Nachtschatten – Teil 1 – Wie alles begann

Florian

CONSTANTIN

Ich weiß noch, als ich ihn das erste Mal sah.

Alles begann mit einem Wasserschaden. Man muss wissen, es war ein altes Haus, das ich zu jener Zeit bewohnte. Alt und mit erschreckend maroden Rohrleitungen. Aber wen kümmern schon Rohrleitungen? Solange Wasser aus dem Hahn fließt, gibt es wenig Grund, über Rohrleitungen nachzudenken. Laurentius meinte sofort, zu platzen sei ihre Form der Rache für die Nichtbeachtung, die wir ihnen Weiterlesen

Umfrage Betapool

Die Umfrage nach dem Betapool ist nun beendet. Mit eindeutiger Mehrheit von 68% wird ein Betapool gewünscht und hier mit der neuen Seite auch eingeführt.

Neue Homepage

Aufbau der neuen Pitstories – Homepage.

Die zweite Chance – Teil 7

„Was willst du hier?“

Florians Stimme war nur als leises Zischen zu hören.
Ihm gegenüber stand Sascha. Seit Monaten hatte er ihn nicht mehr gesehen. Und noch länger war es her, dass Florian ihn als besten Freund bezeichnet hatte. Weiterlesen

Volle Dosis – Teil 1

„Scheiße! Alles nur noch Scheiße!“ Eben komme ich von meinem Arzt, habe seine für mich schicksalhaften Worte noch im Ohr: „Herr Lukas Kowalski, ich kann Ihnen leider nichts Gutes berichten. Die Chemotherapie hat bei Ihnen nicht gewirkt. Ihre Erkrankung ist sogar schneller fortgeschritten, als ich annehmen konnte. Bereiten Sie sich darauf vor, dass Ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt. Ich gebe Ihnen noch maximal 6 Monate, in denen Sie wohl sehr leiden müssen! Ich würde Ihnen sehr empfehlen, dass Sie sich um die Einweisung in ein Hospiz bemühen…“ Weiterlesen

Die zweite Chance – Teil 6

Eine halbe Woche war Florian mit seiner Familie jetzt schon wieder zu Hause. Die meiste Zeit hatte er zu seinem Leidwesen im Bett verbringen müssen. Die Kopfschmerzen und die verstopfte Nase hatten sich einen Tag nach der Rückreise zu einer starken Erkältung entwickelt. Mit allen Grippesymptomen die dazugehören. Weiterlesen

Die zweite Chance – Teil 5

Am nächsten Morgen grummelte Florian in sein Kissen.
Irgendetwas hatte ihn gestört und geweckt. Aber was es war, war ihm noch egal. Dafür war es mit Sicherheit noch zu früh am morgen.
Kurz darauf wiederholte es sich jedoch. Ein kurzes Aufblitzen, als hätte er die Augen geöffnet. Weiterlesen

Dorkas – Teil 3

Einleitung zum Finale

„Hallo, lieber Leser. Es freue mich riesig, dass Du die Ausdauer hast, um nun auch noch den vorläufigen Schluß meiner (geschriebenen) Geschichte mit mir virtuell zu erleben. OK, ich glaube, es geht in diesem Teil weitaus friedlicher zu, aber etwas Gefühlsduselei kann ich Dir leider nicht ersparen. Und alles ist ganz anders, als… Viel Vergnügen noch! Dorkas.“ Weiterlesen

Dorkas – Teil 2

Einleitung zwei

„Hallo, lieber Leser. Schon, dass Du mich, Dorkas, nach dem Lesen meines ersten Teiles wieder besuchst. Draußen regnet es immer noch, ein Grund weiter zumachen, aber ich kann jetzt auch nicht vom Text loslassen, weil ich vor dessen Ende nicht zur Ruhe kommen kann. Da sind halt immer noch Emotionen, die der Aufarbeitung bedürfen. So, viel Spaß weiterhin! Dorkas.“
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Die zweite Chance – Teil 4

„Und? Was wirst du so machen?“

Florian stand mit Kathrin unter ihrem Baum auf dem Schulhof.

„Wie machen?“

„Mensch Florian! In den Ferien natürlich! Wo bist du denn wieder mit den Gedanken?“
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Dorkas – Teil 1

Einleitung

„Hallo, lieber Leser. Ich bin Dorkas, hauptberuflich als Student und Überlebenskünstler tätig. Hier im Norden ist wieder dieses Schmuddelwetter, hier auch Schietwetter genannt, und niemand bekommt mich jetzt hinaus. Die Gelegenheit, um an meinen persönlichen Aufzeichnungen weiter zuarbeiten. Weiterlesen

Die zweite Chance – Teil 3

„Deinem Knöchel geht’s ja wieder ganz gut.“

Florian stand mit Kathrin und Marcus unter dem Ahorn und wartete auf die Anderen damit sie zumindest noch einen Teil des Weges zusammen nach Hause gehen konnten.

„Ist ja auch schon zwei Wochen her.“
„Klasse, dann kannst du ja mal wieder mit in den Park!“ freute sich Marcus.
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Die zweite Chance – Teil 2

„Morgen Florian! Du bist spät dran und hast noch nicht mal was gefrühstückt!“

„Morgen Mama. Mit dem Rad komm ich noch rechtzeitig und Hunger hab ich eh nicht.“

„Dann nimmt dir wenigstens was zu Essen mit“, rief sie ihm nach als er auch schon zur Haustüre rannte.

„Ich muss los Mama. Ich kauf mir unterwegs was.“
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Killian – Teil 5

Ich spürte seine Hände an meinem Gesicht. Wie sie mich sanft streichelten. Ganz langsam bewegte sich sein Mund mit den zum Küssen einladenden Lippen auf mich zu. Immer näher kamen sie, da spürte ich auf einmal, wie mich seine Hände an den Schultern packten und mich schüttelten.

„…an…Wa…auf…Ki…an…Wach auf, Killian.“ Weiterlesen

Engel

Hey Ihr Schnuffis. Ich weiß, Weihnachten ist noch eine Weile hin, aber da hier auf der Website schon einige Storys in dieser Richtung unterwegs sind, geselle ich mich einfach mal hinzu. ^^ Wem der Anfang etwas bekannt vorkommen sollte, wird sich vielleicht wundern und hat auch recht. (siehe Pits‘ „Freiflüge an Weihnachten“). Das liegt daran, dass wir im Jahre 2005 zusammen an einer Weihnachtschallenge teilgenommen hatten. Bei dieser war ein Anfang vorgegeben und man sollte ihn nach belieben fortsetzen. Was dabei raus gekommen ist, könnt Ihr hier nachlesen. Besonderen Dank geht hierbei an mein großes Bruderwesen, der mir kurz vor Einsendeschluss die Korrektur durchs Telefon gegeben hat *den Großen mal mega dolle knuddeln tu*. ^^ Über Feedback jeder Art freu ich mich natürlich immer: hyen@hyen.de So, und nun viel Spaß an der Story. LG hyen

„Jetzt beeil dich endlich, wir haben noch viel vor.“, hörte ich meine Mutter irgendwo sagen.
Hallo! Ich bin 17 und dein Sohn und nicht dein Schwertransporter. Mühsam schleppte ich die ganzen Tüten diverser Modegeschäfte und Einrichtungshäuser durch die Einkaufspassage. Jedes Jahr zu Weihnachten dasselbe Spiel: Meine Mutter zückt die Kreditkarte meines Vaters und macht die Stadt unsicher. Und ich, ihr heiß geliebter, einziger Sohn, darf Packesel spielen. Toll, oder?
„Kommst du jetzt endlich?“
„Ja! Ich bin unterwegs. Kannst du mir vielleicht mal was abnehmen? Ich seh kaum noch was.“
„Stell dich nicht so an, die paar Sachen.“

Wenn es nur ein paar Sachen wären, würde ich bestimmt nicht halb blind durch die Gegend laufen und mich aller paar Sekunden bei wildfremden Leuten entschuldigen müssen, weil ich sie anremple oder auf ihren Schuhen herumtrete. Durch eine Lücke der verschieden großen Pakete, welche durcheinander auf meine Arme gestapelt waren, konnte ich ein Stück meiner Mutter in ihrem roten Mantel sehen, der vor mir her wehte. Mit einem Mal blieb sie ohne Vorwarnung stehen. Total überrascht versuchte ich meine Beine zu bremsen, aber es war zu spät. Mit einem „Wahhh“ von mir und einem „Uff“ meiner Mom prallte ich auf ihren Rücken. Glücklicher Weise hatte ich nicht mehr so viel Schwung drauf gehabt, so dass der Turm von Paketen zwar bedrohlich schwankte, jedoch, dank einiger balancierender Schritte meinerseits, nicht umkippte. Prüfend blickte ich den Berg von Geschenken vor meiner Nase an, dann atmete ich erleichtert auf, als ich sah, dass noch alles an seinem Platz war.

„Was machst du den, Alex? Hast du keine Augen im Kopf?“, blaffte meine Mutter mich genervt an.

„Oh entschuldige! Durch das ganze Zeug vor meinem Gesicht hab ich nicht gesehen, dass du mitten in deinem Marathonlauf ohne ein Wort der Warnung anhältst!“

„Entschuldige, mein Schatz, aber du weißt doch, wie wichtig mir dieses Fest ist. Schau mal wer hier ist. Das ist doch der kleine Dastin mit seiner Mami. Du bist aber groß geworden.“, fing meine Mom in einer quietschsüßen Stimme an zu reden und beugte sich zu einem Kinderwagen hinunter.

Eine stolz grinsende Frau stand uns gegenüber und grüßte, als sie mich hinter den Paketen erkannte. Es war unsere Nachbarin mit ihrem Kind, die mich fast mitleidig und doch ein bisschen belustigt anschaute.

„Hallo Alex, das ist aber lieb von dir, dass du deiner Mutter beim Einkaufen hilfst. Wenn mein kleiner Schatz etwas älter geworden ist, wird er mir bestimmt auch gerne helfen, nicht wahr.“, meinte sie, wandte sich zu ihrem Sohn und verfiel in die Babysprache meiner Mutter.

Beide Frauen waren nun über den Kinderwagen gebeugt und bemutterten den Jungen. Der Kleine tat mir richtig leid. Wieso müssen Frauen sich immer so seltsam benehmen, wenn sie ein Baby in die Finger bekommen? Ich glaube, wenn Dastin schon laufen oder sprechen könnte, würde er fluchend wegrennen.

So stand ich nun da, voll gepackt mit riesigen, teils auch schweren Schachteln und hörte mir das Getratsche der Frauen an, während meine Arme immer länger wurden. Wie war das noch mal? „Wir haben noch viel vor und wenig Zeit?“ Super. Ganz toll. Genervt versuchte ich mich in eine halbwegs bequeme Position zu stellen, ohne ständig von anderen angerempelt zu werden und ging meiner Lieblingsbeschäftigung nach. Leute beobachten.

Zum Glück fand ich ein Stück neben mir ein etwas breiteres Werbeschild auf Hüfthöhe. So konnte ich meine schmerzenden Arme entlasten und mich in Ruhe umschauen. Viel gab es leider nicht, was für mich von Interesse hätte sein können. Kleine Kinder, die quengelnd hinter ihren genervten Eltern hertapsten, einige Pärchen, die eng beieinander durch die Passage schlenderten und sich verliebte Blicke zuwarfen, gestresst aussehende Menschen, die voll gepackt durch die Menge hetzten.

Doch am Rand der Rolltreppe bei der Raucherinsel stand jemand, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war gut einen halben Kopf größer als ich, hatte ein breiteres Kreuz und so nen Igelhaarschnitt mit blond gefärbten Spitzen. Er trug eine helle Stoffhose und einen Pullover in beige. Drunter schien er ein dunkles Hemd zu tragen, da der Kragen am Hals über den Pullover drüber gekrempelt war. Alles an ihm sah perfekt aus, seine elegante Bewegung, als er genüsslich mit seinen schmalen Lippen an seiner Zigarette zog, wie er eine Sekunde lang wartete, um dann den Rauch sinnlich auszuatmen.

Verträumt stand er gute fünf Meter von mir entfernt und musterte die Leute um sich herum. Ich fragte mich, auf wen er wohl wartet, als er seinen Kopf auf einmal genau in meine Richtung wandte. Viel zu perplex um wegzuschauen, starrte ich ihn weiterhin an. Man, ich machte mich bestimmt gerade zum Volldeppen, aber ich konnte einfach nicht anders. Und was machte der Typ? Er fing an zu lächeln. Gott, sah der lecker aus. Ich unterdrückte den Impuls, mich sofort an seinen Hals zu schmeißen, um ihn zu küssen und versuchte zurückzugrinsen. Ob mir das gelang? Keine Ahnung. Das Lächeln dieses Schnuckels wurde auf jeden Fall immer breiter. Ein letztes Mal zog er an seiner Zigarette, bevor er sie im Aschenbecher ausdrückte und dann auf mich zukam. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich wurde nervös.

Als dieser Gott fast bei mir war, setzte ich schon zu einem schüchternen „Hi.“ an. Mit einem Mal aber wurde ich von hinten angerempelt, so dass wieder der Berg aus Paketen gefährlich zu schwanken begann. Verärgert drehte ich mich zu der Person um, die dafür verantwortlich war, doch diese stürmte weiter und klammerte sich an meine Schönheit. Beide gaben sich einen innigen Kuss, bei dem man sogar ab und zu die Zunge sehen konnte. Angeekelt und enttäuscht drehte ich mich weg.

„Mom, komm schon. Wir müssen weiter.“, maulte ich genervt und schaute noch mal kurz zu dem Pärchen. Die Beiden blickten nur belustigt zu mir rüber und schlenderten dann Arm in Arm gemütlich davon.

„Kommst du Schatz, oder willst du bis Weihnachten dort stehen bleiben?“, fragte mich meine Mutter drängelnd, worauf ich mir die Geschenke schnappte und ihr folgte.

Sie stand indes schon auf der Rolltreppe zum oberen Geschoss der Passage und überflog ihren Einkaufszettel. Also eine richtige Rolltreppe war es gar nicht. Eher ein Rollband, damit Einkaufs- und Kinderwagen bequem alle Stockwerke erreichen konnten. Super. Was für ein Tag. Zuerst werd ich von meiner eigenen Mom als Lasttier missbraucht und dann dieser Typ mit seiner Tusse. Besser konnte es doch wirklich nicht mehr werden, oder? Dachte ich zumindest.

Ich drängelte mich gerade an den Leuten vorbei, die von der oberen Etage kamen, als etwas mit voller Wucht gegen mich prallte. Krachend fiel ich auf den Boden, gefolgt von den Paketen.

„Ahhh, was verdammt noch mal…“, protestierte ich stöhnend und richtete mich halb auf.

Eine kleine Menschentraube hatte sich um mich gebildet und ein paar Leute musterten mich besorgt, andere räumten sogar schon die Kartons wieder auf einen Haufen. Verärgert suchte ich nach diesem Vollidioten, dem ich das zu verdanken hatte und fand ihn ein paar Meter vor mir, wie er seine Stirn betastete. Der Typ trug eine legere Hose und einen weiten Pullover mit Kapuze, die er weit über seinen Kopf gezogen hatte. ‚So ein Traumtänzer hat mir jetzt gerade noch gefehlt.’, dachte ich wütend, stand auf und ging auf den Jungen zu. Dieser hatte sich ebenfalls erhoben und betrachtete das Chaos um sich herum. Er drehte mir gerade den Rücken zu, als ich anfing ihn anzuschnauzen.

„Sag mal, hast du keine Augen im Kopf, oder was?“

Der Typ reagierte überhaupt nicht, sondern kniete sich zu den Paketen und Tüten nieder und fing an, diese zusammen zu scharren.

„Hey, ich rede mit dir!“

Wieder nichts. Der Junge tat weiterhin so, als ob er mich nicht hören würde. Ich war nahe dran, den Kleinen – er war vielleicht nen halben Kopf kleiner als ich – am Kragen zu packen und mal kräftig durchzuschütteln. Nur schaute er auf einmal auf. Er blickte aber nicht zu mir, sondern fixierte starr die Rolltreppe. Irritiert folgte ich seinem Blick und sah ein paar Männer vom oberen Stockwerk kommen, die sich mühsam einen Weg durch die Menschen erdrängelten. Irgendwie kamen mir die Kerle so vor, als wären sie aus einem Men in Black Film entsprungen. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Sonnenbrille. Nur die schwarzen Handschuhe, die sie trugen, passten nicht wirklich dazu.

„Da ist er.“, rief einer der Typen seinen Leuten zu, worauf der Junge vor mir aufsprang, sich umdrehte und nach vorne stürzte. Genau in meine Arme.

„Man, was soll denn das?“, blaffte ich ihn an. Dann hob der Kleine seinen Kopf und blickte mir direkt in die Augen.

Wow. Das war das einzige, was mir in diesem Augenblick einfiel. Er hatte ein Gesicht wie ein Engel. Volle Lippen, leicht hohe Wangenknochen, blasse Haut, lange Wimpern und diese Augen. So eine Farbe hatte ich bisher noch nie gesehen. Sie schimmerten in einem hellen Braun, an manchen Stellen sogar in dunkelsandigem Gelb. Keine Ahnung wie lange wir so dastanden, aber mir kam es wie eine kleine Ewigkeit vor. Nicht mehr Herr über meinen Körper lockerte ich meinen Griff um die Oberarme des Jungen, den ich vorher so von mir geschobenen hatte, um ihn noch besser anschauen zu können.

„Gleich haben wir dich, Freundchen!“, drang die siegessichere Stimme eines der Typen in schwarz zu mir vor, worauf der Junge sich gehetzt umsah und dann wieder zu mir zurück blickte.

„Ich mach’s wieder gut, versprochen.“, sagte mein Engel, riss sich von mir los und lief davon. Total verwirrt starrte ich ihm hinterher, bis ihn die Menschenmenge endgültig verschluckte.

Die Männer in den Anzügen stürzten dem Jungen nach, ohne auch nur die geringste Notiz von mir oder das Durcheinander um mich herum zu nehmen. Ich stand nur da wie bestellt und nicht abgeholt und war zu keiner Bewegung fähig.

Wenig später merkte ich, wie meine Mom mir fachkundig das Gesicht, besonders meine Beule an der Stirn, abtastete und besorgt auf mich einredete. Einige Aufseher der Passage kamen uns endlich zur Hilfe, schleppten die Tüten und Kartons zum Auto meiner Mutter und mich zum Erste-Hilfe-Zimmer. Nach einer halben Stunde durfte ich es wieder verlassen und meine Mom brachte mich erstmal nach Hause.

Sie machte sich tierische Vorwürfe, weil sie mich viel zu sehr belastet hatte und entschuldigte sich am laufenden Band bei mir. Ich war noch nicht mal fähig, dem was entgegen zu setzen. Nicht, weil mich meine Mutter ja wirklich als Schwertransporter missbraucht hatte, eher weil ich die Augen meines Engels einfach nicht mehr aus dem Kopf bekam.

Meiner Mom half ich noch die ganzen Pakete und Tüten in unsere Wohnung im Dachgeschoss zu schaffen (zum Glück gab es einen Fahrstuhl), dann schnappte ich mir eins der Kühlkissen, die, durch den Sport, den meine Schwester betrieb, immer vorrätig im Kühlschrank lagen und verkroch mich auf mein Zimmer. Ich warf mich auf mein Bett, angelte die Fernbedienung meiner Musikanlage und ließ die CD anlaufen, die gerade im Player lag. Sanft erklangen die ersten Töne, wurden schneller und von Zeit zu Zeit auch etwas härter. Ich legte das Kühlkissen auf meine Stirn, schloss die Augen und lauschte den Liedern von Schandmaul.

Die Welt um mich herum verschwand, einzig die Musik existierte noch. Und wieder tauchte der Junge vor mir auf mit dem Gesicht eines Engels. Ich merkte, wie ich immer weiter ab triftete und mich dann der Schlaf einholte. Erst durch ein Klopfen wachte ich später wieder auf. Meine Mom steckte ihren Kopf durch die Tür und schaute mich besorgt an.

„Darf ich rein kommen?“

„Klar.“, antwortete ich verschlafen.

„Na wie geht’s dir mein Schatz? Tut es noch sehr weh?“, fragte sie und reichte mir ein neues Kühlkissen.

„Nö, geht schon.“, meinte ich und gab ihr das Alte.

„Alex, das mit heute Nachmittag…“, setzte sie reumütig an.

„Lass mal. Dafür kannst du doch nichts.“

„Ach ich hätte einfach besser aufpassen müssen. Es ist jedes Jahr das Gleiche um diese Zeit. Weißt du, erst meine Arbeit, dann der Stress wegen den Geschenken und der Haushalt macht sich auch nicht von alleine.“

„Mom, jetzt bleib aber mal ganz ruhig. Wenn du irgendwie Hilfe brauchst wegen Wohnung und so, du weißt, dass Sahra und ich dir gerne helfen. Du musst nur sagen, was wir machen sollen.“

„Ach Schatz, ich weiß doch, aber manches mach ich doch lieber selbst.“

„Stimmt, meine Schwester würde ich auch nicht freiwillig an den Herd lassen.“, kicherte ich, worauf mich meine Mom gespielt mahnend anschaute.

„Ehrlich gesagt war ich richtig froh, Alex, als du die schlechte Note mit nach Hause gebracht hast. Da dein Vater durch seine Arbeit erst kurz vor Weihnachten nach Hause kommt, brauchte ich jemanden, der mir bei den Einkäufen hilft. So fiel mir die Entscheidung zwischen meinen beiden Schätzen nicht so schwer.“

„Na toll.“, meinte ich äußerst begeistert, konnte mir ein Grinsen aber nicht verkneifen. „Mom, ich glaube du solltest einfach lernen, dich zu entspannen. Die Läden in der Passage auf dem Hauptbahnhof haben bis 22 Uhr geöffnet und glaube mir, gerade zu Weihnachten hat jedes Geschäft genug Zeugs auf Lager. Wieso also hektisch werden?“

„Schatz, ich glaube du verstehst nicht ganz recht. Dein Vater und ich haben unser Weihnachtsgeld erhalten, was gerade bei Michael nicht wenig ist. Und dann bekomme ich seine Kreditkarte in die Hand gedrückt. Zeig mir bitte auch nur eine Frau, die da ruhig bleiben kann! Ein Stück müsstest du dass doch auch verstehen, oder?“, sagte sie lachend und zwinkerte mir zu.

„Mom, bitte nicht schon wieder dieses Klischee. Ich bin schwul und keine Frau – zum Glück! So was Komisches wie ne feminine Seite hab ich nicht.“

„Das stimmt.“, lachte meine Mutter und wuschelte mir durchs Haar. „Mach dich kurz frisch mein Schatz. Das Abendbrot ist gleich fertig.“, sagte sie und drückte mir nen Kuss auf die Stirn. Dann stand sie auf und ging zur Tür.

„Du, Mom?“

„Hm?“

„Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch mein Schatz.“

Kurz fiel ich wieder aufs Bett zurück und kuschelte mich in mein Kissen. Vielleicht lag es an Weihnachten, der festlichen Stimmung oder einfach nur daran, dass ich zur Zeit verdammt sentimental war. Auf jeden Fall wurde mir in diesem Moment wieder mal bewusst, was ich für ne richtig schöne Familie hatte. O.K. Vielleicht waren wir alle ein wenig durchgeknallt, aber gerade das gefiel mir.

Mein Vater zum Beispiel ist leidenschaftlicher Soldat bei der Bundeswehr. Deshalb war er auch zur Zeit nicht zu Hause, da er mit irgendwelchen Neulingen ne Übung mitten in der Pampa durchführte. Meine Mom ist Direktorin einer Mittelschule und hatte somit nicht viel weniger Arbeit. Aber sie liebte ihren Job, auch wenn die Kids ihrer Meinung nach immer schlimmer wurden und kaum einer ne Zukunftsperspektive hat. Denen schien es egal zu sein, ob sie später eine Lehrstelle bekommen würden oder nicht. Die meisten wussten noch nicht einmal, welchen Beruf sie mal erlernen wollten. Eigentlich voll traurig.

Und meine kleine große Schwester? Sie war ein Unikat. Klein groß deshalb, weil sie einen Kopf kleiner, aber anderthalb Jahre älter war als ich. Sie machte gerade so ne bürotechnische Lehre und nicht wie ich Gymnasium. Irgendwas hat sie danach noch vor, aber was genau verriet sie keinem. Was sie zum Unikat machte? Na ja, dazu gab es viele Argumente, doch eines war das, dass sie dem Anschein nach Schmerz liebte. Sonst würde sie nie freiwillig zum Kampfsporttraining gehen.

Der einzige, der halbwegs normal war, war ich. O.K., ich war schwul, aber so unnormal ist das nun auch wieder nicht. Vor über einem Jahr hatte ich mich bei meiner Familie geoutet. Die Reaktionen waren recht unterschiedlich. Meine Schwester zum Beispiel fragte fast im gleichen Atemzug was es zum Mittag gab (verfressene Göre). Meine Mom holte den Whisky und zwei Gläser, nahm nen kräftigen Schluck aus ihrem Glas und sagte streng zu meiner Schwester, dass der Fortbestand unserer Familie nun allein in ihre Hände fallen würde. Dann stand sie auf und nahm mich in ihre Arme. Sie hat nichts gesagt, hat mich einfach nur gedrückt und später ganz leise „Ich liebe dich“ geflüstert.

Für meinen Vater war es allerdings nicht so einfach. Er fragte mich ein paar Mal, ob ich mir auch wirklich sicher sei und das nicht nur ne Phase war. Aber dann, nachdem er schon zwei Gläser auf Ex getrunken hatte, meint er, dass er sich zwar erst dran gewöhnen müsste, aber ich immer sein Sohn bleiben würde, egal was noch passiert. Als sich dann alle beruhigt hatten, warf ich noch in den Raum, dass ich in jedem Fall trotzdem noch meinen Wehrdienst leisten und niemals Zivi machen würde, worauf mein Vater nur meinte, dass das ihm gerade noch gefehlt hätte. Dann fingen wir alle laut an zu lachen und gingen, zur Freude meiner Schwester, in die Küche um endlich Mittag zu essen.

Meine Familie war eindeutig die Beste, die ein Junge wie ich sich wünschen konnte.

„Alex kommst du endlich? Das Abendbrot ist schon lange fertig und ich hab Hunger.“, holte mich meine genervt klingende Schwester aus meinen Gedanken.

„Du hast immer Hunger.“, rief ich ihr hinterher, stand auf und lief fix ins Bad, um mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen und meine Haare zu richten. Ich wollte sie mir etwas länger wachsen lassen, aber nun wuselten die wie Zotteln auf meinem Kopf und mochten nicht so liegen bleiben, wie ich es wünschte.

„Das hilft eh nichts.“, drang die belustigte Stimme meiner Schwester zu mir. Sie hatte sich lässig gegen den Türrahmen gelehnt und grinste mich schelmisch an.

„Danke für die Blumen.“

„Bütte bütte. Nu komm. Mutti hat frisches Gehacktes gekauft.“

„Sag mal, kannst du auch an was anderes denken, als ständig ans Futtern?“

„Klar, an meinen Schatz zum Beispiel. Der sitzt übrigens unten mit Mutti am Tisch und beide warten nur auf uns.“

„Dennis ist da? Cool. Na jut, dann lass uns mal runter gehen. Aber warte mal. Meine Haare hängen mir ständig im Gesicht. Hast du ne Idee?“

„Außer abschneiden? Nimm nen Tuch, falte es schmal zusammen und binde es dir als Kopfband um. Du gehst ja eh so in die Bikerrichtung von den Klamotten her. Da passt das ganz gut. Ich kann dir nen Schwarzes von mir leihen, aber lass uns erstmal essen.“

Nach einen gestöhnten „O.K.“ von mir, gingen wir also in die Küche, damit meine Schwester endlich ihrer Sucht nachgehen konnte. Natürlich wurde am Tisch der Tratsch des Tages ausgetauscht und so bekamen Sahra und ihr Freund brüh warm von meiner Mom erzählt, was heute alles beim Einkaufen passiert war. Meine Schwester verschluckte sich ein paar Mal beim Kichern, was dann wenigstens für mich zum Lachen war.

„Sag mal Alex, was hast du eigentlich mit dem Typen gemacht, der dich übern Haufen gerannt hat?“, fragte Dennis, als wir soweit mit Essen fertig waren und nur noch an unseren Gläsern mit Wein nippten, den meine Mom zum Abendbrot ausgeschenkt hatte.

„Ich hab ihn angeschnauzt, aber der Kerl reagierte überhaupt nicht. Drum bin ich zu ihm hin und wollte ihn mir vorknöpfen. Doch dann kamen solche Männer in schwarzen Anzügen. Echt, das war wie im Film. Der eine Typ rief zum anderen ‚Da ist er’ und zeigte auf den Jungen vor mir. Der schien voll die Panik zu bekommen und stürmte nach vorne, direkt in meine Arme.“

„So unglücklich scheinst du darüber aber nicht zu sein.“, sagte meine Schwester und schaute mich prüfend von der Seite an.

Ich bekam nur ein geseufztes ‚Hm’ raus und musste wieder an meinen Engel denken.

„Oh je, ich glaube, da hat es jemanden voll erwischt.“, stichelte Sahra und grinste mich breit an.

„Ach ich weiß auch nicht. Aber seine Augen… Er sah so traurig aus.“

„Wenn ich dich so anschau, möchte ich auch noch mal jung sein.“, meinte meine Mutter, stand auf und räumte in Ruhe den Tisch ab.

„Nichts is, Mutti, deine Zeit ist vorbei.“, neckte Sahra.

„Na vielen Dank aber auch.“

„Bütte.“

Beide Frauen lächelten sich an, bis meine Mom zu ihrer Tochter sprang und sie ordentlich durchkitzelte. Dennis und ich gingen indes zur Dachterrasse, um eine zu rauchen. Ich leistete also meinem Schwager in Spee nur Gesellschaft, da ich nicht so viel von den Glimmstängeln hielt. Meine Schwester bettelte uns zwar um Hilfe an, aber wenn sich zwei Frauen „bekriegen“, war es gesünder als Mann sich dort nicht reinzuhängen. An diesem Abend verkroch ich mich recht früh ins Bett. Der verrückte Freitag, meine Beule am Kopf und der halbtrockene Wein zum Essen hatten mich so ziemlich zermürbt.

Am nächsten Morgen wachte ich total zerstört auf. Mein Engel hatte mich im meinen Träumen heimgesucht, nur wurde er wieder von den Männern in schwarz verfolgt. Diesmal hatten die Typen ihn geschnappt und schlugen ihn zusammen. Irgendetwas warfen sie ihm vor, was, konnte ich aber nicht hören. Der einzige Laut, der zu mir drangen, war das schmerzhaft klingende Stöhnen des Jungen, wenn die Kerle auf ihn einschlugen. Um von diesen Bildern loszukommen, ging ich ins Bad und stellte mich unter die Dusche. Zuerst schaltete ich das Wasser auf kalt, damit ich erstmal richtig wach wurde. Danach drehte ich es auf schön warm, fast heiß, schloss meine Augen und genoss das friedliche Geplätscher um mich herum. Kaum hatte ich mich etwas entspannt, tauchte sein Gesicht vor mir auf.

‚Ich mach’s wieder gut, versprochen.’ Stimmt, das hatte er gesagt, bevor er weg gerannt war. Nachdenklich kletterte ich aus der Dusche, trocknete mich ab und lief wieder in mein Zimmer um mich anzuziehen.

„Alex, bist du schon munter?“, hörte ich meine Schwester vor meiner Tür fragen.

„Jup, bin ich.“

„Gut ich mach mir gerade nen Cappu. Magst du auch einen?“

„Ja gerne, bin gleich unten.“

„Alles klar.“

Als ich dann endlich Klamotten nach meiner derzeitigen Stimmung gefunden hatte, trabte ich in die Küche und ließ mich auf einen Stuhl fallen.

„Na Kleiner.“, begrüßte mich Sahra und reichte mir den Cappuccino.

„Na Große.“, grinste ich zurück und bedankte mich artig für die Tasse.

„Wo ist denn Dennis abgeblieben?“, fragte ich sie nach einer Weile der Stille.

„Er wollte noch irgendwas besorgen.“

„Ahso.“, meinte ich verwundert, da die Beiden vor zehn Uhr eigentlich nie aus dem Bett zu kriegen waren. Jetzt war es erst kurz vor neun.

„Morgen ihr Beiden.“

„Morgen Mom.“, antworteten Sahra und ich gleichzeitig auf die Begrüßung unserer Mutter.

„So früh schon munter? Entschuldigt, aber ich habe es eilig. Ich treffe mich nachher mit einer Freundin in der Stadt und will vorher auf dem Bahnhof noch ein paar Kleinigkeiten besorgen. Das Mittagessen steht ihm Kühlschrank. Wenn ihr Hunger habt, macht es euch in der Mikrowelle warm. Für Dennis ist natürlich auch genug da. Seid brav und stellt keinen Unsinn an, O.K. Bis heute Abend, ja.“, quasselte meine Mom, drückte jedem von uns einen Kuss auf die Wange und lief dann in den Flur, um sich ihre Schuhe anzuziehen.

„Warte mal. Ich komme mit und helfe dir beim Tragen.“, rief ich ihr hinterher und sprang auf. Im Flur angekommen, fand ich meine Mutter vor, wie sie gerade dabei war, sich ihre Handschuhe drüber zu streifen, jedoch mitten in der Bewegung inne hielt und mich mit großen Augen anstarrte.

„Oh je, ich glaube der Schlag gegen deinen Kopf gestern zeigt langsam seine Nachwirkungen.“, sagte sie besorgt, legte ihre Handschuhe beiseite, kam auf mich zu und prüfte, ob ich Fieber hätte. „Oder haben vielleicht Aliens meinen Sohn entführt und vor mir steht nur eine billige Kopie. Wenn ja, gebt ihn mir wieder. Mein Jüngster ist eh zu nichts nutze!“

„Mom!“ Manchmal glaube ich echt, dass sie sich zu viele Science-Fiction-Filme eingezogen hat.

Meine herzallerliebste Schwester zerkringelte sich hinter mir zu Tode, bis sie sich etwas beruhigt hatte, zu mir trat und ihren Arm um meine Schulter legte. Na, eigentlich legte sie nur eine Hand auf meine linke Schulter, da sie ja viel zu klein war.

„Ich glaube nicht Mutti, dass Alex mit dir mitkommt um dir zu helfen.“

„Hm?“ Verwirrt schaute meine Mom abwechseln zu mir und Sahra. Dann auf einmal fing sie an zu verstehen, denn ein wissendes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Ach so ist das. Na dann beeil dich mal. Ich will nicht zu spät kommen“, lachte sie und deutete auf mein T-Shirt, damit ich mir was Wärmeres anzog.

Wenige Augenblicke später saß ich neben ihr im Auto und sie steuerte souverän das Fahrzeug durch die Straßen. Ich wurde immer nervöser, je näher wir dem Bahnhof kamen und verfluchte jede rote Ampel. Dummer Weise war die Innenstadt die reinste Baustelle, da gerade ein Citytunnel gebaut wurde. In diesem würde später eine U-Bahn fahren, die zu den wichtigsten Punkten der Stadt führen sollte. Ihr könnt euch vorstellen, was das für ein Chaos auf den Straßen war, zum Samstag zwei Wochen vor Weihnachten.

Als wir uns dann endlich durch die ganzen Ausstädter und diversen Baustellenfahrzeugen gezwängt hatten, parkte meine Mutter das Auto im Parkdeck, welches neben dem Hauptbahnhof stand. Dann liefen wir zusammen zu den Einkaufspassagen, die an den Gleisen des Bahnhofes grenzten. Zwar wurde sie wieder etwas hektisch, aber diesmal trug sie sogar ein paar Tüten selbst. Ja, auch Mütter sind lernfähig.

Nach gut zwei Stunden gingen wir beide wieder zum Auto und verstauten die neuen Errungenschaften meiner Mom. Danach schlenderten wir noch gemeinsam zurück zu der Passage. Meine Mutter blieb davor stehen, drehte sich zu mir um, drückte mir einen Kuss auf die Wange und einen Zwanzig-Euroschein in meine Hand.

„Danke, dass du mir geholfen hast mein Schatz. Geh und hol dir was zum Mittag. Und mach keinen Blödsinn, O.K.?“, sagte sie und rieb mit den Fingern über meine Wange, um den Lippenstift davon abzuwischen.

„Mooom.“

„Ja ja, schon gut. Ich hör schon auf. Viel Glück.“, verabschiedete sie sich, worauf ich ein leises, nicht gerade siegessicheres ‚Danke’ erwiderte.

Sie ging Richtung Innenstadt davon und ich durchquerte die schwere Tür des Bahnhofes. Die Passage verlief über drei Etagen. Ganz oben waren MC Doof, ein paar Zeitungsläden und die Zuggleise, in der Mitte überwiegend Mampfbuden und unten Klamotten- und Schuhläden. Ich holte mir was Kleines vom Bäcker und durchkämmte in Ruhe alle drei Stockwerke. Leider fand ich nicht das, wonach ich suchte.

Nach gut zwei Stunden sinnlosen Rumgelaufe, setzte ich mich frustriert auf eine Bank, stützte meine Arme auf meine Beine und fuhr mir durch die Haare. Wie kam ich auch nur auf die dumme Idee, dass ich ihn hier wieder treffen würde, oder dass er sein Versprechen hielt??? Ich fing an, die Leute zu beobachten, die von der oberen Etage kamen und fröhlich miteinander schwatzten. Lustiger Weise bemerkte ich erst jetzt, dass ich genau an dem Ort saß, wo ich ihm das erste Mal begegnet war. Innerlich musste ich über mich selbst lachen.

Dann fielen mir wieder die Männer in schwarz ein. Warum hatten die es auf ihn abgesehen? Waren das vielleicht Ladendetektive und der Kleine hatte einfach nur was geklaut? Nein, dafür sahen diese Typen zu… zu professionell aus. Keine Ahnung warum, aber wenn ich an diese Männer dachte, krampfte sich mein Magen zusammen.

Hhm, das konnte vielleicht auch daran liegen, dass ich tierischen Hunger hatte, denn mein Bauch machte sich durch ein lautes Knurren bemerkbar. Kurz wuschelte ich mir noch mal selbst durchs Haar, dann stand ich auf, um zur nächsten Mampfbude zu gehen. Nur war ich diesmal derjenige, der keine Augen im Kopf hatte bzw. mit den Gedanken alles andere als hier war, denn kaum das ich stand, landete ich wieder auf meinen Allerwertesten. Ich war doch tatsächlich mit jemandem zusammen gestoßen und das nicht gerade sanft.

„Shit. Oh man. Hey tut mir echt leid. Irgendwie hab ich nicht aufgepasst.“, stammelte ich, rieb mir meine Stirn und versuchte die Sterne vor mir wegzublinzeln.

„So sind wir wenigstens quitt.“, meinte mein Gegenüber, richtete sich auf und reichte mir seine Hand, um mir aufzuhelfen.

Aber anstatt sie zu ergreifen saß ich nur weiter auf den Boden und starrte ihn mit offenen Mund an. Mein Engel. Vor mir stand wirklich mein Engel und grinste mich schüchtern an. Ich war wie geplättete. Wie kann man nur so schnuckelig ausschauen?

„Hey, alles klar bei dir?“, fragte er mich, doch nur ganz langsam verstand ich den Sinn seiner Worte.

„Ehm… ja klar. Sorry, ich glaub mich hat es doch härter getroffen als ich dachte.“, sagte ich, ergriff seine Hand und wurde von ihm hochgezogen. Der Kleine schien richtig Kraft zu haben, bemerkte ich und wurde noch viel neugieriger, was wohl hinter der legeren Hose und dem Kapuzenpullover steckte.

„Am Kopf?“, fragte er wieder besorgt und musterte meine Stirn.

„Auch.“ Shit, was laber ich hier nur?

„Du wegen gestern. Das tut mir echt leid. Ich hoffe, du hattest wegen mir nicht all zu viel Stress.“

Hm, entweder hat’s er nicht mitbekommen oder übergeht das Ganze äußerst clever.

„Na ja, ging so.“, erwiderte ich und sah, wie er mich reumütig anschaute. Er hatte zwar die Kapuze wieder über seinen Kopf gezogen, aber seine Augen leuchteten dermaßen, dass ich darin hätte versinken können. Ich konnte meinen Blick einfach nicht vom ihm abwenden, wie er so niedlich nervös an seinem Pullover zupfte.

„Ich bin übrigens Alex.“, sagte ich und reichte ihm meine Hand, die er sichtlich erleichtert ergriff.

„Keyl. Frag nicht erst. Meine Mutter war bestimmt nicht ganz bei Verstand, als sie mir den Namen verpasst hat.“, meinte er auf meinen fragenden Blick, worauf ich mitfühlenden grinste.

„Du, hast du etwas Zeit? Wir könnten uns nen Burger bei Meggens holen oder so.“, fragte ich und versuchte obercool und locker zu wirken. Er senkte nur traurig seinen Kopf und antwortete kleinlaut, dass er total pleite sei. „Was soll’s, dann lad ich dich halt ein.“

„Ne lass mal, ich hab was gutzumachen, nicht du.“, stotterte er bedrückt.

„Lass stecken. Meine Mom hat mir ein bisschen Kohle in die Hand gedrückt, weil sie wegen gestern ein schlechtes Gewissen hat. Also geht das Essen eh auf sie. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich aber lieber zum Chinesen gehen. Auf Burgers hab ich ehrlich gesagt keine Lust.“, lachte ich ihn an.

