttelte den Kopf.

„Du bist der erste Junge… mit dem ich im Bett bin.“

Der Kontrast zwischen Jakobs dunkler und meiner hellen Haut, turnte mich irgendwie an, ich spürte, wie sich schon wieder Leben unten breit machte.

„Hast du noch nicht genug?“, fragte Jakob, dem das natürlich nicht entgangen war.

Verlegen grinste ich.

„Ich kann nichts dafür… du bist einfach… so … so schön… sanft geil!“

Nun wurde auch Jakob verlegen. Auch wenn er eine sehr dunkle Haut hatte, konnte man das Rot auf seinen Wangen erkennen.

„Ich liebe dich!“, hauchte ich diesmal, was er mit einem, > ich dich auch< quittierte.

*-*-*

Ein Geräusch weckte mich und ich sah nur noch, wie meine Tür sanft zugezogen wurde. Die kleine Lampe auf dem Schreibtisch brannte noch. In ihrem Schein sah ich nun Jakob, der halb auf mir auf dem Bauch schlief.

Nach dem er zu Hause angerufen hatte, dass er über Nacht wegblieb, hatten wir uns wieder ins Bett gekuschelt und mussten irgendwann eingeschlafen sein. Ich lächelte und gab ihm einen Kuss auf seine muskulöse Schulter.

Draußen im Flur nahm ich leise Geräusche wahr. Mein Blick fiel auf den Wecker, kurz nach zwei Uhr nachts.

Ich löste mich vorsichtig aus Jakobs Umarmung und stand auf. Schnell hatte ich mir eine Shorts angezogen und schlüpfte so in den Flur. Dort verstaute Mum gerade ihre Schuhe.

„Hi“, sagte ich leise.

„Hi… sorry, habe ich dich geweckt?“

„Nicht schlimm, ich muss eh auf die Toilette.“

„War es schön?“, fragte meine Mum.

Ich wurde knall rot, weil ich wusste, was meine Mum meinte.

„Sorry, vergiss es, ich habe nichts gefragt“, meinte sie grinsend.

Sie kam auf mich zu, gab mir einen Kuss.

„Schlaf gut weiter und lass deinen Engel nicht so lang alleine. Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, sagte ich verdutzt und sie verschwand in ihrem Zimmer.

Ich ging noch schnell auf die Toilette. Als ich ins Zimmer kam, lag Jakob immer noch so in meinem Bett, wie ich ihn verlassen hatte. Schnell kroch ich zu ihm ins warme Bett.

„Das ist gemein…“, hörte ich ihn brummen.

„Was?“, meinte ich und hob meinen Kopf.

Langsam drehte er sich um und schaute mich an.

„Du hast etwas angezogen“, meinte er und ich spürte seine Hand, wie sie über mein schlaffes Teil streichelte.

Ich atmete tief durch und stand noch mal auf. Ich feuerte die Shorts in die Ecke und stieg nackt wieder ins Bett.

„Besser so?“, fragte ich.

„Klar!“, antwortete Jakob und zog mich auf sich.

*-*-*

Ich wurde wieder wach, als es draußen schon hell wurde. Na ja hell, durch die Wolken wurde es ja nicht richtig hell. Ich drehte mich zur Seite… Jakob war weg. Im gleichen Augenblick ging die Tür auf und ein nackter Jakob stolzierte rein.

Ich musste grinsen, sagte aber keinen Ton.

„Was?“, fragte Jakob, während er über mich stieg und wieder seinen Platz hinter mir im Bett einnahm.

„Ähm… du weißt, dass wir nicht alleine sind… oder?“

„Bitte?“

„Meine Mum ist wieder da und du läufst einfach draußen nackt herum.“

Entsetzt schaute er mich an, doch dann machte sich ein Lächeln breit.

„Sie findet mich eh süß… na und?“

Darauf wusste ich nun keine Antwort und zog ihn einfach an mich, um ihn wieder zu küssen.

„Und was jetzt?“, fragte Jakob, „aufstehen?“

„Also, Mum wird noch etwas liegen bleiben, die ist erst gegen zwei vom Dienst gekommen.“

„Also bleiben wir beide auch noch etwas liegen?“

„Ja!“, erwiderte ich seine Frage.

„Was wird am Montag sein…?“, fragte Jakob weiter.

„Wie am Montag?“, fragte nun ich, weil ich die Frage nicht verstand.

Jakob drehte sich seitlich zu mir und stützte seinen Kopf auf der Hand ab.

„Montag in der Schule…, was wird da sein?“

„Was soll da sein? Ich verstehe deine Frage nicht.“

Sein Finger fuhr mir über die Brust… was bei mir zu einem erneuten Schauder führte.

„Na ja, kennen wir uns in der Schule… reden wir miteinander…?“

Ich richtete mich auf und sah Jakob fragend an.

„Klar reden wir miteinander, du bist mein Freund, ich liebe dich…“

„Seien wir doch mal ehrlich, du weißt doch, wie es auf unserer Schule läuft. Du bist weiß, ich bin schwarz, wir verkehren normalerweise nicht miteinander.“

„Was soll das jetzt?“, fragte ich entsetzt, „mir ist das egal… welche Hautfarbe du hast, Jakob, deswegen verleugne ich doch nicht unsere Freundschaft! Würdest du das tun?“

Jakob schwieg und schaute nach unten. Das tat weh… ein Stich ins Herz.