„Ich weiß nicht. Ist das wirklich O.K.?“

„Klar, wenn du Hunger hast schon“, sagte ich, worauf wie bestellt sein Magen knurrte.

Beide schauten wir uns an und unser Grinsen wurde immer breiter. Zusammen schlenderten wir zu meinem Lieblingschinesen und bestellten uns einen Tee und eine extra große Portion gebratene Ente mit Reis. So saßen wir also in der hintersten Ecke des Lokals und schlürften an unserem Heißgetränk. Ein Gesprächsthema zu finden war nicht schwer. Irgendwie lagen wir auf einer Wellenlänge. Wir redeten über die bescheuerten Baustellen, über die Stadt, über Musik, das Essen, einfach über alles. Viel über sich selbst allerdings erzählte er nicht. Ich wusste, dass er durch den Job seiner Mutter viel von eine in die andere Stadt zog, dass er noch nicht lange hier war, jedoch das Chaos ihm irgendwie gefiel.

Nach einer Weile kam dann endlich das heiß ersehnte Essen, doch als ich mir meine Gabel schnappte um los legen zu können, tat mein Gegenüber etwas total Unerwartetes. Er schob seine Kapuze vom Kopf. Einmal mehr war ich der Überzeugung, dass ich einem Engel gegenüber saß. Er hatte langes, richtig dunkelbraunes, volles Haar, welches er locker nach hinten zusammen gebunden hatte. Einige Strähnen hingen ihm wirr vom Kopf ab, was ihm eine gewisse Wildheit verlieh.

„Sieht’s denn so schlimm aus?“, holte mich Keyl aus meinen Gedanken.

„Ehm. Nein nein. Ich ehm… finde… ehm… es sieht gut aus.“, stotterte ich und wurde bei jeden Wort immer leiser. Mein Gesicht fing unangenehm zu prickeln an, was nur bedeutete, dass ich übel rot anlief. Nervös drehte ich die Gabel zwischen meinen Fingern und wagte es, ihm vorsichtig in die Augen zu schauen. Er grinste mich nur breit an.

„Gut, da bin ich echt beruhigt.“, sagte er, griff nach seinen Stäbchen und fing an zu essen.

Unheimlich geschickt angelte er sich Stücken der Ente, Gemüse oder Reis und ließ diese in seinem Mund verschwinden. Irgendwie schien mir mein Engel richtig ausgehungert zu sein, denn von Bissen zu Bissen wurden seine Bewegungen immer schneller, bis er das Essen halb verschlang. Über meine Beobachtung hinweg vergaß ich fast selbst zu essen, besann mich wieder und fing endlich auch an.

Als ich zum größten Teil meinen Hunger gestillt hatte, schaute ich zu Keyl rüber. Er war schon länger fertig, hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und schien mich zu beobachten. Verlegen senkte er seine Augen, als sich unsere Blicken trafen und fing an, mit seinen Stäbchen zu spielen. Gott sah das niedlich aus.

„Du kannst ja mit diesen Teilen umgehen.“, bemerkte ich und deutete auf die Essstäbchen.

„Eigentlich ist es ganz einfach. Willst du es mal probieren?“

„Klar, wenn du mir zeigst, wie es funktioniert.“

„Gerne.“, lächelte mein Engel mich an und reichte mir seine Stäbchen.

„Also, den tust du hier so auf den Zeigefingern und den Anderen dorthin. Nein nicht so.“, sagte Keyl und versuchte mir zu erklären wo was hingehörte.

Da ich mich aber heidendämlich anstellte, verlor er bald die Geduld, beugte sich zu mir rüber, griff nach meiner Hand und legte die Stäbchen ungefähr so zurecht, dass ich sie benutzen konnte. Nur konnte ich mich ab jetzt überhaupt nicht mehr konzentrieren. Seine schlanken Finger, die mich so sanft berührten, machten mich irre. Nach einer Weiler hatte ich – welch ein Wunder – es doch noch geschafft, die Stäbchen richtig zu bewegen und sogar ein Gemüsestückchen in meinen Mund zu stopfen. Keyl war die ganze Zeit nur am Lachen, weil ich manche Stücke genau in die Soßen fallen ließ und einige Spritzer direkt in meinem Gesicht landeten.

„Los komm, lass uns noch irgendwo anders nen Eis essen. Ich hab Bock auf was Süßes zum Nachtisch.“, sagte ich später und schaute mich nach der Bedienung um, um zu bezahlen. Mein Engel aber blickte mich nur unsicher an. „Du machst dir wohl doch nicht schon wieder nen Kopf ums Geld? Ich sagte doch, dass meine Mom spendabel war. Außerdem gehen wir eh zu Mc Doof. Die haben dort das beste Eis mit warmer Karamellsoße und das kostet gerade mal ein Euro.“

„Ich will dir aber nicht zu sehr auf der Tasche hängen.“

„Tust du nicht. Wenn dem so wäre, hätte ich es dir schon längst gesagt. Ich bin in dieser Hinsicht recht ehrlich. Das gefällt zwar nicht jedem, aber ich find das besser so.“

„O.K.“, meinte Keyl schüchtern und sah dabei wieder zum Anbeißen lecker aus.

Endlich kam die Bedienung an unseren Tisch und ich bezahlte unser Essen. Danach liefen wir nach oben, kauften das besagte Eis und schlenderten zu den Bahngleisen. Mein Engel sah richtig süß aus, wie er das Eis genüsslich löffelte, als hätte er so was noch nie gegessen. Wir setzten uns auf eine Bank vor irgendein Gleis und beobachteten die eintreffenden Züge, die Menschen, die aus denen hinausströmten und die, die einstiegen.

„Irgendwann mal fahr ich auch mit so einem Zug.“, sagte Keyl nach einer Weile träumerisch und lehnte sich so zurück, dass sein Kopf auf der Lehne der Bank lag. Ich glich mich seiner Position an und rückte so – hoffentlich auffällig, unauffällig – noch ein Stück näher zu ihm.

„Du bist noch nie mit nem Zug gefahren?“, fragte ich leise verwundert.

„Noch nie. Meine Mom meint, es sei zu gefährlich.“

„Und was sagt dein Dad dazu?“

„Keine Ahnung. Ich kenn ihn nicht.“

„Oh, entschuldige.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wenn, dann müsste das schon meine Mom machen.“

„Bist du deshalb von zu Hause weggelaufen?“ Verwundert drehte er seinen Kopf zu mir und blickte mich mit großen Augen an. „Komm schon Keyl. Du warst vorhin total ausgehungert, als hättest du Tage nichts mehr Richtiges zwischen die Zähne bekommen. Außerdem versteckst du dein Gesicht ständig unter dieser doofen Kapuze, damit dich ja keiner erkennt. Dabei kannst du dich echt blicken lassen. Die Typen, die gestern hinter dir her gewesen sind, waren entweder viel zu gut gekleidete Ladendetektive, oder, wenn deine Mom zu viel Kohle hat, von ihr angeheuerte Kinderfänger, um dich zurück zu holen.“

Ich drehte nun auch meinen Kopf zu ihm und schaute ihn triumphierend an. Würde ich noch einen Zentimeter näher rücken, würden sich glatt unsere Nasenspitzen berühren. Mein Engel wirkte auf einmal traurig und schien irgendwie mit sich zu kämpfen.

„Zum Teil hast du Recht. Alex, gib mir bitte etwas Zeit. Ich muss mir erstmal über einiges klar werden.“, sagte er und schaute mich ängstlich an.

„Man Keyl, bleib locker.“, erwiderte ich sanft. „Wir sind Freunde und du kannst mir alles erzählen. Und zwar dann, wenn DU bereit dafür bist. O.K.?“

„Freunde?“, hauchte er ungläubig.

„Ich dachte zumindest… ich meine ich…“, stotterte ich unsicher werdend.

„Freunde.“, grinste auf einmal mein Engel überglücklich, was mich wieder beruhigte.

Beide saßen wir wieder schweigend da und beobachteten einigen Tauben, die sich nach drinnen verirrt hatten. Nur das lästige Klingeln eines Telefons durchbrach die angenehme Stille. Keyl suchte kurz in den Seitentaschen seiner Hose, bis er den Unruhestifter fand. Besorgt schaute er auf das Display, klickte den Anruf weg und musterte aufmerksam die Umgebung.

„Was ist los?“

„Nichts, nur das übliche. Du, es tut mir wirklich leid, aber ich muss weg.“, sagte mein Engel nervös und sprang auf. „Danke für den schönen Tag. Es hat echt Spaß gemacht.“ Verlegen und traurig zu gleich sah er mich an und ich wurde weich wie Butter, die zu lange in der Sonne gelegen hatte.

„Also wenn dir das schon Spaß gemacht hat, dann warte erstmal morgen ab.“

„Morgen?“

„Na, wir sehen uns doch wieder, oder?“, fragte ich unsicher. Keyl schien kurz zu überlegen, dann lächelte er.

„Um zwei Uhr an dem Ort, wo wir das erste Mal aufeinander getroffen sind.“

„Wortwörtlich.“, lachte ich und rieb demonstrativ meine Stirn. „Ich werde da sein.“

„Schön, also dann bis morgen.“, verabschiedete sich mein Engel und strahlte mich mit seinen gelb-braunen Augen umwerfend an.

„Bis morgen.“, hauchte ich und sah, wie Keyl sich in Bewegung setzte.

„Ich freu mich.“, rief ich ihm noch hinterher, als er schon ein ganzes Stück weg war. Fast glaubte ich, dass er es nicht gehört hatte, doch dann drehte er sich zu mir um und rief zurück: „Ich auch!“, ging noch ein paar Schritte rückwärts, hob seine Hand zum Abschied, wandte sich dann wieder nach vorn und war hinter der nächsten Werbetafel verschwunden.

Tief seufzend begab ich mich langsam auf den Heimweg. Verträumt saß ich in der Straßenbahn und dachte die ganze Zeit an meinen Engel. ‚Shit, ich hab mir noch nicht mal seine Handynummer geben lassen. Und was hatte ich eigentlich für nen Blödsinn gelabert. Von wegen ich freu mich. Das war ja wohl mega peinlich und auch eindeutig, oder? Aber er freut sich auch, hat er gesagt, oder hat er nur aus Höflichkeit geantwortet?’ Ich zermarterte mir dermaßen den Kopf darüber, dass ich fast meine Haltestelle verpasst hätte und mich nur mit einem Sprung noch aus der Bahn retten konnte.

Zu Hause angekommen verkroch ich mich in mein Zimmer, schaltete meine Musikanlage ein und lauschte den wohligen Klängen von Sub7even, währenddessen ich auf dem Bett lag und an nichts anderes als an meinen Engel denken konnte. Gegen halb Acht rief meine Mom zum Abendbrot und ich tapste in die Küche. Irgendwie hatte ich aber überhaupt keinen Hunger, knabberte die ganze Zeit an einer Schnitte und starrte Löcher in die Luft.

„Ich glaube Mutti, er hat ihn wieder getroffen und diesmal war der Zusammenstoß um einiges heftiger.“, stichelte meine Schwester. Meiner Mutter allerdings bekam große Augen und fing an zu stottern:

„Du meinst die Beiden hatten… sie haben miteinander…“

„Oh Gott, Mutti hör bloß auf. So was will ich mir bei meinem kleinen Bruder gar nicht vorstellen! Außerdem meinte ich nur, dass sich Alex Hals über Kopf in den Jungen verknallt hat.“, unterbrach Sahra sie und schaute empört zu ihr rüber.

„Oh, O.K., gut.“, erwiderte meine Mom und blickte nicht ganz so überzeugt zu mir hinüber. Ich seufzte nur und nahm nicht wirklich das wahr, über was oder wen sich die Frauen unterhielten.

„Hallo Alex, bist du anwesend?“, fragte meine Schwester und schnippte mit den Fingern vor meinem Gesicht.

„Hm?“, mit gerunzelter Stirn schaute ich zu ihr.

„Oh je. Das sieht äußerst schlimm aus. Wann trefft ihr euch denn wieder?“

„Morgen, um zwei Uhr auf dem Bahnhof.“, sagte ich leise, legte meine halb angeknabberte Schnitte auf den Teller und stand auf. „Sorry Mom, aber ich hab keinen Hunger. Bin dann in meinem Zimmer.“

Ich sah noch, wie Sahra und meine Mutter sich seltsam anschauten, dann ging ich aus der Küche, stellte in meinem Zimmer die Musik wieder an und kuschelte mich ins Bett. Von Schlafen konnte allerdings überhaupt keine Rede sein. Schließlich schwirrte er mir ständig durch meinen Kopf und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Gegen späten Abend klopfte meine Schwester an die Tür und setzte sich neben mich auf meinen Bett, als ich sie herein gebeten hatte. Sie fragte mich ein wenig über den Tag aus und nur zu gerne erzählte ich ihr mein Erlebnis. So konnte ich noch mal alles Revue laufen lassen und mit jemandem meine Sorgen teilen. Sahra hörte geduldig zu, kicherte sogar einige Male und lächelte mich zum Schluss liebevoll an.

„Nur Mut Alex. Er mag dich, ganz bestimmt.“, machte sie mir Hoffnung und gab mir nen Kuss auf die Stirn. „Mutti hat dir ein paar Schnittchen gemacht. Die liegen auf einem Teller im Kühlschrank, falls du heute Nacht Hunger bekommen solltest.“, zwinkerte mir meine Schwester zu, wünschte dann eine gute Nacht und ging aus dem Zimmer. Mütter und Schwestern sind echt die seltsamsten Wesen, die es gibt. Da ich überhaupt nicht schlafen konnte, stand ich wirklich mitten in der Nacht auf und lief zum Kühlschrank runter, weil mein Bauch sich lautstark bemerkbar gemacht hatte.

Am nächsten Morgen war ich zum ersten Mal der Erste in der Küche, hatte Kaffee für meine Mom und heißes Wasser für den Cappu meiner Schwester und mich angesetzt und sogar den Frühstückstisch gedeckt. Von meinem Geklapper wurden die beiden Frauen dann auch wach und setzten sich verwundert, teils noch verschlafen an den Tisch.

„Guten Morgen.“, begrüßte ich sie fröhlich.

„Gnaaa, wie kann man zum frühen Morgen schon so munter sein?“, stöhnte Sahra und rieb sich die Augen.

Ich grinste nur weiter vor mich hin und reichte ihr ein frisches Brötchen. Sie lächelte gequält und nahm es dankbar entgegen. Nach dem Frühstück verschwand ich erstmal im Bad, nahm eine kräftige Dusche und putzte mir zum zweiten Mal die Zähne. Dann stand ich vor meinen Kleiderschrank und gleichzeitig vor einem riesigen Problem. Was anziehen? Nach einer guten dreiviertel Stunde entschied ich mich für meine schwarze tarngefleckte BW-Hose und einem Pullover, den ich mal aus dem EMP-Katalog geschenkt bekommen hatte.

Das nächste Desaster waren meine Haare. Ich war nahe dran, die Schere anzusetzen, als die nach einer halben Stunde immer noch nicht so liegen wollten, wie ich es vorhatte.

„Hier.“, unterbrach mich Sahra, die wohl schon eine ganze Zeit im Türrahmen des Bades gestanden haben musste und drückte mir ein schwarzes Tuch in die Hand. Verwirrt blickte ich sie an.

„Pass auf. Du musst es so falten, schau. Dann wird es schmal. Mach dich mal klein! Ich binde es dir gleich um den Kopf.“

Nachdem sie dies getan hatte, zupfte sie noch ein paar Haare an der Stirn über das Tuch und ließ mich dann in den Spiegel schauen. Irgendwie sah ich aus wie eine Mischung zwischen Biker und Grufti.

„Wenn du nicht gerade mein Bruder wärst, könnte ich jetzt schwach werden.“

„Joa, so kann ich mich blicken lassen.“, sagte ich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

„Man sind wir in der letzten Zeit alle sentimental.“, meinte meine Schwester und ging mit mir aus dem Bad.

„Muss wohl an der weihnachtlichen Stimmung liegen.“, erwiderte ich, worauf sie nur anfing zu lachen.

Ich zog mir Schuhe und Jacke über und lief Richtung Haltestelle. Draußen war es sau kalt, deshalb grub ich meine Hände tief in die Jackentasche, nur stieß ich dort auf ein Hindernis. Hervor holte ich meinen MP-3-Player, den ich freudig in Betrieb nahm. Natürlich war ich viel zu früh auf dem Bahnhof und schlenderte deshalb, krampfhaft die Ruhe bewahrend, durch die riesige Eingangshalle.

Es musste gerade ein Zug angekommen sein, denn viele Menschen mit schwer aussehenden Koffern kamen die Treppe herab und liefen Richtung Ausgang. Da kam mir die Idee. Schnell hatte ich mir am Automaten das Gewünschte gezogen, hatte die Zeiten geprüft und ging aufgeregt unserem Treffpunkt entgegen. Es war erst gegen ein Uhr, also noch über eine Stunde Zeit. Ich hoffte irgendwie, dass er genauso hippelig war wie ich und somit auch ein bisschen eher kam. Jedoch war das weit gefehlt.

Halb Drei stand ich immer noch alleine vor der Rolltreppe und lief nervös von einem Ende zum Anderen. Um Drei saß ich total niedergeschlagen auf der Bank und hätte einfach nur heulen können. Kurz nach halb Vier fand ich mich langsam damit ab, dass niemand kommen würde und stand auf. Ich fühlte mich wie ausgekotzt. Ein letztes Mal blickte ich auf die Rolltreppe, dann drehte ich mich um und ging.

Nach wenigen Schritten hörte ich auf einmal hinter mir jemand meinen Namen rufen.

„Alex. Alex, warte. Bitte.“ Mein Herz machte einen Luftsprung, als ich Keyl sah, der mir entgegen rannte und heftig nach Luft japsend vor mir stehen blieb.

„Tschuldige, mir ist was dazwischen gekommen. Ich konnte mich nicht eher abseilen.“, keuchte er und stützte die Hände auf seine Beine.

Man, der Kleine machte mich echt schwach, wie er so schwer atmend vor mit stand und vereinzelte kleine Schweißperlen von seiner Stirn liefen. Aber so leicht wollte ich es ihm nicht machen, dafür war ich einfach zu stinkig. Gerade als ich ihn wütend fragen wollte, was so wichtig war, dass er mich dermaßen versetzte, fing mein Engel an, mich von Unten nach Oben und wieder zurück, zu mustern.

„Sag mal, für wen hast du dich so aufgedonnert?“, fragte er mit groß gewordenen Augen und ruhigerem Atem.

Das war mir einfach zu viel.

„Na für meine Freundin. Für wen denn sonst? Sie ist groß, hat blonde lange Haare und mega Titten. Habe ich echt gestern vergessen, sie dir vorzustellen?!“, schnauzte ich ihn an, drehte mich um und stapfte davon.

„Alex. Bitte warte doch mal. Es tut mir wirklich wahnsinnig leid. Ehrlich. Aber ich konnte nicht eher weg.“, versuchte Keyl sich zu rechtfertigen und lief mir nach.

„Und was war so super wichtig, hm?“

„Nichts weiter, ich wurde nur aufgehalten.“

„Wenn nichts weiter gewesen wäre, hättest du mich nicht gut zwei Stunden sitzen lassen! Was soll der Blödsinn?“, blaffte ich ihn an und blieb stehen.

Eingeschüchtert stand mein Engel vor mir und suchte nach den wohl passenden Worten. Nachdem er nach einer kleinen Weile nichts raus bekommen hatte, schüttelte ich nur meinen Kopf und ging weiter. Keyl allerdings verhaarte an Ort und Stelle und starrte zu Boden.

„Du hast gesagt, dass wir Freunde sind und ich mich dir anvertrauen kann, wenn ich dafür bereit bin. Alex, bitte, ich würde dir ja gerne mehr über mich erzählen, aber ich habe Angst. Angst, dass du dann nicht mehr mein Freund sein willst.“

Verwundert blieb ich stehen und drehte mich zu ihm um. Er hatte seine Hände fest zu Fäusten geballt und schien leicht zu zittern. Ich ging zu ihm und berührte sanft seine Schulter. Er zuckte kurz zusammen, als würde er was Schlimmes erwarten.

„Hey Keyl. Tut mir leid, dass ich dich so angeschnauzt habe. Ich war einfach wütend und da setzt immer mein Verstand aus. Zu dem, was ich gesagt habe, steh ich auch.“, entschuldigte ich mich leise und blickte ihm in die feucht glänzenden Augen.

„Also sind wir noch Freunde?“, fragte mein Engel mich ängstlich.

„So ne bescheuerte Frage, ehrlich mal. Klar sind wir das! Oder dachtest du, dass du mich so leicht los wirst?“, antwortete ich aufmunternd und legte meinen Arm um seine Schulter. „Aber nun komm endlich. Wir sind spät dran.“

Beide lachten wir uns erleichtert an und ich zog ihn mit in Richtung Rolltreppe.

„Was hast du eigentlich vor Alex?“

„Ist ne Überraschung.“ Man, ich freute mich jetzt schon auf sein niedlich dummes Gesicht. Anstatt mich weiter auszufragen starrte Keyl wieder nur auf den Boden und schien zu überlegen. „Hey, alles klar bei dir?“, fragte ich ihn besorgt und drückte sacht seine Schulter.

„Sag mal. Hast du wirklich eine Freundin?“ Er sah einfach mega schnuckelig aus, wie er so schüchtern fragte und mich vorsichtig von unten aus anschaute.

„Ne lass mal. Auf ne Freundin hab ich überhaupt keinen Bock.“, meinte ich und betonte dabei – wie ich hoffte recht eindeutig – die letzten drei Buchstaben. Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf Keyls Lippen ab, was aber wieder verschwand, als er merkte, wohin ich ihn führte.

„Was wollen wir den hier oben auf den Gleisen?“, fragte mich mein Engel und blickte mich verwundert an.

„Zug fahren, was sonst. Ich habe uns zwei Karten besorgt. Zwar nur bis zur nächsten Stadt – wenn man die so schimpfen kann – da mein Budget ein bisschen knapp war, aber ich hoffe, es gefällt dir trotzdem. Komm, wir müssen uns beeilen. Unser Zug fährt gleich los. Da brauchen wir nicht so lange auf den nächsten zu warten.“, antwortete ich und zog ihn weiter. Und tatsächlich, kaum das wir im Zug saßen, fuhr er auch schon los.

„Wir werden nur an wenigen Stationen halt machen, da das ein Regional Express, also eine Direktverbindung ist. Rückzu können wir ja die S-Bahn nehmen, die über die Dörfer fährt.“, erklärte ich meinem Engel, der, aufgeregt wie ein kleines Kind, auf seinem Platz hin und her rutschte.

„Du scheinst wirklich noch nie mit einem Zug verreist zu sein.“, meinte ich und freute mich, dass ihm meine Überraschung gefiel. Er grinste wie ein Honigkuchenpferd und blickte dann fasziniert aus dem Fenster. Wir fingen wieder an, uns über alles Mögliche zu unterhalten, bis wir nach gut einer Viertelstunde am Flughafen meiner Stadt kurz anhielten.

„Hier schau mal, das ist unser Flughafen. Der wurde erst vor kurzem erneuert. Wenn du magst, können wir hier aussteigen und uns mal dort umschauen.“

„Lass mal. Den kenn ich schon.“, antwortete Keyl betrübt und wandte sich vom Fenster ab. „Flughäfen bedeuten für mich immer Abschied nehmen zu müssen und auf so was hab ich zur Zeit überhaupt keine Lust.“, erklärte er mir auf meinen fragenden Blick hin.

„Das ist beruhigend zu wissen. Außerdem hat Dennis, der Freund meiner Schwester, dort die Feueralarmanlagen installiert. Ich glaube, da sind wir hier eh viel sicherer.“, sagt ich grinsend, worauf sich sein Gesicht wieder aufhellte.

Nach einer weiteren Viertelstunde waren wir schon am Ziel und mein Engel stieg nur widerwillig aus. Leider mussten wir feststellen, dass die S-Bahn, die uns zurück bringen sollte, erst in einer halben Stunde kam. So standen Keyl und ich zitternd am „Bahnhof“ der Möchtegernstadt und stapften von einem Fuß auf den anderen. Leider kannte ich mich dort nicht so gut aus und wusste nicht, wo das nächste MC-Doof war. Auf diesem, nur halb überdachten, Bahnhof gab es keine Geschäfte, wo man sich hätte aufwärmen können, da dort auch gerade umgebaut wurde. Meinem Engel erging es viel schlechter als mir. Er hatte nur den Pullover von gestern an und keine Jacke oder so was drüber. Seine Lippen waren schon ganz rissig und begannen leicht bläulich anzulaufen.

„Mensch Keyl, du erfrierst doch noch in diesen dünnem Teil da. Hast du keine Jacke?“, fragte ich besorgt.

„Hab sie vergessen, als ich losgerannt bin.“, antwortete er bibbernd und versuchte zu grinsen, was ihm kläglich misslang.

Ich konnte mir das Gezitter echt nicht mehr mit ansehen, ging deshalb zu ihm hin, öffnete den Reißverschluss meiner Jacke und umarmte meinen Engel. Ich versuchte ihn so nahe wie möglich an mich zu drücken, damit meine Jacke ihn so gut es ging wärmen konnte.

„Entschuldige, aber ich will nicht, dass du erfrierst und Körperwärme ist besser, als wenn ich dir nur meine Jacke geben würde.“, versuchte ich mich sanft zu rechtfertigen, aber das schien gar nicht nötig zu sein, denn der Kleine rückte noch ein Stück näher, nuschelte ein Danke und kuschelte seinen Kopf an meine Schulter. Wow. Ich war im siebenten Himmel. Durch das Adrenalin, was in Unmengen gerade durch meine Adern pulsierte, hätte ich eine ganze Stadt wärmen können.

„Du riechst gut.“, durchbrach mein Engel die Stille und ließ mein Herz schneller schlagen.

„Das ist das Showergel von Nivea, was unter der Dusche zu Schaum wird.“ Was redete ich eigentlich wieder für ein Müll?

„Nein. Das bist du.“

Keyl hob seinen Kopf und schaute mir tief in die Augen. Meine Knie wurden weich wie Gelee und in meinen Magen begann es wohlig zu kribbeln. Langsam beugte ich mich zu ihm hinunter und er hob etwas sein Kinn. Sanft trafen unsere Lippen aufeinander. Ein unbeschreiblich schönes Gefühl explodierte in meinem Körper und hüllte jede einzelne Faser von mir ein.

Als wir uns wieder voneinander trennten, grinsten wir uns verlegen an. Dann fing es an zu schneien. Erst ganz leicht und vereinzelt, dann immer heftiger, bis uns das kalte Weiß am Ende komplett einhüllte. Staunend beobachteten wir das Treiben und lächelten uns dann verliebt an. Sachte streichelte ich mit meiner Nase über die des Engels in meinen Armen und küsste ihn. Keyl hatte die Augen geschlossen und umklammerte mich wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz.

Nur widerwillig lösten wir unsere Umarmung, als unser Zug endlich kam, huschten schnell ins Warme und suchten uns ein ruhiges Plätzchen. Diesmal saß ich am Fenster und schaute träumerisch in die Ferne. Mein Engel hatte seinen Kopf an meine Schulter gebettet und seinen Arm um meinen Bauch geschlungen. Ich graulte sanft seinen Nacken und seine Wange, während er langsam einzunicken schien. Meine Jacke hatte ich über seinen Rücken ausgebreitet, aus Angst, dass er noch immer frieren könnte. Vorher hatte ich meinen MP-3-Player aus der Tasche geangelt und so glitt die Landschaft mit den Tönen von Sub7even und ‚I see you dancing’ an uns vorbei.

Auf dem Heimatbahnhof wieder angekommen, weckte ich meinen Schatz sacht, worauf er mich verschlafen anblinzelte. Ich gab ihm einen Kuss auf die Nase und wollte aufstehen. Er jedoch zog mich wieder nach unten und drückte seine Lippen auf die meine. Fordernd strich seine Zunge über meinen Mund, bis ich ihn öffnete. Der Kleine war einfach der reinste Wahnsinn und ein absolut guter Küsser. Ich hätte ewig so weitermachen können, wenn uns nicht die neuen Fahrgäste unterbrochen hätten.

Grinsend schnappten wir uns die Jacke und den MP-3-Player und stiegen aus dem Zug aus. Kaum das wir auf dem Bahnsteig standen, klingelte gleich mein Handy. Meine Mom war dran und fragte besorgt, wo ich denn steckte, da ich nicht zum Abendbrot da gewesen sei. Schnell versicherte ich ihr, dass alles in bester Ordnung sei und legte wieder auf.

„Ich muss mich mal kurz zu Hause blicken lassen. Ist so ne Tradition, das wir am Wochenende immer zusammen am Tisch sitzen.“, meinte ich und verstaute dabei das Handy wieder in meiner Tasche.

„Hm. Ist wohl besser so. Nicht das sie sich noch Sorgen macht.“, sagte Keyl leise und sah irgendwie total traurig aus.

„Komm doch mit.“

„Meinst du das ernst?“

„Klar, wieso nicht? Meine Mutter hat eh immer viel zu viel zu Essen zu Hause. Außerdem ist sie ganz cool drauf. Also für ne Mutti.“

Erleichtert lächelte mich mein Engel an und zusammen gingen wir zur Haltestelle. Draußen traf uns die Kälte wie ein Hammer und ließ uns in Kürze bis ins Mark frieren. Die Bahn war zum Glück nach einigen Minuten da und brachte uns zu mir nach Hause. Schnee bedeckte die Straßen und glitzerte wie tausend kleine Diamanten, wenn das Licht der Laternen auf ihn traf. Aneinander geklammert stapften wir die letzten Meter zu dem Haus, in dem ich wohnte. Oben angekommen, zogen wir uns vor der Wohnungstür die nassen Schuhe aus. Meine Mutter muss uns wohl gehört haben, öffnete die Tür und blickte uns erschrocken an.

„Sagt mal, was macht ihr denn für Sachen? Ihr seht ja halb erfroren aus. Aber ab, schnell rein mit euch.“, scheuchte sie uns in den Flur. „Ihr beide werdet sofort ein heißes Bad nehmen!“

„Mooom.“

„Dann wenigsten warm duschen und ihr müsst aus den nassen Sachen raus. Wie kann man nur ohne Jacke bei dem Wetter raus gehen?“

„Entschuldigen sie, das war meine Schuld.“, sagte mein Engel kleinlaut, wurde aber von meiner Mutter gleich wieder unterbrochen.

„Schuld hin oder her, das ist jetzt egal. Hallo erstmal. Ich bin Marianne und lass bitte das Sie, da komm ich mir immer so alt vor.“

„Hallo, ich bin Keyl.“, antwortete er schüchtern und ergriff die ihm dargebotene Hand.

„Mein Gott Keyl, du bist ja eiskalt. Duschen! Und zwar sofort! Zum Glück haben wir zwei Bäder. Alex, Schatz, zeig deinem Freund wo alles ist und gib ihm ein paar Sachen von dir und ein Handtuch. Ich wollte eh gerade noch einem Schwung Wäsche ansetzen, da tu ich deine gleich mit dort rein. Wenn ich sie danach in den Trockner werfe, hast du sie morgen gleich wieder.“

Meine Mutter konnte sehr überzeugend sein, besonders wenn ihr Beschützerinstinkt in ihr hervor kam. Wir taten wie uns geheißen. Ich zeigte Keyl kurz mein Zimmer und suchte für ihn und auch gleich für mich Klamotten raus.

„Schön hast du’s hier.“, sagte mein Schatz und blickte sich neugierig im Zimmer um.

„Danke, mir gefällt es hier auch recht gut. Komm, nebenan ist das Bad.“, erwiderte ich und zeigte ihm die Räumlichkeiten. Nach dem ich kurz in einem Schrank gewühlt hatte, holte ich ein Handtuch hervor, welches ich ihm reichte.

„Wenn noch irgendwas ist, ruf einfach.“ Mein Engel nickte zögerlich, was ich wieder mehr als nur niedlich fand. Dann drehte ich mich um, damit er in Ruhe duschen konnte.

„Alex?“

„Hm?“

„Danke.“

Verlegen zupfte er an dem Handtuch in seinen Händen. Mit gerunzelter Stirn ging ich wieder auf ihn zu und nahm ihn in meine Arme.

„Ich weiß, dass klingt jetzt voll kitschig, aber irgendwie mag ich dich wirklich sehr.“, flüsterte ich ihm zu.

„Mir geht es genauso.“, flüsterte er zurück und drückte mich an sich.

„Jetzt geh aber wirklich duschen, sonst erkältest du dich noch. Komm in die Küche, wenn du fertig bist. Folge einfach immer dem Teegeruch.“, sagte ich nach einer Weile, schob ihn sanft von mir und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund, bevor ich aus dem Bad verschwand.

Draußen wartete ich, bis ich das Wasser plätschern hörte. Dann schnappte ich mir meine Sachen und lief ins Gästebad, welches in der unteren Etage lag. Meine Schwester und Mutter standen im Türrahmen der Wohnstube und grinsten mich breit an.

„Das ist also dein Engel. Sieht auf den ersten Blick gar nicht mal so übel aus.“, stichelte Sahra und Mutti setzte noch nach:

„Und Manieren scheint er auch zu haben.“

Ich lächelte nur süffisant und verzog mich ins Bad. Das warme Wasser war jetzt genau das, was ich brauchte. Trotzdem beeilte ich mich, da ich so schnell wie möglich wieder bei meinem Schatz sein wollte. Frisch geduscht und in trockene Sachen gepackt, trottete ich in die Küche und schlürfte am Tee, den mir meine Mom reichte. Nach einigen sehr nervend fragenden Blicken meiner Schwester erzählte ich grob, was passiert war. Frauen sind echt dermaßen neugierige Wesen. Kaum war ich fertig, erschien Keyl im Türrahmen.

„Hey.“, begrüßte ich ihn und stand auf. Er grinste nur unsicher und bewegte sich keinen Millimeter. Deshalb ging ich zu ihm hin, griff nach seiner Hand und führte ihn zu dem Stuhl neben meinem.

„Na geht’s dir wieder besser?“, fragte meine Mom und reichte ihm den Tee.

„Ja danke.“

„Ich bin Sahra, Alex’ große Schwester. Hi.“, stellte sich Sahra vor, die an die Küchentheke gelehnt stand.

„Keyl.“, erwiderte mein Schatz lächelnd und musterte sie kurz, dann zog er die Augenbraue verwundert zusammen und fragte sie: „Große?“, worauf meine Schwester ihn nur verdutzt anstarrte.

„Also vom Humor her passt ihr beide schon mal prächtig zusammen.“, sagte Sahra und fing an zu Lachen, in welches wir anderen mit einstimmten. Das Eis war somit auf jeden Fall gebrochen.

„Wenn deine Eltern nichts dagegen haben Keyl, würde ich es vorziehen, wenn du heute hier übernachten könntest. Draußen tobt ein richtiger kleiner Schneesturm und ich will dich mit nassen Haaren nicht dort hinaus schicken.“, meinte meine Mom, worauf die Augen meines Engels immer größer wurden.

„Wenn das für sie… ehm für dich keine Umstände sind.“

So, wie meine Mutter gerade schaute, hatte sie meinen Kleinen schon voll ins Herz geschlossen.

„Musst du morgen zur Schule?“, fragte sie weiter.

„Nein, ich habe einen Privatlehrer, da meine Mutter durch ihren Beruf viel unterwegs ist und ich bisher immer mit ihr gereist bin. Wenn ich ihn anrufe, fangen wir mit dem Unterricht später an.“, antwortete Keyl und meine Mom nickte zufrieden.

„Und du hast ja so eine Projektwoche, oder Schatz?“, wandte sie sich an mich.

„Jup. Wir fangen erst gegen zehn Uhr an.“

„Toll, ihr habt’s gut. Ich werde mal ins Bett gehen. Denn im Gegensatz zu euch, muss ich morgen früh raus.“, murrte Sahra, wünschte allen eine gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmer.

„Wir werden uns auch verziehen. Irgendwie bin ich total fertig.“, sagte ich und sah meinem Schatz an, dass es ihm genauso ging, da er echt Probleme hatte, seine Augen offen zu halten.

„Na dann schlaft mal schön ihr Beiden. Decken und Kissen hast du Frostbeule ja eh genug.“, neckte meine Mom und ging aus der Küche.

Wir tranken unseren Tee noch aus und verkrochen uns dann auch in meinem Zimmer. Ich setzte mich auf mein Bett, angelte die Fernbedingung und schaltete meine Anlage an. Mein Engel stand derweil in der Mitte des Raumes und wirkte seltsam verloren. Er sah einfach zum Anbeißen niedlich aus. Ich stand wieder auf, ging zu ihm und zog ihn zu mir. Wir küssten uns, streichelten über die Haut des Anderen und genossen jede Berührung. Langsam zog ich ihm das Shirt über den Kopf, neckte ihn mit meiner Zunge und liebkoste seinen Hals mit meinen Lippen.

„Alex.“

Sanft schob mein Schatz mich von sich.

„Was ist?“, fragte ich ihn leise und schaute in sein ängstliches Gesicht.

„Ich… es ist für mich das erste Mal.“

„Für mich in gewisser Weise auch. Ich bin bereit, wenn du dafür bereit bist. Keine Angst, ich mach nichts, was du nicht auch wirklich willst.“, sagte ich und strich ihm liebevoll einige Strähnen seines Haares aus dem Gesicht. Unsicher sah mein Engel mich an. „Komm, lass uns einfach nur beieinander liegen, nicht mehr. Ich möchte einfach nur ganz nah bei dir sein.“

Wir zogen uns bis auf die Boxers aus und kuschelten uns ins Bett. Keyl hatte wieder seinen Kopf auf meine Schulter gebettet und ich spürte seinen immer regelmäßiger werdenden Atem auf meiner Brust. Leise lief die entspannende Musik von Schandmaul im Hintergrund und machte mich schläfrig. Verträumt glitt meine Hand über den Oberarm meines  Schatzes, was er mit einem süßen Schnurren quittierte.

Ich bemerkte wieder, dass der Kleine für seine Statur recht gut durchtrainiert war. Ein Sixpack zeichnete sich deutlich auf seinem Bauch ab und wenn er seine Arme auch nur leicht anwinkelte, sah man gut ein leichtes Spiel der Muskeln. Also richtig extrem war es nicht, aber halt doch sichtbar. Mein Engel machte mich von Minute zu Minute neugieriger. Ich wollte noch viel mehr über ihn erfahren… viel mehr. Mit diesem Gedanken glitt ich in die Welt der Träume und schlief so gut wie seit langem nicht mehr.

Am nächsten Morgen weckte mich das nervige Piepen meines Weckers. Grummlig langte ich zu dem Störenfried und schaltete es ab. ‚Nur noch ein Minütchen’, dachte ich und drehte mich um, damit ich mich an meinem Schatz kuscheln konnte. Doch seine Betthälfte war leer. Verwundert öffnete ich die Augen und setzte mich auf.

„Keyl?“

Ängstlich schaute ich mich im Zimmer um, bis mein Blick auf einem ordentlich zusammengelegten Wäschestapel hängen blieb. Nichts Gutes ahnend stand ich ganz auf und ging zu den Sachen. Es waren die, die mein Engel gestern Abend noch getragen hatte. Obendrauf lag ein Blatt, welches ich zitternd aufhob und ungläubig zu lesen begann:

Liebster Alex,

ich danke Dir für die letzten beiden Tage, sie waren die schönsten im meinem ganzen Leben. Noch nie habe ich mich so wohl und sicher gefühlt, wie in Deinen Armen. Du bist die erste Person in den sechzehneinhalb Jahren meines Lebens, bei welcher ich ausgelassen lachen und ich einfach ich selbst sein konnte. Du akzeptiertest mich so, wie ich bin, weil ich ich bin und nicht der Sohn einer bestimmten Person. Selbst, als ich bewusst Geheimnisse vor Dir hatte, drängtest du nicht auf Antworten, sondern überließt es mir, den Zeitpunkt, wann ich mir Dir anvertraue, aussuchen.

Vielleicht ist das jetzt zu viel für Dich, aber wegen all dem liebe ich Dich. Ja, ich liebe Dich. Ich weiß, es ist utopisch so etwas schon nach nur zwei Tagen zu sagen, dennoch ist es so. Und gerade weil ich Dich so sehr liebe, muss ich Dich verlassen. Es ist zu Deiner eigenen Sicherheit. Den Status, den ich inne habe, erlaubt mir nicht in Frieden zu leben und verschont auch nicht die Menschen um mich herum. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn Dir etwas zustoßen würde. Deshalb verlasse ich, vielleicht noch heute, die Stadt. Sie wird nie sicher sein, solange ich in ihr wohne. Ich habe meine Aufpasser kontaktiert. Sie sind bereits unterwegs und werden mich auf dem Bahnhof abholen. Ich gehe zu meiner Mutter zurück. Dort ist zwar nicht der Himmel auf Erden, so wie bei Dir, aber lieber will ich, dass Du ein friedliches Leben führen kannst, als dass Du von irgendwelchen Typen ständig wegen mir belästigt wirst.

Auf Deinen Sachen liegt ein kleines Geschenk. Das war auch ein Grund, warum ich gestern zu spät gekommen bin, da ich es extra für Dich anfertigen ließ. Es tut mir leid, dass ich Dir das nicht persönlich sage, aber dafür hatte ich einfach nicht den Mut. Bitte verzeih mir ein letztes Mal. Ich danke Dir für alles, was Du mir gegeben hast. Diese zwei Tage und ganz besonders Dich werde ich nie vergessen.