„Ich liebe dich … auch… will aber nicht, dass du unter unserer Freundschaft leiden musst…“

„Leiden?“

„Du weißt wohl wirklich nicht, was uns blüht, oder? Ich bin es gewohnt, dass man mir wegen meiner Hautfarbe Dinge nachruft. Aber du, was machst du, wenn dir jemand Negerficker hinterher rufst?“

Ich war unheimlich traurig, über das, was Jakob gerade sagte.

„Ich kann es nicht verantworten, dass man dich… den ich so liebe…, mit so etwas verletzt.“

Ich umklammerte meine Knie und starrte aufs Bettende.

„Fällt dir früh ein…“, kam es etwas säuerlich über meine Lippen.

„Ich geh dann wohl lieber…“

„Warum?“, fragte ich etwas lauter, „ willst du jetzt wegrennen?“

„Ich habe keinen Bock auf Diskussionen, die unsere Hautfarbe betreffen.“

„Du hast doch damit angefangen!“

Schnell hatte Jakob seine Sachen zusammengesucht und war angezogen.

„Ich tu das nur für dich…“, meinte er trotzig und mir schien, eine Träne gesehen zu haben.

„Ach wie edel von dir“, meinte ich sauer und stand ebenfalls auf.

Jakob schaute mir kurz in die Augen und verließ dann mein Zimmer, ohne einen weiteren Ton zu sagen. Etwas später hörte ich nur noch, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel. Ich ließ mich wieder aufs Bett fallen und fing an zu heulen.

Es klopfte an meiner Tür. Ich sah auf und sah Mum dort stehen.

„Ist etwas passiert?“

Ich zog mir die Decke hoch und vergrub mich in ihr.

„Ach nichts!“, meinte ich sauer und weinte weiter.

Ich hörte nur noch, wie die Tür zuging. Tief verletzt weinte ich weiter.

*-*-*

Das Wochenende war ohne Jakob vorbei gegangen. Auf meine Anrufe und SMS hatte er nicht reagiert. Nun stand ich übermüdet in der U-Bahn Richtung Schule. Wie jeden Morgen, war sie hoffnungslos überfüllt.

Dicht an dicht drängten sich die Menschen. Ich versuchte erst gar nicht, Jakob in diesem Getümmel zu finden. Ich wusste ja nicht mal, ob er im selben Wagon war. In der Schule angekommen, hatte sich auch nichts verändert.

Lediglich Sam und die anderen, die ich durch Jakob kennen gelernt hatte, sahen mich verächtlich an und grüßten nicht mal, als ich sie grüßte. Sollte es doch stimmen, was Jakob gemeint hatte?

Hier an der Schule herrschten andere Gesetze. Als ich mich umschaute, konnte ich aber derartiges nicht entdecken. Hier lief jeder mit jedem, egal was für eine Hautfarbe. Ich hatte mein Spint erreicht.

Ich betätigte das Zahlenschloss und öffnete die Tür. Ein Blatt kam mir entgegen geflogen, landete auf dem Boden. Ich hob es auf und faltete es auf.

Du schwules weißes Schwein, wenn du dich das nächste Mal bückst steh ich hinter dir!

Erschrocken schaute ich herum, den Flur rauf und herunter. Keiner nahm eine Notiz von mir, niemand belächelte ich. Schnell faltete ich den Zettel zusammen und verstaute ihn in meiner Jacke.

Ich entnahm die Bücher für den Unterricht und verschloss den Spint wieder. Ohne in irgendeine Richtung zu schauen lief in ins nächste Klassenzimmer, wo ich Unterricht hatte. Was sollte ich jetzt nur machen…?

Ich konnte dem Unterricht nicht folgen, wie in Trance nahm ich Teil, war aber nicht bei der Sache. Auch hier nahm niemand sonderlich Notiz von mir, es starrte mich jedenfalls niemand an.

So verging Stunde um Stunde, bis zur großen Pause. Ich holte meine Jacke aus dem Spint und lief hinaus in den Schulhof. Suchend stampfte ich durch den Schnee. An einer Ecke des Schulgebäudes wurde ich fündig.

Da standen Sam und einige, die ich beim Eislaufen kennen gelernt hatte.

„Dein weißer Arsch bist hier fehl am Platz!“, sagte Sam giftig und baute sich vor mir auf.

„Ich suche Jakob…“

„Der ist für dich nicht zu sprechen!“

„Wieso das?“

„Hast du nicht schon genug angerichtet?“

„Was habe ich? Ich habe gar nichts gemacht, ich…“, antwortete ich und wurde von Sam unterbrochen, als er mich mit der Hand am Kragen packte.

Klar, ich hatte voll Schiss. Sam war eine Kampfmaschine, jedenfalls vom Aussehen her.