In verzweifelter Liebe

Keyl

Ungläubig starrte ich das Stück Papier an und schaute dann auf meine Sachen. Dort lag ein in dunkelbraun gehaltenes, schmales Lederarmband, auf welches ein wunderschön geschlungenes Tribal in den Farben der Augen meines Engels geprägt war.

„Keyl.“, flüsterte ich verwirrt und betrachtete das Band und den Brief in meinen Händen.

„Keyl!“

Laut rufend stürmte ich los, die Treppe nach unten zur Wohnungstür. Seine Schuhe waren zwar weg, aber der Platz, wo sie gestanden hatten, glänzte noch feucht. ‚Oh bitte, lass ihn noch nicht lange weg sein.’, betete ich und rannte in mein Zimmer.

„Sag mal, was soll’n der Krach in der Frühe?“, hörte ich die genervte Stimme meiner Schwester. Überrascht stürzte ich auf den Flur.

„Du bist noch da?“

„Hä? Oh Shit, ich hab vergessen meinen Wecker zu stellen. Scheiße, das ist gar nicht gut. Nein, das ist überhaupt nicht gut.“, stammelte Sahra nervös und lief hin und her.

„Nein, das ist perfekt. Meine Gebete wurden wirklich erhört, denn das ist sogar sehr gut!“, sagte ich aufgeregt, worauf sie mich nur verständnislos anschaute.

„Du musst mich zum Bahnhof fahren und zwar sofort!“

„Aber sonst geht’s dir noch ganz gut, oder?“

„Nein eben nicht. Keyl ist abgehauen. Er hat mir nen Abschiedsbrief hinterlassen.“

„Er will sich umbringen?“

„Schlimmer. Er will die Stadt verlassen. Bitte, ich muss ihn vor seinen Aufpassern abfassen, bitte, bitte, bitte.“

„Aufpassern?“

„Bitte Sahra. Ich übernehme auch ein Leben lang den Abwasch- und Müll-runter-bring-Dienst für dich.“

„Alex, wir haben einen Geschirrspüler und den Müll nimmt Mom mit, wenn sie früh zur Arbeit geht.“

„Komm schon Sahra, bitte, ich tu alles für dich, die Zeit rennt mir davon“

Ich war so verzweifelt, dass mir Tränen die Wangen hinab flossen. Meine Schwester musterte mich erschrocken, dann nahm sie eine entschlossene Haltung an.

„Ich mach heute blau. Zieh dich an. Unten liegen die Schlüssel. Mach du schon mal das Auto fertig wegen Kratzen und so. In der Zeit spring ich in meine Klamotten und fliege durchs Bad. Ich beeil mich, versprochen.“

„Danke.“, hauchte ich erleichtert und beide verschwanden wir in unsere Zimmer.

Viel zu lange Minuten später saßen wir im Corsa meiner Schwester und fuhren Richtung Bahnhof. Sahra flog regelrecht über die Straßen, sich an keine Geschwindigkeitsbegrenzung haltend und ich erklärte ihr, was passiert war. Als wir den Bahnhof erreichten, sprang ich sofort aus dem Auto.

„Viel Glück. Ich warte hier vorsichtshalber.“, rief sie mir hinterher, worauf ich ein ehrliches ‚Danke’ erwiderte.

Als wäre der Teufel persönlich hinter mir her, rannte ich durch die Einkaufspassage, unserem Platz entgegen. Dort angekommen war jedoch keine Spur von Keyl zu sehen. Gehetzt blickte ich mich um und ging einige Schritte nach vorn. Ein gutes Stück vor mir erregte ein gut zwei Meter großer Typ in einem langen Mantel und mit schwarzen Haaren meine Aufmerksamkeit. Er umarmte einen Jungen, welcher sich eine Kapuze tief über den Kopf gezogen hatte.

„Keyl.“, flüsterte ich und starrte verunsichert auf die Beiden. Als sie sich voneinander lösten, glitt dem Jungen seine Kapuze zurück und zum Vorschein kamen die vollen, dunkelbraunen Haare meines Engels.

„Keyl!“, rief ich erleichtert, aber er reagierte nicht. Nur dieser schwarzhaarige Schönling wandte sein blasses Gesicht zu mir und funkelte mich wütend an, dass mir ein Schauer den Rücken hinab lief.

‚Was will nur mein Schatz bei so einem Kerl?’, dache ich und wollte zu ihm gehen, aber eine Schulklasse blockierte mir gerade jetzt den Gang. Nur langsam vorankommend musste ich mit ansehen, wie dieser Typ seinen Arm um Keyls Schulter legte und ihn Richtung Ausgang schob. Mühsam bahnte ich mir einen Weg durch die Massen und rannte ihnen hinterher. Wie es aussah, wollten sie zu den Taxiständen und tatsächlich sah ich die Beiden durch die Tür nach draußen gehen, als ich um die Ecke bog. Ich beschleunigte noch einmal meine Schritte und stürmte wie wild los.

Am Taxistand angekommen beobachtete ich, wie mein Engel in einen schwarzen Van stieg. Der Kerl in dem dunklen Mantel schloss hinter ihm die Tür und blickte noch einmal zu mir. Dieses böse funkelnde Grün, was mir entgegen schlug, ließ mich an Ort und Stelle verharren. Dann stieg er auf dem Beifahrersitz ein und das Auto setzte sich in Bewegung. Ich wollte einfach nicht glauben, was gerade passierte, dass ich meinen Schatz nur um Haaresbreite verfehlte. Tränen brannten mir in den Augen und liefen ungehalten hinab. Mit einem Mal fing ich an zu laufen und rannte dem Van ein Stück hinterher.

„Keyl! Bleib bei mir. Keeeeeyl!“ Hilflos schrie ich die Verzweiflung aus meinem Herzen, doch das Auto hielt nicht an. Mit klopfendem Herzen blickte ich dem Van nach, bis er nach der nächsten Kurve verschwand. Schwach fiel ich auf meine Knie und begann laut zu schluchzen. „Keyl. Bleib bei mir!“

„Hey Kleiner, ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte mich nach einer Weile irgend so ein Typ in nem schwarzen Anzug.

„Nein, nichts ist in Ordnung, gar nichts, klar! Den Junge, den ich über alles liebe, verlässt gerade die Stadt und ich konnte ihm noch nicht mal ‚Auf Wiedersehen’ sagen!“, schrie ich den Mann an und wäre ihm am liebsten an die Kehle gesprungen für diese bescheuerte Frage.

„Wenn du willst, kann ich ein Treffen mir dir und dem Prinzen arrangieren.“, laberte der Kerl weiter und… ‚Warte mal, was hatte er gerade gesagt?’ Verwundert hob ich meinen Kopf und sah einem geschniegelten Affen in die Augen. ‚Hatten nicht so welche vor vier Tagen meinen Schatz verfolgt?’

„Wie meinen sie das?“, fragte ich ihn und stand vorsichtig auf.

„Wir bieten dir die Möglichkeit, deinem Herzblatt noch einmal nahe zu sein.“, lachte der Anzugheini schmierig und gab den Männern, die sich hinter mir postiert hatten, ein Zeichen, worauf mich diese grob an den Armen packten.

„Hey, was soll das? Was wollt ihr von mir?“, fragte ich verärgert und versuchte mich zu befreien. Leider brachte mir das nur einen schmerzhaften Faustschlag in den Magen ein. Hustend hing ich zwischen diesen Fieslingen und ließ mich vom Anführer der Typen zulabern.

„Keine Angst Kleiner, wir tun dir schon nichts, wenn du fein brav bist und mit uns kommst. Sobald wir dich haben, kommt der Prinz von ganz alleine angekrochen.“

„Ich habe aber keinen Bock, mit euch Oberlosern mitzulatschen. Meine Mom hat mir außerdem verboten, mit Volldeppen wie dir zu reden.“

Ich glaube, meine Antwort gefiel ihm nicht ganz so gut, was auch den Handrücken erklären würde, der postwendend in meinem Gesicht landete.

„Du hast keine andere Wahl Freundchen.“

„Das hab ich mir schon fast gedacht.“, sagte ich stumpf und spukte das Blut aus, was sich in meinem Mund gesammelt hatte. Ich hasste Männer, die schwere Ringe trugen.

„Stopft ihm das Maul.“, hörte ich den Widerling noch sagen, bis ich verdammt hart von hinten getroffen wurde und mich tiefe Dunkelheit umfing.

***

Stöhnend wurde ich langsam wieder wach und öffnete vorsichtig meine Augen. ‚Man, was war hier eigentlich los?’ Mein Kopf dröhnte unangenehm und ich konnte mich kaum bewegen, was wohl daran lag, dass meine Hände über mir zusammengeschürt waren. Ängstlich werdend musterte ich meine Umgebung und fand mich in einer Art Lagerhalle wieder.

Nur gedämpft fiel graues Licht durch viel zu kleine Fenster. Etliche Frachtcontainer standen gestapelt beieinander und bildeten ein Labyrinth aus schmalen Gassen und Wegen. Ich saß am Rand an einem Käfig fest­gebunden und hatte Sicht auf eine Treppe, die nach oben zu einem Raum führte, dessen Wände zum größten Teil aus milchigem Glas bestanden. In dem Zimmer brannte Licht und schwach konnte ich einige Schemen von Menschen ausmachen, die dort hin und her liefen.

Unbeholfen richtete ich mich auf und klammerte mich dabei an die dicken Gitterstäbe hinter mir. ‚Ich muss hier raus.’, dachte ich mit einem Mal und erinnerte mich an das Gerede des Typen im Anzug. Mit aller Kraft zog ich an meinen Fesseln, doch anstatt sich zu lösen, schnitten mir die Bänder nur noch mehr ins Fleisch. Es waren keine normalen Seile, mit denen die Entführer mich gefesselt hatten, sondern eine Art Lederriemen, welche zwar porös ausschauten, aber trotzdem nicht nachgaben, egal wie sehr ich mich auch anstrengte. Meine Hände wurden langsam taub, darum beugte ich mich nach vorn und versuchte, mit den Zähnen die Knoten zu lösen, doch das war auch vergebens.

‚Wieso war ich hier, verdammt? Was wollen diese Anzugsheinis überhaupt von mir?’ Die Worte des Schnösels, der mich angequatscht hatte, fielen mir wieder ein. Er sagte, er könne ein Treffen mit mir und meinem Engel arrangieren. Moment mal. Er sagte nicht Engel, sondern Prinz. Der Prinz. In Keyls Abschiedsbrief stand zwar, dass er einen Status inne hatte, durch den man nicht in Frieden Leben könnte, aber ich dachte immer, dass ein Prinz außer Paparatzies und lange Weile nichts zu befürchten hatte.

‚Keyls Gesicht hab ich auch bisher noch nie im Fernseher oder auf nem Schmierblatt gesehen. Von welchem bescheuerten Land soll er also der nächste Herrscher sein?’ Allerdings war mir bewusst, dass diese Typen hinter meinem Schatz her waren. Nur deswegen hatten die mich entführt. Ich war ihr Druckmittel. Doch wieso verdammt noch mal, hatten sich die Kerle nicht gleich Keyl geschnappt, bevor er überhaupt ins Auto einstieg, schließlich wurde er nur von zwei Leuten beschützt. Zum einem von diesen großen, grünäugigen Typen und zum anderen von dem Fahrer des Vans. Vielleicht war noch ein Mann auf dem Rücksitz, aber mehr hätten bestimmt keinen Platz in dem Auto gehabt. Die Kerle hätten die Bodyguards nur ausschalten müssen und schwups, der Prinz wäre in ihren Händen gewesen. ‚Wieso haben die gezögert?’

Wütend spukte ich ein Stück von dem seltsamen Lederband aus und rüttelte verzweifelt an den Stäben, die trotz meines Protestes keinen Millimeter nachgaben.

„Versuchst du Schwächling etwa das Gitter zu durchbrechen? Es ist eine Spezialanfertigung um wilde Tiere einzusperren. Oder vorwitzige kleine Jungs. Ha ha ha ha.“

Och nö, nicht schon wieder der Lackaffe von heute morgen.

„Hey man, ist ja echt schön, dich wieder zu sehen, aber weißt du, ich steh nich auf Fesselspielchen. Also sei so nett und bind mich los. O.K.?“

Ich weiß nicht, warum ich so eine große Klappe hatte, besonders in dieser für mich nicht gerade positiven Situation. Jedoch konnte ich damit meine Angst hervorragend überspielen und diese vor dem Anzugfritzen verbergen. Der sollte in keinem Fall mitbekommen, wie viel Schiss ich in Wirklichkeit hatte.

„So gern ich mich mit dir auch vergnügen würde, ich darf dich nicht frei lassen. Anweisung von oben.“, meinte der Typ zu mir und wandte sich zu einem der beiden Männer, die hinter ihm standen. „Gib dem jungen Herren Bescheid, dass unser Gast wach ist.“ Der Angesprochene verbeugte sich schnell und lief zu der Treppe, hinauf zu dem oberen Raum.

„Könntest du mir freundlicher Weise erklären, was ihr vom mir wollt?“, fragte ich genervt.

„Dank dir gewinnt unsere Einladung an den Prinzen, uns zu besuchen, an Gewicht.“

„Erstens kapier ich nicht, von wem ihr redet und zweitens, wenn er erfährt wie miserabel ihr mit euren Gästen umgeht, kommt er bestimmt nicht.“

„So so, du willst uns also wirklich weismachen, dass du den Prinzen nicht kennst. Ihr wart sozusagen nicht zusammen chinesisch und hinterher bei MC Donald’s Eis essen? Ihr wart nicht den nächsten Tag mit dem Zug unterwegs und habt euch am Bahnhof geküsst? Und er hat bestimmt auch nicht die Nacht von gestern auf heute bei dir verbracht? Zuerst dachten wir, du wärst einer seiner neuen Bodyguards, aber die Show, die ihr uns am Taxistand geboten habt, überzeugte uns vom Gegenteil. Außer deinem vorlauten Mund, scheinst du ja nichts weiter drauf zu haben.“

„Mach mich los und ich zeig dir, wie viel ich wirklich drauf habe.“, zischte ich verärgert und riss an den Riemen. ‚Woher, zum Teufel noch mal, wusste der, was ich mit Keyl alles unternommen hatte? Haben uns die etwa die ganze Zeit beobachtet?’

„Hm, stimmt. Selbst du dürftest in einer Hinsicht nicht schlecht sein. Du bist sicher noch ganz eng.“, sagte der Widerling und musterte mich von Oben nach Unten mit einem schmierigen Grinsen im Gesicht. Dann kam er näher.

Der Typ war ungefähr genauso groß wie ich, sah aber total abgemagert aus. Seine fettig glänzenden, etwas längeren Haare hatte er zur Seite gekämmt und rasieren schien er sich auch nicht zu können, da sein Hals und die Kinnpartie überzogen waren von lauter kleineren roten Flecken. Kalt stinkender Zigarettenrauch kam mir entgegen, als der Kerl sich mit der rechten Hand an dem Gitterstab neben mir abstützte und sich zu mir beugte. Angeekelt wandte ich mich ab.

„Man, hast du noch nie was von einer Zahnbürste und Zahncreme gehört? Ein Bad würde dir bestimmt auch mal ganz gut tun. Ich bekomm ja kaum noch Luft.“ Langsam hatte ich alles andere als nur Angst.

„Gleich wirst du auch keine Luft mehr bekommen, Kleiner!“, meinte der Widerling und mir war wie kotzen zumute.

Gerade als er seinen Arm hob um mich am Kinn zu packen, tat ich das, was mir in meiner aufkeimenden Panik einfiel. Ich trat zu. Schreiend taumelte der Anzugheini zurück, fiel zu Boden, krümmte sich zusammen und hielt sich den Schritt. Der Gorilla, der die ganze Zeit daneben gestanden und sich das Schauspiel rein gezogen hatte, lief schnell zu seinem Boss und beugte sich besorgt zu ihm herunter. Mit dessen Hilfe kam der schmierige Kerl japsend wieder auf die Beine und funkelte mich wütend an.

„Na, wer bekommt jetzt keine Luft.“, sagte ich triumphierend. Shit, ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Manchmal war es wirklich besser, seine Klappe zu halten, wie ich gerade jetzt wieder merkte. Denn der Typ holte ein Messer aus seiner Tasche und stürmte damit auf mich zu.

„Das reicht. Jetzt bist du fällig!“

Zu keiner Bewegung fähig stand ich da und blickte apathisch auf die blinkende Klinge, die immer näher kam. Doch kurz bevor sie mich erreichte, gab es einen lauten Knall. Das Messer fiel aus der Hand meines Angreifers und blieb mit der Spitze vor meinen Füßen stecken. Erschrocken schaute der Kerl zurück und starrte auf den Jungen, der ihm bei seinem Vorhaben unterbrochen hatte.

„Junger Herr.“, hauchte er nur.

„Hatte ich nicht gesagt, dass unserem Gast nichts zu Leide getan wird?“, erklang eine helle Stimme.

Ein paar Meter vor mir stand, zwischen einer Handvoll Gorillas, ein Junge vielleicht gleichen Alters mit Silber gebleichtem Haaren und hellblauen Augen. Seine Haut war fast so blass wie die weißsilbernen Sachen, die er trug. Fast hatte ich den Eindruck, dass er seine Klamotten aus Matrix geklaut und eingefärbt hätte. Ich konnte erkennen, wie der Junge eine gleichfarbige Peitsche sich an der Seite am Gürtel fest band, was dann wohl den lauten Knall von eben und den roten Striemen auf der Hand des Anzugheinis erklärte.

„Aber junger Heer, der Rotzbengel…“, setzte der Widerling zu einer Erklärung an, doch schon der Blick des Silberschopfes ließ ihn verstummen.

Der Mann verbeugte sich tief vor dem Jungen, steckte sein Messer wieder ein und trat bei Seite. Eigentlich wollte ich wieder einen dummen Spruch loswerden, diesem Kind mit irgendwas Blödes kommen, aber ich kriegte einfach meinen Mund nicht mehr auf. Langsam kam der Kopf der Entführer zu mir.

„Du bist also der Neue, den sich der Prinz rausgesucht hat. Eigentlich hatte ich ihm einen besseren Geschmack zugetraut. Du schaust zwar ganz niedlich aus, aber besondere Fähigkeiten scheinst du nicht zu haben. Sonst ist Keyl doch immer so anspruchsvoll.“, meinte der Silberschopf und musterte mich eindringlich.

„Was weißt du schon von Keyl?!“, warf ich ihm an den Kopf, aber dieser fing nur an zu lachen.

„Wie mir scheint, mehr als du. Da ich gerade in bester Laune bin, will ich dir ein paar Kleinigkeiten erzählen, was es mit dem Jungen auf sich hat, den du glaubst zu lieben. Dein Prinz ist der Sohn der wichtigsten Frau von ganz Deutschland. Nein, ich rede ganz bestimmt nicht von der neuen Möchtegernkanzlerin. Ich rede von dem Kopf der größten Verbrecherbekämpfungsorganisation, die es hier gibt. Vergiss die Bundeswehr oder die Spezialeinheiten der Polizei, denn diese Organisation steht über den allen.

Deren Mitglieder bestehen nur aus ausgewählten oder extra dafür trainierten Leuten. Manche werden sogar von Kindesbeinen an getrimmt, Verbrecher zu jagen und in die Hölle zu schicken. Sie sind Richter und Vollstrecker zu gleich. Die Organisation finanziert sich selbst, in dem sie konfisziertes Schwarzgeld für ihre eigenen Zwecke missbraucht. Ihnen stehen die neusten Errungenschaften der Technik zur Verfügung und sie dürfen damit machen, was sie wollen. Stell dir einfach viele James Bonds oder Charlys Engel in jeder, aber auch wirklich jeder erdenklichen Altersklasse vor.

Ich will ehrlich gesagt nicht unbedingt wissen, was Keyl mit seiner noch viel größeren Freiheit, die er in jeder Hinsicht als Prinz genießt, bisher so angestellt hat. Prinz wird er deshalb genannt, weil die Rangeinteilung aus dem Mittelalter übernommen wurde. Es existieren dort keine Feldwebel oder Kriminaloberkommissare. Es gibt Knappen, Ritter, Lords und Ladys, um einige wenige zu benennen. Nicht viele wissen über die Organisation bescheid, weil sie größtenteils im Verborgenen agieren. Verstehst du nun die Tragweite des Geschehens? Du durftest eine der wichtigsten Personen überhaupt kennen lernen. Fühle dich geehrt, dass er mit dir gesprochen und etwas unternommen hat.

Die Hälfte war sicherlich für ihn eh nur Zeitvertreib. Bestimmt ist er wieder von zu Hause weggelaufen, weil ihm seine gluckende Mutter auf die Nerven ging. Er hatte Hunger, konnte aber seine Kreditkarte nicht benutzen, weil sie ihn dadurch ja dann gefunden hätten. Also suchte er sich ein Opfer, welches ihn ein wenig aushalten konnte und zog die Nummer des Zusammenstoßens ab. Das ist wirklich der älteste Trick der Welt. Aber es war klar, dass du einfacher Bengel darauf reinfällst, auf seinen ach so niedlichen Hundeblick. Er ist schließlich geübt darin. Ja, du hörst richtig. Du bist nicht der Erste und wirst auch nicht der Letzte sein. Du warst lediglich eine weitere Möglichkeit, im Warmen übernachten zu können.“

Der Junge blickte mich mit seinen ausdruckslosen Augen an und ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte. Dann fing er wieder an zu reden:

„Nimm bitte den Abschiedsbrief nicht so ernst, den er dir geschrieben hat.“

Verwirrt schaute ich mein Gegenüber an. ‚Woher wusste er davon?’

„Ach komm schon. Sieh mich nicht so erschrocken an. Er macht das doch immer. Der Prinz ist etwas dramatisch veranlagt, weißt du.“

„Das klingt ja fast so, als wenn… als wenn…“, sagte ich leise und wollte es einfach nicht wahr haben.

„Ah, wie ich sehe begreifst du langsam. Ja, auch ich bin schon ‚aus Versehen’ mit Keyl zusammen gestoßen. Auch ich habe ihn für die Nacht zu mir eingeladen und er hatte natürlich dankend angenommen. Auch ich habe am nächsten Morgen einen Brief bei den Sachen, welche ich ihm geliehen hatte, vorgefunden. Sag mal, hat er sich bei dir anfangs auch so geziert?“

„Halts Maul!“ Mit Tränen in den Augen schrie ich den silbernen Jungen an. Seine Worte drangen wie Gift in mich ein und machten klares Denken unmöglich. ‚Keyl liebt mich doch, genauso sehr wie ich ihn. Ich hatte es gespürt, als er in meinen Armen lag, bei jeder auch noch so kleinsten Berührung. War das wirklich alles eine Lüge? Seine Emotionen, seine Gefühle, alles nur Show?’ Salziges Nass vernebelte meinen Blick und lief ungehalten meine Wangen hinab.

„Weine nicht. Er ist es wirklich nicht wert. Nur wegen ihm sitzt du jetzt hier fest. Ich habe mit ihm noch eine Rechnung zu begleichen. Mach dir keine Hoffnung, dass er her kommen wird, weil er was für dich empfindet. Nein. Eine der wenigen Regeln der Organisation besagt, wenn man einen Zivilisten in Schwierigkeiten bringt, dass man ihn auch selbst wieder da rausholen muss. Der Prinz wird zwar etwas ungehalten zwecks der Anweisung sein, aber es lockt ihn her und das ist alles, was ich will.“

Mit den Nerven am Ende, rutschte ich kraftlos an den Gitterstäben zu Boden. Den Schmerz in meinen Armen hatte ich vollkommen vergessen, dafür loderte der in meinem Herzen umso mehr. Anstatt mich endlich in Frieden zu lassen, kam der Silberschopf näher, kniete sich knapp vor mir nieder und hob mein Kinn an, damit ich ihm in die Augen blicken musste.

„Du schaust richtig niedlich aus, wenn du so traurig bist. Wären wir uns unter anderen Umständen begegnet, hättest du gute Chancen gehabt, eines meiner Spielzeuge zu werden.“ Dann presste er mir einen Kuss auf die Lippen und schob seine Zunge tief in meinen Mund. Unfähig mich zu wehren, ließ ich es geschehen.

„Wirklich schade.“, seufzte der Junge, als er sich wieder von mir löste und stand auf.

„Stellt Wachen auf, verteilt euch im ganzen Lagerhaus. Wenn die Nacht anbricht, wird der Prinz kommen. Bereitet euch darauf vor. Ach und noch was: Ich will ihn lebend!“, zischte der Silberschopf seine Untergebenen an, welche sich tief verbeugten und dann aufteilten. Nur noch von zwei Gorillas begleitet, ging der Junge wieder hinauf in das Zimmer, wo er hergekommen war, ohne mich eines letzten Blickes zu würdigen. Wie ein Häufchen Elend saß ich am Rand des Käfigs und heulte leise vor mich hin.

Draußen wurde es langsam dunkler und in der Lagerhalle stockfinster, da kein Licht mehr brannte. Ich starrte blind vor mich hin und fror erbärmlich. Mein Kopf war leer, nicht mehr fähig zu denken. Nein, ich wollte es auch nicht. Ich wollte nur noch nach Hause in mein warmes Bett und schlafen. Oder vielleicht lag ich ja schon dort und träumte nur. Wenn ja, wollte ich so schnell wie möglich aufwachen und diesem Alptraum hier entfliehen. Vielleicht lag ich noch immer neben meinem Engel und er kuschelte sich gerade wieder an meine Schulter. Ich schloss die Augen und sah vor mir ein gelbbraunes Leuchten, sah, wie es mich anstrahlte und mit Wärme füllte. Ich sah seine vollen Lippen, wie sie mich küssten, liebkosten und meinen Namen riefen.

„Alex.“

Ein Schauer lief mir über den Rücken, da ich wirklich fast glaubte, seine Stimme zu hören.

„Alex, bitte. Komm wieder zu dir. Wach auf!“

Moment mal, dass war mir ein bisschen zu real, gerade die leichten Schläge auf meiner Wange. Ich riss meine Augen auf und blickte in das besorgte Gesicht meines Engels.

„Keyl.“, hauchte ich ungläubig.

Erleichtert atmete er aus.

„Dem Himmel sei dank. Ich dachte, du wärst schon erfroren. Warte, ich mach dich los.“, sagte Keyl und holte ein großes Messer hervor.

„Vielleicht wäre es ja besser so gewesen.“, meinte ich leise. „Dann müsstest du wenigstens nicht die Anweisung der Organisation befolgen und mir helfen, sondern könntest dir weiter ein unbeschwertes Leben als Prinz machen.“

„Was hat er dir erzählt?“, fragte Keyl ernst und schaute mich forschend an.

Irgendwie hatte ich was anderes erwartet. Ich hatte mir wirklich erhofft, dass er alles dementieren würde, dass er sagt, dass er mich liebt und der silberne Junge nur Lügen erzählt hätte. Stattdessen musterte mich mein Engel und versuchte rauszubekommen, wie viel ich wirklich wusste. Wie war das? Die Organisation agiert im Verborgenen? Was ist, wenn ein Zivilist davon was mitbekam? Ich konnte seinem Blick nicht länger standhalten und senkte meinen Kopf.

„Komm, lass uns erstmal von hier verschwinden. Es war schon schwierig genug, die Wachen auszuschalten.“, sagte Keyl, legte mein Arm um seine Schulter und zog mich kraftvoll nach oben. Nur hatte ich nicht gerade viele Ambitionen mit ihm zu gehen.

„Lass mich in Ruhe, lasst mich einfach alle in Frieden!“

„Alex bitte. Ich erklär dir alles, wenn wir draußen sind. Hier ist es zu gefährlich.“

„Ob ich nun von dem silbernen Jungen oder von dir umgebracht werde, ist doch vollkommen egal. Das Silberhaar spielt wenigstens mit offenen Karten und ist nicht so hinterhältig wie du.“

Ängstlich sah Keyl sich um, ließ mich wieder zu Boden gleiten, nahm dann mit beiden Händen meinen Kopf und schaute mir tief in die Augen. Selbst im Dunkeln leuchteten die seinen dermaßen, dass mein Herz wieder anfing, schneller zu pochen.

„Alex. Ich weiß nicht, was Julian dir alles erzählt hat, vielleicht entspricht davon auch die Hälfte der Wahrheit, aber der Rest ist eine Lüge. Ich würde dich nie töten wollen. Alex. Ich liebe Dich! Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben.“

„Du hast die Wachen ausgeschalten, wie viele Leute hast du noch auf dem Gewissen?“

„Ich habe die Wachen mit einer konzentrierten Dosis Schlafmittel lahm gelegt. An mir kleb kein Blut, da ich noch nie jemanden getötet habe!“

„Du als Prinz hast doch bestimmt schon viele Verbrecher zur Hölle geschickt.“

Keyl stützte sich auf seine Knie ab, ließ meinen Kopf los und lehnte sich auf seine Hacken zurück.

„Alex. Das, was wir in der Organisation Hölle nennen, ist das größte Strafgefängnis, was es in Deutschland gibt. Wir jagen Verbrecher, die schon vom Gericht verurteilt wurden und führen sie ihrer gerechten Strafe zu. Wir greifen außerdem erst dann ein, wenn die Polizei und andere Einrichtungen nicht mehr weiter wissen. Es sind also keine einfachen Ladendiebe, auf die wir angesetzt werden, sondern die schlimmsten Kriminellen des Landes. Außerdem können wir nicht einfach so Menschen töten, da wir für alles, was wir tun, Rechenschaft ablegen müssen. Ich noch mehr als alle anderen.“

„Haust du deswegen ständig von zu Hause ab, weil dich die ständige Kontrolle nervt? Quartierst du dich deshalb regelmäßig bei immer anderen wildfremden Leuten ein, um von all dem wegzukommen? Oder macht es dir einfach nur Spaß, Menschen wie mich oder Julian auszunutzen und zu quälen?“ Ich hatte mich dermaßen in Rage geredet, dass ich nicht mehr kontrollieren konnte, was ich von mir gab. Mir war nur bewusst, dass ich meinem Engel wehtun wollte. Er sollte genauso leiden, wie ich, als mir dieser silberne Junge die Wahrheit über ihn erzählte. Ich hasste mich selbst für diese Worte, konnte ihm deshalb auch nicht in die Augen schauen.

„Wieso machst du das? Du glaubst jemandem, dem du gerade einmal begegnet bist. Jemandem, der dich hier in Eisenskälte an einen Käfig festgeschnürt hat. Ich weiß, dass wir uns auch nicht viel länger kennen, aber habe ich dir in der kurzen Zeit weh getan? Bisher habe ich dir immer die Wahrheit gesagt. Lieber gab ich offen zu, dass ich ein Geheimnis habe, als dich zu belügen. Es tut mir wirklich leid, wenn ich dich in irgendeiner Sache gekrängt haben sollte. Hier und jetzt kann ich dir auch nichts beweisen. Du hast nur mein Wort. Mein Wort und meine Liebe.“ Keyl saß angespannt da, seine Hände fest zu Fäusten geballt, die unter dem Druck leicht zitterten.

„Und was ist mit diesem Julian?“, fragte ich kleinlaut.

„Tze. Julian. Er ist der verwöhnte Sohn eines großen Drogenbosses. Um zu bekommen, was er will, geht er über Leichen. An mir ist er nur interessiert wegen Florian. Flo ist einer meiner Aufpasser. Julian hatte sich in ihn verliebt, konnte es aber nicht ertragen, dass Flo mit mir mehr Zeit verbrachte und von ihm nichts wissen wollte. Florian ist auch ein Prinz der Organisation, unsere Mütter sind so was wie verwandt. Deshalb ist er nicht nur ein Bodyguard für mich, sondern fast wie ein Bruder. Er und sein Freund Chris decken mich sogar öfters, wenn ich von zu Hause weglaufe. Beide verstehen mich in vielerlei Hinsicht sehr gut.

Mit Julian bin ich in einer anderen Stadt zusammengestoßen. Ja, wortwörtlich gemeint. Ich war wieder allein unterwegs und er hatte nicht auf den Weg acht gegeben. Damals wusste ich nicht, dass er mich schon kannte und alles geplant war. Er bot mir an, bei ihm zu übernachten und da ich keine Lust auf meine Mutter hatte, sagte ich zu. Kaum waren wir in seiner Wohnung, fing er an, mir zu nahe zu kommen. Ich musste ihn regelrecht von mir weg stoßen. Er entschuldigte sich zwar und ich schlief bei ihm auf dem Sofa, nicht mit ihm in seinem Zimmer, geschweige denn in einem Bett. Ich hatte dich nicht belogen, als ich gestern sagte, dass es mein erstes Mal wäre.

Auf jeden Fall war mir unwohl, je länger ich in seiner Nähe blieb, darum zog ich mich mitten in der Nacht wieder an, schrieb ihm kurz, dass es mir Leid täte und schlich mich davon. Für sein Ego war es nicht gerade förderlich, dass er ein zweites Mal von einem Prinzen abgewiesen wurde. Darum jagt er mich seit gut einem viertel Jahr. Flo hat einen riesigen Aufstand gemacht, als er erfuhr, mit wem ich mitgegangen sei. Er war deshalb auch überhaupt nicht davon begeistert, als ich ihm von dir erzählte. Dabei bist du das Beste, was mir seither passiert ist.“

„Meinst du das wirklich?“ Tränen flossen mir unaufhaltsam an meinen Wangen hinab und ich blickte ihn ängstlich an.

„Dummerchen. Na klar mein ich das so, sonst hätte ich es nicht gesagt.“, lächelte mein Engel, wischte mir zärtlich die Tränen von den Wangen und nahm mich dann in seine Arme.

Gott tat das gut, seine Wärme zu spüren. Diesmal war ich derjenige, der sich an dem Anderen festklammerte und ihn nie wieder loslassen wollte. Nach einer halben Ewigkeit schob er mich sachte zurück um mir wieder in die Augen schauen zu können. Er strich mir ein paar widerspenstige Strähnen aus dem Gesicht, streichelte mit seinen Fingerspitzen über meine Stirn bis in den Nacken. Langsam senkte er seine Lippen auf die meinen und ich glaubte wieder zu schweben.

Doch plötzlich wurde die Lagerhalle nach einem lauten ‚Klack’ hell beleuchtet. Geblendet schloss ich meine Augen und hielt meinen Arm schützen vor meinem Kopf.

„Och, ist das nicht herzallerliebst. Das ist ja besser als wie in jeder Telenovela. Aber wie ihr wisst, hat diese irgendwann mal ein Ende. Und eures scheint wohl hier und jetzt zu sein.“

Als ich mich langsam an die Helligkeit gewöhnt hatte, sah ich, wie mein Schatz sich schützend vor mir postiert hatte und der silberne Junge mit gut zehn Gorillas von der Treppe her auf uns zukam.

„Julian. Wie konntest du Alex nur da mit hineinziehen?! Das ist eine Sache zwischen uns. Lass ihn dabei aus dem Spiel!“, schrie mein Engel ihn an, doch dieser lachte nur laut auf.

„Ach Keyl, noch immer so süß naiv. Wie kommst du nur darauf, dass dies etwas mit dir zu tun haben könnte? Du bist nur ein Mittel zum Zweck. Genau wie der Kleine hinter dir. Ihr bedeutet mir nichts. Allerdings wird es mir eine große Freude bereiten, dich zu quälen, junger Prinz, da ich weiß, dass dann auch Florian leidet und er alles für mich tun würde, nur um dich zu schützen. Ist schon irgendwie erbärmlich, findest du nicht? Aber ich muss ihn haben, egal wie. Er gehört mir und kein Möchtegernadliger wird ihn mir wegnehmen!“

„So wirst du Flo nie an dich binden können!“

„Das werden wir ja noch sehen!“, sagte Julian kalt und blaffte dann seine Untergebenen an: „Zwingt ihn auf die Knie!“ Daraufhin setzten sich die Gorillas in Bewegung und kamen auf Keyl und mich zu.

Ich stand wacklig auf und wollte mich neben meinem Engel postieren um ihm beizustehen, doch er streckte nur seinen Arm aus, so dass ich weiterhin hinter ihm stand.

„Alex, vertrau mir jetzt bitte einfach. Ich bin ein Prinz der Organisation, ich weiß mich schon zu wehren. Versuch einfach nur bitte, in meiner Nähe zu bleiben.“

„Keyl.“, besorgt blickte ich meinen Schatz an und legte eine Hand auf seine Schulter. Er schaute ängstlich fragend zurück. „Ich liebe dich.“ Genau. Ich liebte ihn über alles und vertraue ihm voll und ganz. Selbst wenn wir hier nicht heil mehr rauskommen würden, ich war mir endlich sicher, was ich wollte. Ich wollte ihn, mit allem, was da noch kommen sollte. Als er meine Worte hörte, begann er zu lächeln und nickte mir zu. Dann drehte er sich wieder zu den Angreifern um und nahm eine entschlossene Haltung an.

Er ging zwei Schritte nach vorn und holte dabei unauffällig etwas von hinten aus seinem Gürtel. Es sah wie eine graue Murmel aus, die Keyl, kurz bevor die Männer ihn erreichten, mit voller Kraft auf den Boden vor ihren Füßen warf. Ein dichter Nebel breitete sich explosionsartig aus, in dem mein Engel mit einem Satz verschwand. Vereinzelt konnte man ein Keuchen, Stöhnen oder einen überraschten Aufschrei hören, welcher gleich darauf wieder verstummte. Als der Nebel sich lichtete, stand nur noch die Hälfte der Gorillas auf ihren Beinen. Die Anderen lagen bewusstlos verstreut in der Gegend.

Überhaupt nicht davon eingeschüchtert kamen die restlichen Männer auf meinen Schatz zu. Dieser ballte nur seine Hände zu Fäusten und ging schreiend auf die Angreifer los. Es war Wahnsinn, wie unglaublich schnell Keyl war. Hier wich er einem Schlag aus und trat dem Anderen in den Magen, dort entkam er einer Attacke und setzte einen Stoß nach. Ich weiß nicht, was für eine Kampfart mein Engel gerade anwandte, es schien mir eher eine Mischung aus vielen verschiedenen. Aber in kürzester Zeit hatte er die Männer soweit, dass sie stöhnend auf dem Boden herum krochen.

Leider wurden die anderen Wachen, die sich im Lagerhaus postiert hatten, von dem Lärm angelockt und so stürmten immer mehr Gorillas auf meinen Schatz ein. Ich sah, wie seine Kräfte mehr und mehr nachließen und er immer langsamer wurde. Ängstlich beobachtete ich, wie einer der Typen sich von hinten an Keyl heran schlich und ausholte.

„Keyl!!!“ Ich rannte los und warf mich mit voller Kraft gegen den Angreifer. Dieser donnerte laut mit seinem Kopf gegen einen der Container und blieb dort liegen. Besorgt drehte sich mein Engel zu mir um und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich grinste und nickte nur.

„Danke. Pass aber bitte auf, die sind recht brutal.“, meinte Keyl und rieb sich dabei die Brust, dann stürzte er sich wieder zwischen die Männer.

Mit klopfendem Herzen verfolgte ich den Kampf, bewunderte die eleganten Bewegungen meines Schatzes, wie er nur mit knappen Berührungen andere zu Boden gehen ließ. Ich war so sehr gebannt, dass ich nicht merkte, wie sich mir jemand näherte. Ein harter Schlag traf mich von der Seite und schleuderte mich gegen die Wand eines Containers. Dann wurde ich an den Haaren wieder nach oben gezogen und mein Arm auf den Rücken verdreht.

„Hey, Prinz! Besser, du hörst auf dich zu wehren, wenn dir das Leben dieses Bengels hier lieb ist!“, schrie der Typ hinter mir und kalter Zigarettengestank stieg mir in die Nase.

Mein Engel hielt mitten in seiner Bewegung inne und schaute erschrocken zu mir rüber. Sofort wurde er von den Männern gepackt und kassierte einige Faustschläge in den Magen.

„Keyl!“, wild strampelnd wollte ich mich von dem Kerl losreisen und meinem Schatz zu Hilfe kommen „Hört auf, verdammt noch mal. Lass mich los du Vollidiot!“, brüllte ich, wurde aber wieder ganz still, als ich ein Messer im Licht blitzen sah und dessen Klinge an meinem Hals spürte.

„Alex.“, hustete mein Engel und blickte hilflos zu mir rüber. Seine Lippe war aufgeplatzt und aus seiner Nase rann hell glänzendes Blut. Zwei Gorillas stellten Keyl wieder auf die Beine und hielten ihn an beiden Armen fest.

„Lange genug warst du mir im Weg, junger Prinz. Es ist an der Zeit, dass du deine Bestimmung erfüllst, mir zudiensten  bist und mir meinen geliebten Florian wieder zurück gibst.“, sagte der silberne Junge triumphierend und ging zu meinem Schatz.

„Er wird dir nie gehören. Flo ist ein Mensch und keine Ware, die du einfach nach Belieben hin und her schieben kannst! Ganz gleich, was du mit mir anstellst, er wird dir niemals untertan sein!“, funkelte mutig mein Engel seinen Gegner an.

„Das werden wir ja noch sehen.“, meinte Julian darauf nur und ließ sich eine Spritze und ein kleines, gläsernes Gefäß von einem seiner Leute geben.

„Das ist die neuste Entdeckung meines Vaters. Eine der edelsten Aphrodisiakums, die er bisher hergestellt hat. Nur ein Tropfen davon in einem normalen Glas Wasser und du kannst die ganze Nacht über Exzesse der Extraklasse feiern. Leider wurde es bisher nicht groß getestet. Bevor ich es allerdings mit dem wahren Prinzen zusammen ausprobiere, finde ich, wäre ein Studium an dir, wie eine bestimmte Dosis auf den menschlichen Körper wirkt, ganz interessant.“, erklärte der silberne Junge und sog die Spritze mit der Droge bis zum Ende voll.

„Keyl.“, jammerte ich und schaute abwechselnd zwischen meinem Schatz und Julian hin und her.

Mein Engel verkrampfte seine Arme und wollte sich aufbäumen, doch als er sah, dass der Typ hinter mir den Druck gegen meine Kehle verstärkte und ein einzelner Bluttropfen meinen Hals hinunter lief, wurde er wieder ruhiger. Seine Augen waren starr auf die Nadel gerichtet, die unaufhaltsam näher kam. Kurz sah er zu mir rüber und mich traf tiefe Hilflosigkeit. Ich versuchte zu lächeln, versuchte ihm Mut zu schenken, wusste aber nicht, ob ich dies auch schaffte.

Die Männer rissen den rechten Ärmel von Keyls Sweatshirt ab und legten somit seinen Unterarm frei. Julian strich mit dem Finger sachte über den Arm und suchte die passende Stelle, wo er die Spritze ansetzen konnte. Siegessicher lächelte der silberne Junge meinen Schatz an und begann, die Nadel zu senken.

Doch noch ehe sie Keyls Haut berührte, hörte ich ein seltsames Summen und dann, ganz plötzlich, zerbrach die Spritze in tausend Teile. Einem Bumerang gleich, flog etwas um die Köpfe der Männer und steuerte dann zu seinem Ausgangpunkt zurück. Auf einem der Container stand ein großer, schwarzhaariger, junger Mann, der dieses Etwas mit der linken Hand auffing und es hinter sich verschwinden ließ. Fast glaubte ich, ein tiefes, dunkles Grün dort schimmern zu sehen.

„Flo.“, hauchte mein Engel und atmete erleichtert aus.

Der Druck auf meinen Hals verschwand, auch der widerliche Zigarettengestank. Stattdessen stand ein Typ mit hellbraunem Haar und wachen Augen neben mir.

„Chris.“, wandte sich Keyl freudig an den Neuankömmling.

„Julian. Diesmal bist du zu weit gegangen.“, erklang die kraftvolle Stimme von Florian. „Die Königin verlangt Rechenschaft. Deshalb muss ich dich leider bitten, uns zur Residenz zu begleiten.“

„Eigentlich würde ich jeder Zeit mit dir überall hingehen, mein Prinz, doch du wirst verstehen, dass ich unter diesen Umständen die Einladung leider ablehne.“, antwortete der silberne Junge. „Aber ich kann dir anbieten, die Sache hier friedlich ausklingen zu lassen, in dem wir zusammen einen kleinen Cocktail zu uns nehmen und miteinander reden.“

„Zum Reden hattest du lange genug Zeit. Außerdem hast du einen meiner Schützlinge angegriffen. Das kann ich dir leider nicht durchgehen lassen!“, meinte Flo, sprang von dem Container und landete sanft vor den Anderen.

„Kannst du auch mal an etwas anders denken, als immer nur an deine Schützlinge? Was ist mit mir? Ich weiß genau, dass du was für mich empfindest.“

„Das stimmt auch. Das, was ich für dich fühle, ist einzig und allein Mitleid. Mitleid dafür, weil du in deinem Besitzergreifenden Egoismus nicht weißt, was wahre Liebe bedeutet.“

Ungläubig starrte Julian den Prinzen an und begann, am ganzen Körper zu zittern. Dann griff er blitzschnell hinter sich und zog eine Pistole.

„Wenn du mich nicht lieben kannst, dann sollst du niemanden lieben!“, schrie der silberne Junge und drückte ab.

Florian aber sprang rechtzeitig zur Seite und zog dabei seine eigene Waffe. Mit einem Mal entbrannte eine wilde Schießerei. Chris hatte mich gepackt und hinter einem Container gedrängt. Immer wieder beugte er sich aus seinem Versteck und schoss in Richtung der Angreifer.

„Hey, warte mal.“, rief ich meinem Beschützer über den Lärm hinweg zu und zerrte an seinem Arm. „Keyl steht doch noch mitten unter diesen Gorillas. Was ist, wenn du ihn triffst?“

„Mach dir darüber keine Sorgen. Erstens bin ich ein guter Schütze und zweitens besitzen wir keine scharfe Munition. Unsere Kugeln betäuben nur den Gegner durch einen kurzen, elektrischen Schlag. Nur unter besonderen Umständen dürfen wir die rot gekennzeichnete Munition benutzen, aber schon aus ethischen Gründen macht das fast keiner.“, beruhigte mich Chris und kümmerte sich weiter um die Typen, die mit der Ethik allerdings keine Probleme hatten.

Nach schier endlosen Minuten wurde es langsam wieder ruhiger, bis es ganz aufhörte zu lärmen. Vorsichtig lugten wir aus unserem Versteck und gesellten uns dann zu Florian, der ebenfalls ins Freie trat. Die Angreifer lagen bewusstlos auf den Boden verstreut, hier und da konnte man sogar ein elektrisches Knistern hören.

„Wo ist Keyl?“, fragte ich besorgt und sah mich um.

„Er hat sich von den zwei Kerlen befreit, als alles anfing und ging in Deckung. Moment mal, wo ist Julian?“, stellte Flo fest, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Wir suchten den Platz ab, ob er vielleicht unter seinen eigenen Leuten begraben worden war, bis ein lauter Knall uns unterbrach und aufhorchen ließ. Chris und Flo schauten sich nur kurz an, dann stürmten sie los. Ich hatte wirklich ein Problem, mit ihnen mitzuhalten, weil sie unglaublich schnell waren. Doch als ich um die nächste Ecke bog, blieb ich wie angewurzelt stehen. Mein Schatz saß blutüberströmt an einer Wand und hatte den Kopf gesenkt. Julian stand vor ihm und zielte mit einer Waffe direkt auf sein Gesicht.

„Keyl!“

Schreiend lief ich los, wurde aber von Chris und Flo aufgehalten.

„Lasst mich los, verdammt! Ich will zu ihm. Er braucht Hilfe, seht ihr denn das nicht?!“

„Beruhige dich. Wenn du jetzt losrennst, drückt er vielleicht wirklich ab, wenn er nicht gleich seine Waffe auf dich richtet!“, zischte Florian und versetzte mir einen Schlag mit den Handrücken, als ich keine Ruhe geben wollte.

„Das kann dir doch vollkommen egal sein, ob er mich erschießt oder nicht. Du kannst mich doch eh nicht ausstehen. Falls du es noch nicht wusstest: ich liebe Keyl über alles und lieber lass ich mich von ein paar Kugel durchbohren, als dass er von diesem Wahnsinnigen getötet wird.“, fauchte ich den Prinzen mit Tränen in den Augen an.

„Ach und was ist, wenn Julian nicht seine Waffe hebt und gleich losballert? Dann hast du Keyl auf dem Gewissen! Du hast mit der Sache hier überhaupt nichts zu tun, also halte dich gefälligst raus und geh zurück zu deiner Mami!“

Hätte mich Chris nicht zurück gehalten, wäre meine Faust direkt in dem Gesicht von diesem arroganten Arsch gelandet.

„Flo, das war jetzt nicht fair von dir. Der Kleine liebt Keyl wirklich.“, versuchte Chris das ganze zu schlichten, aber anstatt sich zu entschuldigen, drehte sich Florian nur schnaubend weg.

„So mein Prinz, du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten. Entweder schwörst du mir ewige Treue und Gehorsam, oder dein kleiner Schützling hier ist des Todes!“, gewann Julian, der uns die ganze Zeit beobachtet hatte, wieder unsere Aufmerksamkeit.

„Los, schwör es schon.“, flüstere ich zu Flo und schaute ängstlich zu meinem Engel.

„Du verstehst da was nicht, Kleiner.“, klärte mich Chris auf. „Wenn Florian wirklich auf den Schwur eingeht, ist er auch daran gebunden. Er kann das nicht einfach so sagen und zwei Minuten später dementieren. Das wäre gegen die Ehre.“

„Scheiß auf die Ehre. Hier geht es um ein Menschenleben. Um Keyl!“

„Wenn wir keine Ehre hätten, Kleiner, was würde uns dann von den Verbrechern unterscheiden?“ Mitleidig sah Chris mich an und musterte dann seinen Freund, der langsam einige Schritte nach vorne ging. „Was hast du vor? Flo?“

„Tut mir leid Chris. Ich kann nicht zulassen, dass Keyl wegen mir noch mehr durchmachen muss. Versprich mir, dass du auf ihn aufpassen wirst. Auf ihn und… und auf seinen Freund.“

‚Bekam ich das jetzt richtig mit? Wollte sich dieser arrogante Arsch wirklich für meinen Engel opfern? Und hatte er gerade wirklich angeordnet, dass Chris nicht nur auf den Prinzen, sondern auch auf mich Acht geben sollte?’ Ich spürte, wie der braunhaarige junge Mann neben mir am ganzen Körper zu beben begann.

„Tu es nicht.“, sagte eine schwache Stimme.

„Keyl.“, hauchte Florian und alle starrten wir auf die zitternde Gestallt am Boden.

„Tu es niiiiiicht!!!“, schrie mein Schatz mit einem Mal und sprang Julian entgegen, der verwundert seine Waffe hob und abdrückte.

Mein Herz blieb für Sekunden stehen. Ich riss mich von Chris los und stürmte zu meinem Engel. Irgendwas fehlte, nur war mir noch nicht bewusst, was. Flo hatte sich schon niedergekniet, hielt Keyl in seinen Armen und zielte mit seiner eigenen Pistole auf den silbernen Jungen. Dieser schaute nur ängstlich den Prinzen an und kroch einige Zentimeter rückwärts. Chris packte Julian von hinten, schleuderte ihn herum, sodass er auf den Bauch landete und machte dessen Hände auf dem Rücken mit Handschellen fest.

Die Anderen ignorierend, setzte ich mich auf meine Knie ab und beugte mich zu meinem Engel. Sanft strich ich ihm über die Wange, wollte nicht glauben, was gerade passiert war.

„Keyl. Bleib bei mir. Bitte verlass mich nicht. Keyl!“, schluchzte ich und begann mich apathisch vor und zurück zu wiegen.

Sacht legte sich eine Hand auf die meine. Florian blickte mich mit feucht glänzenden Augen an, dann hob er seinen Arm und führte meine Hand zur Brust meines Schatzes. Moment mal, diese hob und senkte sich. Zwar nur ganz leicht, aber dennoch eindeutig. Und dann wurde mir bewusst, was fehlte. Der Knall. Der ohrenbetäubende Laut, wenn eine Waffe losging. Mein Engel begann zu husten und öffnete langsam seine Augen.

„Habt ihr ihn?“, fragte er an Flo gewandt, der dies mit einem freudigen Nicken bestätigte.

„Du lebst.“, flüsterte ich und hätte ihn am liebsten fest an mich gedrückt.

„Hey, ich bin ein Prinz der Organisation. Mich tötet man nicht so leicht. Außerdem war sein Magazin alle.“, grinste er schwach.

„Idiot!“, wütend funkelte ich ihn an. „Du Vollidiot! Wie kannst du mir das nur antun?! Ich wäre fast gestorben vor Sorge. Wenn du so was noch einmal durchziehst, kannst du dir nen anderen Freund suchen. Ist das klar?!“

„Ich will aber keinen Anderen. Ich will nur dich.“

Schwach hob er seine Hand und strich über meine Tränen, die mir unkontrolliert in Massen über die Wangen liefen. Langsam wurde es wieder laut um uns herum. Schwerbewaffnete Männer mit Schutzwesten und schwarzen Stoffmasken tauchten plötzlich über all auf und draußen hörte man einige Sirenen.

„Helft mir auf. Ich will aufrecht nach draußen gehen.“, bat Keyl uns.

Florian schlang einen Arm von ihm um seine Hüfte und legte den eigenen auf die Schulter meines Engels. Chris zog mich beiseite und ließ die Beiden vor uns her laufen. Er erklärte mir, dass dies etwas mit der Ehre und dem Ansehen zu tun hätte. Es soll nicht gerade gut für das Image sein, wenn ein Prinz von einem Außenstehenden gestützt wurde.

Draußen kamen uns einige Sanitäter entgegen und untersuchten die Verletzung an Keyls Schulter. Die Notärzte meinten, es soll wohl ein glatter Durchschuss gewesen sein und müsste dringend gereinigt und genäht werden. So fuhren wir in ein Spezial­krankenhaus der Organisation, wo mein Engel in einem separaten Zimmer behandelt wurde. Eine Krankenschwester untersuchte derweil meine Abschürfungen an den Handgelenken, gab eine Salbe drauf und verband mir sie dann.

Ungeduldig wartete ich auf dem Gang, wann ich denn endlich zu meinem Schatz durfte. Nach einer nicht enden wollenden Stunde kam er endlich aus dem Zimmer, frisch geduscht, wie mir schien und in saubere Sachen gekleidet.

„Keyl.“

„Alex.“

Beide stürmten wir aufeinander zu und umarmten uns innig. Durch seine Verletzung konnte mein Engel seine Arme nicht so sehr hochheben und umklammerte deshalb nur meine Hüfte. Wieder hatte ich Tränen in den Augen, die ich nur schwer unterdrücken konnte.

„Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“, flüsterte Keyl und kuschelte seinen Kopf an meine Schulter. Wir sehr hatte ich dieses Gefühl der Wärme vermisst.

„Mir geht’s genauso mit dir. Bitte versteh das jetzt nicht falsch, aber wie kannst du schon so munter durch die Gegend laufen? Vorhin konntest du dich doch kaum alleine auf den Beinen halten.“

„Das sind einfach nur gute Schmerz- und Aufbaumittel. Außerdem wollte ich so schnell als möglich wieder zu dir.“

Ich grinste nur und hob sacht sein Kinn, damit ich ihn anschauen konnte. Leichte Spuren der letzten Stunden waren in  seinem Gesicht noch zu sehen, aber sonst strahlte mich nur dieses wahnsinnige Gelbbraun an, was ich so sehr liebte. Er schloss seine Augen und ich tat es ihm gleich. Sanft trafen unsere Lippen aufeinander und unendlich viele Glückshormone explodierten in meinem Magen, durchzogen meinen Körper und ließen meine Knie weich wie Pudding werden.

„Wow.“, meinte Keyl, als wir uns wieder voneinander trennten und verlieh dem Ausdruck, was ich fühlte.

„Ähem. Wenn wir die Herren kurz stören dürften.“, drang die belustigt klingende Stimme von Chris zu uns, der ein paar Meter weiter mit Flo zusammen an der Wand lehnte.

„Florian. Chris.“, sprach mein Engel die Beiden an und jeder nickte, sobald er seinen Namen hörte. „Ich danke euch. Von ganzem Herzen.“

„Wir sind Freunde, wusstest du das nicht?“, meinte Flo, worauf wir uns alle anlachten. Nach einer Weile jedoch verschwand sein Lächeln und er blickte ernst drein. „Die Königin verlangt nach uns. Und zwar nach uns allen.“

Ich konnte richtig merken, wie mein Engel sich versteifte und sich noch mehr an mich zu klammern begann.

„Kommt, lasst uns das so schnell als möglich hinter uns bringen. Keine Angst mein Prinz. Wir sind alle bei dir.“, versuchte Florian meinen Schatz etwas aufzumuntern und lief dann mit Chris voraus.

Zusammen stiegen wir in den Fahrstuhl, der uns nach unten zu dem Parkdeck brachte, wo schon ein schwarzer Van auf uns wartete. Wir fuhren eine ganze Weile durch die Gegend. Wie lange die Fahrt dauerte, konnte ich nicht genau sagen, weil ich mich voll und ganz auf Keyl konzentrierte, der die ganze Zeit wie ein Häufchen Elend in meinen Armen lag.

„Hör mal Alex. Wenn wir in der Residenz sind, halte deinen Kopf immer hoch und deinen Blick gerade aus. Klammer dich nicht an Keyl und bleib dicht hinter uns. Versuch einen möglichst emotionslosen Gesichtsaudruck aufzulegen. Du bist der Freund des Prinzen, somit hast du nun auch einen gewissen Status inne. Du stehst damit nicht nur unter seinem Schutz, sondern unter dem der ganzen Organisation.“, wies mich Flo streng an.

„Tut mir leid, dass ich dich da mit rein gezogen habe.“, hörte ich meinen Engel leise sagen.

„Hey. Ich bin froh, dass ich dir begegnet bin. Ein bisschen böse gucken und die Nase oben halten ist doch wirklich das geringste Problem.“, erwiderte ich und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, worauf er mich erleichtert anlächelte.

Wir parkten wieder in einer Tiefgarage, stiegen in einen recht großen Fahrstuhl und fuhren bis ins obere Stockwerk. Mit einem leisen ‚Pling’ öffneten sich die Türen und ich fand mich in einer Art Großraumbüro wieder, wo Telefone pausenlos klingelten und Menschen wild durcheinander liefen. An die Anweisungen von Florian haltend, hob ich meinen Kopf und versuchte, so streng als möglich auszuschauen. Ich zuckte ein wenig zusammen, als Keyl plötzlich nach meiner Hand griff und sie fest drückte. Kurz blicken wir uns an, nickten knapp und stiegen gemeinsam aus dem Fahrstuhl.

Jeder im Raum war verstummt und alle schauten uns neugierig an. Hier und da hörte ich einige flüstern: „Da, der junge Prinz, er ist wieder da. Ist er verletzt? Scheint nicht so, oder? Wer ist der Junge neben ihm? Wer ist das? Sein Freund? Die Königin hat schon nach ihnen verlangt. Oh je, das kann ja heiter werden. Die Befreiungsaktion war nicht genehmigt, stimmts? Die Vier tun mir jetzt schon leid.“

Wir ließen die tuschelnden Leute hinter uns und standen nun in einem Empfangszimmer, wo eine zierliche Dame uns begrüßte und dann mitleidig anwies, weiter zu gehen. Sacht klopfte Flo an die Tür und öffnete diese nach kurzem Zögern. Nacheinander betraten wir das Büro der Königin. Sie selbst saß in einem großen, braunen Ledersessel vor einem riesigen Panoramafenster und beugte sich über ein Schriftstück, das vor ihr auf dem großen Tisch aus Eichenholz lag. Die Wände waren kaum geschmückt und wirkten irgendwie kalt, wie das ganze Zimmer.

Die Königin legte ihren Stift beiseite, als wir vor ihrem Tisch standen und blickte auf.

„Weißt du was das ist?“, wandte sie sich gleich an ihren Sohn, ohne auch nur ein Wort der Begrüßung und zeigte dabei auf das Blatt Papier vor sich.

„Ein Schreiben der hiesigen Stadt?“, fragte mein Engel und schaute seine Mutter unsicher an.

„Genau. Und kannst du dir auch denken, was darin steht? Das ist eine Beschwerde über die Schießerei, die du diese Nacht angezettelt hast. Es geht noch weiter. Widerrechtliches Betreten einer Lagerhalle, vorsätzliche Beschädigung von Privateigentum und dann noch bewusste Verwicklung von Zivilisten in Organisationsstreitigkeiten!“

„Keiner hat mich zu etwas gezwungen. Das war mein freier Wille, weil ich Keyl…“, setzte ich zu einer Erklärung an, wurde aber gleich wieder unterbrochen.

„Ach, du wurdest also nicht gezwungen, in die Lagerhalle zu gehen, hast dir freiwillig deine Arme an den Gitterstäben festbinden lassen und wärst aus freien Stücken halb erfroren?! Sehr interessant.“

„Meine Königin, wenn ich dazu bemerkten dürfte…“, begann Flo zu reden.

„Schweigt! Alle beide! Ich habe keine Lust mehr, mir eure plumpen Ausreden anzuhören. Ihr habt mir bewusst verschwiegen, dass Julian in der Stadt ist, nur damit Keyl weiter draußen frei herum streunen kann. Florian. Du solltest auf ihn aufpassen und ihn nicht in die Arme irgendeines unbeteiligten kleinen Jungen treiben!“

„Mutter! Das reicht. Alex ist nicht irgendein Junge. Er ist mein Freund!“

„Es reicht. Wahrlich. Du führst nicht genehmigte Aktionen durch. Läufst ständig von zu Hause weg, um dich mit wildfremden Jungs zu treffen. Bestichst deine Aufpasser und ziehst sie mit in deine Machenschaften rein. Das geht so nicht weiter. Ich habe beschlossen, dich in ein Internat in der Schweiz zu bringen, wo du eine ordentliche Ausbildung genießen wirst und hoffentlich einige Manieren lernst.“

Ungläubig starrten wir die Königin an und wussten nicht recht, was wir darauf sagen sollten.

„Nein. Das mach ich nicht. Du kannst vergessen, dass ich von hier weg gehe. Lieber lebe ich als Bettler in dieser Stadt bei meinem Freund, als in nem wildfremden Land als Prinz.“

„Ich glaube, du hast keine andere Wahl, mein Sohn.“, meinte die Mutter meines Engels und drückte auf einen Knopf ihrer Wechselsprechanlage, die auf ihrem Tisch stand. „Ricarda? Bring bitte die neuen Aufpasser des Prinzens rein.“

„Neue Aufpasser?“, hauchte Flo und blickte verstört zwischen Keyl und der Königin hin und her.

„Keine Angst. Sie sind die besten der Akademie und werden den Prinzen sehr gut beschützen. Du warst doch immer so empört darüber, dass du auf Keyl aufpassen musstest. Nun habe ich dir deine Last abgenommen. Bis zu Neujahr darfst du dir Urlaub nehmen. Genieße deine freie Zeit mit deinem Freund. Ihr beide dürft gehen.“

„Neulinge? Bei allem Respekt, ihr wollt Grünschnäbel an die Seite eures Sohnes setzen? Vielleicht habe ich am Anfang etwas gemurrt über diese Aufgabe. Aber ich will keinen Urlaub. Ich will…“

„Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt!“, unterbrach barsch die Königin Florian. „Du bist diesen Postens enthoben.“

„Mir ist egal, ob ihr mich dazu ernennt oder nicht. Ich bleibe Keyls Bodyguard. Ob ihr das nun wollt oder nicht!“

Wütend über so eine geballte Ladung Ungehorsams, funkelte die Königin ihn empört an. Wieder drückte sie auf ihre Wechselsprechanlage. „Ricarda! Wo bleiben die neuen Aufpasser des Prinzen?!“

Daraufhin schwang krachend die Tür auf, aber ins Zimmer traten keine neuen Bodyguards, sondern eine große, schwarzhaarige junge Frau, vielleicht Mitte Zwanzig, mit dunkelgrün leuchtenden Augen. Es war unverkennbar, mit wem sie verwand war.

„Vicky.“ Überrascht blickte die Königin den Neuankömmling an.

„Florian, Chris. Bitte bringt mit Keyl zusammen Alex nach Hause. Seine Familie ist schon fast krank vor Sorge. Danach geht ihr bitte in unser Apartment und wartet dort auf mich.“, wies sie sanft die anderen an.

„Warte mal, was soll das? Du kannst hier nicht einfach so reinplatzen und Befehle erteilen.“

„Stimmt, laut der Rangfolge bist du genau einen Grad höher als ich. Aber weißt du was, momentan ist mir das vollkommen egal, weil es nicht um die Organisation geht, sondern um die Familie und da, liebe Schwester, stehen wir auf einer Stufe. Kinders, auf was wartet ihr? Ich habe hier noch etwas zu bereden und zwar mit Katja alleine. Also seid so nett und schließt die Tür hinter euch, wenn ihr geht.“

Vicky scheuchte uns regelrecht aus dem Zimmer, doch so leicht gab sich die Königin nicht geschlagen. Sie lief ihrer Schwester nach, packte sie grob am Handgelenk und wollte sie herum schleudern. Nur fing sich die schwarzhaarige Frau ab und knallte ihr mit voller Kraft eine Ohrfeige auf die Wange. Mehr bekamen wir allerdings nicht mit, da Chris schleunigst die Tür hinter sich schloss. Total durcheinander stand ich in dem, außer uns leerem, Empfangsraum.

„Kann mir einer bitte mal erklären, was dort drin gerade passiert ist?“, fragte ich in die Runde.

„Also, meine Mom hat anscheinend die Schnauze voll mit mir und will mich in nen Internat stecken, zich Kilometer von hier entfernt.“, fing mein Schatz an.

„Mit mir als Keyls Aufpasser ist sie auch überhaupt nicht zufrieden, weil ich ihm zu viele Freiheiten gelassen habe.“, erzählte Flo weiter.

„Und die Frau, die du grade gesehen hast, ist Florians Mutter und die Stiefschwester von der Königin. Hoffentlich wäscht Vicky der Königin mal richtig den Kopf.“, schloss Chris.

„Die Schwarzhaarige ist deine Mutter? Ich habe sie auf maximal Mitte Zwanzig geschätzt und dich auf Neunzehn, oder so.“, sagte ich ungläubig.

„Das stimmt auch, aber das ist ne andere Story. Komm, wir müssen dich wirklich nach Hause bringen. Als ich vorhin im Krankenhaus mit deiner Mom telefonierte, klang sie mehr als nur besorgt.“, meinte Flo und ging mit Chris voraus.

Mein Engel blieb etwas unschlüssig im Zimmer stehen und blickte sich unbehaglich um. Ich ging zu ihm, strich eine Strähne seines Haares aus dem Gesicht und stupste ihn leicht mit der Nase an. Traurig lächelte er mir zu.

„Kopf hoch. Wir schaffen das. Zusammen!“, versuchte ich ihn aufzumuntern.

„Danke. Ich hatte nur gehofft, dass dein erstes Treffen mit meiner Mom etwas fröhlicher ausfällt und nicht im Chaos endet. Sie ist eigentlich ganz O.K. Wie jede Mutter macht sie sich ja auch nur Sorgen, aber in der letzten Zeit übertreibt sie es einfach.“, probierte Keyl das Verhalten seiner Mutter zu rechtfertigen.

„Pass auf. Sobald sich die Lage wieder entspannt hat, starten wir einfach einen neuen Versuch. So schnell geb ich nicht auf.“, zwinkerte ich meinem Schatz zu und er atmete erleichtert auf.

Dann folgten wir den beiden Anderen zum Fahrstuhl und stiegen, unten angekommen, mit ihnen wieder in den schwarzen Van ein. Schweigend flog die Landschaft an uns vorbei, bis ich nach einer Weile bekannte Häuser und Straßen entdeckte. Mir wurde immer unwohler zumute, je näher ich dem Ziel kam. Nur widerwillig löste ich mich von meinem Engel und stieg mit ihm aus dem Auto aus. Alle drei brachten mich noch bis hoch zur Wohnungstür, da Flo noch mit meinen Eltern etwas abklären wollte. So stand ich nun im Treppenhaus vor der Tür meiner Wohnung und wollte nicht wirklich hinein gehen.

„Wann sehen wir uns wieder?“, fragte ich ängstlich meinen Schatz, der sich an mich geklammerte hatte und nicht wieder loslassen wollte.

„Ich weiß nicht, wie viel Vicky erreichen kann. Vielleicht ist das hier unser letztes Treffen.“

„Nein, ich will dich nicht wieder hergeben Ich will bei dir sein. Bleib hier bei mir. Bitte.“, jammerte ich und barg meinen Kopf an seinem Hals.

„Hab Geduld. Wir müssen erstmal abwarten, was Vicky erreichen kann. Wenn wir uns jetzt gegen ihre Anweisungen stellen, wäre alles für umsonst. Ich werde wiederkommen, das schwöre ich. Warte auf mich.“

„So lange du willst. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch, mehr als alles andere auf der Welt.“

Wir trennten uns ein winziges Stück, nur um uns in die Augen blicken zu können. Mein Herz wurde unendlich schwer, als ich in das gelbbraune Leuchten schaute und darin mehr und mehr versank. Sanft berührten sich unsere Lippen. Zärtlich spielten wir mit der Zunge des jeweils Anderen, streichelten uns über die Wangen und den Nacken.

„Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber wir haben nicht mehr viel Zeit.“, unterbrach uns Flo leise und betätigte, nach einem zustimmenden Nicken unsererseits, die Klingel.

Meine Mutter riss förmlich die Türe auf und fiel mir erleichtert um den Hals, meine Schwester, Dennis und selbst mein Vater folgten.

„Dem Himmel sei dank, dir geht es gut.“, hauchte meine Mom und wischte sich Tränen aus den Augen.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich ihren Sohn da mit rein gezogen habe. Es war wirklich nicht meine Absicht.“, sagte mein Engel ängstlich und starrte auf den Boden.

„Ach halt deinen Mund.“, antwortete meine Mutter und ging zu ihm rüber. „Für solche geistesgestörten Menschen kann keiner was. Ich bin verdammt noch mal froh, dass es euch Beiden gut geht. Und hatte ich nicht gesagt, dass du dieses doofe Sie weglassen sollst?!“ Dann umarmte sie ihn. Meine anderen Familienmitglieder blickten ihn aufmunternd an und gaben somit zu verstehen, dass sie ihm für das Geschehene keine Schuld gaben.

„Entschuldigen sie die Unterbrechung, aber wie ich schon am Telefon mitteilte, müsste ich noch etwas mit ihnen besprechen. Es dauert nicht lang.“, wandte sich Florian höflich an meine Eltern, worauf beide sich zu ihm gesellten. Meine Schwester ging mit Dennis vorerst wieder in die Wohnung und ließ somit mir und Keyl genug Zeit zum Abschied.

Wir klammerten uns wieder aneinander, küssten uns innig und wollten uns einfach nicht voneinander trennen. Flo packte schon fast grob die Schulter meines Engels und zog ihn von mir fort, währenddessen mein Vater mich festhielt. Tränen rannen mir und Keyl unentwegt über die Wangen hinab und tropften lautlos zu Boden. Vom Fenster aus sah ich noch, wie mein Schatz vor dem Auto stand und ein letztes Mal zu mir nach oben blickte, bis ihn Florian drang, einzusteigen. Dann fuhr der Van davon.

***

Es war Heilig Abend. Überall roch es nach Pfefferkuchen, Äpfeln und Zimt. Leise hörte ich Musik von unten in mein Zimmer dringen. Fröhliche Weihnachtslieder. Danach war mir zur Zeit überhaupt nicht zu Mute. Knapp zwei Wochen waren vergangen, nachdem ich mich von meinem Engel trennen musste und bisher hatte ich nicht eine Nachricht von ihm erhalten. Weder wusste ich, wie es ihm ging, was er gerade machte, noch wo er war.

Seit ich mich von meinem Schatz verabschieden musste, hatte ich mich überwiegend in meinen Zimmer einge­schlossen und war nur zu den Mahlzeiten raus gekommen. Gegessen hab ich trotzdem kaum was. Von der Schule war ich bis nächstes Jahr frei geschrieben wurden, so blieb mir wenigstens dieses Laster erspart. Blind tastete ich in meinem dunklen Zimmer nach der Fernbedienung meiner Musikanlage und ließ wieder Schandmaul mit ‚Dein Anblick’ anlaufen.

Ich lauschte den Worten des Sängers und erinnerte mich wieder an die zarte Haut meines Schatzes, an dessen weiche Lippen, an die Wärme und Geborgenheit, die er mit gespendet hatte. In meinen Augen brannten Tränen auf.

Jemand klingelte an unsere Wohnungstür und ich hörte, wie meine Mom diese freudig öffnete und aufquickte. Genervt schaltete ich meine Musik lauter, damit ich mir das fröhliche Gequatsche von unten nicht mit antun musste. Dieses Jahr wollte unsere Nachbarin ein Stück mit uns feiern, da ihr Mann erst spät von der Arbeit kam und der Rest ihrer Familie weggefahren war. Ich drehte mich nur in meinem Bett rum, kuschelte mich in mein Kissen und ergoss mich in meinem Kummer. Ein paar Minuten später klopfte es zaghaft an meiner Tür.

„Alex, kommst du bitte endlich runter? Unsere Gäste sind da und wir wollen mit der Bescherung anfangen.“, sagte meine Mutter sanft, mit etwas Besorgnis in der Stimme. „Und zieh dir bitte was Ordentliches an.“

„Ja, mach ich Mom.“, meinte ich schwach und stand langsam auf.

Meine Schwester hatte mir schon ein paar Sachen für den Abend hingelegt, weil sie der Meinung war, dass ich in der letzten Woche nicht gerade als Model durchging. Lustlos lief ich ins Bad, putzte mir die Zähne und kämmte mir halbherzig die Haare aus dem Gesicht. Dann schlurfte ich die Treppen hinab. Die ganze Wohnung war weihnachtlich geschmückt und leuchtete in einem sanften Grün und Rot. Nur hatte ich in diesem Augenblick absolut keinen Sinn dafür.

Ich stand gerade in Gedanken versunken auf den letzten beiden Stufen, als eine große, schwarzhaarige Person von links aus dem Wohnzimmer kam.

„Wird ja auch langsam echt Zeit!“

Verwirrt schaute ich Florian an.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich verdattert.

„Na was wohl.“, antwortete er schnippisch und blickte mich genervt an.

In diesem Augenblick trat eine weitere Person auf den Flur hinaus. Mein Atem setzte aus, als ich erkannte, wer da nun vor mir stand.

„Keyl.“, hauchte ich ungläubig.

„Hey.“, antwortete mein Engel nur und lächelte mich an.

„Keyl!“, rief ich und stürmte nach vorne. Allerdings verfehlte ich die letzte Stufe und strauchelte. Ich prallte mit voller Wucht auf meinen Schatz und riss ihn mit mir zu Boden.

„Na das nenn ich doch mal eine stürmische Begrüßung.“, lachte Chris, der gerade aus der Küche kam und zwei Schüsseln über uns drüber balancierte. Flo kam seinem Freund zur Hilfe, nahm ihn etwas ab und beide gingen grinsend wieder in die Wohnstube.

Ich konnte es einfach nicht fassen, dass mein Engel endlich wieder bei mir war. Lächelnd lag ich auf ihm und genoss seine sanften Fingerspitzen, als diese meine Wange liebkosten. Dann nahm Keyl meinen Kopf in beide Hände und zog mich zu sich hinunter. Ich spürte sein Verlangen, sein Drängen und seine Erleichterung, endlich wieder vereint mit mir zu sein – ich fühlte im Gegenzug nicht viel anders.

„Wollt ihr nicht endlich aufstehen und zu uns kommen? Wir möchten langsam die Geschenke auspacken.“, neckte meine Schwester.

Kichernd kamen wir der Aufforderung nach und gesellten uns zu den Anderen.

„Ich habe mein Geschenk schon.“, meinte ich zu Sahra, als wir ins Wohnzimmer kamen und uns nebeneinander auf das Sofa setzten. Mein Schatz legte gleich meinen Arm um seine Schulter und kuschelte sich wieder an die meinige.

„Oh, dann willst du unseres wohl gar nicht haben?“, fragte mich Chris und sah mich prüfend an. Er saß in unserem Sessel und Flo auf dem Boden zu seinen Füßen. Der Prinz hatte seinen Kopf gegen die Beine seines Freundes gelehnt und ließ sich sanft von ihm am Hals graulen.

„Nimm es an.“, drängte mein Engel mich, darum sagte ich brav, dass ich mich sehr über ihr Präsent freuen würde.

„Gute Antwort.“, lächelte Keyl und löste sich ein wenig von mir. „Also es ist so. Dank Vicky hat meine Mutter eingesehen, dass sie in Sachen Sicherheit bei mir sehr übertrieben hat. Des Weiteren konnte meine Tante sie davon überzeugen, dass es wohl besser wäre, mich nicht in ein Internat zu stecken, sondern auf eine Schule meiner Wahl. Einzige Voraussetzung ist, dass ich regelmäßig zum Training gehe, brav zu meinen Aufpassern bin und sie nicht austrickse und dass ich meine Mutter auf dem Laufenden halte.“

„Eine Schule deiner Wahl? An welche hast du denn da gedacht?“, fragte ich vorsichtig, worauf mich mein Schatz nur breit angrinste.

„Na ja, ich habe gehört, dass ganz hier in der Nähe ein gutes Gymnasium sein soll.“

Mit immer größer werdenden Augen starrte ich meinen Engel an.

„Du meinst, du kannst hier bleiben?“

„Nein du Idiot. Das bedeutet, dass er auf den Mond zieht und sich dort nen Haus baut.“, stöhnte Florian genervt, handelte sich dabei aber einen Klaps von seinem Freund ein.

Überglücklich sprang ich meinem Engel um den Hals und drückte ihm danach einen langen Kuss auf die Lippen.

„Nu is aber Schluss hier. Ich bin zwar echt froh, dass mein kleiner Bruder endlich wieder happy ist, da er die ganze letzte Woche total deprimiert sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte. Also Keyl, falls du noch einmal so ne Nummer mit ihm abziehen solltest, von wegen allein lassen und so, dann gnade dir Gott! Aber bitte steck nich weiter deine Zunge in seinen Mund, wenn ich in der Nähe bin. Alex ist mein kleiner Bruder. Das ist irgendwie komisch. Für den Rest habt ihr freie Bahn.“

„Du hast es gehört Schatz.“, meinte ich zu Keyl. „Außer nem Zungenkuss dürfen wir hier alles machen. Los, zieh dich aus!“

„Nein! So meinte ich das nicht.“, jappste meine Schwester nach Luft und schmiss mir dann ein Kissen an den Kopf, als sie merkte, dass ich nur Spaß machte.

„Jetzt ist aber gut.“, unterbrach uns meine Mutter lachend, stand auf und schenkte den Wein aus. „Auf dass es den Menschen, die uns wichtig sind, immer gut geht, wir sie oft in unsere Nähe wissen dürfen und auf das die Familie immer zusammen hält, sich in schwierigen Situationen beisteht und stetig wächst. Auf unsere Familie und unsere Lieben!“

„Auf unsere Familie und unsere Lieben!“, stimmten wir alle im Chor meiner Mutter zu und nippten an dem Wein.

Leise liefen im Hintergrund alte Weihnachtslieder. Ein Duft von Tanne, gemischt mit Lebkuchen und Apfelsinen stieg mir in die Nase, als die ersten Geschenke ausgeteilt wurden. Die Kerzen des Adventkranzes flackerten sanft vor sich hin und verströmten ein angenehmes Licht.

Mein Engel kuschelte sich wieder an mich und graulte mir zärtlich meinen Arm. Sacht lehnte ich mich auf dem Sofa zurück und genoss die Nähe der Menschen, die ich am meisten liebte.

written by hyen

Mein Alptraum

„Mum jetzt komm schon! Ich hab keine Lust wegen Euch den Zug zu verpassen!“

„Jetzt mach mal Halblang! Dein Vater musste halt noch in die Apotheke!“

War ja klar. Was sollte ich auch sonst zu hören bekommen. Immer das gleiche! Meine Eltern wollten mich zum Bahnhof fahren weil wir, also meine Klasse und eine Parallelklasse, auf Klassenfahrt fahren. Und was machen meine Eltern? Weiterlesen

Herbstzeitlose – Teil 2 (Ende)

»War sehr gut, Andreas, hat prima geschmeckt«, bedankte sich Wolfgang und knüllte die Serviette in den Teller.
Sie stießen noch einmal an, tranken einen Schluck und gingen hinüber zur Couch im Wohnzimmer. Andreas knipste die kleine Wandlampe an und löschte das Deckenlicht. Weiterlesen

Herbstzeitlose – Teil 1

Herbstzeitlose sind schöne Blumen, die jeder kennt und die nur im Herbst wunderschön blühen. Sie zeigen, dass auch am Ende des Sommers noch leuchtende und lebendige Farben möglich sind. Weiterlesen

Frohe Ostern

Pitstories wünscht allen seinen Autoren und Lesern ein frohes Ostern. Viel Spass beim Eier suchen!!!

Neue Umfrage

Start einer neuen Umfrage wegen einem Betapools.

Die zweite Chance – Teil 1

Die Sonne ging gerade hinter den Bäumen unter. Die Landschaft wurde von ihr in ein rot-goldenes Licht getaucht. Die Bäume trugen die ersten hellgrünen Blätter. Etwas zu früh in diesem Jahr, aber die Luft war schon jetzt schon so warm als wäre es Sommer.

Florian hob seinen Kopf und blickte in die letzten Sonnenstrahlen. Auch wenn es die letzten des Tages waren, sie waren doch noch so hell, dass sie in seinen Augen brannten. Doch da war nichts mehr, nichts was den Schmerz lindern konnte, keine Tränen mehr. Die hatte er für einen größeren Schmerz gebraucht.
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Was bleibt ist nur die Liebe

In der Weihnachtsgeschichte „Und Friede den Menschen auf Erden“ haben wir die Passauer Jungs Nico und Dimitri, sowie Yuri und Thomas kennen gelernt. Was sie nun von Weihnachten bis Ostern alles erlebt haben, davon handelt diese Erzählung.

Aus gegebenem Anlass wird darauf hingewiesen, dass die Namen der Personen völlig frei erfunden sind. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig!

 

 

 

 

Was bleibt ist nur die Liebe

 

© Co-Autor mit Kanarenlover

 

 

 

Dimitri

 

 

„Ach Yuri, was zappelst denn schon wieder rum, beeile dich mal ein bisschen, sonst kommen wir in diesem Jahr nicht mehr hinauf, langsamer Pater du!“

Ich muss lachen über diese Wort von Nico, der neben mir geht und sich zu meinem Bruder Yuri umdreht und ihm zuruft. Yuri ist etwa 20 Meter hinter uns und hüpft auf der Innbrücke, die wir gerade überqueren, umeinander vor lauter Freude über die bereits jetzt gelegentlich abgefeuerten Silvesterfeuerwerke.