„Weißbrot, du hättest Jakob sehen sollen am Wochenende… was hast du ihm angetan… so habe ich Jakob noch nie erlebt… er hat sogar geweint!“

Der Druck an meiner Kehle verstärkte sich, meine Luft wurde weniger. Schweiß brach auf meiner Stirn aus.

„Has…hast du ihn gefragt, warum… er so drauf ist?“

„Nein, ist doch sonnenklar!“

„Nichts ist sonnenklar! Hättest du ihn gefragt, dann wüsstest du dass ihr schuld seid und all die anderen auf der Schule.“

Sam schaute mich an, die Hand immer noch an meinem Kragen. Plötzlich ließ der Druck auf meine Kehle nach, ich bekam wieder Luft. Ich griff mir an den Hals.

„Das versteh ich nicht, was meinst du?“, fragte Sam.

Die anderen waren plötzlich auch ruhig geworden und hörten interessiert zu.

„Jakob will nicht, dass ich wüsten Beschimpfungen ausgesetzt werde… weil er Schwarz ist und ich ein Weißer… so a la Weißbrot!“

Na ja, ‚Weißbrot’ war ja sicherlich kein schlimmer Schimpfname, aber es zeigte Wirkung. Schuldbewusst schaute Sam zu den Anderen.

„Sorry, ich habe das nicht so gemeint, wusste nicht, dass dich Weißbrot stört.“

„Und was soll dann das?“, fragte ich und holte den Zettel aus meiner Jacke und drückte ihn gegen seine Brust.

Sam nahm den Zettel und faltete ihn auf. Er las kurz.

„Das habe ich nicht geschrieben…, war das einer von euch?“, meinte Sam zu seinem Gefolge und drehte sich zu ihnen um.

Der Zettel machte die Runde und allgemeines Kopfschütteln war die Folge. Nur das letzte Mädchen hielt den Zettel länger in der Hand.

„Das ist die Schrift von Salma!“, meinte sie und reichte Sam den Zettel wieder zurück.

„Salma?“, fragte ich, „kenne ich nicht.“

„Das ist die Ex von Jakob, aber keine Sorge, darum kümmere ich mich!“

Ich nickte und so langsam kroch die Kälte in mir hoch.

„Und wo ist jetzt Jakob?“, fragte ich erneut.

„Jakob ist heute nicht zur Schule erschienen“, meinte Sam.

Ich sehnte mich wahnsinnig nach Jakob.

„Wann hast du aus?“, fragte Sam plötzlich.

„Normal gegen vier.“

„Gut! Dann gehen wir gemeinsam zu Jakob.“

 

„Wir beide?“

 

Ich war noch nie bei Jakob, wusste nur ungefähr, wo er wohnte.

 

„Ja, weil ich ihm den Kopf waschen werde und du ihn dann trösten musst!“

 

Sams weiße Zähne erschienen, als er breit lächelte. Er hob die Hand und streckte sie mir entgegen.

 

„Und entschuldige – wegen vorhin“, setzte er noch nach.

 

Ich schlug ein.

 

„Schon vergessen!“, sagte ich, obwohl ich log, mein Hals tat immer noch weh.

 

„Danke, Bruder!“

 

Wow, er hatte Bruder gesagt, war ich jetzt angeschwärzt? Ich musste lächeln, obwohl es mir  bei der Kälte nicht danach zu Mute war.

 

„Ich geh dann mal wieder rein, mir wird kalt“, meinte ich und hob die Hand zum Gruß.

 

„Du bist viel zu dünn, Weißbrot, du brauchst mehr Fett auf den Rippen!“, sagte Sam lachend.

 

Noch einer. Gequält lächelte ich zurück und ließ die Gruppe im Schnee stehen. Etwas von ihnen entfernt, atmete ich erst einmal tief durch und fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. Das war knapp gewesen und hätte schief gehen können.

Restlos entnervt betrat ich wieder den Schulkasten.

 

„Wo warst du? Lighthouse und ich haben dich überall gesucht!“

 

Claire.

 

„Ich war draußen und musste etwas erledigen.“

 

„Bei dem Wetter? Das kannst du jemand anderem erzählen. Also – was hast du gemacht?“

 

Claire schien richtig wütend… ich wusste nicht mal warum, denn so dicke Freunde waren wir nun auch wieder nicht.

 

„Ich musste wirklich etwas erledigen“, antwortete ich, obwohl ich eigentlich keine Rechenschaft ablegen musste.

 

Die Tür hinter uns ging auf und ein eiskalter Wind erfasste uns. Der Grund war Sam und seine Gang. Ihnen war es jetzt wohl auch zu kalt geworden.

 

„Man sieht sich, Weißbrot“, meinte Sam und nickte mir zu.

 

Ich schaute ihnen nach.

 

„Was hast du denn mit den Schwarzen zu schaffen?“, fragte Claire.

 

Ich schaute Claire kurz an und schüttelte den Kopf.

 

„Was denn?“

 

„Der Schwarze heißt Sam und ist in Ordnung!“

 

„Und warum nennt er dich dann Weißbrot?“

 

„Ein Spitzname…?“

 

*-*-*

 

Sam hatte unsere Verabredung wieder rückgängig gemacht, weil ihm etwas dazwischen gekommen war. So schloss ich nun die Haustür auf und betrat den kalten Flur des Hauses. Ich ging an dem ewig kaputten Lift vorbei und nahm wie immer die Treppe.

Ich erreichte unseren Flur und durchquerte ihn. Bis jetzt hatte ich weitgehend nur auf den Boden geschaut, aber jetzt kurz vor der Wohnungstür schaute ich auf. Das saß jemand zusammengekauert vor unserer Wohnungstür.

Jakob!

 

„Jakob?“, fragte ich leise.

 

Sein Blick war starr auf die andere Seite gerichtet. Seine Augen waren rot vom Weinen, auch sonst sah er nicht sehr gut aus. Etwas eingetrocknetes Blut konnte ich kurz unter dem Haarrand sehen.

 

„Wie lange sitzt du denn hier schon?“, fragte ich ihn, „was ist passiert?“

 

Warum hatte er nicht geklingelt, Mum war doch da. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloss und schloss auf. Drinnen brannte Licht.

 

„Mum? Bist du da?“

 

„Hallo Thomas. Ja, wo sollte ich denn sonst sein?“

 

Sie erschien aus der Küche und stoppte abrupt, als sie Jakob auf dem Boden vor unserer Tür bemerkte. Sie zeigte auf ihn, während ich mit den Schultern zuckte. Ich griff nach Jakobs Arm und zog ihn hoch.

Wie gesagt, ich war nicht sehr kräftig und ich bereute es das erste Mal, dünn zu sein. Nur mit Mühe bekam ich Jakob auf die Füße.

 

„Was ist passiert?“

 

„Ich weiß es nicht, Mum. Ich habe ihn so vor der Tür gefunden.“

 

„Warum hat er nicht geklingelt?“

 

„Mum… du siehst doch, dass er nicht reagiert, wie sollte ich ihn da das fragen?“

 

„Ich mach einen Tee“, meinte Mum und verschwand wieder in der Küche.

 

Ich zog Jakob herein und schloss hinter ihm die Tür. Danach entledigte ich mich meiner Sachen und hängte sie an die Gardarobe, während Jakob einfach so da stand und sich nicht rührte.

Ich seufzte und ging zu ihm. Ich zog ihm seinen Schal aus und danach die Jacke. Der Typ war völlig durchnässt.

 

„Warst du die ganze Zeit draußen?“, fragte ich.

 

Keinerlei Regung – er starrte ins Leere. Ich zog die Augenbrauen hoch und bückte mich nach unten zu seinen Schuhen. Ich knubbelte die Knoten auf und nur mit Mühe bekam ich die Stiefel aus.

 

„Der ist ja völlig daneben“, hörte ich plötzlich meine Mutter hinter mir sagen.

 

Erschrocken drehte ich mich um.

 

„Man Mum, erschreck mich doch nicht so. Klar ist er daneben und dazu noch total durchnässt.“

 

Mum ging ein Schritt auf Jakob zu und tastete sein Gesicht und Hände ab.

 

„Thomas, hole ein paar Decken aus meinem Zimmer. Ich glaube, Jakob hat sich unterkühlt.“

 

„Wäre ein heißes Bad nicht besser?“, fragte ich.

 

„Später, erst die Decken!“

 

Besorgt ging ich in ihr Zimmer und zog drei Decken aus dem Schrank. Mum war mit Jakob in der Zwischenzeit mit ihm in meine Zimmer gegangen.

 

„Ähm und jetzt?“, fragte ich.

 

„Das wirst du tun müssen, ich kann ihn nicht aus seinen nassen Klamotten befreien und außerdem könnte er jetzt auch ein bisschen menschliche Wärme gebrauchen.“

 

Etwas vorwurfsvoll schaute ich meine Mutter an, als hätte ich ihm die verweigert, aber darüber wollte ich jetzt nichts sagen.

 

„Ich mach den Tee fertig, den kannst du ja später holen und bring seine nasse Sachen mit.“

 

Ich nickte und sie ging aus meinem Zimmer und schloss hinter sich die Tür.

 

„Jakob?“, fragte ich, aber er reagierte nicht.

 

So machte ich mich daran, ihm seine nassen Klamotten auszuziehen. Erst jetzt merkte ich auch, dass Jakob leicht zitterte. Ich überlegte kurz. Von mir konnte ich ihm nichts zum anziehen geben, das war ihm zu klein.

Ich lief zu Mum in die Küche.

 

„Ähm… Mum… hast du noch irgendetwas von Dad da zum Anziehen? Jakob ist viel größer als ich…“ stammelte ich.

 

Sie schaute mich kurz an.

 

„Du meinst … stärker gebaut… nicht so dünn…“

 

Genervt schaute ich sie an.

 

„Ja, einige wenige Sachen, du kannst den Jogginganzug nehmen, dem ich ihm… damals zu Weihnachten gekauft hatte. Dachte… vielleicht passt er dir ja irgendwann.“

 

Eine Träne kullerte über ihre Wange. Ich lief zu ihr hin, legte meinen Arm um sie und küsste sie auf die Wange. Sie lächelte mich an.