Es ist Silvesterabend, kurz nach 23 Uhr, also noch knapp eine Stunde bis zum Jahreswechsel 2007/2008. Aber, wie es halt überall ist, manch einer kann es gar nicht abwarten mit der Knallerei und pulvert schon den ganzen Abend wie wild darauf los.

„Ja, ja, jetzt bin ich wieder der langsame Pater, nur weil ich so gerne nach den Feuerwerken Ausschau halte. Aber ist ja klar, wenn du, Nico, mit deinen langen Haxen einen Schritt machst, muss ich kleiner Mann schon drei Schritte machen, um mitzuhalten. Jetzt hilf mir halt auch mal, sag was Thomas!“ so bettelt Yuri, der mittlerweile etwas aufgeholt hat, seinen Freund an.

Aber Thomas, der unmittelbar hinter uns geht, dreht sich nur zu Yuri um und lächelt ihn an:

„Ach mein Yuri, du kleiner Mann, komm her zu mir, lass dich führen, dann überholen wir den bösen Nico mit seinen langen Haxen mit Leichtigkeit!“

Alle vier müssen wir lachen, denn nur zu gut wissen wir, dass es keiner ernst meint. War ja schon immer so, diese Kabbelei zwischen Nico und Yuri, dieses Aufzwicken wegen der Rumzappelei von Yuri, deshalb „Zappel-Yuri“ genannt und der „langen Haxen“ von Nico, meinem Schatz.

So marschieren wir also weiter, neben mir mein Freund Nico und hinter uns mein Bruder Yuri mit seinem Thomas. Wir haben eben die Innbrücke von Passau überquert und sind auf dem Weg hinauf zum Mariahilfberg. Nico hatte die Idee, dass wir von dort oben die vielen Feuerwerke, die in der Silvesternacht abgebrannt werden, wunderbar beobachten können. In der Tat, man hat dort oben wirklich einen einmaligen Ausblick auf die ganze Stadt. Ich war ja mit Nico schon mal dort und wir haben die herrliche Aussicht bewundert.

Scheinbar haben andere Leute auch diese Idee gehabt, am Berg oben das Neue Jahr zu begrüßen, denn es überholen uns doch einige Fahrzeuge. Ja, man kann ganz bequem mit dem Auto den Berg hinauffahren. Es gibt auch einen großen Parkplatz dort oben. Aber nachdem wir alle vier schon etwas vorgefeiert, sprich Alkoholisches getrunken haben, wählten wir den etwas anstrengenderen Weg zu Fuß.

Wir haben in Nicos Penthousewohnung den ganzen Abend gefeiert. Nico hat sich nicht lumpen lassen und uns mit kulinarischen Köstlichkeiten geradezu verwöhnt. Es hat schon seine Vorteile, wenn man, wie im Fall Nico, der Lieblingsenkel wohlhabender Großeltern ist.

Nico hat uns schon „vorgewarnt“, wir sollten alle das Mittagessen ausfallen lassen, damit wir genügend Hunger mitbringen, wenn es gegen 5 Uhr bei ihm los geht. Nun, ich hatte wirklich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. So konnte ich mit gesundem Appetit zuerst die traditionelle Würstlparade mit reichlich Sauerkraut und später dann die vielen Leckereien auf den vortrefflich arrangierten Wurst- und Käseplatten genießen. Zu trinken gab es natürlich auch reichlich. Vor allem hat es uns die von Nico selbst zubereitete süffige Ananasbowle angetan.

Anfangs waren auch Nicos Mutter und seine Großeltern anwesend. Alles nette Leute, ich verstehe mich großartig mit ihnen und sie mögen mich. Vor allem Nicos Mutter himmelt mich förmlich an. Nicht erst einmal hörte ich Nico sagen: „He Mam, das ist aber meiner, such dir selber deinen Schnuckel!“

So gegen 20 Uhr haben sich die älteren Herrschaften verabschiedet und wir vier waren dann allein, bis wir uns auf den Weg machten.

Wir haben die engen Gässchen nach der Innbrücke verlassen und sind nun am direkten Weg hinauf nach Mariahilf. Mit dem Auto fällt einem das gar nicht so auf, aber zu Fuß ist das schon ein steiler Anstieg, den wir vor uns haben. Nach einer scharfen Linkskurve geht es nun auf einem eigenen Fußgängerweg, der von der befahrbaren Straße abgetrennt ist, steil hinauf.

Die ersten Seufzer höre ich bereits hinter mir:

„O Mann, hätte ich nur nicht soviel in mich hinein gestopft, jetzt muss ich das alles da hinauf schleppen, die vollgefressene Wampe!“

Yuri natürlich!

„Ach, du tust mir ja so leid, mein armes Schnuckelchen“ veralbert Thomas seinen Freund und legt den Arm um Yuris Schulter.

„Komm, ich helfe dir deine Wampe tragen.“

Und Thomas greift zu. Aber ob Yuri seine „Wampe“ wirklich soweit unten und zwischen den Beinen trägt, bezweifle ich.

„Ja, ja, verarschen kann ich mich selber auch, außerdem muss ich jetzt mal für kleine Yurileins.“

Yuri dreht sich etwas weg und verrichtet sein Geschäft. Wir gehen langsam weiter. Nur Thomas bleibt zurück und ruft seinem Freund lachend zu:

„Soll ich dir helfen, Yurilein, oder kommst du alleine zurecht?“

„Ja, ja“ hören wir Yuri schmollen „alle hacken auf den armen Yuri rum, jetzt du auch noch du Verräter Thomas, aber wartet, bis ich meine Hände frei habe!“

Kurz darauf kommt er auch schon daher gesaust und gibt Thomas einen Rempler, dass der beinahe umkippt. Schon ist eine kleine Rangelei zwischen den beiden im Gange, die, wie könnte es anders sein, in einem innigen Kuss endet.

Aber kurz darauf ist Yuri wieder in seinem Element, weil wir mal hinter uns, dann vor uns und dann seitlich Raketen zischen und krachen hören. Und Yuri zappelt herum, um etwas von dem Feuerzauber mitzubekommen.

Und schon wieder ein Kracher, diesmal ziemlich nah.

Yuri, durch die ganze Schauerei etwas zurück geblieben, wirbelt herum, dreht seinen Kopf hin und her, sieht nach vorne, sieht zurück, kommt zu uns her, sieht zu Thomas, schnüffelt etwas und meint dann:

„Das warst du, Thomas du Schwein! Ich schau mir die Augen aus, wo der Kracher herkommt, derweil kannst du dich nicht beherrschen!“

Thomas hält sich den Bauch vor lauter lachen und auch Nico und ich biegen uns.

„Aber eins musst du ihm lassen, Yuri, er kann sich hervorragend mit seinen Tönen den Silvesterkrachern anpassen, meinst du nicht auch?“ fragt Nico lachend.

„Jawohl, das kann er“, ereifert sich Yuri „aber er hat schon noch ganz andere Töne drauf, dieses …dieses…“

„Selber schuld, Yuri,“ meint Thomas lachend, „warum hast du mir auch soviel Kraut auf mein Teller getan, ich hab dir doch gesagt, dass ich davon…. Und außerdem bei dem ganzen Gekrache rundum – du kannst doch nicht genug davon kriegen.“

„Bah….ihr könnt mich alle mal…“ sagt ein sichtlich schmollender Yuri und zieht mit gespielt finsterer Miene an uns vorbei. Er hat es plötzlich sehr eilig und geht zielstrebig den Berg hoch.

„Diese beiden, Yuri und Thomas – also wenn das Sprichwort stimmt von den sich neckenden Liebenden, dann ist das doch die ganz große Liebe, meinst du nicht auch Niki?“

Ich sehe zu meinem Liebling und drücke seine Hand, die ich schon den ganzen Weg halte, fest.

„Muss wohl so sein, Dimi, aber ich liebe dich auch ganz ohne Neckerei und ich kann nur immer wieder sagen, wie froh ich bin, dich zum Freund zu haben.“

Ich lächle Nico an und meine: „Mir geht es doch genauso, ich weiß gar nicht mehr, wie ich solange ohne dich leben konnte.“

„Ja Dimi, was war das für ein Jahr, dieses 2007, was für ein Jahr!“

Er hat recht, was für ein schicksalhaftes Jahr, das in weniger als einer Stunde zu Ende geht.

 

***

 

Wie ja mein Name „Dimitri“ und der meines Bruders „Yuri“ schon verraten, stammen wir aus der ehemaligen Sowjetunion, sind aber bereits, zusammen mit unseren Eltern, seit mehr als 12 Jahren in Deutschland, seit einigen Jahren nun in Passau.

Es hat lange gedauert, bis ich mir über mein Schwulsein ganz klar war. Durch Zufall kamen meine Eltern darauf, noch bevor ich es ihnen selbst sagen konnte. Meine Mutter hielt von Anfang an zu mir, aber mein Vater kam anfangs gar nicht damit zurecht. Er ekelte mich praktisch aus dem Haus. So hab ich mir hier in Passau eine eigene Wohnung genommen. Es war eine schwere Zeit, wo mir doch meine Familie alles bedeutete. Aber mein Arbeitskollege Thomas half mir viel in dieser Zeit und munterte mich auf. Ja und dann kam auch das Outing meines zwei Jahre jüngeren Bruders Yuri, was mich schon sehr überrascht hat. Damit hatte ich nun gar nicht gerechnet. Durch mich fanden  dann auch Yuri und Thomas zusammen.

Nico ist mir zum ersten mal am Ilzstausee aufgefallen, wo ich mit Yuri und Thomas war. Ich war von Anfang an beeindruckt von dem lieben Kerl mit den langen Haxen, wie mein Bruder immer zu sagen pflegt. Ja, er hat wirklich lange, schlanke Beine, mir gefallen sie unwahrscheinlich gut. Faszinierend aber auch seine großen Augen. Also wenn er mich mit denen so ansieht, da bin ich immer hin und weg!

Es war wohl mehr als ein Zufall (Wink des Schicksals? Göttliche Fügung? Wer weiß?), dass wir uns eines Tages im vergangenen Herbst an der Innpromenade wieder trafen. Da hat es zum ersten mal so richtig gefunkt zwischen uns. Nie vergessen werde ich, wie er mich zu einer Kreuzfahrt auf dem Schiff einlud, die sich dann als Dreiflüsserundfahrt entpuppte.

Ja, es waren die bisher schönsten und aufregendsten Tage meines Lebens, die ich in der Folgezeit mit diesem lieben Menschen erleben durfte. Die Krönung des Ganzen war dann natürlich das erste gemeinsame Weihnachtsfest mit dem Austausch der Ringe.

 

Auch für Nico war dieses nun fast vergangene Jahr alles andere als ereignisarm!

Zunächst sein Outing bei drei seiner, wie er glaubte, besten Freunde, das alles andere als gut verlief. Alle drei verließen ihn sofort. Und als einer von ihnen, Josef, dann doch zu Nico hielt, wurde er von den anderen fast zu Tode geprügelt. Vor allem ein gewisser Heinz tat sich da unrühmlich hervor. Er wurde gefasst und sitzt, auch wegen anderer Verbrechen, seither in der JVA Straubing ein. Ach ja, das hat Nico mir erzählt, er soll vor Weihnachten entflohen sein. Muss Komplizen dort gehabt haben. Hoffentlich haben sie ihn schon gefunden und wieder hinter Schloss und Riegel gebracht, wo er für eine ganze Zeit hingehört. Mit Josef, dem ja so übel mitgespielt wurde, hat sich Nico längst ausgesöhnt.

Schwierigkeiten gab es für Nico auch durch seinen Vater, der ihn, man stelle sich das mal vor, wegen seinem Schwulsein zu einem Arzt schicken wollte. Inzwischen sind Nicos Eltern getrennt, sein Vater spielt keine Rolle mehr in Nicos Leben, ja hat das wohl auch nie so richtig. Dafür hat er seine geliebte Mam und seine Großeltern, die ihn vergöttern. Sie haben ihm zum Geburtstag, so mir nichts dir nichts, eine Penthousewohnung in Uninähe geschenkt, so wie ich von meinen Eltern vielleicht ein neues Hemd mit Krawatte bekomme. Eine eigene Penthousewohnung zum Geburtstag!

Ja, Yuri studiert an der Passauer Uni, die er natürlich bequem zu Fuß erreichen kann.

Ich hingegen bin schon seit meiner Lehrzeit in einem großen Autohaus am westlichen Stadtrand von Passau und bewohne immer noch meine Mietwohnung unweit des Arbeitsplatzes.

Gottseidank hat es auch die Versöhnung mit meinem Vater wieder gegeben. Er hat sich mit meinem Schwulsein und auch dem von Yuri abgefunden, weil ihm die Familie doch über alles geht. Lieber schwule Söhne als gar keine! Unvergessen der für uns alle bewegende Moment, als Vater vor der Christmette im Dom zunächst meinen Nico und dann auch Thomas, also quasi seine Schwiegersöhne, umarmte!

Was für ein Jahr! Ein Jahr, in dem ich mein Glück gefunden habe!

 

***

 

Ich bin so in meinen Gedanken, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass Nico mich losgelassen hat und ein paar Schritte vor mir geht.

Erst als er sich umdreht und zu mir sagt: „Ich sehe Yuri gar nicht mehr vor uns.“ Erst da schrecke ich aus meinen Gedankengängen auf und höre, wie er zum hinter uns marschierenden Thomas sagt: „Was ist, willst du ihn nicht suchen?“

Thomas aber zuckt nur mit den Schultern: „Ach der soll ruhig ein bisschen schmollen, nachher ist er umso lieber. Außerdem wartet er sicher bereits oben auf uns.“

„Nein, ich weiß nicht, ich glaube, wir haben ihn ein bisschen zu viel geärgert, ich geh jetzt mal voraus.“

Und Nico vergrößert jetzt tatsächlich seine Schritte und eilt davon. „Kunststück bei den langen Haxen“ würde jetzt Yuri sagen!

Thomas und mir bleibt nichts übrig, als hinterher zu latschen, weit ist es eh nimmer.

Nach ein paar Minuten schweigenden Gehens sehen wir eine Bank neben unserem Weg und darauf scheinbar ein Liebespärchen. Schon komisch, denk ich mir, setzen die sich in der kalten Silvesternacht da im Finstern auf die Bank. Da es an dem Fleck wirklich sehr duster ist, die nächste Laterne ist ein Stück weg, sehen wir erst, als wir direkt vor der Bank stehen, wer denn da drauf sitzt, das heißt wer da bei wem auf dem Schoß sitzt und sich umarmt.

„Heh, weg da, das ist meiner!“ entsetzt sich Thomas.

„Was soll das, du gehörst zu mir!“ falle ich genau so entsetzt ein.

Hockt doch tatsächlich Nico auf dem Schoss von Yuri und die beiden machen auf Liebespärchen mit inniger Umarmung und schmatzenden Küsschen. Ich merke, dass Thomas im Moment genau so überrascht ist, wie ich. Erst als das „Liebespaar“ aufspringt und uns auslacht, da merken wir Idioten, wie uns die beiden angeschmiert haben.

„Ha ha, habt ihr jetzt wirklich geglaubt, ha ha, ich hätte mit dem da …ha ha….!“ Yuri kriegt sich nicht mehr ein vor lauter Gekichere und deutet auf Nico.

„Und dabei hätte der Kasper bald alles verdorben mit seiner Zappelei, meint ihr der könnte auch nur eine Minute ruhig sitzen bleiben….“ ereifert sich Nico. Und weiter an Yuri gewannt:

„Sag mal, hast du Hummeln im Hintern oder was? Jetzt hat mal so ein Schnuckel wie ich seinen süßen Popo auf deinem Schoss und nicht mal das kannst du ruhig genießen! Außerdem, hab ich mich getäuscht, oder hat tatsächlich etwas Hartes gegen mein Hinterteil gedrückt?“ Nico lacht.

„Bah, was Hartes, das hätte der Herr wohl gerne! Meine Taschenlampe hat gegen deinen ach so süßen Arsch gedrückt, hier…“

Damit zieht Yuri tatsächlich eine kleine Lampe aus seiner Hosentasche.

„Und was heißt Rumzappelei, da soll man nicht nervös werden, wenn man sieht, dass die beiden, Dimi und Thomas, schon so nahe sind und du Ewigkeiten brauchst, bis du deine langen Haxen richtig drapierst. Die ganze Überraschung wäre futsch gewesen! Aber Dimi, alle Achtung, das Küssen hast du deinem Schnuckel gut beigebracht“ lacht Yuri.

Jetzt ist Nico wieder ganz außer sich und faucht: „Bilde dir bloß nicht ein ich….“

Thomas ist es, der ihn unterbricht: „Jetzt gebt mal Ruhe ihr zwei, seht auf die Uhr, wir haben nur mehr eine Viertelstunde, also auf geht´s!“

Thomas treibt uns an, dass wir die letzten Meter noch bis Mitternacht schaffen.

Ich schnappe mir meinen Nico und der drückt mir einen tollen Kuss auf. Nein, das Küssen musste ich ihm bestimmt nicht lernen. Aber er mir auch nicht! Sagen wir es so: Wir haben uns beide in der Beziehung im Laufe der Zeit vervollkommnet.

„Jetzt bleibst du aber bei mir, nicht dass ich dich auf der nächsten Bank wieder auf irgend einem Schoss finde“ sage ich zu Nico.

Oh, das hätte ich besser nicht so laut gesagt, Yuri hat das mitgehört und schnaubt jetzt:

„Ha, was heißt da irgend ein Schoss, bin ich vielleicht irgend einer! Der soll froh sein, dass er seinen dicken Arsch auf meinen süßen Schoss betten durfte. Ha, so was aber auch!“

Da ist einer wirklich ganz außer sich. Da kommt er bei Nico aber an den Richtigen:

„Hab ich da was von dicken Arsch gehört? Ha, das ich nicht lache. Gibs doch zu, dass es dir gefallen hat. Da vorne glaube ich ist wieder ein Bänkchen, wollen wir nochmals Yurilein?“

Ich weiß nicht, wie lange dieses Hin und Her der beiden noch gehen würde, ich drücke jedenfalls meinen Nico ganz fest an mich und verschließe seinen vorlauten Mund mit einem Kuss. Thomas hat die gleiche Idee. Noch bevor Yuri Nico herausgeben kann, wird ihm ebenfalls der Mund gestopft.

Im Grunde wissen wir alle, diese Neckerei der beiden muss einfach sein. So können wir nur darüber lachen und weiter marschieren.

 

***

 

Meine Gedanken gehen aber eine Woche zurück zu Heilig Abend. Ja, ist das wirklich erst eine Woche her? Ziemlich genau um diese Zeit waren wir im Dom bei der beeindruckenden Christmette.

Und dann heraußen Vaters tiefsinniges „Und Friede den Menschen auf Erden“, eben im Bezug auf die Weihnachtsbotschaft und unsere Aussöhnung und die Aufnahme unserer Freunde in die Familie. Weihnachten nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch der Familie!

„Ja, genau“ hat Yuri damals Vater zugestimmt „Frieden auf Erden – das gilt aber auch für den Domplatz hier in Passau!“ Er spielte damit auf unsere Drohung vor dem Kirchenbesuch an, wo wir ihm wegen seines überraschenden Schneeballwerfens für hernach ein Einreibung versprochen hatten.

„Natürlich Yuri gilt das auch für den Domplatz hier – aber erst in fünf Minuten!“ erwiderte Nico und schon war er hinter Yuri her, der sich sofort umgedreht hatte und losgestürmt war.

Ja, es entstand eine wilde Jagd im Schneetreiben zwischen den Buden auf dem Domplatz, die noch vom Christkindlmarkt aufgestellt waren. Ich muss lachen, wenn ich da heute zurückdenke. War aber auch ein lustiges Bild, als sich gar noch unser Vater und Nicos Opa in die Verfolgung und Schneeballschlacht einmischten. Ja sogar ein paar fremde Leute, die eben wie wir zuvor aus der Kirche kamen, haben sich beteiligt. Es war einfach eine Gaudi. Es muss aber auch ein Journalist unter all den Beteiligten gewesen sein, denn es stand tatsächlich nach den Feiertagen in der „Passauer Neuen Presse“ ein kurzer, netter Bericht über die „heitere Schneeballschlacht nach der Christmette im Dom“.

 

Am ersten Feiertag waren wir, also auch Nico und Thomas, bei unseren Eltern zum Essen eingeladen. Mutter hat sich wieder selbst übertroffen und uns ein Menü beschert, dass eines Weihnachtsessens mehr als würdig war: Zuerst Leberknödelsuppe, dann Entenbraten und als Dessert Waffeln mit Vanilleeis und heißen Kirschen. Auch Nico und Thomas waren voll des Lobes ob des reichlichen und guten Essens.

Anschließend haben wir beim Abwasch und Abtrocknen zusammengeholfen, so ging das recht rasch. Ein kleiner Spaziergang zusammen mit den Eltern nachher tat uns nach dem üppigen Essen allen recht gut.

Zum Kaffee trinken am Nachmittag waren wir schließlich in meiner Wohnung. Vater hatte sie ja vorher noch nie gesehen. Mutter hatte einen Glühweinkuchen und eine Schwarzwäldertorte gebacken und mitgebracht, so dass ich zusammen mit Nico nur mehr für das Aufdecken und Kaffee

kochen sorgen musste. Naja, es war ein bisschen eng mit den vielen Leuten in meiner kleinen Wohnung, mussten wir halt eng zusammenrücken. Was mich aber keinesfalls störte – so nah an Nico dran und das in Gegenwart meiner Eltern!

Den Abend und die Nacht haben Nico und ich in seiner Penthousewohnung verbracht in trauter Zweisamkeit und mit vielen Weihnachtsüberraschungen.

 

Für den zweiten Feiertag waren wir, also auch meine Eltern und Nicos Großeltern bei Nicos Mutter zum Essen eingeladen. Gut, dass es dort so ein großes Esszimmer gibt, wir waren ja doch zusammen neun Leute. Auch hier gab es ein hervorragendes Essen mit Vor-, Haupt- und Nachspeise. Fragt mich aber bitte keiner, was es im Einzelnen gab. Nico hat mir zwar alles genau erklärt, aber ich kannte das alles nicht und hab so auch die Namen der Speisen vergessen. Ist auch egal, Hauptsache es hat geschmeckt. Wir sind den ganzen Nachmittag dort geblieben und es gab auch reichlich zu trinken, versteht sich. Am meisten freute es mich aber, dass sich unser Vater da so wohl fühlte und sich mit Nicos Opa glänzend verstand. Auch unsere Mutter unterhielt sich anregend mit den anderen Frauen. Sie reden sich jetzt auch alle mit Vornamen und mit Du an. Ja, man kann sagen, dass an diesem zweiten Feiertag mehrere Freundschaften geschlossen wurden. Uns kann es ja nur recht sein.

Wenn ich das Ganze so überdenke, zuerst die Versöhnung zwischen mir und Vater, das Akzeptieren, ja sogar die Umarmung meines Freundes und damit Aufnahme in die Familie, dann dasselbe mit Yuri und Thomas, schließlich das gute Verstehen mit Nicos Familie, obwohl diese einer völlig anderen Gesellschaftsschicht entstammt als unsere – ja ist man da nicht versucht, an Vaters Worte vom „Weihnachtswunder“, ausgesprochen am Heiligen Abend, zu glauben? Vielleicht ein ganz kleines Bisschen?

 

***

 

Inzwischen sind wir tatsächlich an unserem Ziel angekommen, die Aussichtsplattform neben der Mariahilfkirche, weit oben über der Stadt. Und wir haben wirklich einen imposanten Aus- und Überblick über die Dreiflüssestadt.

„Weißt du übrigens Dimi“, meint Nico mit Blick auf die unter uns liegende Stadt, „weißt du, dass Alexander von Humboldt Passau zu den sieben schönsten Städten der Welt rechnete?“

„Nein, wusste ich nicht, muss ich ehrlich zugeben, kann es aber verstehen.“

„Ja aber dass Rio de Janeiro als die schönste gilt, dass hast du sicher schon gehört, oder?“

„Das hab ich schon gehört, ja.“

„Und deshalb sagen ja die Einheimischen dort, dass der Herrgott von den sieben Tagen, in denen er die Welt erschaffen hat, alleine zwei für Rio gebraucht hat, eben weil sie ihm so vortrefflich gelungen ist.“

„Aber dann sag ich gerade mal so heraus, dass er allein für dieses Juwel am Zusammenfluss von Donau, Inn und Ilz, mindestens auch einen ganzen Tag gebraucht hat. Sie ist ihm doch ebenso wundervoll geglückt!“

Wir müssen beide lachen und blicken hinunter auf Passau:

Direkt vor uns, gleich drüberhalb des Inns die Lichter der Altstadt, herausragend natürlich der angestrahlte Stephansdom, dann ganz im Hintergrund jenseits der Donau die Ilzstadt und oben am Berg die Veste Oberhaus, schließlich direkt unter uns die Lichter der Innstadt.

Aber wer hat jetzt schon Augen für die vielen Lichter der Stadt.

Es ist Mitternacht!

Soeben beginnen die Glocken der vielen Kirchen der Stadt das neue Jahr einzuläuten. Aber sie sind nur sporadisch zu hören, denn viel lauter sind zur Zeit natürlich die unzähligen Kracher und Raketen, die jetzt an fast allen Ecken der Stadt gezündet werden.

Man weiß gar nicht, wohin man zuerst schauen soll:

Imposante Bombenraketen mit faszinierenden Leuchtstern-Buketts und Brokat-Effekten wechseln sich ab mit smaragdgrünen, saphierblauen und brillantgoldenen Kometschweifen und Buketts in Weiß und Gold, dazu Goldregen, Brillantfontänen, Überraschungsvulkane, rote Kometen mit silbernen Chrysanthemen, blinkweiße Kometen mit blauen Sternen, immer wieder Sternenbuketts, soundstarke Silberpfeifen… und und und…..

Wunderbar auch anzusehen, wie sich die Farbenpracht im Wasser von Donau und Inn spiegelt.

Wahrlich ein Farbenfest für die Augen! Für die Ohren wohl weniger, der Lärm ist eher ohrenbetäubend, gehört aber unvermeidlich dazu.

 

Ich drücke mich ganz fest an Nico, der seinen Arm um mich legt und genau so fasziniert das Spektakel verfolgt. Sicher habe ich schon viele Feuerwerke gesehen, aber noch nie gleichzeitig so viele und vor allem aus nächster Nähe, bedingt durch den hohen Beobachtungsposten. Es ist wirklich ein Erlebnis! Ich bin Nico für die Idee, hier heraufzukommen, mehr als dankbar.

Nico ist es auch, der mich auf den seitlich von uns stehenden Yuri aufmerksam macht. Anfangs habe ich gesehen, dass er ganz dicht bei Thomas steht. Aber das war einmal! Je länger der Feuerzauber anhält, desto weiter entfernt er sich von seinem Freund. Es hält ihn einfach nichts mehr an seinem Platz. Er kann nicht ruhig stehen bleiben und das Schauspiel genießen, so wie wir. Nein, Yuri wäre nicht Yuri, wenn er nicht umher hüpft, sich bald nach rechts dreht, weil es dort so prächtig glitzert und funkelt, dann aber, als er mehr links einige gewaltige Kracher hört, hüpft er wieder auf die andere Seite, dann wieder nach vorne, gleichzeitig kracht es mehr hinter uns, Yuri dreht sich blitzschnell um. Also wenn dem Kerl nicht schwindlig wird heute Nacht, dann weiß ich´s auch nicht. Wir können nur den Kopf schütteln und uns ein Grinsen nicht verkneifen.

Natürlich sind wir nicht die einzigen Betrachter hier oben. Von Anfang an erklingt bei jeder größeren Rakete ein mehrstimmiges „Aaah“ und „Oooh“ und „Schööön“. Aber mit der Zeit hören sich diese bewunderten Äußerungen schon sehr gekünstelt an.

 

Die Feuerwerke werden langsam weniger, nur mehr vereinzelte Kracher sind zu hören und verspätete Raketen zu sehen. Aber rechts vorne am Dreiflüsseeck, da kracht es immer noch gewaltig. Es sind auch noch wunderschöne rot/blau/grün-wechselnde Fontänen, die sich herrlich im Wasser spiegeln, zu sehen.

„Die müssen ja ein gewaltiges Arsenal haben, wie lange die jetzt schon feuern“, meint Nico und gleichzeitig nimmt er mich bei der Hand und zieht mich etwas von den übrigen Zuschauern weg. Er drückt mich ganz fest an sich und flüstert mir zu:

„Ich wünsche dir alles, alles Gute fürs neue Jahr, bleib mir gesund! Ich habe nur den einen großen Wunsch, dass wir nämlich in genau einem Jahr wieder so beieinander stehen, so wie jetzt, dass ich dich in meinen Armen halten kann und dir sagen darf: Dimi ich hab dich so lieb!“

Was soll man darauf sagen, mir fehlen im Moment die Worte, so gerührt bin ich. Verstohlen wische ich mir ein paar Tränen weg.

„Ja Niki, ich wünsche dir ebenfalls nur das Beste und – ja, ich möchte auch in 365 Tagen, halt, wir haben ja ein Schaltjahr, in 366 Tagen, genau um diese Zeit, so von dir gehalten werden. Muss ja nicht unbedingt wieder hier heroben sein, Hauptsache überhaupt beisammen! Und noch was Niki: Danke für das vergangene Jahr, danke für deine Liebe, die du mir geschenkt hast, ich hoffe, ich kann es dir vergelten!“

„Aber das tust du doch schon, komm her…“ und Nico gibt mir einen festen Kuss.

Von Thomas werden wir unterbrochen. Er räuspert sich und sagt dann etwas aufgeregt:

„Ach da seid ihr! Habt ihr Yuri gesehen, ich finde ihn nirgends?“

Wir können nur verneinen. Nein, wir haben ihn zwar während der heißen Phase der Feuerwerke noch rumzappeln sehen, aber dann eben nicht mehr.

„Er wird doch vor lauter Rumhüpfen nicht den Berghang hinabgekugelt sein“ entschlüpft es Nico, der nicht bedenkt, dass sich Thomas wirklich Sorgen macht.

„Ach Schmarrn, der hat sich sicher nur wieder versteckt und will uns überraschen“, versuche ich Thomas etwas zu beruhigen.

„Er wird doch nicht wieder auf einer Bank hocken und warten, dass du dich auf seinen Schoss setzt?“ höre ich Thomas zu Nico sagen, was uns alle zum Lachen veranlasst.

 

Wir suchen jedenfalls nochmals alles gründlich ab. Inzwischen sind wir auch die Einzigen, die sich hier noch rumtreiben. Wenn auch anfangs jede Menge Leute hier waren, jetzt sind sie verschwunden. Was sollen sie hier auch noch. Es gibt nichts mehr zu sehen und es gibt hier nichts zu trinken, also nichts zum Anstoßen, wie es sich eigentlich jetzt gehört.

Allmählich mach ich mir auch meine Gedanken und sorge mich um meinen kleinen Bruder, der heuer zwar schon 18 wird, aber manchmal halt wirklich noch ein kleiner Lausbub ist und Dummheiten anstellt.

Wir kommen an das Tor, das zum Klosterhof und zur Kirche führt.

„Da kann er nicht drinnen sein, da ist doch …“ zugesperrt will ich gerade sagen, aber Thomas hat die Tür bereits offen, also doch nicht abgesperrt. Der Klosterhof ist aber menschenleer. Direkt etwas unheimlich kommt es mir hier vor. Es ist ja auch ziemlich finster, nur eine kleine Laterne erhellt den großen Hof mit einem schwachen Licht. Gleich rechts vom Eingangstor befinden sich die Gräber der Klosterpatres, schlichte einfache Holzkreuze auf jedem Grab, wie man im Dämmerschein erkennen kann.

„Nein, hier ist keiner“, stellt Nico laut fest und erschreckt mich dabei fürchterlich.

„Aber seht doch, in der Kirche brennt Licht“, erwidert Thomas.

Richtig, jetzt sehen wir auch den schwachen Schein der aus den Fenstern fällt. Ob Yuri, ausgerechnet Yuri ….?  Wir nähern uns der Kirchentüre, öffnen sie ganz vorsichtig und treten so leise es geht hinein.

Die Kirche ist menschenleer bis auf einen jungen Mann, der in der letzten Bank sitzt und der kein anderer als Yuri ist. Er hat uns scheinbar doch gehört, denn er dreht sich um und lächelt uns zu.

„Aber Yuri, Schatz, du hast uns einen schönen Schrecken eingejagt, einfach so zu verschwinden, was machst du denn hier?“ flüstert Thomas seinem Freund zu.

„Ach Thomas, was macht man schon in einer Kirche, weißt du das denn nicht mehr? Ich brauchte das jetzt einfach, wollte auch einen Moment alleine sein, die Stille genießen nach all dem Lärm da draußen. Sei bitte nicht böse, Thomas!“

„Nein, natürlich bin ich nicht böse, aber wie bist du überhaupt hier rein gekommen?“

„Ach, ich hab einen Pater vom Kloster beobachtet, der hinten auch den Feuerwerken zugesehen hat. Als der ging, bin ich ihm einfach nachgegangen und hab gefragt, ob ich mal kurz in die Kirche darf.

Erst hat er mich etwas ungläubig und misstrauisch angesehen, dann aber gelächelt und gemeint, dass er ohnehin schlecht schlafen könne, dann sperrt er eben später alles ab. Und er hat mich in die Kirche hereingelassen. So bin ich hier. Weißt du Thomas, ich hab mich auch ein bisschen mit dem Herrn da oben unterhalten und ihn gebeten, dass er doch auch im neuen Jahr ein Auge auf uns wirft, auf dich, auf mich, auf unsere Familien. Ich hab ihm auch erzählt, wie sehr wir beide uns lieben und dass da doch nichts Schlimmes dabei sein kann, wenn sich zwei Menschen lieben, auch wenn es zwei Männer sind. Ich glaube, er hat mir recht gegeben, schließlich hat er doch die Liebe den Menschen geschenkt!“

Mit diesen Worten erhebt sich Yuri und wir gehen alle sehr nachdenklich aus der Kirche. Da dachte ich immer, ich kenne meinen Bruder in- und auswendig, denkste! Diese Seite von ihm ist mir absolut neu! Der quirlige, lebendige, zappelige Yuri sucht nach dem großen Lärm da draußen mit der ganzen Ausgelassenheit und dem Frohsinn der Silvesternacht die Ruhe und Nachdenklichkeit in der Kirche! Ich kann es immer noch nicht ganz glauben.

Draußen auf dem Klosterhof kommen wir nun endlich dazu, uns gegenseitig, also auch Yuri und Thomas alles Gute für 2008 zu wünschen mit gegenseitigen Umarmen und Küsschen.

Wir machen uns auf dem Weg zum Tor, jetzt endlich wieder zu viert, da hören wir, wie hinter uns jemand ruft. Wir drehen uns um und Yuri erklärt uns, dass das der Pater ist, der ihn hereingelassen hat. Wir gehen zu ihm und Yuri bedankt sich nochmals. Der Pater fragt uns, wo wir herkommen und wie wir zusammengehören. So ergibt sich ein angeregtes Gespräch. Wir nennen ihm auch unsere Namen und er stellt sich als Pater Kilian vor. Er meint schließlich:

„Ja, dann habt ihr ja noch gar nicht auf das neue Jahr anstoßen können? Wartet mal ….!“

Und schon ist er verschwunden. Wir sehen uns fragend an. Was wird das jetzt?

Nach ein paar Minuten taucht er wieder auf, in einer Hand eine Sektflasche, in der anderen einen kleinen Stapel Plastikbecher. Wir werden mit dem Staunen nicht mehr fertig. Er aber verteilt die Becher und öffnet mit einem lauten Knall die Flasche. Klar, dass das in dem ringsum verschlossenen Innenhof widerhallt. Erschrocken und etwas ängstlich wie mir scheint, sieht sich Pater Kilian um.

„Hoffentlich haben wir keinen aufgeweckt“, meint er verschmitzt lächelnd.

„Ja dürft ihr so was hier haben und auch trinken?“ höre ich einen etwas verwirrt schauenden Thomas fragen.

„An so einem Tag sicherlich. Und wir sind hier in einem Kloster, nicht im Gefängnis. Außerdem, dass muss doch belohnt werden. Wo findet man heute noch junge Leute, die in der turbulenten und lauten Silvesternacht die Stille einer Kirche suchen!“

Trotz des schwachen Lichtes kann ich sehr deutlich eine Rotfärbung in Yuris Gesicht erkennen.

Wir stoßen nun mit unseren Becher an. Na gut, Sekt aus Plastikbechern, nicht gerade das Wahre, aber was solls. Ein schöner Zug von Pater Kilian ist es allemal.

Schließlich bedanken und verabschieden wir uns. Der Pater aber meint noch zu uns:

„Ihr seid schon in Ordnung, lasst euch nicht irre machen, geht euren Weg ruhig weiter! Sicher werden euch noch manche Steine in den Weg gelegt werden, aber wenn ihr zusammenhaltet, dann sind das keine übergroßen Hürden. Ihr schafft das schon! Man sieht euch an, dass ihr euch sehr gern habt, ja, dass ihr euch liebt. Und das ist doch das Wichtigste! Jawohl, die Hauptsache ist doch die Liebe!“

Fast andächtig und ergriffen lauschen wir den Worten dieses alten, ergrauten Paters. Wir winken ihm nochmals zu und machen uns auf dem Weg aus dem Klosterhof hinaus. Hinter uns verschließt der Pater das Tor.

 

Wir sind nun draußen, ganz allein zu viert auf dem Mariahilfberg.

„Müssen wir jetzt wirklich den ganzen Weg hinunter zu Fuß latschen?“ fragt ein scheinbar müder Nico.

Aber wieder überrascht uns Yuri. Er zieht sein Handy aus der Jackentasche und sagt triumphierend:

„An das hat wohl keiner gedacht, ja? Ich ruf uns ein Taxi, mir ist der Weg jetzt auch zu weit.“

Fünfzehn Minuten später sitzen wir im Taxi und sind auf dem Weg vom Berg oben hinunter in die Altstadt zu Nicos Wohnung. Und tatsächlich hören und sehen wir als wir den Inn überqueren vorne am Dreiflüsseeck immer noch ein Feuerwerk im Gange.

„Schaut mal, die lassen es immer noch krachen, da vorne.“ stellt Nico fest.

„Lass das bloß nicht Thomas hören, sonst fängt er auch wieder an“ erwidert lachend Yuri, was ihm sofort einen leichten Rempler von Thomas einbringt.

Endlich haben wir Nicos Penthousewohnung erreicht. Wir haben jetzt alle wieder Hunger und Durst. Und es ist ja noch soviel übrig von Nicos Silvestermenü.

 

***

 

Irgend etwas hat gerade gescheppert, jedenfalls bin ich dadurch wach geworden. Langsam öffne ich meine Augen, sehe mich um. Wo bin ich überhaupt? Ja klar, das ist Nicos großes Bett in seinem Schlafzimmer. Richtig, wir haben fast die ganze Nacht bis in den Morgen hinein durchgefeiert. Wie spät haben wir es überhaupt, heute an diesem Neujahrsmorgen?

Hat sich was mit Neujahrs – m o r g e n ! Es ist bereits 1 Uhr am Mittag! Kunststück, wenn man erst gegen…gegen…ja, wie früh war es denn eigentlich, 6 Uhr oder gar schon 7? Ich weiß es nicht mehr genau, kann mich überhaupt nur mehr vage an Einzelheiten der Nacht und des Morgens erinnern.

Natürlich weiß ich noch, dass wir am Mariahilfberg oben die wunderbaren Feuerwerke beobachtet haben und dass wir dann hierher gefahren sind. Keiner wollte zu Fuß zurückgehen, waren ja alle schon sooo müde. Aber kaum waren wir hier und haben die vielen köstlichen Speisen und Getränke gesehen, die von unserer Feier am Abend noch übrig waren , da waren wir alle wieder putzmunter und haben mannhaft zugeschlagen. Die Wurst- und Käseplatten jedenfalls waren dann alle abgeräumt, soweit geht meine Erinnerung schon noch. Ja und auch die Bowle haben wir bis auf den letzten Tropfen geleert. Sie war aber auch sowas von gut, naja, hat ja auch mein Nico selbst angesetzt!

Mein Nico – ja, wo ist der denn? Ich drehe mich zur Seite und werde mit einem leisen „Guten Morgen Dimi, na, gut geschlafen?“ begrüßt.

„Du bist schon wach? Auch einen guten Morgen übrigens!“ erwidere ich und rücke ganz nahe zu ihm hin, um mir den obligaten Guten-Morgen-Kuss abzuholen und gleichzeitig einen abzuliefern.

„Ja, ich bin schon ein paar Minuten wach, hab interessiert deinen Rücken betrachtet und die Verlängerung desselben ganz besonders. Hast ja wirklich einen süßen Po, naja, süß wie der ganze Kerl eben!“

„Süß?“ skeptisch ziehe ich die Augenbrauen hoch. Plötzlich komm ich erst dahinter:

„Wieso hast du meinen …?“

Ich sehe unter meine Decke – na prima, ich bin ja völlig nackt. Nico lacht:

„Mach dir nichts daraus, ich hab ja auch nichts an. Haben es in der Nacht, oder besser gesagt am Morgen mit der Schlafkleidung nicht so genau genommen, was solls. Ist doch ganz praktisch so!“

Dabei rückt Nico ganz nahe, schlingt seine Arme um mich und drückst seinen Körper an meinen.

„Ich hab dich so lieb, Dimi, und ich möchte in diesem eben erst begonnen neuen Jahr noch ganz oft so aufwachen und dich halten dürfen!“

„Das wünsche ich mir auch, so mit dir aufwachen und in deinen Armen zu liegen. Musst ja nicht unbedingt vorher auf meinen Hintern starren, so schön ist der auch wieder nicht!“

„Aber er ist halt so knackig“ erwidert Nico und stattet diesem von ihm so knackig empfundenen Körperteil einen Besuch mit seiner rechten Hand ab. Wohlige Schauer durchfluten mich und ich drücke mich ganz automatisch noch fester an ihn.

Plötzlich hält Nico still, schnüffelt etwas und mein dann:

„Also wenn mich meine Nase nicht täuscht, riecht es nach frischem Kaffee. Glaubst Du Yuri und Thomas sind schon auf und haben Kaffee gemacht?“

„Richtig, die haben ja hier im Gästezimmer übernachtet, war aber auch das Beste, dass sie hier geblieben sind, so wie die voll waren,“ glaube ich mich zu erinnern.

„Naja, voller auch nicht als wir beide. Aber lustig war es schon. Erinnerst du dich noch an Yuris sensationellen Strip?“

„Ach ja, natürlich, er hat das aber auch super gemacht. Hat er jetzt eigentlich alles, ich meine…daran kann ich mich nicht mehr erinnern?“ frage ich Nico.

„Das weißt du wirklich nimmer? Er wollte schon, der war doch so in Fahrt. Gerade als er seine Retro am Bund anfasste und herabziehen wollte, ist Thomas aufgesprungen, hat Yuri gepackt, auf beide Hände genommen und mit den Worten „das war die Vorschau, was jetzt kommt, das ist nur mehr für Member“ hat er ihn ins Gästezimmer hinüber getragen. Yuri hat natürlich geschimpft, sich gewehrt und gezappelt wie ein Fisch im Trockenen, konnte aber gegen den stärkeren Thomas nichts ausrichten. Ja und seither hab ich sie nicht mehr gesehen. Naja war dann auch schon 6 Uhr. Gleich darauf sind wir ja dann auch ins Bett.“

Jetzt wo Nico es erzählt, fällt mir auch so Manches wieder ein. Es war ja auch ein zu köstliches Bild, wie Thomas den wild strampelnden Yuri hinaustrug.

„Ja aber dann haben wir vor dem Schlafengehen auch nichts mehr aufgeräumt, oder?“ versuche ich mich zu erinnern.

„Warum meinst du zieht es mich überhaupt nicht aus dem Bett? Weil ich genau weiß, wie es im Wohnzimmer aussehen wird, Flaschen, Luftschlangen, Kleidungsstücke, Gläser, Teller, Chipreste, alles durcheinander!“

„Aber es hilft ja nichts, lass uns aufstehen und eine Tasse Kaffee wäre jetzt auch nicht schlecht. Essen, glaube ich, können wir heute ausfallen lassen.“

 

In der Küche dann die Überraschung:

Thomas und Yuri sitzen am Tisch, jeder eine dampfende Tasse Kaffee in der Hand. Sie strahlen uns freudig und überhaupt nicht verkatert an:

„Na endlich, ihr Langschläfer, wurde aber Zeit. Und wie ihr beiden ausseht, schaut doch mal in den Spiegel, zwei Häufchen Elend, aber wirklich. Ja ja, wer nichts verträgt, soll auch nicht soviel saufen!“ meint Yuri frech.

Ja, sie haben tatsächlich Kaffee gekocht und – wir stauen zum zweiten mal: Es steht kein schmutziges Geschirr mehr rum, die müssen alles abgespült und sogar schon aufgeräumt haben. Ein Blick ins Wohnzimmer und die dritte freudige Erkenntnis: Es ist alles aufgeräumt, keine Spur mehr von der nächtlichen Feier.

„Ob wir das Geschirr alles richtig eingeräumt haben, weiß ich nicht, Nico, aber nach und nach findest du sicher alles wieder irgendwo,“ grinst Thomas Nico frech an.

„Also jetzt bin ich wirklich sprachlos, ihr ward schon so fleißig, also ehrlich, da bin ich platt. Auf alle Fälle danke ich euch dafür!“ meint Nico etwas verwirrt.

„Ach Nico, das ist doch selbstverständlich. Wenn du uns schon einlädst und wir so gute Sachen zum Essen und Trinken bekommen und dann noch hier übernachten dürfen, da ist es doch mehr als gerecht, wenn wir dir ein wenig zur Hand gehen,“ erklärt schmunzelnd Yuri.

„Na wenn das so ist, dann ist bald die nächste Einladung fällig,“ lacht Nico und lässt sich den frischen Kaffee schmecken.

 

***

 

Es ist bereits Nachmittag, Yuri und Thomas haben sich längst verabschiedet, als wir es uns auf der Couch gemütlich machen.

Nico erzählt mir nun auch, dass Josef ihn gestern zum Jahreswechsel angerufen hat. Josef, ein Freund von Nico, der ja, nach Nicos Outing, diesen vor den anderen sog. Freunden verteidigt hat. Das wurde ihm ja böse heimgezahlt, Josef wurde zusammengeschlagen, schwer verletzt und wird wohl nie mehr richtig laufen können. Der Hauptübeltäter, Heinz, wurde zwar gefasst, ist aber vor Weihnachten aus der JVA ausgebrochen. Das war mir schon bekannt. Nun aber erzählt mir Nico, dass sie ihn immer noch nicht wieder gefunden haben. Josef macht sich große Sorgen, auch um Nico. Dieser Heinz muss einem Mithäftling gegenüber was von Rache an Josef erzählt haben, wie dieser aussagte und auch Nicos Namen fiel in dem Zusammenhang.

Als Nico mein besorgtes Gesicht sieht, meint er beruhigend:

„Ach mach dir da bloß keine großen Gedanken, die sind hinter ihm her, nur eine Frage der Zeit, wenn sie ihn wieder haben. Josef geht ja morgen wieder auf Kur, kommt aber in eine andere Klinik, wo, das hat er nicht mal mir gesagt. Ihn findet keiner.“

„Naja, ich weiß nicht, beruhigend ist das alles nicht. Pass bloß auf dich auf!“ ermahne ich Nico.

„Aber klar doch!“

 

***

 

Nach einer Weile Kuschelei auf der Wohnzimmercouch muss ich mich verabschieden. Ich muss mal wieder in meiner Wohnung nach dem Rechten sehen, Post ausleeren, Waschmaschine vollstopfen usw.

„Ich gebe dich aber gar nicht gerne her, die Wohnung ist so leer, wenn du nicht da bist!“

„Ach Dummerle, morgen bin ich ja wieder hier, muss ja erst nächste Woche wieder zur Arbeit.“

Natürlich erfolgt nun eine ausgiebige Verabschiedung, immer und immer wieder noch ein Kuss und eine Umarmung.

Schließlich haben wir es aber dann doch geschaffte und ich bin auf dem Weg in meine Wohnung am Stadtrand von Passau.

 

***

 

Zuerst der Postkasten ausgeleert, naja, ist ja nicht viel, Hauptsache Werbung, wie immer. Aber dann fällt mein Blick auf einen Brief mit dem Absender meines Vermieters. Was wird das sein?

Ich öffne das Kuvert und lese.

Als mein Blick sofort auf ein Datum, nämlich den 1. März 2008, fällt, glaube ich zunächst gar an eine vorzeitige Kündigung. Aber dann stellt sich heraus, dass dieses Haus vollkommen renoviert und saniert wird, angefangen vom Dach bis zu den Fenstern und Türen, den meisten Bädern und der Heizung. Ich soll, wie die anderen Mieter wohl auch, bis zum 1. März die Wohnung räumen. Als Ersatz könne ich die identische Wohnung im gegenüberliegenden bereits sanierten Wohnblock beziehen. Gut, neue Fenster wären wirklich angebracht und die Heizung fällt auch dann immer aus, wenn es bitterkalt ist draußen, aber schon wieder umziehen? Bin doch kaum ein halbes Jahr hier drinnen. Nein, ich mag nicht! Jetzt hab ich mir hier alles so schön eingerichtet und jetzt das!

Meine gute Laune von der wunderbaren Silvesternacht und dem Beisammensein mit meinem Schnuckel ist im Nu verschwunden. Soll ich ihn gleich anrufen? Was wird er zu der Sache sagen? Freilich ruf ich ihn kurz an, er will ja wissen, wie ich heimgekommen bin. Aber mit der Hausgeschichte, da warte ich bis morgen, wenn ich wieder bei ihm bin. Ich werde ihm nur erzählen, dass ich vom Vermieter einen Brief bekommen habe.

Ja, wenn ich wieder bei Nico bin, darauf freue ich mich und die ganze Umzieherei ist, zumindest vorerst, vergessen.

 

***

 

Nico

 

 

Heißt es nicht, kurz vor dem Tod läuft noch einmal das eigene Leben vor einem ab? Bei mir ist es jetzt wohl soweit!

Bilder, Farben, Eindrücke, Gefühle stürzen wie eine Flut über mich herein. So ist das also, wenn man stirbt und in eine andere Dimension gleitet.

Dimi! Was wird jetzt aus Dimi?

Ich wollte doch noch schnell zum Einkaufen fahren, weil später mein Sonnenschein zu mir kommt. Wir wollten über einen Brief reden, den Dimi von seinem Vermieter bekommen hat.

Gott. Gleich platzt mir mein Schädel.

Dann werde ich vom Schmerz erlöst, weil mir die Sinne schwinden!

 

***

 

Tut der Tod so weh?

Nein, bestimmt nicht. Ergo kann ich nicht tot sein!

Außerdem, streiten sich Engel? Dass ich mal in den Himmel komme nach meinem Tod, setze ich voraus.

Engel und streiten, wohl eher nicht. Und dann noch in dieser Lautstärke!

Gesprächsfetzen dringen in mein Ohr. Langsam sickern sie auch in mein Gehirn und ich begreife allmählich was da vor sich geht! Das ist doch die Stimme von Heinz! Der Josef fast totgestiefelt hat.

„haben dir wohl den Verstand im Knast aus dem Kopf gefickt… total verblödet… Baseballschläger den Schädel… kleine Schwuchtel steinreich… Großvater von ihm… Millionen… knall dich am besten gleich ab… du versiffter Arsch… bin ohne dich besser dran… bleibt mir das Geld allein… puste dich am besten gleich weg…“

Dann höre ich tatsächlich einen lauten Knall. Hört sich so ein Schuss an? Wahrscheinlich schon.

Jetzt wird mir schlecht und ich muss mich übergeben!

Hätte ich nur mit dem Einkaufen gewartet bis Dimi dagewesen wäre, hätten mich diese Verbrecher nicht in der Tiefgarage abpassen und mir eine über den Schädel ziehen können!

Oh, Shit. Tut das weh. Mir platzt der Schädel gleich!

„Du kleine Dreckschwuchtel lebst ja also doch noch. Da freu ich mich aber. Ne Million bist du deinem Großvater doch sicher wert. Wegen dir Drecksau haben sie mich in den Knast gesteckt. Das wirst du mir jetzt auch teuer bezahlen. Den Brief mit meinen Forderungen lasse ich bei diesem Versager dort liegen. Da finden sie ihn zuerst. Und sehen auch gleich, dass mit mir nicht zu spaßen ist.

Jetzt steh schon endlich auf du Dreckschwuchtel. Stell dich nicht so an!“

Um seine Worte zu unterstreichen schlägt Heinz mir mit dem Fuß voll in die Rippen. Durch den jetzt explodierenden Schmerz schwinden mir aber endgültig die Sinne!

 

***

 

Dimitri

 

 

„Das Jahr beginnt, das Jahr zerrinnt,

wie Sand in einem Siebe.

Das Glück verweht, das Leid vergeht,

was bleibt ist nur die Liebe!“

 

Ein paarmal habe ich dieses Kalendersprüchlein heute morgen, als ich den ersten Januar abgerissen habe, gelesen, weil es mir so gefallen hat. Ja, ein ganzes Jahr steht vor uns. Was wird es uns alles bringen? Glückliche Stunden? Hoffentlich! Leidvolle Tage? Sie bleiben nicht aus! Aber gemeinsam mit Nico und unserer Liebe zueinander werden wir dieses Jahr 2008 meistern.

 

Ich bin auf dem Weg zu ihm und mir kann es gar nicht schnell genug gehen, dass ich ihn endlich wieder sehen und ihn in meinen Armen halten darf.

Und dabei ist heute in der Stadt ein Wahnsinnsverkehr! Es sieht so aus, als wäre ganz Passau auf den Beinen bzw. im Auto unterwegs. Stau vor der Schanzlbrücke, Stau an der Nikolastraße bei der Parkhauseinfahrt, Stau an der Kreuzung Karolinenplatz-Innstraße. Ich komme wirklich nur im Schritttempo voran. Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich das Auto schon weiter draußen stehen lassen. Zu Fuß wäre ich jetzt schon bei Nico. Aber es ist ja klar, die meisten haben nach den Feiertagen noch Urlaub, Ferien sind auch, und außerdem wollen die Leute nach Silvester und Neujahr ihre Essens- und vor allem Getränkevorräte wieder auffüllen. Darum sind sie alle unterwegs.

Nico hat mir ja gestern am Telefon gesagt, dass er am Vormittag noch Verschiedenes einkaufen muss. Der Kühlschrank sei leer, hat er erklärt. Wir haben aber auch ganz schön zugeschlagen an Silvester. Ich habe ihm zwar angeboten, er solle warten, bis ich da bin, dann können wir doch gemeinsam einkaufen. Er hat aber gemeint, er fährt lieber schon eher, dass er wieder zu Hause ist, wenn ich komme, und wir müssen die gemeinsame kostbare Zeit nicht mit so schnöden Sachen wie Einkaufen vertun.

Ich weiß nicht, aber seit er mir die Sache mit Heinz, seinem Ausbruch und seiner Drohung erzählt hat, da würde ich Nico gar nicht mehr alleine lassen. Irgendwie habe ich bei der Sache kein gutes Gefühl, ja, ich habe Angst um Nico! Wird höchste Zeit, dass ich zu ihm komme.

 

Endlich, nach langem Suchen, habe ich einen Parkplatz gefunden und gehe nun die letzten Meter zum Haus. Vor Weihnachten hat mir Nico seinen zweiten Haus- und Wohnungsschlüssel anvertraut, damit ich nicht vor dem Haus warten muss, sollte er sich mal verspäten. So schließe ich die Haustüre auf und fahre mit dem Lift nach oben in Nicos Penthousewohnung. Der Aufzug kann mir heute gar nicht schnell genug gehen, um endlich Nico zu sehen und die dummen Angstgefühle vertreiben zu können.

Ich läute an seiner Wohnungstüre. Haustüre selber aufsperren – ja, aber Wohnungstüre? Obwohl ich auch hierzu den Schlüssel hätte, muss das nicht sein, wenn Nico in der Wohnung ist. Aber scheinbar muss es heute doch sein, denn es öffnet keiner. Wird halt noch unterwegs sein, denke ich, sicher muss er sich auch durch die verschiedenen Staus kämpfen, genau wie ich zuvor. So schließe ich also doch selbst auf und rufe in der Wohnung nach Nico. Natürlich antwortet keiner. Na dann gehe ich schon mal in die Küche und mach Kaffee, den wird er sicher mögen nach dem Einkaufsstress. Denn dass er den heute hat, das bezweifle ich nicht.

 

Ich habe längst meine Tasse Kaffee getrunken und werde nun doch langsam nervös. Für zehn Uhr hatten wir unsere Zusammenkunft heute ausgemacht. Jetzt ist es aber bereits elf Uhr und immer noch kein Nico in Sicht.

Längst hält es mich nicht mehr in der Küche, ich wandere in der ganzen Wohnung umher. Und es ist wieder da, dieses Angstgefühl, jetzt sogar noch verstärkt.

Warum muss ich gerade jetzt an diesen Verbrecher Heinz denken und an seine Racheschwüre? Rache an Nico? Ja warum eigentlich? Ist er eingesperrt worden, weil Nico schwul ist, oder weil Josef trotzdem zu Nico hielt? Natürlich nicht! Er ist eingesperrt -gewesen, muss man ja jetzt sagen – weil er Josef fast totgeschlagen hat und wegen ein paar anderer schlimmer Delikte. Also sind doch die Rachegelüste an Nico und Josef absoluter Blödsinn! Aber wer kennt schon die obskuren Windungen eines Verbrecherhirns!

Warum habe ich da nicht schon eher drangedacht! Naja klar, weil ich erst seit Weihnachten Handybenutzer bin! Aber Nico hat doch immer sein Handy dabei, wenn er unterwegs ist und dann auch immer eingeschaltet. Vielleicht ist er ja wirklich aufgehalten worden. Ich rufe ihn an. Aber er meldet sich nicht. Ich probiere es noch einmal – wieder nichts!

Es geht inzwischen auf halb Zwölf. Ich weiß jetzt, da muss etwas geschehen sein! Nico, der die Pünktlichkeit in Person ist, meistens jedenfalls, hätte mich angerufen, wenn er sich verspätet. Nein, da stimmt etwas nicht! Meine Angst steigert sich von Minute zu Minute.

Ich rufe Erika, Nicos Mutter, an. Sie will natürlich sofort wissen, noch bevor ich etwas sagen kann, wie es uns an Silvester noch ergangen ist und ob es spät geworden ist und ob… Bis ich ihr endlich sagen kann, warum ich anrufe und mir Sorgen um Nico mache, weil er sich am Handy auch nicht meldet. Nun wird sie doch etwas nachdenklich, wie mir scheint, ihr Redefluss von vorhin ist vorerst verebbt. Aber dann beginnt es wieder zu fließen:

„Nico hat mich heute Morgen noch angerufen, das war so nach acht Uhr. Hab mich eh gewundert, dass er schon so früh auf ist. Aber er hat erzählt, dass er jetzt zum Einkaufen fährt. Er will für dich heute kochen und da hat er gefragt, was er dazu alles braucht. Hoffentlich verrate ich jetzt nicht zuviel, es sollte ja eine Überraschung werden. Aber das war kurz nach Acht und er sagte, er will jetzt gleich fahren. Ich verstehe das nicht. Aber sicher gibt es eine einfache Erklärung dafür, mach dir blos keine großen Gedanken. Er ist bestimmt schon auf dem Weg“

Als ich Erika dann die Geschichte mit Heinz erzähle, da wird sie doch etwas unsicher. Sie wusste nicht, dass der immer noch nicht wieder hinter Schloss und Riegel sitzt.

„Aber bitte, Dimitri, mach dich nicht verrückt, ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dieser Heinz nochmals hierher nach Passau traut. Er weiß doch, dass sie ihn hier in seinem früheren Umfeld bald entdecken. Außerdem hat er hier doch nur mehr seine Mutter und die ist die meiste Zeit im Krankenhaus. Ja, einen Bruder hat er auch, soviel ich weiß, aber der ist schon lange weg. Und Freunde? Ob der noch Freunde hat? Nein, nein, wirst sehen, es klärt sich alles. Auf alle Fälle, ruf mich an, wenn Nico kommt, das will ich jetzt dann doch auch wissen. Und Dimitri, Nico ist kein Kind mehr, der kann auf sich aufpassen!“

Nein, er ist kein Kind mehr. Aber was kann auch ein erwachsener Nico gegen einen Verbrecher wie Heinz ausrichten? Wenn der ihn irgendwo auflauert?

Ich fahre mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage. Ich will wissen, ob Nicos Auto da ist, obwohl ich ja nicht mit Sicherheit weiß, ob Nico nicht zu Fuß unterwegs war. Aber irgendwas muss ich tun!

Ich bin in der Tiefgarage unten und sehe tatsächlich Nicos Mini Cooper an seinem Stellplatz ganz hinten. Es sind nur wenige Autos hier unten. Die Garage ist ja auch nur für die Hausbewohner gedacht. Ein bisschen erleichtert bin ich schon darüber, dass das Auto da ist. Aber wo ist der Besitzer?

Und schon klopft mein Herz wieder wie wild, als ich nämlich sehe, dass die Fahrertür des Autos offen steht. Ich trete mit einem äußerst unguten und ängstlichen Gefühl näher heran und stoße sogleich einen entsetzten Schrei aus. Mein Puls jagt noch mehr in die Höhe, mir wird abwechselnd heiß und kalt, meine Hände zittern, meine aufgerissenen Augen blicken auf einen Körper, der neben der offenen Autotür liegt. Nein, gottseidank, das kann Nico nicht sein, das erkenne ich trotz aller Aufgeregtheit sofort. Es ist ein Mann, aber er hat schütteres Haar, ist viel kleiner und stämmiger wie Nico. Ich hab den noch nie gesehen. Er liegt in einer riesigen Blutlache, hat den Mund halboffen und die Augen … Der ist tot!!!

Mich hält nichts mehr hier unten, ich eile so rasch in kann zum Aufzug, stolpere hinein, vertippe mich in der Stockwerksangabe, komm aber irgendwann und irgendwie doch in Nicos Wohnung an.

Polizei? Notarzt? Feuerwehr? Wen soll ich zuerst anrufen? Ich versuche ruhig durchzuatmen und rufe an – Erika! Mir gehen tausend Dinge gleichzeitig durch den Kopf. Wer ist der Tote? Was macht er direkt neben Nicos Auto? Warum ist die Autotür offen? Was ist das geschehen? Und vor allen Dingen: Wo um alles in der Welt ist Nico?

Warum hat er meinen Vorschlag vom gemeinsamen Einkaufen nicht zugestimmt! Nico – wenn ihm etwas passiert, wenn er wie der Mann da unten….Nein, nicht daran denken. Das kann und darf einfach nicht sein!

Erika muss mich am Telefon immer wieder beruhigen, weil ich alles durcheinander erzähle. Schließlich meint sie:

„Bleib in der Wohnung, mache niemanden auf, ich bin schon unterwegs! Hab selbst einen Schlüssel. Ich rufe jetzt sofort Opa an, der hat gute Beziehungen zum Kripochef. Opa wir sofort alles in die Wege leiten, was nötig ist. Hörst du Dimitri, bleib in der Wohnung und – es wird alles wieder gut, glaub mir!“

Ja, ich würde es ja so gerne glauben, aber das ist die Leiche in der Garage und Nicos offenes Auto und keine Spur von ihm selbst und die ausgestoßene Drohung von Heinz und und und!

„Niki, mein Niki – was ist nur mit dir, wo bist du jetzt?“ murmle ich vor mich hin.

Wie im Traum tauchen die Bilder unseres bisherigen gemeinsamen Lebens vor mir auf: Unsere erste Begegnung am Stausee, unser erstes direktes Zusammentreffen am Inn, die geschenkte „Kreuzfahrt“, unsere wunderbaren Ausflüge, Spaziergänge, vor allem aber Weihnachten und der Austausch der Ringe, und schließlich noch die Silvesternacht am Mariahilfberg. Alles wunderbare Erinnerungen glücklicher Stunden.

„Das Glück verweht…“ hieß es nicht so heute morgen am Kalenderblatt? Nein, das darf einfach nicht sein! Reiß dich zusammen, sagt meine innere Stimme, Nico lebt und es wird alles wieder gut!

Wo nur Erika so lange bleibt? Ich trete hinaus auf die Dachterrasse, die sehr großzügig angelegt ist. Muss im Sommer ein Traum sein hier oben, wenn dann noch ein paar mediterrane Kübelpflanzen stehen, da braucht man doch gar nicht mehr in den Urlaub zu fahren. Aber das ist im Augenblick völlig nebensächlich. Ich blicke auf die Straße hinunter und sehe bereits Blaulichter von Polizei und Notarzt vor dem Haus stehen. Das ging ja rasch!

Ich gehe wieder hinein, im selben Moment betritt Erika die Wohnung. Sie umarmt mich, streicht meine Wangen, tröstet mich, obwohl es ihr, man sieht es an ihren unruhigen Augen, auch nicht gerade gut geht und sie sich Sorgen macht.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber es ist kaum ein Durchkommen in der Stadt. Und dann bis ich einen Parkplatz gefunden habe! Obwohl, ich glaube ich stehe im Parkverbot. Aber ist ja jetzt sowas von egal. Ja und dann war schon die Polizei im Haus und hat alles abgeriegelt. Hat etwas gedauert, bis ich rein durfte. Opa ist auch schon unten, zusammen mit dem Kripochef habe ich ihn gesehen, die sind ja sehr befreundet. Mich ließen sie allerdings nicht in die Garage, naja, ist ja wohl besser so.“

Wenn Erika mal am Reden ist, dann kann sie so rasch nichts stoppen.

„Opa hat versprochen gleich heraufzukommen, wenn er mehr weiß. Und dich werden sie ja auch noch vernehmen wollen. Aber das kriegen wir schon hin. Und mach dir keine Sorgen, es wird alles wieder gut!“

Ich nehme an, Erika will durchs viele Reden ihr Nervosität und Angst verdrängen. Nun sind wir also bereits Zwei, die sich nicht hinsetzen können und übernervös mal zur Tür, mal auf die Uhr sehen und in der großen Wohnung herumlaufen.

Wir erschrecken fürchterlich, als es klingelt. Erika öffnet und Nicos Opa, Willi, kommt herein. Ich sehe es ihm sofort an, es ist was mit Nico! Willi, ich darf und soll ihn ja seit Weihnachten so nennen, ist kreidebleich und wie mir scheint, um Jahre gealtert. Ich kann ihn nur ansehen, getrau mich kaum zu atmen oder irgend was zu fragen. Er kommt auf mich zu, nimmt mich in den Arm und meint nur „Ach Dimitri!“

Erika ist es, die sich aus der momentanen Erstarrung löst und Opa fragt, was er nun wisse.

„Tut mir leid, dass ich euch das sagen muss: Aber so wie es aussieht, ist Nico, unser Nico, entführt worden!“

Erika stößt ein erschrecktes „Nein!“ heraus und fängt zu weinen an. Ich stehe immer noch starr da, kann gar nicht richtig begreifen, was Willi da gerade sagt. Nico entführt? Ja warum denn und von wem?

„Es liegt bei dem Toten ein Zettel. Der Entführer will eine Million Euro Lösegeld bis morgen Abend, natürlich von mir. Genauen Zeitpunkt und Ort der Übergabe gibt er morgen Vormittag auf Nicos Handy durch. Das Handy hat die Polizei auf dem Fahrersitz in Nicos Auto gefunden. Und er will nur mit dir, Dimitri, am Telefon reden und du sollst auch der Geldbote sein. Er scheint über eure Beziehung genau Bescheid zu wissen, denn er ist sich ganz sicher, dass du Nico so liebst, dass du alle Hebel in Bewegung setzt, dass die Million gezahlt wird. Er muss sich genau umgehört und auch beobachtet haben.“

„Heinz?“ kann ich nur heiser fragen.

„Man kann davon ausgehen, ja!“

„Du weißt, dass er im Knast Nico und Josef Rache geschworen hat? Nico hat es mir erst gestern erzählt.“ erwidere ich.

„Ja, Nico hat es mir auch erzählt und die Polizei weiß es jetzt auch. Es wird da unten noch alles abgesucht, die Fingerabdrücke werden ausgewertet und dann wissen wir mit Sicherheit, ob Heinz dahinter steckt, wie wir alle annehmen. Vor allem wissen wir dann auch, wer der Tote ist. Aber auch hierzu gibt es bereits Vermutungen. Dieser Heinz ist ja zusammen mit noch einem Insassen ausgebrochen. Sie sollten in einen anderen Trakt verlegt werden, dabei ist es passiert. Es ist eine ganz dubiose Geschichte, die sich da in der Strafanstalt abgespielt hat. Die Untersuchungen laufen noch, aber es muss einen bestochenen Beamten gegeben haben, mindestens einen, der den beiden geholfen hat. Sie haben ihm wohl viel Geld versprochen. Auch eine Pistole hat er ihnen wohl besorgt. Und mit dieser hat nun Heinz seinen Mitausbrecher erschossen. So sieht es jedenfalls aus. Warum? Wer weiß! Hat es einen Streit gegeben? Auf alle Fälle ist Heinz zu allem fähig, wir haben es ja gesehen!“

Als Willi sieht und hört, wie Erika laut schluchzt und auch ich mit den Tränen nicht zurückhalten kann, meint er beruhigend:

„Nein, nein, Nico tut er nichts, den rührt er nicht an, er weiß doch, dass er eine Million wert ist, aber nur unversehrt! Also beruhigt euch bitte! Glaubt mir, es wird alles gut!“

Willi, obwohl selber ängstlich und aufs Äußerste beunruhigt, versucht uns zu trösten, nimmt Erika in den Arm und klopft mir auf die Schultern. Schließlich setzt er sich auf die Couch. Er wirkt äußerlich gefasst, im Innern aber, da nimmt es ihn ganz gewaltig her! Nico, sein Lieblingsenkel, sein Ein und Alles!

Inzwischen sitzen wir alle drei im Wohnzimmer, keiner sagt mehr ein Wort. Aber in Gedanken sind wir wohl alle im Moment bei Nico und stellen uns die bange Frage, wo ist er, wie geht es ihm? Wenn ich mir vorstelle, dass er jetzt im Augenblick in irgend einem finsteren Loch hockt, an Händen und Füßen gefesselt, den Mund zugeklebt – und wir sitzen hier rum und können gar nichts für ihn tun! Es ist zum Verrücktwerden“!

 

Wir sind so in Gedanken, dass uns das Läuten an der Wohnungstür direkt erschreckt. Es ist Herr Schmöller, der Chef der hiesigen Kripo, den uns Willi vorstellt. Und noch ein Beamter ist dabei. Sie erzählen uns, dass es nun sicher ist, dass dieser Heinz hinter der Sache steckt und dass der Tote der mit ausgebrochene Sträfling der Anstalt ist. Auch erfahren wir, dass der Arzt den Todeszeitpunkt auf neun Uhr festgelegt hat. Nach dem Telefongespräch zwischen Nico und seiner Mutter nach acht Uhr, muss man davon ausgehen, dass sich der Vorfall bald danach abgespielt hat. Ein Wunder, dass keiner den Toten in der Garage vorher bemerkt hat, bis ich hinunter kam und da war es ja schon fast Zwölf.

Ich werde nun auch vernommen, kann aber natürlich nicht viel sagen, nur dass ich in der Tiefgarage war, das offene Auto und den Toten gesehen habe. Auch den Racheschwur von Heinz erwähne ich.

Herr Schmöller ist sehr freundlich und versucht nun auch, tröstende Wort zu finden. Er sichert auch zu, dass vorerst, bis Nico wieder frei ist, absolutes Stillschweigen gegenüber der Presse herrscht. Den Toten freilich, den kann man nicht Verschweigen, aber von der Entführung gab und gibt es kein Wort an die Medien. Und dann zeigt er uns auch den Brief, der bei dem Toten lag und den, wie wir ja nun sicher wissen, Heinz geschrieben hat, mit Maschine geschrieben hat:

 

„An den Freund von Nico, diesen Dummitri oder wie du heißt:

 

Nico ist in meiner Gewalt! Es geht ihm soweit ganz gut, vorläufig! Er wird sofort frei gelassen, wenn ich das Lösegeld bekommen habe. Ich verlange nicht mehr oder weniger als eine Million Euro, in kleinen, nicht durchnummerierten Scheinen versteht sich. Haltet es bis morgen Abend bereit. Ort und genauen Zeitpunkt der Übergabe werde ich dir, und nur dir, morgen im Laufe des Vormittags auf Nicos Handy durchgeben. Das Handy habt ihr ja wohl schon gefunden. Der Geldbote wirst du selbst sein und kein anderer wird dich begleiten, vor allem auch keine Polizei! Ich weiß, dass du selbst das Geld nicht hast, aber der Opa von Nico hat Geld wie Heu. Dem kommt es auf eine Million mehr oder weniger nicht an. Außerdem hängt er an seinem Enkel, das weiß ich von früher. Es liegt also an dir, ihn zur Bereitstellung des Geldes zu drängen und es liegt an dir, ob du deinen Freund lebend wieder siehst! Nachdem ich mich durch intensives Nachforschen und eigenes Beobachten (mir wird heute noch schlecht, wenn ich an eure Herumschwuchtelei denke) überzeugt habe, wie ihr aneinander hängt, wirst du sicher alles unternehmen, dass ich das Geld bekomme und du Nico wieder siehst. Er ist mit schuld, dass mich die Bullen eingesperrt haben. Das muss er jetzt büßen! Mit diesem Josef rechne ich auch noch ab, später. Erst brauche ich das Geld! Näheres dann morgen Vormittag.“

Handschriftlich ist dann unten noch hingekritzelt:

 

„Der Tote war vorher nicht geplant. Aber er hat es nicht anders verdient! Jedenfalls werdet ihr jetzt einsehen, wie ernst es mir ist. Also denkt dran!“

 

Das alles hat uns Willi ja in groben Zügen schon erzählt. Aber es jetzt selbst zu lesen, das macht mich einerseits furchtbar traurig, wenn ich an den entführten Nico denke, andererseits auch entsetzlich wütend, wenn ich an die Kaltschnäuzigkeit dieses Verbrechers denke. Tränen rinnen mir  über die Wangen und ich gehe weg von den andern, hinaus auf die Terrasse.

Ich sehe hinunter auf die Stadt und lasse mein Blicke über die Dächer der Altstadt schweifen, sehe über dem Inn die Häuser der Innstadt, dann den Mariahilfberg, sehe in der Ferne die Donau, wie sie in der Mittagssonne glänzt und sehe drüberhalb einen Teil der Ilzstadt. Hier irgendwo wird Nico festgehalten und ich kann ihm im Moment nicht helfen, obwohl er gerade jetzt meine Hilfe am Dringendsten brauchen würde. Diese Hilflosigkeit macht mich ganz krank!

Erika kommt zur mir heraus, bleibt neben mir stehen und sieht ebenso wie ich hinunter auf die Stadt.

„Opa ist mit den beiden wieder hinunter gegangen. Er wird dir dann noch das Handy bringen, du brauchst es ja morgen!“

Ich nicke nur dazu. Sie erzählt mir auch, dass Opa natürlich die Million zur Verfügung stellt, das war überhaupt keine Frage.

„Er will doch auch so schnell es geht, seinen Enkel wieder sehen, unversehrt natürlich!“

Erika bietet mir auch an, dass ich mit zu ihr kommen kann oder auch zu Opa. Aber ich lehne ab. Ich mag sie ja alle sehr, sie sind schon fast so was wie eine zweite Familie für mich geworden. Aber wohin zieht es einen doch zuerst, wenn man vor Angst und Kummer nicht mehr weiter weiß? Zur eigenen Mutter! Und so werde ich zu meiner Familie fahren, die wissen ja noch gar nichts. Und ich werde dort auch über Nacht bleiben, da haben sie sicher nichts dagegen. Ich werde Yuri und Thomas wieder sehen und kann mit ihnen über alles reden. Allein in meiner Wohnung – nein, da könnte ich es im Moment nicht aushalten.

 

Willi kommt wieder in die Wohnung und reicht mir Nicos Handy. Er bittet mich auch, morgen gegen acht Uhr wieder hier zu sein. Es werden dann auch Kripobeamte zugegen sein, um den erwarteten Anruf aufzunehmen.

„Es wird alles wieder gut, Dimitri, es wird alles wieder gut, glaub mir! Ich tu alles, um Nico wieder frei zu bekommen! Ich will euch beide wieder zusammen sehen, glücklich zusammen sehen!“ spricht mir Willi Mut zu und umarmt mich. Auch Erika nimmt mich in den Arm und streicht mir übers Gesicht.

Ich aber mache mich auf den Weg zu meinen Eltern. Vor allem freue ich mich auf meine Mutter, zu der ich immer und zu jeder Zeit mit all meinen Nöten kommen konnte, sie hat mich immer wieder getröstet und mir Mut gemacht.

„Das Leid vergeht…“, so hieß es doch im Kalender. Jawohl, daran glaube ich, auf das hoffe ich!

„Niki, auch wenn ich dir jetzt nicht helfen kann, in meinen Gedanken bin ich immer bei dir!“

 

***

 

Nico

 

 

„Dimi – nein – nicht!“

Ich muss so laut geschrien haben, dass ich davon wach geworden bin. Von Dimitri hab ich geträumt und von Heinz und von einer Pistole, die der Verbrecher meinem Dimi an die Schläfe hielt. Gottseidank nur ein Traum!

Verschlafen will ich mir die Augen reiben. Geht aber nicht. Meine Hände sind irgendwie am Rücken zusammengebunden, ich kann sie unmöglich nach vorne bringen. Ich versuche mich aufzurichten. Gar nicht so einfach, wenn man dazu die Hände nicht benutzen kann. Ja und meine Füße, die sind auch unbeweglich, auch fest verknüpft.

Wo bin ich denn hier überhaupt? Ich sehe mich um. Es muss irgend eine Holzhütte sein, ein Geräteschuppen oder Gartenhäuschen. Viel Licht ist ja gerade nicht hier drinnen. Naja, ist ja nur ein kleines vergittertes Fenster da vorne und daneben eine Tür. Was hier nicht alles herumliegt! Ein alter Plastiktisch, einige vergammelte Stühle, zum Sitzen wohl nicht mehr geeignet, Holzkisten, Bretter, Balken, altes Geraffel.

Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie kommt mir diese Hütte bekannt vor, so als wäre ich vor langer Zeit schon mal hier gewesen. Genau, dieses mit Spinnweben übersäte Hirschgeweih, an dem an einer Seite ein Stück abgebrochen ist, das habe ich schon gesehen. Aber wo war das?

Moment mal – die Hände und Füße zusammengebunden, allein in einer Holzhütte? Jetzt hätte ich beinahe lachen müssen, ist ja wie in einem Krimi, wie eine Ent…..

„Meine Güte – man   h a t   m i c h   e n t f ü h r t   !!!“

Klar, jetzt kommt es wieder: Ich wollte doch zum Einkaufen bevor Dimitri kommt. Und dann der Knall auf meine Birne in der Tiefgarage unten, als ich ins Auto wollte. Darum dieses entsetzliche Hämmern in meinem Kopf! Die müssen ja gewaltig zugeschlagen haben!

Die? Klar, ich hab doch Heinz gehört und er stauchte einen anderen zusammen. Und jetzt fallen mir bruchstückhaft verschiedene Worte wieder ein, wie „steinreich, Großvater, Million“. Die wollen Lösegeld von Opa!

Und dann ein Schuss oder sowas! Keine Ahnung, was da abging. Ja und noch so ein paar Wortfetzen von Heinz sind in meiner Erinnerung: „Drecksschwuchtel, schuld, Knast“. Und ein Tritt gegen die Rippen, darum diese Schmerzen! Hoffentlich ist nichts gebrochen!

Apropos gebrochen – ja, ich entsinne mich, ich hab mich übergeben müssen, deshalb dieser furchtbare Geschmack in meinem Mund! Und Durst habe ich, der ganze Mund klebt zusammen. Und mir ist kalt. Kann mir ja nicht mal die Hände wärmen. Wie denn, hinter meinen Rücken kann ich sie kaum warm pusten.

Wie spät wird es überhaupt sein? Und wo sind meine Entführer? Sind es überhaupt noch mehrere oder ist nur noch Heinz übrig? Schießen die sich gegenseitig über den Haufen?

Heinz – wir waren doch mal Freunde, gute Freunde! Wie kann es sein, dass er zu so einem Arschloch mutiert ist? Obwohl ja Arschloch noch ein zu freundlicher Ausdruck ist für diesen Verbrecher!

Ob Dimitri es schon weiß? Mein Gott, mein Dimi! Sie werden ihm doch nichts getan haben! In was für eine schlimme Geschichte ziehe ich ihn da mit hinein?

Ich muss mal schauen, auf was ich da eigentlich sitze. Es ist eine alte Decke. Wenigstens haben sie mich nicht auf die blanke Erde gelegt. Wie mir mein Kopf weh tut!

Was läuft denn da hinten rum? Tatsächlich eine kleine Maus! Nur gut, dass ich hier bin und nicht Dimitri. Der hat nämlich eine panische Abneigung gegen diese kleinen Nager. Mir machen die nichts aus. Aber was für ihn die Mäuse, das sind für mich Spin…Spin….nen! Da seilt sich doch tatsächlich so ein Miststück vor meinen Augen herab, direkt auf meinen Schoß! Und ich kann mich nicht wehren! Muss das jetzt wirklich sein? Reichen die Schmerzen und die ganze saublöde Entführung noch nicht? Muss ich mich auch noch von so einer Monsterspinne verspeisen lassen? Jetzt krabbelt das Ding über meine Hose und verschwindet dann doch seitlich. Endlich kann ich wieder durchatmen, ich kann sie einfach nicht ausstehen die Viecher!

Obwohl – sind Spinnen nicht das kleinste Übel, angesichts meiner Entführung und meines körperlichen Zustandes? Außerdem müsste ich mal dringend pinkeln. Aber wie sollte das gehen?

 

Plötzlich höre ich was, irgendwer kommt auf die Türe zu, sperrt auf, öffnet sie, tritt herein: Heinz! Er trägt ein paar Decken unter dem Arm und sieht mich an.