 

„Wird schon werden, kümmere dich lieber um Jakob, der braucht dich jetzt dringender!“

 

Wieder ging ich in das Zimmer meiner Mutter und fand auch nach kurzem Suchen den Jogginganzug. Ein kurzer Blick ins Wohnzimmer ließ mich abbremsen. Ich lief zurück und schaute durch den Spalt der offenen Tür.

Da stand ein kleiner Tannenbaum auf dem Ecktisch.

 

„Ich habe gedacht…, wir sollten Weihnachten wieder feiern… Dad wär bestimmt dafür gewesen“, sagte meine Mum hinter mir, die ich nicht bemerkt hatte.

 

Ich atmete aus, ließ die Schultern hängen und spürte, wie sich die Tränen in meinen Augen sammelten.

 

„Ich weiß nicht… ob ich das kann. Weihnachten wird für mich nie… wieder so sein wie früher…“

 

Mum legte ihren Arm um mich.

 

„Soll ich ihn wieder zurückbringen?“

 

Ich schüttelte den Kopf und Mum wuschelte mir durch das Haar.

 

„Danke…!“, meinte sie und ging wieder in die Küche.

 

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand. Er fehlte mir so…, alles in mir schrie förmlich nach ihm… aber er würde nie wieder zu mir zurückkommen. Ich atmete tief  durch und ging weiter.

Zurück in meinem Zimmer stand Jakob immer noch so da, wie ich ihn verlassen hatte. So machte ich mich ans Werk und zog ihn aus. Jakob ließ das auch ohne Schwierigkeiten mit sich machen.

Seiner nassen Klamotten entledigt, stülpte ich ihm den Jogginganzug über. Ich zwang mich dazu, nicht an Dad zu denken und schob Jakob auf mein Bett und deckte ihn zu. Dann nahm ich die Decken und wickelte ihn ein.

Immer noch zeigte Jakob keine Regung, er starrte einfach in Richtung Decke. Ich machte mir langsam Sorgen. Mein Blick fiel auf seine Klamotten. Ich stand auf und durchsuchte seine Sachen. Aus der Hosentasche kullerte sein Handy.

Ich sah es mir an, begann auf die Tasten zu drücken – Telefonliste. Ohne zu wissen warum, ging ich die Namen durch, bis ich bei Sams Nummer hängen blieb. Ein kurzer Blick zu Jakob und ich drückte auf Verbindung.

Es dauerte etwas und wollte das Handy schon wieder abschalten, als sich Sam plötzlich meldete.

 

„Mann Bruder, wo steckst du?“, hörte ich Sams Stimme.

 

„Hier ist Thomas.“

 

„Thomas? Wie kommst du zu Jakobs Handy.“

 

„Er ist bei mir!“

 

„Bei dir? Gott sei dank. Seine Mum macht sich Sorgen und ich suche ihn schon überall. Hat das Handy nicht geklingelt?“

 

„Nein…Moment.“

 

Ich ging auf Einstellungen.

 

„Er hat den Klingelton abgestellt“, sagte ich.

 

„Kein Wunder bekomm ich ihn nicht ran. Und, habt ihr euch wieder vertragen?“

 

„Das ist ein Problem. Ich habe ihn vor unserer Wohnungstür gefunden… total weggetreten.“

 

„Shit… und jetzt?“

 

„Kannst du vorbei kommen? Ich weiß mir nicht mehr zu helfen.“

 

„Was soll ich tun? Meinst du, ich kann ihm helfen?“

 

„Das weiß ich eben nicht, aber vielleicht fällt uns ja etwas gemeinsam ein.“

 

„Was macht er gerade?“, fragte Sam.

 

„Nichts, ich habe ihn in mein Bett gesteckt, seine Klamotten sind total durchnässt. Ich weiß nicht, ob er sich unterkühlt hat. Er starrt einfach zur Decke und reagiert nicht.“

 

„Okay…, wo wohnst du?“

 

„Ecke 35te – 24te das grüne Haus.“

 

„Gut, in fünfzehn Minuten bin ich da!“

 

*-*-*

 

Sam brauchte länger als gesagt. Nach einer halben Stunde klopfte es an unserer Tür.

 

„Ist für mich, Mum! Ich mach auf!“, rief ich.

 

Mum erschien im Flur.

 

„Du bekommst Besuch?“

 

„JA, von Sam, einem Freund.“

 

„Du hast Freunde?“

 

„Na ja… wie man das halt so nennt, außerdem ist Sam auch ein Freund von Jakob“, meinte ich und öffnete endlich die Tür.

 

„Boah, wenn ich gewusst hätte, wie stark der Schnee fällt, wäre ich zu Hause geblieben.“

 

Ein völlig vermummter Sam stand vor mir, den ich eigentlich gerade nur an seiner Größe erkannte.

 

„Leg ab, hier ist es warm“, meinte ich.

 

Er zog Mütze und Schal aus und sein breites Grinsen kam zum Vorschein.

 

„Nett habt ihr es hier“, meinte er, als ich seine Jacke an die Garderobe hängte.