„Na, ist unser Schwuchtelchen endlich wach, ja? Hast ja lange gepennt! Musst aber schon noch einen ganzen Tag hier bleiben.“

„Warum Heinz, warum?“

„Was warum?“

„Warum machst du das? Was hab ich dir getan? Wir haben uns doch mal so gut verstanden, waren Freunde! Wie kann aus diesem netten Freund von einst so ein Arschloch, ja so ein Verbrecher werden?“

„Du verstehst gar nichts, was?“

„Nein Heinz, das verstehe ich nicht!“

„Du hast einen großen Fehler begangen, als du gesagt hast, dass du schwul bist. Das hättest du nicht tun dürfen! Alles wäre noch wie früher!“

„Aber ich habe dir doch nichts getan, was hast du gegen Schwule?“

„Du hast keine Ahnung, was? Aber was solls, ist ja jetzt ohnehin unwichtig. Dein Freund, wie heißt er gleich wieder, dieser Dummitri, also wenn der morgen das Geld von deinem Opa bringt, dann bist du frei und ich bin im Ausland. Glaubst du, ich würde nochmals in den Knast gehen? Niemals! Sind doch lauter Perverslinge dort. Nein, mich kriegen die nie mehr!“

„Er heißt Dimitri, nicht Dummitri, und wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst, geht’s dir schlecht! Auch wenn ich nichts tun kann, seine Familie wird es dir heimzahlen, die finden dich auf der ganzen Welt.“

„Keine Angst, ich tu ihm nichts, ich tu auch dir nichts, wenn alles so verläuft, wie ich es ihnen aufgeschrieben habe.“

„Ach ja, du tust mir nichts? Und wie war das mit dem Hieb auf meinen Schädel? Und der Tritt in die Rippen? Meinst du das tat und tut nicht weh?“

„Das mit dem Kopf war ich nicht, das war dieser Lukas, der Idiot. Nein, das war so nicht vorgesehen. Aber dafür musste er auch büßen. Wäre ja noch schöner, schließlich bin ich der Chef in der Sache und solche Eigenmächtigkeiten dulde ich nicht.“

Mir fällt der Schuss wieder ein.

„Du hast ihn – nein, sag dass das nicht wahr ist! Du hast ihn erschossen? Mein Gott Heinz! Was ist nur aus dir geworden!“

„Er hätte dir den Schädel einschlagen können und was wäre dann aus meinem schönen Plan mit der Million geworden? Außerdem ist er auf mich losgegangen, als ich ihn beschimpfte. Er ist doch ein Profi-Totschläger! Da musste ich schießen! Er oder ich! Außerdem brauche ich jetzt nicht mehr zu teilen. Und die Polizei weiß, dass mit mir nicht zu spaßen ist.“

„Aber Mensch, Heinz, dann war das doch mehr oder weniger Notwehr! Du hast jetzt immer noch die Chance, dich zu stellen. Freilich kriegst du ein paar Jährchen, aber so machst du es noch schlimmer und kommst überhaupt nicht mehr raus.!“

„Spare dir die Ratschläge, ich weiß schon was ich tu. Hier, ich habe dir ein paar Decken mitgebracht. Heute Nacht wird es kalt. Und ich will ja nicht, dass du mir vorher erfrierst. Und für einen erfrorenen Nik bekomme ich kaum eine Million!“

Ja, Nik, so hat er mich früher immer genannt, früher, als wir noch so gute Freunde waren.

„Ist ja sehr nobel von dir, wie du um mein Wohlergehen besorgt bist!“ stelle ich sarkastisch fest und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Tja, so bin ich halt!“ sagt er gespielt tuntig.

„Ach übrigens, ich müsste mal ganz dringend…!“

„Na und, bin ich dein Kindermädchen? Du wirst doch noch allein…Ach so, hast ja keine Hände frei.“

Jetzt zieht Heinz seine Pistole heraus, hält ihn mit einer Hand an meinen Hinterkopf und nestelt mit der anderen am Strick, der meine Hände hinten zusammenbindet.

„Mach bloß keine dummen Sachen, ich warne dich!“

„Mann Heinz, ich will nur endlich mein Wasser ablassen, ich mach schon nichts!“

So öffnet er auch den Strick an meinen Füßen und ich kann aufstehen. Ich muss mich erst einmal strecken und meine Arme massieren, war ja lange unbeweglich und zusammengebunden da gelegen. Ich will auf die Tür zugehen.

„Nix da, stell dich in die Ecke da, das geht schon, nach draußen kommst du mir nicht!“

Na, wenn er meint, ich bin nur froh, endlich den Druck los zu werden. Dieser Blödmann beobachtet mich dabei und zielt mit seiner Pistole direkt auf meine untere Region. Ich tu mich schon schwer mit Pinkeln, wenn neben mir einer steht. Aber wenn mir auch noch einer zusieht und dabei mit der Knarre auf meine edelsten Körperteile zielt, dann geht fast gar nichts mehr, tröpfchenweise höchstens.

„Mensch Nik, geht das immer so langsam bei dir? Jetzt mach mal, ich habe nicht ewig Zeit! Muss weg, habe noch einiges zu tun und zu planen für Morgen.!“

„Du bleibst nicht hier? Kannst du das Risiko eingehen, mich allein zu lassen über die Nacht?“

„Mach dir keine Hoffnungen, du bist hier meilenweit allein auf weiter Flur. Also schreien ist absolut sinnlos. Keiner würde dich hören!“

Endlich bin ich fertig. Er holt aus einer Ecke des Schuppens eine Art Klappbett, voller Spinnweben natürlich, wischt mit einer Hand darüber, stellt es auf und wirft die mitgebrachten Decken darauf. Dabei immer die Pistole auf mich gerichtet.

„So, dein Bett ist gemacht!“

„Ach übrigens Heinz, würde mich schon noch interessieren, woher weißt du, wo ich jetzt wohne und das von meinem Freund?“

„Deine Adresse steht in jedem Internet-Telefonbuch. Nicht gewusst? Ja und ich hab mich ein wenig umgehört bei deinen Nachbarn, sind übrigens sehr gesprächig. Außerdem habe ich euch beobachtet. Hat mich zwar viel Zeit gekostet, hat sich aber gelohnt. Ward ihr nicht an Silvester am Mariahilfberg oben? Ich auch! Eigentlich war es da schon geplant, aber dann waren mir zu viele Leute unterwegs und du warst in Begleitung. Und so musste ich mir euer Geschwuchtel mit ansehen. Zum Grausen!“

Er verzieht angewidert das Gesicht.

Ich setzte mich auf das Klappbett, probiere es aus, naja, besser als der Boden allemal.

„Hier hab ich dir eine Flasche Wasser hingestellt, kannst wenigstens an der nuckeln, wenn du schon

deinen Dummitri nicht hast. Und jetzt leg dich hin, dass ich dich wieder verschnüren kann.“

„Er heißt ….ach, was solls! Aber es ist doch Blödsinn, mich zu fesseln, wo eh alles versperrt ist und mit Gittern versehen. Ich kann hier niemals raus. Und schreien, nützt ja auch nichts, sagtest du doch. Außerdem, wie soll ich was trinken oder das Gegenteil tun, wenn du mich festbindest?“

Er überlegt ein wenig, sieht zum vergitterten Fenster, sieht sich die massive Bauweise des Häuschens an und nickt dann.

Mir fällt ein Stein vom Herzen, wenigstens das strenge Fesseln bleibt mir erspart. Ich habe ja auch in der Tat nicht die geringste Chance, rauszukommen.

„So, ich gehe dann, morgen bringe ich dir das Frühstück direkt ans Bett! Na, ist das vielleicht ein toller Service?“

„Ja ja, toller Service! Kannst du mir nicht wenigstens eine Taschenlampe oder Kerze da lassen, es gibt hier drinnen so viele Spinnen und so Krabbelzeug!“

„Ach ja, Nik und die Spinnen, ich weiß! Aber leider nix zu machen!“

Und schon ist er draußen und sperrt ab.

Nur mehr ein schwacher Lichtschein dringt durch das Fenster herein. Es wird langsam Nacht. So sitze ich also alleine hier zwischen jeder Menge Spinnweben und altem Gerümpel. Eine ganze Nacht werde ich so verbringen müssen.

Ich kann nur hoffen, Dimitri geht es gut und er ist nicht allein!

 

***

 

Dimitri

 

 

Es ist schon sonderbar, wie leer, wie verlassen, ja wie kalt eine Wohnung wirkt, wenn das Wichtigste fehlt, der Inhaber. Selbst diese großzügige und wunderbar eingerichtete Penthousewohnung von Nico wirkt an diesem Morgen gespenstisch ruhig und verlassen.

Ja, ich bin wieder in Nicos Wohnung, es ist kurz vor sieben Uhr morgens. Um acht sollte ich hier sein, hat Willi, Nicos Opa, mich gestern wissen lassen. Aber ich habe es zu Hause nicht mehr ausgehalten. Seit fünf Uhr bin ich wach gelegen. Und so habe ich mich gegen halb Sieben aufgemacht und bin hierher gefahren. Unterm Herfahren und dann im Lift hier rauf, habe ich mich immer wieder bei dem Gedanken ertappt, dass ich in die Wohnung komme, ins Schlafzimmer, und Nico sieht mich ganz erstaunt an und reibt sich verschlafen die Augen. Dass das Alles gestern nur ein böser Traum war und Nico seelenruhig und unversehrt im Bett liegt.

Noch als ich durch die Wohnungstür in den Flur trat, habe ich die Ohren gespitzt, ob ich nicht doch ein leises Schnarchen aus dem Schlafzimmer höre. Aber es war und ist natürlich nichts, kein Geräusch, kein Nico, trostlose Stille! Die Wohnung ist menschenleer.

Ich trete in die Küche, sehe mich um. Dort in der Spüle steht noch meine Kaffeetasse von gestern,

gleich daneben die halb leere Flasche mit dem köstlichen Rotwein, den wir am Neujahrstag noch probiert haben. Ich sehe den Herd mit der Backröhre, wo wir unseren ersten gemeinsamen Backversuch gestartet haben, einen Nusskranz, der uns recht gut gelang.

Nachdem ich mir zu Hause keine Zeit mehr für einen Kaffee nahm, mach ich mir hier schnell eine Tasse. Ich setze mich zum Trinken in die kleine Sitzecke, eine Eckbank, Tisch, zwei Stühle, die der Küche angegliedert ist und wo wir schon oft beim gemeinsamen Frühstück saßen. Heute sitze ich alleine hier und schlürfe meinen heißen Kaffee. Der natürlich überhaupt nicht schmeckt, weil ich immer auf die Stelle der Eckbank schiele, wo sonst Nico immer sitzt und mich mit seinen großen Augen so lieb ansieht. Sonst immer – heute ist alles anders! Nico ist entführt, wird irgendwo festgehalten. Ich kann nur hoffen, dass er die Nacht nicht im Freien verbringen musste, denn es ist wirklich sehr kalt da draußen.

Ich gehe hinüber in das große Wohnzimmer, sehe die weiße Couchgarnitur, wie ja überhaupt das ganze Zimmer sehr hell und freundlich wirkt. Jede Menge Zimmer- und Kübelpflanzen, die zum größten Teil im Frühjahr dann auf die Dachterrasse kommen, dazu die große Fenster- und Glastürenfront, vermitteln den Eindruck, in einem Wintergarten zu sein.

Auf einem Sideboard stehen verschiedene gerahmte Bilder von seiner Familie, seiner Mutter, seinen Großeltern, daneben ein Bild von uns beiden, wie wir Schulter an Schulter fröhlich in die Kamera lächeln, von Yuri bei einem gemeinsamen Ausflug aufgenommen. Auch ein kleineres Bild von meinem Bruder Yuri und seinem Freund Thomas steht daneben.

Ja und dann ist da noch diese hübsche Madonnenstatue aus Wachs, die wir letztes Jahr bei unserem Ausflug nach Aign-Schlägl in der Kerzenfabrik gekauft haben. Nico hat sie so gut gefallen, die Madonna mit dem blauen Mantel und dem Kind im Arm, beide Gesichter so lebensecht modelliert. Mir kommen die Tränen, wenn ich zurück denke, mit welcher Freunde, Nico die Figur betrachtet, mitgenommen und dann hier aufgestellt hat.

Ich sehe auf die Statue, streiche mit den Fingern darüber, weiß jetzt, was ich tun werde und sage halblaut mit Blick auf die Madonna:

„Wenn Nico heute Abend wieder gesund und munter bei mir ist, dann verspreche ich, eine Kerze vor deinem Bild in der Mariahilfkirche aufzustellen. Nein, kein kleines rotes Lichterl, wie wir es schon mal zusammen taten, eine wunderschöne große Kerze soll es sein, wie keine zweite in der Kirche steht!“

Ja, das werde ich tun, ich verspreche es! Es darf nicht noch einen Toten geben! Um Gotteswillen, nein! Ich könnte nicht mehr weiterleben, ohne Nico!

Ich öffne die Terassentüre und trete hinaus. Eisige Kälte umfängt mich. Es wird langsam Tag. Ich sehe hinunter auf die Stadt mit ihrer Emsigkeit und Hektik, die sich so früh am Morgen schon ausbreitet. Mir wird kalt und ich gehe wieder in die Wohnung hinein.

 

 

Es war gut, dass ich gestern zu meinen Eltern gefahren bin. Wie hat es mir wohl getan, von ihnen getröstet und in den Armen gehalten zu werden, als ich ihnen die ganze Geschichte erzählt habe. Vater konnte es überhaupt nicht begreifen und hat immer nur den Kopf geschüttelt. „Armer Nico“ hat er immer wieder geflüstert. Ich weiß ja, dass er ihn längst in sein Herz geschlossen hat. Und eine Mordswut auf diesen Heinz, den er ja nur den Namen nach kennt, hat sich in ihm gesammelt. Sämtlich Knochen will er ihm brechen, wenn er ihn in die Finger bekommt.

Immer wieder sind meine Tränen geflossen. Aber hier zu Hause, bei meiner Familie, da konnte ich ihnen freien Lauf lassen. Und immer wieder hat auch Mutter ein tröstendes Wort für mich gehabt und mich in den Armen gehalten. Es hat so gut getan!

Später kamen auch Yuri und Thomas, sie waren mit dem Auto im Bayerischen Wald unterwegs gewesen, da ja auch Thomas diese Woche noch Urlaub hat. Auch sie konnten es nicht begreifen, was da geschehen ist.

Ich bin auch nicht mehr in meine Wohnung gefahren, blieb bei den Eltern über Nacht, das heißt in meinem früheren Zimmer. Yuri und Thomas leisteten mir noch lange Gesellschaft. Ich lag bereits im Bett, sie saßen auf der gegenüberliegenden Couch. Sie versuchten mich abzulenken, an was anderes zu denken. So erzählten sie vom Fasching, der ja heuer so kurz ist und dass sie in einen Kostümball gehen wollen.

„Aber ich weiß einfach nicht, welches Kostüm ich anziehen soll, als was ich gehen soll. Dieses Zeug ist ja alles so teuer und nur einfach mit Ringelhemd und Matrosenhütchen will ich auch nicht gehen“, jammerte Yuri.

„Ich weiß da was für dich, kostet gar nichts“ erwiderte Thomas.

„Ach ja und was?“ fragte Yuri.

„Na ganz einfach, geh so wie du immer bist – als Zappel-Yuri!“ entgegnete Thomas.

Sogleich entstand eine Rauferei zwischen den beiden, natürlich nicht ernst gemeint. Ich musste lächeln, einfach süß die Zwei!

„Aber jetzt weiß ich auch etwas für dich Thomas, was auch nichts kostet!“ meinte Yuri.

„Und das wäre?“ wolle Thomas wissen.

„Geh als Osterüberraschung!“ sagte ein verschmitzt lächelnder Yuri.

„Osterüberraschung?“ fragen Thomas und ich gleichzeitig.

„Na einfach, wenn du dich dann entblätterst, kommen schöne große Eier zum Vorschein, die ich dir natürlich vorher bunt bemale, eben eine Osterüberraschung!“

Yuri spielt damit auf den vorhandenen tatsächlich überdimensionierten Körperteil von Thomas an. Dieser schaut zuerst etwas nachdenklich und meint dann lächelnd:

„Warum nicht? Wenn du mich dann vor allen Leuten entblätterst, dann machen wir das, geh ich als Osterüberraschung.“

„Könnte dir so passen, du Sexprotz!“ meint ein gespielt entrüsteter Yuri.

Mit solchen und ähnlichen Sprüchen und Geschichten verging die Zeit rasch und es war schon nach elf Uhr, als sie dann gingen, nicht ohne mir für morgen das Beste zu wünschen.

 

 

Inzwischen ist es acht Uhr am Morgen. Die Kripobeamten sind soeben gekommen. Und nun ist auch Nicos Mutter, Erika, und Opa Willi da. Erika hat sich gleich in die Küche begeben, um für alle Kaffee zu kochen.

Die Beamten geben mir noch ein paar Hinweise, wie ich mich bei dem erwarteten Anruf verhalten soll und dass ich unbedingt darauf drängen soll, mit Nico selbst zu reden.

Ansonsten können wir nichts tun, als auf den Anruf zu warten. Nicos Handy liegt vor uns auf dem Wohnzimmertisch. Ich starre es immer wieder an und will es so bewegen, sich endlich zu rühren. Diese Ungewissheit hält ja kein Mensch aus!,

Es ist inzwischen neun Uhr – Nichts!

Es ist zehn Uhr – Immer noch nichts!

Es ist bereits elf Uhr -endlich es klingelt!

 

***

 

Nico

Das war vielleicht eine Nacht, meine Herrn! Bin ich froh, dass es, wie ich durch das kleine Fenster oben sehe, allmählich Tag zu werden scheint. Dürfte so um acht Uhr rum sein. Wie dumm, dass ich ausgerechnet gestern, bevor ich gekidnappt wurde, meine Uhr im Badezimmer liegen ließ. So hab ich überhaupt kein rechtes Zeitgefühl und kann mich nur am Dunkel- oder Hell werden orientieren.

Geschlafen habe ich nicht viel. Hab mich einfach nicht recht erwärmen können, trotz der vier Decken, die Heinz gestern da gelassen hat. Ein eisiger Schneewind pfiff durch die Ritzen der Bretterwände und machte die Kälte noch schlimmer. Immer wieder bin ich aufgestanden und hab mich bewegt, um etwas warm zu werden. Viel geholfen hat es aber nicht. Bin nur froh, dass ich mich gestern früh doch relativ warm angezogen habe. Sogar eine lange Thermounterhose hab ich an. Ja, ja, bei Dimitri hab ich gelästert, als ich sie gesehen habe. Heute bin ich froh, dass ich sie habe.

Ja und wenn ich wirklich für einige Minuten Schlaf gefunden habe, dann träumte ich von Monsterspinnen, die, als sie auf mich zukamen, das Gesicht von Heinz hatten, mich zynisch angrinsten und ihre haarigen Arme nach mir schlugen. Bin ja wirklich froh, dass es auch hier drinnen allmählich hell wird.

Hab auch schon überlegt, ob ich nicht doch irgendwie an das Fenster hoch komme, um hinaus zu sehen. Vielleicht erkenne ich dann doch, wo ich hier eigentlich bin. Aber wie zu dem Fenster hoch kommen? Das Plastiktischchen da hinten hält mein Gewicht nicht aus, das fällt schon beim Ansehen zusammen. Und sonst ist nichts hier drinnen, was brauchbar wäre. Das Fenster ist aber auch wirklich sehr weit oben. Wahrscheinlich um Einbrecher abzuhalten. Aber für was hier einbrechen? Im meinem Falle ist eher das Gegenteil gefragt. Aber nichts zu machen! Die Tür ist sehr stabil und von außen verschlossen, die Holzwände sind ebenfalls sehr massiv und ohne Werkzeug nicht zu bezwingen.

Wieder bewege ich mich , hüpfe umher, rudere mit den Armen, alles um warm zu werden. Jetzt ein heißes Bad und einen noch heißeren Tee, was gäbe ich dafür!

Wann wird Heinz wieder auftauchen? Ich hoffe nur, er taucht wieder auf! Was ist, wenn ihm etwas passiert, oder wenn er geschnappt wird? Und er verrät nichts von meinem Versteck? Oder er hat dann das Geld und lässt mich hier sitzen? Er muss doch dann rasch verduften, die sind doch sofort hinter ihm her! Und ich kann dann hier drinnen verschimmeln, oder die Spinnen fallen über mich her oder ich erfriere, was ja bald der Fall sein wird, wenn das so weiter geht. Kein Mensch weiß, wo ich bin! Wie sollte mich hier jemand finden? Klar, irgendwann mal, wenn ich erfroren, verdurstet und verhungert bin, dann finden sie eines Tages mein mit Spinnweben überzogenes Skelett! Allmählich, so glaube ich, wird mir erst so recht bewusst, in welcher Scheißlage ich mich hier befinde.

Und was soll aus Dimitri werden? Jetzt wo unsere Liebe immer inniger wird, wo wir einander vermissen, wenn wir nur wenige Stunden getrennt sind? Dimi, mein Dimi, wie sehr gehst du mir ab! Was für großen Kummer bereite ich dir! Es wäre besser für dich gewesen, du hättest mich nie kennen gelernt, dann wäre dir das erspart geblieben! Ob ich ihn überhaupt nochmals sehen werde? Es ist doch erstaunlich, wie sehr man sich an einen Menschen gewöhnen kann, wie sehr man ihn lieben kann, einen Menschen, von dem ich vor wenigen Monaten noch gar nicht wusste, das es ihn gibt!

Ich habe die Situation gestern gar nicht als so dramatisch empfunden, auch wenn Heinz dauernd mit seiner Pistole herumfuchtelte. Ich hab immer noch zuerst den Heinz gesehen, der mir seit Kindheit bekannt war. Aber der ist ja längst Vergangenheit! Er hat ein Menschenleben auf dem Gewissen, einen ehemaligen Freund schlimm zugerichtet und hält mich, auch ein ehemaliger Freund, hier fest, um Lösegeld zu erpressen! Wahnsinn, was aus diesem einst so netten Kerl für ein eiskalter Verbrecher geworden ist. Gestern hab ich noch gedacht, er kann seine Pistole auf mich richten, abdrücken würde er doch nie! Bei mir doch nicht! Heute bin ich mir da nicht mehr sicher, ganz im Gegenteil!

Aber ich muss an was anderes denken, sonst werde ich hier drinnen verrückt. Jawohl, an Dimitri denke ich und an unsere gemeinsamen wunderbaren Stunden. Oder an unsere Wanderungen, an unsere Ausflüge, so zum Beispiel an die Fahrt über die österreichische Grenze zum Stift Aign-Schlägl und zur Kerzenfabrik. Ja, diese wunderschöne Marienfigur, die jetzt in meinem Wohnzimmer steht, haben wir dort gekauft. Wie oft habe ich einen Blick darauf geworfen, auf die Mutter mit dem Kind am Arm, so echt dargestellt. Eine ähnliche, aber viel größere Figur steht ja droben in der Kirche am Mariahilfberg, wo ich zusammen mit Dimitri schon mal zwei kleine Kerzen angezündet habe. Das bringt mich auf eine Idee, jawohl das mache ich! Wenn ich heute Abend meinen Dimitri wieder umarmen kann, wenn also alles gut wird, dann gehe ich die mehr als dreihundert Stufen der Wallfahrtsstiege hinauf und bringe eine schöne große Kerze mit, die ich oben aufstelle. Das verspreche ich!

Ich sehe mich nun nochmals in der Hütte um, mein Blick bleibt wieder auf dem Geweih über der Tür hängen. Wo habe ich das schon gesehen?

Gartenhäuschen – Geweih? Das geht mir ein Licht auf! Natürlich, wieso hab ich da so lange gebraucht! Ich bin im Gartenhäuschen des Schrebergartens, der einst der Familie Müller, das ist die Familie von Heinz, gehört hat. Ich erinnere mich wieder, obwohl das inzwischen schon einige Jahre her ist und wir noch Kinder waren. Wir spielten ein paarmal in dem Garten, da war alles noch gepflegt, Blumen gab es und Gemüsebeete, eine Hängematte zwischen zwei jungen Birken, eine Schaukel und eine kleine Wiese. Irgendwann mal kam ein Gewitter und wir flüchteten in dieses Häuschen, das zum Aufbewahren der Gartengeräte diente. Da sah ich das Geweih zum erstenmal. Vor ein paar Jahren hat die Stadt die Pachtverträge für die Gärten nicht mehr verlängert, weil sie im Hochwassergebiet lagen. Richtig, mindestens einmal im Jahr kam das Wasser der nahen Donau bis zu den Gärten. Und so wurden die Schrebergärten aufgegeben und verwilderten.

Ich bin im vergangenen November erstmals seit Jahren wieder hier vorbei gekommen. Ich machte mit Dimitri einen längeren Spaziergang, denn es war nochmals ein wunderschöner Spätherbsttag. Ich muss schmunzeln, weil wir uns nämlich verlaufen hatten, in der Heimatstadt verlaufen! Naja, es war ja ziemlich außerhalb, am Stadtrand eben, aber trotzdem! Erst als ich die verwilderten Gärten wieder sah, kannte ich mich aus. Auch das eine oder andere Häuschen stand noch. Na gut, jetzt weiß ich zwar wo ich bin, aber was nützt mir diese Erkenntnis?

 

Ich höre Schritte, die Tür wird aufgesperrt, Heinz kommt herein. Er sieht nicht gut aus, scheint wenig geschlafen zu haben. Er reicht mir eine Thermoskanne.

„Da trink, ist heißer Kaffee, mehr kann ich dir nicht bieten. Muss vorerst reichen!“

Er sieht die wenig geleerte Wasserflasche und fragt, warum ich nichts trinke.

„Das Wasser da drinnen ist fast eingefroren, jedenfalls ist es eisig kalt. Wenn mich eh schon so friert, kann ich nicht auch noch eiskaltes Wasser saufen. Außerdem war die Nacht lausig kalt, hab kaum geschlafen.“

„Mach dir nichts draus, ich hab auch nicht viel geschlafen. Tja, das Hilton ist das hier nicht. Schon klar, dass es dir verweichlichten Schnösel nicht gefällt.“

„Und, wie soll es jetzt weiter gehen, was hat der Herr Entführer für Pläne mit dem Schnösel?“

„Ganz einfach! Ich werde hernach deinen Dingsbums anrufen und ihm erklären, wann, wie und wo ich das Geld haben will. Ich hol es mir und wenn alles geklappt hat, dann lasse ich dich laufen. Und ich bin dann mit der Million über die Grenze. So einfach läuft das ab!“

Genau so hab ich mir das gedacht, er holt sich das Geld und haut ab. Er kann es nie und nimmer riskieren, nochmals hierher zu kommen.

„Wo hast du eigentlich übernachtet und wo ist der Kaffee her?“ frage ich ihn.

„Nicht alle Leute hier sind gegen mich. Es gibt Freunde, die trotz allem zu mir halten und nicht verraten.“

„Aber diese Freunde, wissen die, was du hier gerade abziehst, oder das, was gestern geschehen ist, wissen die das?“

„Es sind Freunde, die im Gegensatz zu dir, keine Fragen stellen. Zufrieden?“

Muss ich wohl sein. Nach einer Weile des gegenseitigen Schweigens frage ich Heinz, wie spät es eigentlich ist.

„Hast du keine Uhr?“

„Blödmann, würde ich sonst fragen?“

„Werde blos nicht frech! Es ist gleich Elf und ich muss anrufen!“

„Soll ich derweil draußen warten?“ frage ich scheinheilig.

Er aber antwortet nicht, geht zur Tür, lehnt sich dagegen, gibt eine Nummer ins Handy ein und hält die Pistole, die er die ganze Zeit etwas nervös wie mir scheint in der Hand hält, wieder direkt auf mich gerichtet.

„Hallo Dummitri, bist du das?“

Mein Gott, er redet mit Dimitri! Wie gerne würde ich das jetzt auch tun.

„Er heißt Dimitri!“ flüstere ich ihm zu, was er aber gar nicht registriert, denn er redet schon weiter.

„Was ist? Ach so, Dimitri, ist doch wurscht! Das Geld habt ihr? Gut! Hör genau zu: Du gehst heute genau um halb Fünf, hörst du, genau um halb Fünf, mit dem Geldkoffer von der Innbrücke die steinerne Treppe hinunter, am Innkai entlang, Richtung Dreiflüsseeck. Nach gut hundert Metern geht links eine Steintreppe hoch. Und davor ist eine Bank, darauf setzt du dich, den Koffer stellst du neben dir auf die Bank. Nimm das Handy mit. Du erhältst dann weitere Anweisungen! Du gehst alleine, ist das klar! Keine andere Person, schon gar keine Polizei, darf in deiner Nähe sein! Denke dran, dein ganzer Weg wird beobachtet! Sollten wir irgend etwas Verdächtiges bemerken, wirst du deinen…Freund nicht mehr sehen! War das klar genug? Was ist? Du willst ein Lebenszeichen von Nico? Er lebt und es geht ihm gut, das muss genügen! Was?… Warum?… Warte!“

Heinz lässt sein Handy sinken und überlegt, wie mir scheint. Dann kommt er auf mich zu, gibt mir das Handy und meint:

„Er möchte ein Lebenszeichen von dir. Sag ihm, wie gut es dir bei mir geht! Und Nik, denk dran, sag nichts, was mich veranlassen würde, meine Waffe zu gebrauchen.“

Ich reiß ihm das Telefon aus der Hand und schreie fast hinein:

„Dimi, bitte hör mir zu, ich habe nicht viel Zeit, hör mir zu! Also, mir geht es soweit ganz gut, nur du fehlst mir halt. Und das ist schlimm! Aber dann denke ich an unsere schöne Zeit zusammen und mir geht es wieder besser. Erinnerst du dich an unsere Ausflüge und Wanderungen in der Gegend? Und weißt du, wie wir uns gar verlaufen haben, nicht mehr auskannten? War das nicht lustig, in der Heimatstadt verlaufen? Und weißt du, wie ich mich dann plötzlich wieder erinnerte, wo wir waren, weil ich einiges wieder erkannte. Weißt du das noch, Dimi? Du erinnerst dich sicher noch!“

Weiter komme ich nicht, Heinz nimmt mir das Handy ab und spricht wieder selbst mit Dimitri.

„Das reicht! Ach übrigens, keine falschen Hoffnungen, dieses ausgeliehene Handy wird sofort nach Gebrauch versenkt, äh, unbrauchbar gemacht. Du willst doch deinen Nico wieder sehen? Dann haltet euch an unsere Abmachung. Ende!“

 

***

 

Dimitri

 

 

Ich lege das Handy wieder auf den Tisch, jetzt wird es, zumindest bis zum frühen Abend, nicht mehr gebraucht. Heinz hat mit einem schroffen „Ende“ das Gespräch beendet.

Es ist mucksmäuschenstill im Wohnzimmer, keiner rührt sich, keiner sagt ein Wort. Und dabei sind ja doch einige Leute hier drinnen, zu Erika und Willi ist auch noch Yuri dazugekommen, sowie Herr Schmöller von der Kripo mit noch zwei Beamten.

Ich freue mich besonders, dass mein Bruder hier ist. Er hat zwar gestern schon so was angedeutet, aber sicher waren wir nicht, ob ihn die Kripoleute überhaupt hier rein lassen. Er sitzt neben mir auf der Couch, legt einen Arm um meine Schultern und redet tröstend auf mich ein. Ich bin froh und stolz so einen Bruder zu haben! Er hat sofort erkannt, wie sehr mich dieses Gespräch mitgenommen hat, wie meine Hände zittern. Einerseits freue ich mich, Nico gehört zu haben, ein Lebenszeichen von ihm zu haben. Andererseits macht es mich traurig und gleichzeitig furchtbar wütend, ihm jetzt nicht helfen zu können, und dass ich mir von diesem Verbrecher Anweisungen geben lassen muss, tun muss, was und wie er will.

Herr Schmöller meldet sich als Erster zu Wort:

„Ich weiß Dimitri, es ist alles nicht leicht, aber wir haben nicht mehr viel Zeit! Gehen wir das Gespräch nochmals durch. Nico hat von einem Spaziergang erzählt, bei dem ihr euch verlaufen habt. So wie er es erzählte, glaube ich, er wollte uns damit einen Hinweis geben, einen Hinweis, wo er gefangen gehalten wird. Dimitri, erinnerst du dich, wo ward ihr damals?“

„Ich weiß schon noch, dass wir uns mal verlaufen haben. Wir haben es anfangs noch so lustig empfunden, Nico hat sich den Bauch gehalten vor Lachen. Aber wo das war? Die Donau war nicht weit weg, das weiß ich noch. Nico kannte sich dann wieder aus, weil er alte, aufgelassene Schrebergärten wieder erkannte. Die Familie eines Freundes soll hier mal einen Garten gepachtet haben. Als Kinder waren sie oft dort. Jetzt ist alles verwildert, aber ein paar Gartenhäuschen stehen noch. Es muss dort öfter Hochwasser gegeben haben, so hat Nico erzählt. Moment mal – die Familie eines Freundes? Könnte da nicht dieser Heinz gemeint sein?“

Jetzt meldet sich Opa Willi zu Wort:

„Natürlich, ich erinnere mich, die Familie Müller hatte einen Schrebergarten. Nico hat oft davon erzählt, als Kinder haben sie dort gespielt. Aber wo das genau ist, keine Ahnung!“

Auch Erika nickt zustimmend, weiß aber auch nicht, wo die Gärten sind.

Wieder ein paar Sekunden Schweigen.

 

„Ich glaube, ich weiß jetzt, um welche Gärten es sich hier handelt“ erklärt der Kripochef.

„Ein ehemaliger Kollege hatte auch so einen Garten gemietet. Dann hat die Stadt die Pachtverträge nicht mehr verlängert, eben wegen dem häufigen Hochwasser. Ist ja in Passau nichts Neues. Wir müssen nun auf schnellstem Weg herausfinden, ob meine Annahme richtig ist und vor allem, welches Grundstück den Müllers gehörte. Ich nehme fest an, dass Nico im dortigen Gartenhäuschen festgehalten wird. Soviel ich weiß, ist das ganze Areal aber ziemlich groß. Wir müssen also zuerst bei der Stadtverwaltung nachfragen, Pläne anschauen. Im Katasteramt oder der Grundsteuerstelle müssen doch noch Unterlagen vorhanden sein, auch wenn inzwischen Jahre seit der letzten Nutzung vergangen sind.“

Herr Schmöller gibt seinen Leuten ein paar Anweisungen und die machen sich sofort auf den Weg.

„Und wie geht es jetzt weiter?“ will Willi wissen.

„Wenn wir das Grundstück kennen und vor allem das in Frage kommende Häuschen, werden wir das ganze Gelände umstellen und beobachten. Wir wissen ja auch nicht mit Sicherheit, ob Heinz nicht doch Komplizen hat. Er hat am Telefon ja von ´wir´gesprochen. Ich glaube aber, er blufft nur. Der ist alleine! Und was uns noch zugute kommt, er ist kein Profi auf dem Gebiet. Ich glaube sogar, er weiß bis jetzt noch nicht, wie das mit der Übergabe ablaufen soll. Andererseits sind solche Anfänger auch wieder unberechenbar, man kann sie schlecht einschätzen.

Ich muss jetzt auch weg, bin aber auf alle Fälle rechtzeitig wieder hier, bevor du dich um halb Fünf auf den Weg machen musst, Dimitri. Müssen ja dann noch einiges besprechen, wie du dich verhalten sollst. Und – Kopf hoch, junger Mann! Dank der Cleverness von Nico sind wir jetzt im Vorteil!“

Und schon ist er verschwunden.

„Ja, da hat er mehr als recht, unser Nico hat das wirklich super gemacht, ist halt unser Nico!“ so sagt Willi voller Stolz von seinem Enkel.

„Ja ist denn von der Familie von diesem Heinz, der Familie Müller, hier gar keiner mehr, den man nach dem Garten fragen könnte? Das ginge doch viel schneller, als erst bei der Stadt in alten Unterlagen zu suchen?“ fragt Yuri.

„Nein, leider wohnt hier keiner mehr. Der Vater ist ja schon vor vielen Jahren abgehauen, hat die Familie allein gelassen. Keiner weiß, wo er ist. Frau Müller hat die Trennung nie verkraftet, sie ist seither schwer krank und soll jetzt in einem Pflegeheim sein. Ja und da war auch noch ein Bruder, ich weiß den Namen gar nicht mehr, der ist auch schon vor Jahren weg. Eine zerrissene Familie! Heinz hat zuletzt alleine hier gewohnt.“ weiß Erika zu berichten.

Willi erzählt uns auch, dass die Polizei nach der Familie auch gestern schon geforscht hat, aber bisher haben sie nur den Aufenthalt der Mutter festgestellt. Diese ist aber derzeit nicht ansprechbar. Seit sie im letzten Jahr von der Verhaftung von Heinz erfahren hat, hat sich ihr Zustand rapide verschlechtert. Arme Frau!

Yuri überredet mich dann, mit ihm heimzufahren, wir können im Moment eh nichts tun.

„Erstens lenkt es dich ein bisschen ab und zweites brauchst du etwas zum Essen. Mutter wartet auf uns!“

Willi bleibt hier in Nicos Wohnung, um eventuelle Anrufe von der Kripo entgegen zu nehmen. Herr Schmöller hat nämlich versprochen, Bescheid zu geben, wenn sie das Grundstück kennen.

 

Scheinbar geht mir doch von der letzten Nacht einiges an Schlaf ab, weil ich nämlich nach dem Essen, kaum hatte ich mich auf die Couch gelegt, sofort eingeschlafen bin.

 

Und so ist es bereits nach drei Uhr, als wir wieder in Nicos Penthousewohnung ankommen. Natürlich ist Yuri wieder mit dabei. Das ließ er sich einfach nicht nehmen!

Willi ist gerade am Telefonieren, als wie die Wohnung betreten. Sichtlich verärgert legt er auf und erzählt uns, dass die Polizei erst jetzt bei den Schrebergärten angekommen ist. Das Gelände ist umstellt und abgeriegelt. Das in Frage kommende Häuschen wird beobachtet.

Im Rathaus hat es so lange gedauert, die Pachtverträge für die in Frage kommenden Gärten zu finden, sie mussten erst aus dem Archiv geholt werden. Dummerweise hat die Stadt an drei verschiedenen Stellen, alle in Donaunähe, Gärten verpachtet, die alle zwischenzeitlich aufgelassen wurden. Dazu kam, dass sich bei der Stadt zuerst keiner zuständig fühlte, dann war der Zuständige in der Mittagspause. Erst ein „Spitzengespräch“ von Chef zu Chef, sprich Oberbürgermeister und Kripochef, brachte dann Schwung in die Sache. Schließlich geht es um ein Menschenleben!

Jetzt ist allerdings zu befürchten, dass Heinz inzwischen gar nicht mehr auf dem beobachteten Gelände ist. Es ist ja nicht mehr lange bis zur vereinbarten Übergabe. Und so kann auch niemand sagen, ob Nico überhaupt noch in dem Gartenhäuschen ist, das jetzt von ein paar Leuten nicht mehr aus den Augen gelassen wird. Hat Heinz Nico zur Übergabe mitgenommen oder lässt er ihn eingesperrt zurück?

Ich kann nur hoffen, dass sein Eingesperrtsein bald ein Ende hat und er wieder hier ist und ich ihn umarmen darf!

 

***

 

Nico

 

 

Heinz hat mich nach dem Telefonat mit Dimitri allein gelassen. Er will was zum Essen besorgen, wie er sagte. Nun stehe ich also wieder allein hier in meinem Gefängnis rum und versuche, durch etwas Bewegung, die Kälte zu vertreiben. Mir ist wirklich lausig kalt. Vor allem meine Zehen spüre ich schon gar nicht mehr, das sind eher Eiszapfen als lebendige Fußglieder. Außerdem kann ich mich selbst nicht mehr riechen. Hab ja seit fast dreißig Stunden die selben Klamotten an, ohne jegliche Möglichkeit, mich zu waschen.

Meine kleineren Geschäfte hab ich ja bisher in einer Ecke des Schuppens verrichtet. Beim letzten Pinkeln fiel mir der Witz wieder ein, den Yuri neulich erzählte, als er uns nämlich erklärte, wie ein Eskimo im eisigen Norden sein kleines Geschäft verrichtet: Er schüttelt Eiswürfelchen aus seinem eiskalten Zipfel. So ähnlich geht es mir wohl auch bald. Ist ja auch nicht gerade erheiternd mit den frostigen Fingern in die Hose zu greifen.

Aber inzwischen müsste ich auch mal ein größeres Geschäft erledigen. Aber das hier herrinnen? Wer weiß, wie lange ich noch hier bleiben muss! Ich kann nur inständig hoffen, es sind nur mehr wenige Stunden, die ich hier noch ausharren muss.

Wie hat Heinz am Telefon gesagt? Um halb Fünf soll die Übergabe sein. Spekuliert er dabei auf die dann hereinbrechende Dunkelheit? Deshalb so spät? Nimmt er mich mit zur Übergabe, praktisch ein Austausch Geldkoffer gegen Nico? Ich glaube aber fast, das ist ihm zu riskant. Er lässt mich schon hier zurück. Aber wer soll mich dann finden? Ich hab ja in dem Gespräch zuvor mit Dimitri diesen Hinweis auf mein Versteck gegeben. Ob Dimitri damit was anfangen kann? Oder die Polizei? Ich konnte ja beim besten Willen nicht mehr sagen. Hab so schon befürchtet, Heinz spannt etwas. Was aber scheinbar nicht der Fall war.

Freilich haben wir uns damals fast gekugelt vor Lachen, weil wir uns verlaufen hatten. Aber kann sich Dimitri heute noch daran erinnern? Und weiß er denn auch noch, wo das war?