 

„Hallo“, kam es von der Küche.

 

„Hallo Mrs. … Millford.“

 

„Sag Monica… sonst komm ich mir so alt vor“, meinte Mum, „auch einen Tee?“

 

„Danke… gerne!“

 

Und schon war sie wieder in der Küche.

 

„Nette Mum hast du“, meinte Sam und rieb sich die Hände.

 

Ich zuckte mit den Schultern.

 

„Jakob ist in meinem Zimmer“, meinte ich nur und lief vor.

 

Sam folgte mir. Jakob lag immer noch starrend da.

 

„Mensch Bruder, was machst du denn für Sachen?“, fragte Sam und setzte sich auf den Bettrand.

 

Jakob reagierte nicht. Sam sah mich kurz an.

 

„Nicht böse werden“, meinte er und bevor ich fragen konnte warum, holte Sam aus und schmierte Jakob eine.

 

Die Reaktion war überwältigend. Jakob zuckte zusammen und fing wild an mit den Händen zu fuchteln, fluchte, dass ich Angst haben musste, meine Mum hörte was davon. Lediglich Sam saß ruhig da und grinste.

 

„Er ist wieder bei den Lebenden“, meinte er zu mir.

 

„Fuck, Sam! Was soll das?“, hörte ich Jakob sagen.

 

„Jake, ganz ruhig, das alles hast du dem hier zu verdanken“, meinte Sam und räumte das Blickfeld für Jakob, damit er mich sah.

 

„Wie komme ich hier her und“, Jakob richtete sich auf, hielt aber sofort die Hand an den Kopf.

 

„Boah, wer hat mir denn da eine verpasst?“

 

Jakob sah mich fragend an.

 

„Mich darfst du nicht fragen. Du warst durchnässt vor unserer Tür gesessen, mehr weiß ich auch nicht“, sagte nicht.

 

Ich hatte meine Arme vor meiner Brust verschränkt und blieb auf meinem Platz stehen. Klar, ich wäre gern zu ihm und hätte ihn in den Arm genommen…, aber ich war immer noch sauer auf ihn.

 

„An was kannst du dich denn noch erinnern?“, fragte Sam.

 

„Ich war zu Hause…, das Handy klingelte… Moment… Salma.“

 

Anscheinend kam die Erinnerung zurück.

 

„Salma hat angerufen und wollte mit mir sprechen“, erzählte Jakob.

 

„Dachte, deine Ex will nichts mehr mit dir zu tun haben?“, fragte Sam.

 

„Dachte ich auch, aber sie meinte, sie bräuchte meine Hilfe.“

 

„Aber was war dann passiert?“

 

Sam sprach laut aus was ich dachte.

 

„Und was wollte sie dann von dir.“

 

„Nichts. Ihr Bruder erwartete mich an ihrer Stelle.“

 

„Clay Matschgesicht? Den gibt es noch?“

 

„Ja und das habe ich wohl auch ordentlich zu spüren bekommen!“

 

„Wieso?“, fragte nun ich.

 

„Er meinte, ich hätte seine Schwester entehrt…“

 

„Salma… entehren? Sie ist nur peinlich…, dafür hat sie schon selber gesorgt!“, kam es von Sam.

 

„Sag das ihrem Bruder!“

 

„Hat er dich so zugerichtet?“, fragte Sam und fasste an Jakobs Stirn.

 

Jakob griff selber nach der Stirn.

 

„Habe ich geblutet?“

 

„Scheint so.“

 

Ich stand immer noch da und so langsam beschlich mich das Gefühl, gar nicht anwesend zu sein.

 

„Ich glaube, ich muss mal mit Matschgesicht Clay ein paar Worte reden und ihm die Augen über seine Schwester öffnen.“

 

„Das lässt du schön bleiben, ich will nicht noch mehr Ärger!“

 

„Ärger wegen Salma?“

 

„Nein… Ärger… wegen …Thomas…“

 

Bitte, was soll das jetzt heißen? Gleichzeitig schauten Sam und Jakob mich an. Es wurde immer besser! Wo war ich da nur reingeraten? Eingeschnappt verließ ich das Zimmer und ging zu Mum.

 

„Hier, kannst den Tee gleich mitnehmen“, meinte sie und sah mich an, „ist was?“

 

„Ach Fuck, ich wünschte mir, alles wär wie früher… wo Dad noch da war… Irgendwie war da alles leichter.“

 

„Ich kann dir deinen Dad nicht ersetzten…“, meinte Mum leise und traurig.

 

„Ach Mum… so habe ich das doch jetzt nicht gemeint.“

 

Sie schaute mich mit glasigen Augen an. Ich konnte nicht anders und fiel ihr um den Hals. Bis uns ein Räuspern unterbrach. Sam stand an der Küchentür.

 

„Kommst du wieder rein?“, fragte Sam.

 

Ich wischte mir die Tränen aus den Augen.

 

„Hat das noch einen Sinn… ich meine, wenn er so viel Ärger wegen mir hat…?“

 

Mum schaute mich fragend an.

 

„Kann es sein, dass hier gerade ein paar Missverständnisse ablaufen?“, fragte Sam.

 

Ich zuckte mit den Schultern. In Sam hatte ich mich wirklich getäuscht. Anfänglich dachte ich noch, irgend so eine hirnlose Kampfmaschine, die Baseball spielt. Aber jetzt? Sam zeigte eine Seite an sich, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Man soll halt nicht vom Äußeren auf den Menschen schließen.

 

„Klar, er hat Ärger wegen dir, aber nur, weil er zu dir steht… er liebt dich!“

 

Er liebt mich… für mich waren das gerade einsilbige Wörter, die gleich wieder verflogen. Mein Vertrauen zu Jakob war angeknackst.

 

„Tut mir leid… in meinem Kopf ist gerade…“, ich brach ab und ließ mich auf den Küchenstuhl fallen.

 

Sam und Mum setzten sich ebenso an den Tisch. Sie verteilten die Tassen und schenkten Tee ein, ohne etwas zu sagen.

 

„Als wir noch auf dem Land lebten, da war alles irgendwie so viel leichter. Da war alles unbeschwerter. Ich hatte super Eltern, auf die ich mich immer verlassen konnte, sowas in der Art >Fels in der Brandung<.“

 

„Ist es das nicht mehr?“, kam es von Sam, wo doch eigentlich die Frage von Mum hätte kommen sollen.

 

Ich schaute in ihr trauriges Gesicht.

 

„Doch Mum gibt mir immer noch Halt, wenn ich es brauche. Aber seit Dad nicht mehr da ist…, es hat sich soviel geändert… ich komme damit nicht richtig klar. Gut Mum muss Geld verdienen, hat wenig Zeit für mich, das kann ich ihr nicht vorwerfen.

 

„Aber?“, kam es diesmal von Mum.

 

„… ich vermisse eben die Nähe, wie ich sie früher genossen habe…“

 

„Meinst du, mir fehlt sie nicht? Sieh mal, Thomas. Da drinnen liegt Jakob…“

 

„Nein, der steht hier!“, kam es von der Tür.

 

Erschrocken schauten wir zur Tür, wo Jakob im Jogginganzug stand. Mum zog einen Hocker herbei und machte Anstalten, Jakob sollte sich setzten.

 

„Also noch mal von vorne“, begann wieder Mum, „es ist ganz normal, dass die Kinder irgendwann flügge werden. Du hast jetzt Jakob kennen gelernt und bist frisch verliebt…. Na ja, anscheinend mit Schwierigkeiten. Aber bei dir ist es ein Sonderfall. Normalerweise geht so etwas schon langsam, aber bei dir ist dies abrupt passiert.“

 

„Als Dad starb…“, Mum schluckte kurz, „und wir hierher zogen, wurde dir alles genommen, was dir lieb war und ich musste arbeiten gehen, damit wir uns über Wasser halten konnten. Von einem Tag auf den anderen warst du auf dich alleine gestellt.“

 

Ich nickte nur und schaute auf Jakob, der ohne Regung meinen Blick erwiderte.

 

„Es tut mir Leid, Thomas, dass ich mir so wenig Zeit für sich genommen habe, ich wusste nicht, dass dich das so schwer getroffen hat.“

 

„Ich mach dir ja keinen Vorwurf!“

 

„Empfinde ich auch nicht so… Doch jetzt hast du die Möglichkeit, etwas Neues zu schaffen. Du hast Jakob! Du liebst ihn, hast du gesagt. Also wo ist das Problem?“

 

„Das Problem bin ich…“, meinte Jakob.

 

„Wieso?“, fragte Mum.

 

„Ich bin Schwarz!“

 

„Jakob, also ich denke, ich habe meinen Sohn gut genug erzogen, über dieses Thema nichts Negatives zu äußern.“

 

„Nein Mrs. Millford…“

 

„Monica!“

 

„Hä?“

 

„Ich heiße Monica!“

 

„Ach so… also Monica. Das meinte ich auch nicht.“

 

Jakob atmete tief durch.

 

„Es ist die Gesellschaft. Wenn ein Weißer mit einer Schwarzen zusammen lebt, wird doch schon schräg geguckt… wie ist es dann erst, wenn zwei Schwule unterschiedlicher Farbe sind?“

 

„Bist du so abhängig von deiner Umwelt? Glaubst du wirklich, meinem Sohn ist es wichtig, was die anderen von ihm halten, oder über ihn reden.“

 

Mum kannte mich ziemlich gut. Und da ich hier in New York eigentlich gar keine richtigen Freunde besaß, war es mir eh egal, was man über mich redete.

 

„Ich wollte doch nur vermeiden, dass Thomas wegen mir Ärger bekommt.“

 

„Meinst du, er ist nicht alt genug dazu, das selbst zu entscheiden? Vertraust du ihm so wenig?“

 

Die Worte hallten in der Küche nach und Jakobs und meine Blicke trafen sich.

 

„Also ich seh da kein Problem!“, mischte sich wieder Sam ein.

 

„Weißt du Jakob, Liebe heißt auch, Verantwortung übernehmen, zu Dingen zu stehen“, redete Mum weiter.

 

„Ich hatte das Glück, zwanzig Jahre mit einem Mann verheiratet zu sein, der immer zu dem stand, was er sagte und fühlte. Ist dein >ich – liebe – dich< ernst gemeint, oder nur so ein >ich – schwebe – auf – Wolke – sieben – Gefasel <“

 

Jakob wurde rot und Sam grinste. Das liebte ich so an meiner Mum. Immer direkt und mit dem Kopf durch die Wand.

 

„Ich liebe Thomas wirklich“, meinte er lese.

 

„Dann steh auch dazu. Du bist jetzt nicht mehr alleine, ihr seid zwei, die zusammen gehören. Das meinte ich vorhin mit Verantwortung. Du liebst Thomas, also übernimmst du auch Verantwortung für ihn und er natürlich auch für dich!“

 

Stille.

 

Jeder hatte seine Tasse in der Hand und schwieg.

 

„Thomas…?“, kam es plötzlich von Jakob.

 

Er hatte so einen flehenden Blick in den Augen.

 

„Jakob, ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht, ob du schwarz bist oder weiß. Ich hab mich in Jakob verliebt, nicht in die Hülle, die ihn umgibt. Gut, ich gebe ja zu, du siehst verdammt gut aus, das ist vielleicht noch ein Bonus. Aber ich liebe dich – dich, Jakob! Mir ist es echt egal, was andere denken und wenn wir auf dieses Thema zu reden kamen, habe ich es als Spass empfunden. Mich stört es mittlerweile nicht mal mehr, dass Sam Weißbrot zu mir sagt.“

 

Sam verschluckte sich an seinem Tee und meine Mum begann, herzhaft zu lachen.

 

„Weißbrot… aha“, meinte sie.

 

*-*-*

 

Der Cd – Player spielte leise >Holy Night<, während ich mit Mum den Tannenbaum schmückte. Ich hatte nicht gewusst, dass sie den ganzen Schmuck aufgehoben und mit nach New York genommen hatte.

Sie nahm die letzte Schachtel aus dem Karton und zog vorsichtig den Engel heraus, der früher immer unsere Baumspitze schmückte.

 

„Bisher hat das immer Dad gemacht“, meinte ich.

 

„Deswegen denk ich, dass du ihn jetzt auf die Spitze setzt. Dad wäre stolz auf dich, Thomas!“

 

Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und reichte mir den Engel. Ergriffen nahm ich ihn entgegen und steckte ihn auf die Spitze.

 

„Dein Dad wird immer in uns weiterleben, Thomas, immer bei uns sein, auch in diesen Momenten, wo er uns am meisten fehlt“, sprach meine Mum leise weiter.

 

Ich nickte und wischte mir die Tränen aus den Augen.

 

„Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragte Mum plötzlich.

 

Ich schaute auf meine Armbanduhr.

 

„Oh, eigentlich sollten wir schon unterwegs sein.“

 

„Dann komm, lass uns aufbrechen, die Kartons können wir später noch wegräumen.“

 

Ich nickte. Gemeinsam gingen wir in den Flur und zogen uns an. Mum löschte das Licht und schloss die Wohnungstür hinter uns. Es hatte endlich aufgehört, zu schneien und draußen war eine klare, eisig kalte Nacht.

Mum hängte sich bei mir ein und gemeinsam liefen wir los. Um diese Zeit waren nicht viele Leute auf der Straße. Überall in den Fenstern konnte man bunte Lichter sehen, ab und an war eine Weihnachtsmelodie zu hören.

Wir bogen in den nächste Straße und ich konnte schon den Weihnachtsbaum vor der Kirche entdecken. Er kam mir größer und mächtiger vor, als im letzten Jahr. Ja, letztes Jahr wollten wir kein Weihnachten feiern, doch war ich heimlich zu diesem Tannenbaum gelaufen, weil ich das Weihnachtsfest vermisste.

Wir waren fast dort, als ich schon Jakob erkennen konnte, der uns zuwinkte. Wie wir waren Jakobs Geschwister und seine Mum tief eingemummt. Es folgte eine herzliche Begrüßung, jeder umarmte jeden.

Drinnen war schon das erste Orgelspiel zu hören. Jakob nahm mich an der Hand und zog mich Richtung Eingang. Seine Augen glitzerten im Schein der Weihnachtsbaumbeleuchtung. Sein Mund formte sich zu einem >I love you< und ich erwiderte ohne einen Laut von mir zu geben >I love you too!<

Jakob zog die Tür auf und gemeinsam betraten wir die Kirche. Alles war in Kerzenschein getaucht. Wir suchten uns eine Bank, in die wir alle hinein passten, während ein Kinderchor >Merry Christmas< sang. Die Kirche füllte sich und das erste Lied wurde angestimmt.

Gemeinsam mit den anderen sangen wir nun >Holy Night<. Jakob suchte meine Hand und drückte sie. Ein kurzer Blick zu ihm… ein Lächeln… ich war glücklich!

 

Ende

 

Euch allen ein schönes Weihnachten. Pitstories meldet sich nach Weihnachten wieder zurück.

Bis dann euer Pit

 

 

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