„Ja Dimitri, wenn nur das alles schon vorbei wäre und ich wieder bei dir sein könnte!“

 

„Mit wem redest du denn?“

Heinz hat aufgesperrt und ist so leise herein gekommen, dass ich ihn gar nicht hörte. Aber vielleicht ist ja auch mein Gehör schon eingefroren. Wäre ja nicht verwunderlich.

„Mit mir selber rede ich, hab ja sonst niemanden!“

Heinz reicht mir ein Wurstbrot und nochmals heißen Kaffee.

„Soll mir keiner sagen, ich hätte dich nicht gut versorgt!“

„Na ja, für das viele Geld steht mir ja wohl ein gewisser Service zu, oder?“

Galgenhumor!

Auch Heinz beißt in ein Wurstbrot, bleibt aber an der Tür stehen und lehnt sich dagegen.

„Du hast mich gefragt, warum ich so einen Hass gegen Schwule habe“, meint er nach einer Weile.

„Nein, du musst mir nichts erklären!“ entgegne ich.

 

Eine Zeit lang sagt keiner was, schweigend essen wir unser Brot und trinken den Kaffee. Endlich wieder was Warmes im Magen! Gleich fühle ich mich ein bisschen besser.

Nach einer Weile fängt Heinz wieder an:

„Ich möchte es dir aber erzählen und nur dir, weil wir uns nach dem heutigen Tag nie mehr sehen   werden.

Du weißt, dass unser Vater einfach abgehauen ist, ich war damals so um die elf Jahre alt. Ich nehme an, er hatte eine Jüngere, jedenfalls ist er einfach verschwunden. Es gab und gibt zwar Gerüchte, dass er irgendwo in Südamerika bei entfernten Verwandten von uns sein soll, ein Lebenszeichen haben wir aber von ihm seit damals nicht erhalten.

Unsere Mutter hat die Trennung sehr getroffen, denn sie hat ihn wirklich geliebt. Sie wurde zuerst psychisch, dann auch körperlich schwer krank. Als ich so etwa zwölf war, da ging es los mit diversen Krankenhaus-, Kur- und Erholungsaufenthalten. Kaum war sie wieder ein paar Tage zu Hause, schon kam ein Rückfall und sie musste wieder fort.

Und so war ich mit meinem Bruder allein. Du erinnerst dich noch an meinen Bruder Oskar? Er ist ja sechs Jahre älter als ich und hatte zu der Zeit seine Lehre bereits beendet. Jedenfalls hat er sich rührend um mich gekümmert, war mir Vater und Mutter zugleich. Er hat schon am Vortag das Essen für mich gerichtet, so dass ich es nach der Schule nur aufwärmen brauchte. Er hat mir bei den Hausaufgaben geholfen, ist mit mir ins Kino oder ins Freibad und zum Eisessen gegangen. Ja, er hat sich sogar frei genommen, wenn ich krank war, um mich zu versorgen. Er war der große Bruder, den sich andere so sehr wünschen. Ich hatte ihn! Ich war stolz auf ihn und habe ich mehr oder weniger verehrt.

Eines Nachts, es gab ein heftiges Gewitter, kam er in mein Zimmer, weil er wusste, wie ich mich fürchte. Er hat gefragt, ob ich will, dass er sich zu mir ins Bett legt, um mich zu beruhigen. Und ich hab voller Freude zugestimmt. Das war ein großer Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Aber damals war ich einfach nur froh, einen Beschützer zu haben, der mir die Angst vor dem Gewitter nahm. Ich hab es auch als ganz selbstverständlich angesehen, dass er mich in die Arme nahm. Es ist in dieser Nacht sonst nichts gewesen, nur dass ich so ruhig und fest schlief, wie schon lange nicht mehr.

Das nächste Gewitter kam ein paar Tage später und wieder kam Oskar zu mir und ich fand es Klasse! Als er ein paar Tage später kam, war kein Gewitter, aber mir war es trotzdem recht, dass er sich hinten an mich kuschelte. Ja, ich fand auch nichts dabei, dass er mich mit seinen Händen umfasste und streichelte, zuerst nur die Brust und den Bauch, dann aber auch weiter unten. Ich fand es zwar etwas eigenartig, als er mich da unten befummelte, aber er war ja mein großer Bruder und ich machte mir also keine großen Gedanken. Wieder ein großer Fehler! Ich hätte das von vornherein unterbinden sollen, nicht zulassen dürfen! Denn nun hatte er quasi Blut geleckt. Er kam in der Folge fast jede Nacht und ich fand es nun nicht mehr nur eigenartig, nein, ich wollte das nicht mehr! Großer Bruder hin oder her!

Und dann kam sein nächster Schritt, kannst dir ja denken, was das war. Es hat furchtbar weh getan. Oskar ist enorm bestückt und ich damals noch keine Dreizehn! Ich hab geweint und gebettelt, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Ja, er droht mir, wenn ich irgendwas erzähle, muss ich in ein Heim, da ja sonst niemand für mich da wäre. Ins Heim wollte ich aber nun wirklich nicht. So hab ich halt alle paar Tage meinen Arsch für ihn hingehalten und er hat mich hemmungslos genommen. Ich konnte oft tagelang nicht mehr richtig gehen oder sitzen. Bei jedem Stuhlgang war Blut dabei.“

„Ich erinnere mich, du hast öfters was von einem Abszess am Hintern gesagt, wenn wir dich fragten, warum du so eigenartig gehst oder dich nicht hinsetzen wolltest. Aber, mein Gott Heinz, warum hat du nie etwas gesagt. Das war doch die Hölle für dich!“

„Hättest du mir helfen können? Oder ein anderer? Ja, es war die Hölle! Außerhalb der Geschehnisse im Bett war er nach wie vor der sich liebevoll um alles kümmernde große Bruder, der Vater- und Mutterersatz. Aber im Bett war er der rücksichtsloseste Perversling, den man sich denken kann. Kannst du dir vorstellen, Nik, was das für mich bedeutete? Der eigene Bruder, auf den ich stolz war, zu dem ich aufschaute, nimmt mich nach Lust und Laune, ohne Rücksicht auf meine Schmerzen seelischer und körperlicher Art!

Eines Abends kam er mit einem Freund an. Was soll ich sagen, sie haben mich beide genommen, hintereinander und ich musste auch noch zu anderen Diensten herhalten. Ich war am Ende, Nik, das kann ich dir sagen, hatte jedes Vertrauen in die Menschen verloren, wollte manchmal nur noch sterben. Und wenn du, Nik, und der eine oder andere in der Zeit nicht gewesen wäre….“

 

Er hält kurz inne mit seinem schlimmen Bericht und ich glaube gar Tränen bei ihm zu sehen.

„Mir tut das so leid, Heinz, ich war dein Freund damals und hab nichts bemerkt!“

„Ja, mich tarnen, das konnte ich immer schon gut. Jedenfalls als meine Mutter für ein paar Wochen wieder zu Hause war, erzählte sie mir eines Tages, als ich aus der Schule kam, dass Oskar nicht mehr bei uns wohnt und ich nun Ruhe vor ihm hätte. Ich weiß bis heute nicht, woher sie es wusste. Ich habe jedenfalls nichts erzählt. Sie muss irgendwas gehört oder sonst wie mitbekommen haben, ich weiß es nicht. Es wurde nie darüber geredet. Und mein Bruder hat sich seit dem nicht mehr bei uns sehen lassen. Seit sieben Jahren haben wir nichts mehr von ihm gehört. Von einem Bekannten habe ich mal erfahren, dass der Oskar zusammen mit seinem Freund in Thailand gesehen haben will. Aber Näheres weiß keiner.

Und weißt du, was das Schlimmste ist? Ich hab es meinem Bruder zu verdanken, dass ich nicht fähig bin, eine Beziehung zu einem Menschen aufzubauen. Ich habe ihm vertraut, an ihn geglaubt, ihn bewundert! Er hat alles kaputt gemacht!

Und dann kommst du und sagst, dass du schwul bist. Du, dem ich auch vertraut habe, der einer meiner besten Freunde war! Du hast damit alles zerstört! Sofort musste ich an meinen Bruder denken und aller Zorn, alle Wut, kam in mir hoch!“

„Du machst aber einen ganz entscheidenden Fehler, Heinz, du wirfst alle Schwulen in einen Topf. Ich bin und war aber nie wie dein Bruder! Ich würde nicht mal im Traum daran denken, einen Menschen zu vergewaltigen, schon gleich gar nicht Kinder! Niemals!“

Er sagt nichts darauf, starrt nur vor sich hin.

„Heinz, noch ist es nicht zu spät, stell dich, lass mich laufen! Das in der Tiefgarage war Notwehr, der hätte dich sonst erschlagen! Da hast du nicht viel zu befürchten. Das mit meiner Entführung und dem Lösegeld – na gut, das kann man nicht aus der Welt schaffen. Aber ich würde für dich aussagen, dass du mich gut behandelt hast, auch wenn du gestern doch ziemlich grob zu mir warst, aber Schwamm drüber! Bei der Sache mit Josef, das warst du doch gar nicht alleine. Ich weiß ja nicht, was sonst noch alles vorgefallen ist, aber das kann doch alles nicht so schlimm sein! Ein guter Anwalt, und den würden wir dir besorgen, vor allem mein Opa kennt da sicher gute Adressen, der würde das Strafmaß auf ein Minimum drücken. Freilich, wenn du das hier jetzt weiter durchziehst, bist du mit Sicherheit die nächsten fünfzehn Jahre weg vom Fenster! Aber die paar Jährchen, die du jetzt bekommst, die sitzt du doch auf einer Backe ab! Außerdem würden Dimitri und ich, zusammen mit Opa natürlich, dir hinterher helfen, wieder Fuß zu fassen. Wenn ich das alles, was du mir vorhin erzählt hast, meinem Opa und Dimitri sage, dann, und da bin ich mir ganz sicher, sind die beiden sofort bereit, dir zu helfen! Bitte Heinz, lass dir helfen!“

„Nein Nik, dazu ist es jetzt zu spät. Ich kann nicht mehr zurück. Und außerdem bitte ich dich, erzähle Keinem die Geschichte mit meinem Bruder. Es muss keiner wissen! Ich habe es dir erzählt, weil wir uns nicht mehr sehen werden. Entweder bin ich heute Abend noch in Passau, dann aber im Leichenschauhaus, oder ich bin im Ausland! Eine andere Variante gibt es nicht mehr!

Ich muss jetzt gehen, du musst noch ein wenig hier ausharren. Ich werde eine Nachricht hinterlegen, wo sie dich finden können. Keine Angst, Nik, die kommende Nacht ist spinnenfrei für dich! Dass du mir für die nächsten Stunden Glück wünscht, das ist wohl zuviel verlangt, oder? Machen wir es kurz! Ich gehe einfach hinaus, ohne zurückzuschauen und ohne Gruß! Also dann!“

Er öffnet die Tür, geht hinaus, bleibt nochmals stehen und sieht dann doch nochmals zu mir zurück.

„Und dein Opa würde tatsächlich….nach allem, was ich getan ….Ach vergiss es!“

Er schließt rasch die Tür und sperrt ab.

„Heinz!“ ruf ich ihm noch nach, aber keine Reaktion mehr.

 

 

Ich sitze auf meinem Klappbett und muss über all das nachdenken, was Heinz aus seinem Leben erzählt hat. Das glaubt man einen Menschen zu kennen, wir waren ja gute Freunde! Wie schnell ist man mit dem Urteil über einen Menschen fertig, obwohl man eigentlich gar nichts weiß! Natürlich kann ich das nicht akzeptieren, was Heinz getan hat, Verbrechen bleibt Verbrechen! Aber ich verstehe jetzt so Manches, was ich vorher einfach nicht kapiert habe, und sehe Vieles mit anderen Augen. Mir hat dieser Mensch die bisher schlimmsten Stunden meines Lebens bereitet und er hat meinem Freund Josef übel mitgespielt. Aber trotzdem – trotzdem tut Heinz mir leid!

 

Längst bin ich von meinem Klappbett aufgestanden und versuche wieder, dass mir durch etwas Bewegung wärmer wird. Wie spät wird es überhaupt sein? Ganz langsam scheint es schon dämmrig zu werden. Mein Gott, es wird wahrscheinlich bald der Zeitpunkt da sein, wo Dimitri mit dem Geldkoffer los muss. Wie wird der sich jetzt fühlen?

 

„Armer Dimitri! Hättest dir am Anfang unserer Freundschaft auch nicht träumen lassen, dass du mich mal für eine Million auslösen musst! Hoffentlich geht alles gut!“ murmle ich vor mich hin.

 

Hör ich da draußen tatsächlich Schritte, oder täusche ich mich? Kommt etwa Heinz zurück? Nein, es ist auf der Rückseite des Häuschens. Da schleicht doch wer rum! Da, jetzt wieder, da müssen mehrere Leute draußen sein. Haben sie mich etwa schon gefunden? Ich mach mich jetzt einfach mal bemerkbar, denn lange halte ich es hier drinnen nicht mehr aus. Mich friert und ich müsste ganz dringend….

 

„Hallo, ist da wer?“

 

***

 

Dimitri

 

 

Nun ist es also so weit, ich muss den wohl schwersten Gang meines bisherigen Lebens antreten! Ein Zivilfahrzeug der Polizei hat mich bis zur Innbrücke gefahren und mich dort aussteigen lassen. Noch muss ich ein wenig warten, bis es dann genau halb Fünf ist, so wie es der Entführer haben wollte. Ich gehe von der Innbrücke die steinerne Treppe hinunter zum Innkai, den Geldkoffer in der Hand. Hätte nie geglaubt, dass eine Million Euro in diesen Koffer passen. Es sollten ja kleine Scheine sein, hat er verlangt. Naja, was sind kleine Scheine? Für gewisse Leute sind auch Hunderter noch kleine Scheine. Haben sie mir etwa gar nicht die volle Million eingepackt oder ist nur Papier drinnen? Hat man ja in manchen Filmen alles schon gesehen! Reiß dich zusammen, mahne ich mich selber, du bist hier nicht in einem Film, das ist blutige Realität!

Jeder Schritt von mir wird überwacht, haben sie mir erklärt, überall seien Leute versteckt. Die müssen wirklich gut versteckt sein, ich sehe nicht einen Menschen. Naja, die müssen aber auch aufpassen, schließlich bin ich mit soviel Geld unterwegs. Nicht dass noch irgend ein Taschen- bzw. Kofferdieb, der gar nichts mit diesem Heinz zu tun hat, auf die Idee kommt, mich zu berauben. Der würde vielleicht Augen machen, wenn er den Koffer zu Hause öffnet!

„Ganz ruhig und unauffällig weitergehen, Dimitri, du machst das sehr gut!“

Bin direkt erschrocken, plötzlich die Stimme in meinem Ohr zu hören. Herr Schmöller von der Einsatzleitung war das. Naja, sie haben mir da einen „kleinen Mann“ ins Ohr gesteckt, um mir Anweisungen geben zu können. Aber ich kann mich auch bemerkbar machen. Und so frage ich leise in mein Mikro:

„Immer noch keine Nachricht vom Schrebergarten?“

„Tut mir leid, Dimitri, aber sie haben noch nichts durchgegeben. Wir sind aber mit Sicherheit an der richtigen Stelle, es führen eindeutig Spuren zu dem Gartenhäuschen. Da war oder ist jemand drinnen!“

Wenn wenigstens die erlösende Nachricht vom Garten am Stadtrand käme, dass Nico frei und unversehrt ist, wie leicht würde mir dieser Weg am Inn entlang fallen!

Wie hat er gesagt? Ruhig und unauffällig soll ich gehen? Der hat leicht reden! Wer könnte in so einer Situation ruhig bleiben! Am Anfang dachte ich gar, mir fällt vor lauter Zittern der Koffer aus der Hand. Das wäre vielleicht was, wenn dann der Koffer aufspringt und die ganzen Scheine weht der Wind in den Inn. Aber bisher ist ja alles gut gegangen und ich hoffe, es bleibt so. Es wird auch allmählich duster und die Laternen an der Promenade sind gerade angegangen.

„Wie geht’s Dimitri?“ Wieder die Stimme im Ohr!

„Besch….eiden! Dort sehe ich jetzt die Bank, hinter der die Treppe hinaufführt. Ich werde mich hinsetzen, so wollte er es doch!“

„Gut so, Dimitri, denk daran, du bist nicht allein!“

Nicht allein – ich sehe weit und breit keine Menschenseele!

Ich hab mir bisher nur Gedanken wegen Nico gemacht, ob er gesund ist und endlich frei kommt. Doch plötzlich muss ich wieder an den Toten in der Tiefgarage denken. Was ist, wenn dieser Heinz, auch mich über den Haufen schießt, sobald er den Koffer hat? Der ist doch zu allem fähig! Nein, nein, nicht daran denken, ich hab doch tausend Beschützer um mich herum! Die lassen das doch nie und nimmer zu! Naja, tausend sind es mit Sicherheit zwar nicht gerade, aber ein paar bestimmt, haben sie mir doch zugesichert. Nur, wo die sein sollen, keine Ahnung!

 

Ich sitze nun also auf der Bank, stelle den Koffer daneben und nehme das Handy in die Hand.

„Ich sitze jetzt auf der Bank und halte das Handy,“ flüstere ich so leise es geht in das Mikrofon.

„Richtig! Wie wir schon besprochen haben, sind wir der festen Meinung, dass er dir mittels Handy eine neue Anweisung zukommen lässt. Hier auf der Bank wird die Übergabe nicht sein. Davon gehen wir aus!“

Ich starre auf das Handy, aber es bleibt stumm. Ich sehe mich etwas um und da fällt mir ein, dass es ja diese Bank war, wo ich mit Nico zum erstenmal direkt zusammentraf. Es war dieser wunderschöne Herbsttag und er saß alleine hier und starrte auf den Fluss vor ihm. Ja, hier auf dieser Bank, da begann´s! Hier habe ich zum erstenmal so ganz aus der Nähe in seine wunderschönen großen Augen gesehen und um mich war´s geschehen! Ironie des Schicksals, dass ich jetzt wieder auf dieser Bank sitze, heute aber alleine. Und neben mir der Einsatz für Nico, die Million! Und er selbst?

„Immer noch nichts von Nico?“ flüstere ich ins Mikro.

„Moment, da kommt gerade ein Meldung herein – warte!“

 

Was wird kommen? Hoffentlich die erlösende Nachricht!

„Es ist jemand im Häuschen, sie brechen gerade die Tür auf, weil sie verschlossen ist. Ich melde mich gleich wieder!“

Das kann doch dann nur Nico sein, wenn sie eine Stimme gehört haben. Das ist doch schon mal eine gute Nachricht!

 

„Dimitri, ich hab eine erfreuliche Meldung:  E s   i s t   N i c o  !  Er ist frei und er ist OK!“

„Gottseidank!“ kann ich zur flüstern.

 

Hab ich jemals eine schönere Nachricht bekommen? Nico ist endlich frei und es geht ihm gut! Mir rinnen die Tränen nur so herunter, Tränen der Freude und der Erleichterung! Was auch immer in den folgenden Minuten hier mit mir passieren mag, und sollte es zu dem Toten in der Tiefgarage auch noch einen Toten auf der Bank am Inn geben – was ist das schon gegen die Freiheit und Unversehrtheit von Nico! Natürlich hänge ich auch am Leben, das ist klar, aber ich liebe ihn so sehr, dass mir auf alle Fälle sein Leben über das meinige geht!

„Nico ist auf dem Weg in die Stadt herein. Er ist natürlich ziemlich durchgefroren, aber sonst ist alles in Ordnung. Und was meinst du, hat er als Erstes gefragt, als meine Leute hinein kamen? Wie geht es Dimitri? Das war für ihn das Wichtigste! Und dann kam noch, wo hier das nächste Klo sei, er müsse doch so dringend…“

Kann man lachen und weinen zugleich? Ja, im Moment da kann ich es! Mir rinnen die Tränen über die Wangen, gleichzeitig muss ich schmunzeln über das dringende Bedürfnis von Nico.

„Und – es tut sich nichts bei dir, oder?“ fragt der Kripochef.

„Nein, ist mir ein Rätsel, inzwischen ist es doch schon Fünf vorbei. Keine Spur von ihm, kein Anruf! Ich verstehe das nicht!“

 

Mir wird inzwischen auch ganz schön kalt. Zwar hab ich, auch wenn mich Nico wieder mal auslachen wird, eine lange Unterhose an und dazu Thermojeans, die doch sehr warm halten, aber wir haben Winter und ein paar Grad Minus. Und ich muss auf dieser kalten Bank sitzen! Vor allem mein Hinterteil ist am Einfrieren. Ist ja auch nicht gerade das Gesündeste!

„Wie lange soll ich hier noch sitzen?“ frage ich wieder meinen Mikro-Gesprächspartner.

„Nico ist in Freiheit, also brauchen wir da keine Rücksicht mehr zu nehmen. Das Geld kriegt er auf keinen Fall mehr. Aber wir möchten den Heinz Müller erwischen. Darum musst du noch ein bisschen warten. Ich nehme an, er beobachtet dich und die Umgebung. Irgendwo steckt der und irgendwann in den nächsten Minuten taucht er auf. Und dann haben wir ihn!“

 

Naja, wenn er meint! Inzwischen ist aber nicht nur mein Allerwertester am Einfrieren, die Kälte kriecht in alle meine Glieder. Jetzt sitze ich hier erst ein knappe Stunde und jammere ob der Kälte. Nico musste über dreißig Stunden da draußen verbringen und friert doch auch so rasch.

Was wird das für eine Wohltat sein, wenn wir zwei Halberfrorenen heute Abend in Nicos großer Badewanne im heißen Wasser unsere Lebensgeister wieder wecken! Mit Nico – endlich wieder mit ihm!

 

Aber noch ist es nicht so weit. Ich sitze immer noch in der Kälte und warte auf einen Anruf oder ein sonstiges Zeichen von Heinz. Inzwischen bin ich auch aufgestanden und etwas umher marschiert, nicht ohne vorher das OK von meinem Mann im Ohr erhalten zu haben. Aber sonst wäre ich bald ein Eisblock gewesen.

Was mich anfangs auch gewundert hat, dass überhaupt keine Passanten hier an der Innpromenade unterwegs sind. Aber inzwischen weiß ich von Herrn Schmöller, dass alles abgesperrt ist. Man will natürlich kein Risiko eingehen.

 

Es ist jetzt halb Sechs und es meldet sich wieder der Kripochef:

„Dimitri, wir blasen die Sache ab. Der muss kalte Füße bekommen haben. Komm wieder vor zur Innbrücke. Übrigens – es wartet hier jemand auf dich!“

Ich will gerade nachfragen, da läutet das Handy. Jetzt warte ich seit einer Stunde auf ein Zeichen, und jetzt, wo sich was tut, da erschrecke ich, dass ich beinahe das Handy fallen lasse. Rührt sich Heinz also doch noch!

„Ja?“ frage ich.

„Dummitri?“

„Dimitri! Ja, bist du das Heinz?“

„Ja, der bin ich!“

Schweigen!

„Ja und? Wie soll es jetzt weitergehen?“ frage ich.

„Du gehst jetzt …“

Er zögert etwas. Mein Gott, wie wird das jetzt weitergehen? Wohin wird er mich jetzt schicken? Wie lange soll sich das noch hinziehen?

„Du gehst jetzt – dahin wo du hergekommen bist, geh zu deinem Freund, geh zu Nik! Ich hab´s gesehen, dass sie ihn gefunden haben. Also brauche ich dir das Versteck nicht mehr sagen. Übrigens Dimitri, du hast dir den besten Freund geangelt, den du finden konntest. Ich beneide euch um diese Freundschaft! Pass gut auf ihn auf! Du weißt doch, es gibt da so böse Buben, die ihm Schlimmes wollen! Aber das ist ja jetzt vorbei! Ach so, du fragst dich sicher, wo ich bin, warum ich nicht zu unserm Stelldichein am Inn gekommen bin? Nein, ich musste unser Rendezvous leider absagen. Nein, ich bin nicht mehr in Passau, auch nicht mehr in Deutschland. Mehr kann ich dir aber nicht sagen, wirst du sicher verstehen!“

„Ja aber das Geld? Warum hast du es…?“

„Ach so, die Million! Glaubst du ich habe nicht gewusst, dass die Polizei überall ist, dass ich zwar den Koffer bekommen hätte, aber niemals lebend davon gekommen wäre? Nein, die sind alle auf mein Ablenkungsmanöver hereingefallen. Ich hab jetzt Geld, bei weitem nicht die Million, aber es reicht für einen Neuanfang irgendwo fern der Heimat. Deutschland wird mich nie mehr sehen!“

„Aber woher hast du dann das Geld?“

„Ich muss jetzt aufhören, sag Nik, dass mir alles sehr leid….ach was, sag ihm, was du magst!“

Und er hat das Gespräch beendet.

 

Er ist also bereits im Ausland. Naja, die österreichische Grenze ist ja nur einen Kilometer nach Passau und auch die tschechische ist in kürzester Zeit zu erreichen. Noch dazu gibt es ja zu beiden Ländern keine Grenzkontrollen mehr. Schengener Abkommen oder wie das heißt.

Woher hat er dann das Geld? Er sprach von Ablenkungsmanöver, hat er also wo anders…Aber wie und wo? Rätsel über Rätsel!

 

Unterm Zurückgehen berichte ich Herrn Schmöller alles über das Gespräch. Einiges hat er ja schon selbst durch das Mikrofon mitbekommen, aber eben nicht alles. Auch er ist über diese überraschende Wendung des Geschehens höchst erstaunt.

„Wir haben ihn unterschätzt“ meint er. „Aber Bank hat er keine überfallen und auch sonst haben wir keine Meldung über einen Überfall oder Raub bekommen. Bis jetzt jedenfalls nicht. Das ist mir mehr als schleierhaft, unbegreiflich! Etwa wieder ein Bluff?“

 

Beim weiteren Gehen zurück zur Innbrücke tauchen jetzt Polizisten auf. Wo die überall versteckt waren! Ich war wirklich nicht alleine!

Kurz vor der Brücke kommt mir jemand entgegen. Auch ein Polizist? Nein, als ich noch näher komme, da fängt dieser Jemand zu laufen an, mit solch „langen Haxen“, die können nur zu einem Menschen gehören, zu den mir liebsten Menschen auf der Welt, zu Nico!

 

***

 

Nico

 

 

Ich bin wieder in der Stadt und habe endlich ein Klo aufsuchen können. Die große Erleichterung ist Gold wert! Man glaubt ja gar nicht, wie wichtig einem solche alltäglichen Verrichtungen werden können, wenn man eben keine Möglichkeit hat, sie zu erledigen.

Ich hätte dem ersten Polizisten, der durch die aufgebrochene Tür in mein Gefängnis kam, umarmen können vor lauter Freude, endlich raus zu kommen aus der Kälte und dem klolosen Dasein. Als ich dann die Beamten fragte, ob sie wissen, wie es Dimitri geht und sie mir erklärten, dass er jetzt wohl unterwegs sein wird zur Geldübergabe, da war ich einerseits zwar erleichtert, andererseits aber auch voller Angst, was da auf ihn zukommt. Mir war schon klar, auch wenn ich jetzt nicht mehr in der Gewalt von Heinz bin, dass sie trotzdem alles versuchen, ihn zu erwischen und sich daher an seine Anweisungen zur Geldübergabe halten.

Die Fahrt im warmen Polizeiauto in die Stadt konnte mir gar nicht schnell genug gehen. Und dann wollten sie mich doch tatsächlich zuerst ins Krankenhaus fahren! Es hat einige Überredungskünste gekostet, um sie zu überzeugen, dass mir nichts fehlt und ich auf schnellstem Weg zu Dimitri will.

 

Aber nun stehe ich an der Innbrücke, bin von Herrn Schmöller über den aktuellen Stand der Dinge unterrichtet worden, und hab die Zusage, Dimitri entgegen zu gehen. Das mach ich jetzt.

 

Ich stehe nun unten an der Promenade und sehe im trüben Licht der Straßenlaternen ein ganzes Stück vor mir eine Gestalt daherkommen, mit einem Koffer in der Hand.

„Der Herr mit dem Koffer!“ Und das kann nur einer sein: Dimitri!

Ich fange an zu laufen und wie in einem Spiegelbild fängt auch der Kofferherr zu rennen an, immer näher kommen wir aufeinander zu. Wir stoppen beide, nur noch wenige Meter sind zwischen uns, gehen langsam weiter und mit einem „Dimi“ und „Niki“ fallen wir uns in die Arme.

Ich habe gar nicht bemerkt, dass mir Herr Schmöller nachgegangen ist, der nun Dimitri den Koffer abnimmt, sich umdreht und uns allein lässt.

„Ich hatte solche Angst um dich, Niki, nie mehr lass ich dich von jetzt an allein, du sieht ja wohin das führt!“

„Du hast mir doch auch so gefehlt, Dimi! Aber Schatz, bitte nicht mehr weinen, ich bin ja wieder da! Alles ist gut! Und du wirst mich auch nicht mehr los! Das verspreche ich dir!“

„Aber Niki, was ist denn, du zitterst ja, ist dir immer noch so kalt?“

„Das ist nur äußerlich, Dimi, nur äußerlich! Im Innern ist mir sehr warm, jetzt wo ich dich wieder habe. Aber dich friert ja auch, wie ich merke, wird Zeit, dass wir ein heißes Bad kriegen! Mit dir zusammen im….O Mann, da wird mir jetzt richtig heiß, wird mir da…!“

 

Herr Schmöller hat mich bereits kurz über den Anruf von Heinz informiert. Mir auch völlig rätselhaft. Erst die Entführung und der ganze Aufwand für eine Million und dann plötzlich nichts? Ein Ablenkungsmanöver? Wovon ablenken? Geld hat er jetzt angeblich. Woher?

Mit kommt da ein gewisser Verdacht und so frage ich auch gleich den Kripochef, nachdem wir ihn auf der Innbrücke wieder erreicht haben, ob er wisse, wo Opa ist.

„Der ist jetzt in deiner Wohnung, hab soeben mit ihm telefoniert. Muss aber vorher kurz weg gewesen sein, weil ich schon mal angerufen hätte. Auch deine Oma und die Mutter sind dort gerade angekommen. Waren natürlich alle über deine Befreiung überglücklich und sie warten sehnsüchtig auf dich.

Ach übrigens, Dimitri, dort hinten wartet deine Familie auf dich. Deinen Bruder konnte ich nur mit sanfter Gewalt davon abbringen, dass er zu dir läuft, als du auf der Bank gewartet hast. Immer wieder ist er zu mir gekommen und hat gebettelt und ist hier rumgezappelt. Ich glaube, der war nervöser als ihr beide zusammen. Also geh zu ihnen!“

 

Ja ja, unser Zappel-Yuri, das sieht ihm ähnlich, macht ihn aber noch sympathischer!

Natürlich gehe ich mit Dimitri die paar Meter zu seiner Familie. Überhaupt, das sehe ich erst jetzt, stehen überall Leute rum. Ist ja klar, dass die ganze Aktion und Absperrung nicht unbemerkt geblieben ist. Auch Presseleute schwirren rum und bedrängen jetzt Herrn Schmöller. Was wird da morgen wieder alles zu lesen sein, mir graut jetzt schon davon!

Und da löst sich auch schon einer aus der umstehenden Menge, schlüpft durch die Absperrung und im nächsten Moment fällt Yuri meinem Dimitri um den Hals. Und gleich darauf hüpft er auf mich zu und drückt mich, dass mir die Luft wegbleibt.

„Bin ja so froh, dass wir dich wieder haben, langhaxerter Nico!“ meint ein glückselig strahlender Yuri.

„Ich bin auch froh, dass ich dich wieder sehe, Zappel-Yuri!“ entgegne ich.

Und nun begrüßen und umarmen uns auch Dimitris Eltern und auch Yuris Freund Thomas ist dabei. Es ist ein allgemeines Umarmen und Drücken und Abküssen und ein verstecktes Tränen-Abwischen. Ja, wir sorgen hier direkt an der Innbrücke für allgemeines Aufsehen. So wird es höchste Zeit, meint auch die Herr Schmöller, von hier zu verschwinden.

Die Polizei, auch hier in Passau Freund und Helfer, zumindest im Augenblick, fährt uns in meine Wohnung. Ich bestand darauf, dass auch Dimitris Eltern und Yuri und Thomas mitkommen.

 

In meiner Wohnung dann Teil zwei der Begrüßungsorgie mit meiner Mutter und den Großeltern. Als mich Opa umarmt, da flüstere ich ihm ganz leise zu:

„War Heinz bei dir?“

Das ist nämlich meine Vermutung, meine Ahnung, wie sie mir vorhin in den Sinn kam, das Ablenkungsmanöver!

Opa schaut mich erschrocken an und flüstert ebenso leise:

„Nicht jetzt!“

 

Also bestätigen sich meine Gedanken!

Herr Schmöller, der uns auch hierher begleitet hat, erklärt, dass es mit den ganzen Vernehmungen und Aussagen Zeit hat bis morgen. Außerdem berichtet er, dass Kripobeamte das Haus die ganze Nacht bewachen, weil man ja nie wisse, ob dieser Heinz Müller nicht doch noch auftauche. Die Fahndung nach ihm läuft angeblich auf Hochtouren.

„Der kommt nicht mehr!“ brummelt Opa vor sich hin. Herr Schmöller schaut zwar etwas verwundert, als er das hört, meint dann aber, dass man das nicht ausschließen könne. Dann verabschiedet er sich.

Ich habe mich im Bad fürs erste mal waschen können. Muss ja nicht sein, dass auch meine Familie die Nase ob meines Geruches rümpft, so wie die Kripo, als sie mich fanden.

Meine Mutter hat in kurzer Zeit etwas zum Essen hergerichtet und vor allem einen heißen Tee aufgegossen, den ich nun schlürfe. Das tut gut!

Ich muss nun aber endlich wissen, was da war mit Opa und Heinz. Und deshalb sehe ich Opa immer wieder fragend an. Er aber schüttelt, von den anderen unbemerkt, den Kopf.

Ich muss nun natürlich jetzt alles haargenau erzählen, wie und was ich die letzten Stunden erlebt habe. Und auch Dimitri wird ausgequetscht über den Verlauf heute Nachmittag und Abend.

„Ich würde ihn am liebsten auf der Stelle erschießen, diesen Verbrecher!“ meint meine Mutter und alle nicken. Alle? Opa nicht und ich auch nicht!

Und auch Dimitris Vater schließt sich an und spricht vom „Knochen brechen dem Gauner“.

„Ihr urteilt viel zu schnell!“ erkläre ich und alle sehen mich erstaunt an.

„Ich kann euch keine Einzelheiten erzählen, das habe ich versprochen, aber soviel kann ich sagen: Ich kann heute verstehen, wie Heinz zu so einem Menschen geworden ist. Ich kann es nicht akzeptieren, was er getan hat, natürlich nicht, aber er tut mir leid! Und wenn ihr wüsstet, was er als Kind schon mitgemacht hat, könntet ihr mich verstehen. Bevor Heinz erschossen wird oder ihm die Knochen gebrochen werden, gehört ein anderer weggesperrt, für immer!“

 

Wieder allgemeines Kopfschütteln, nur Opa nickt verständnisvoll. Natürlich wollen sie jetzt alle mehr wissen, aber ich blocke alle Fragen ab. Ich werde es Dimitri erzählen, aber sonst erfährt es keiner. Endlich gibt mir Opa ein Zeichen, mit ihm hinaus auf die Dachterrasse zu gehen. Ich hänge mir noch ein Decke um, ist ja doch sehr kalt da draußen, und warte gespannt auf Opas Erklärung.

 

***

 

Dimitri

 

 

Natürlich haben wir uns alle gewundert, was die beiden, Willi und Nico, draußen zu besprechen haben. Aber keiner hat gefragt. Meine Eltern und auch Yuri und Thomas sind dann eh schon gegangen. Nicos Mutter und seine Oma haben nur noch auf Willi gewartet. Und als der dann nach etwa zehn Minuten wieder herein kommt, verabschieden sie sich auch. Erika hat noch gemahnt, ja keinen in die Wohnung zu lassen und dass keiner alleine aus dem Haus geht. Dieser Heinz könnte doch noch irgendwo auftauchen.

Aber Willi hat wieder nur gesagt: „Der kommt mit Sicherheit nicht mehr!“

 

Ich habe in der Zwischenzeit das Bad eingelassen und freue mich, endlich mit Nico allein zu sein und mit ihm zusammen die wohlige Wärme des Schaumbades zu genießen.

Aber vor dem Baden kommt ja bekanntlich das Ausziehen. Mir kommt wieder in Erinnerung, dass ich eine lange Unterhose anhabe und ich weiß ja, wie lächerlich Nico so ein Kleidungsstück findet. Aber es hilft ja nichts, muss ich mich halt wieder mal auslachen lassen. Er schaut kurz zu mir her, sieht meinen Liebestöter und – ja er lacht gar nicht! Schon seltsam!

Aber nun weiß ich auch, warum meine Unterhose diesmal für ihn keinen Lacher wert ist, höchstens ein verlegenes Schmunzeln: Er hat ja selber eine an! Den Tag muss ich mir im Kalender anstreichen, Nico in langer Unterhose! Aber dann erinnere ich mich wieder, wo er die letzten Stunden verbringen musste und bin froh, dass er sie angezogen hat, obwohl er ja vorher gar nicht wusste, was auf ihn zukommt.

Nun aber genießen wir das duftende Schaumbad. Ich habe meine Beine gegrätscht und Nico sitzt dazwischen, mit dem Rücken zu mir und drückt sich an mich. Ich spüre, wie meine Lebensgeister zurückkehren. Ein Griff um Nico überzeugt mich, dass auch bei ihm wieder alles funktionstüchtig ist.

Nach dem ausgiebigen Bad legen wir uns eng aneinander gekuschelt auf das Sofa im Wohnzimmer.

 

„Du musst es mir nicht sagen, aber interessieren würde es mich schon, warum dein Opa so sicher ist, dass Heinz nicht mehr hier auftaucht. Ich habe da schon meine Zweifel!“

„Ja, ich werde es dir erzählen, aber es muss unter uns bleiben. Ich habe es Opa versprochen, dass es außer dir niemand erfährt.

Also – als mir Herr Schmöller das von dem Telefongespräch zwischen dir und Heinz erzählt hat, dass er also jetzt Geld hat und im Ausland ist, da hab ich mir so Gedanken gemacht. Und plötzlich hatte ich einen Verdacht.

Ich habe nämlich heute Mittag in einem Gespräch mit Heinz diesen zur Aufgabe überreden wollen. Hab ihm gesagt, er soll sich stellen. Du musst wissen, das mit dem Toten in der Tiefgarage war Notwehr. Freilich hätte er ein paar Jahre gekriegt, kommt ja doch einiges zusammen, was er sich geleistet hat. Aber ich habe ihm zugesagt, dass wir ihm anschließend helfen würden, wir, das sind wir beide und auch Opa. Wenn du und auch Opa nämlich wissen würdet, wie man Heinz als Kind übelst mitgespielt hat, dann seid ihr einer Meinung mit mir, dass man ihm nämlich noch eine Chance geben muss. Das heißt, Opa weiß es ja inzwischen. Und dir werde ich es hernach auch erzählen. Du musst es mir jetzt einfach mal abnehmen, dass da was ganz Schlimmes passiert ist!

Er hat meinen Vorschlag vom Aufgeben glatt abgelehnt. Hat es dann aber doch auf seine Weise getan!

Er war hier bei Opa in der Wohnung! Ja, so unvorstellbar es auch ist, es ist tatsächlich so gewesen! Während einige Beamte das Gelände draußen beobachteten und sich die anderen auf das Geschehen am Inn konzentrierten, marschiert er seelenruhig hierher in meine Wohnung, wo Opa alleine zurückgeblieben war. Irgendwie muss er durch einen fingierten Telefonanruf von Opas Anwesenheit und Alleinsein erfahren haben. Opa öffnete, weil er einen Polizisten draußen vermutete.

Was nun im Einzelnen hier vorgefallen ist, das hat Opa auch nicht erzählt. Ich nehme aber fest an, dass Heinz Opa, den er ja von früher gut kannte, auch das alles erzählte, was er mir anvertraut hatte.  Vielleicht hat auch seine Pistole eine Rolle gespielt, ich weiß es aber nicht. Jedenfalls wird er Opa auch gesagt haben, dass ich ihm versprochen habe, ihm nach dem unvermeidlichen Gefängnisaufenthalt zu helfen. Und vor allem, dass ich erwähnt habe, dass auch Opa ihm seine Hilfe, vor allem auch in finanzieller Hinsicht, nicht versagen würde.

Wie gesagt, ich weiß nicht, wie das alles hier abgelaufen ist. Nur soviel weiß ich, dass Opa ihm Geld gegeben hat, wie viel, das hat er nicht gesagt. Klar, eine Million, wie im Koffer, waren es mit Sicherheit nicht. Sie sind zu Opas Wohnung gefahren, ist ja nicht weit vor hier, und dort kam es dann zur Geldübergabe. Opa hat im Tresor immer eine ganze Menge Bargeld, das weiß Heinz sicher noch von früher. Er war ja ganz oft mit mir dort. Ob Oma auch was davon mitgekriegt hat, weiß ich nicht, vielleicht war sie aber zu dem Zeitpunkt gar nicht zu Hause.

Jedenfalls während du, Dimi, dich zur Millionen-Geldübergabe aufgemacht hast, vollzog sich diese, wenn auch mit einem geringeren Betrag, ganz wo anders!

Ich nehme schon an, dass Opa das alles nicht ganz freiwillig gemacht hat, da hat Heinz sicher auch mit der Pistole nachgeholfen. Und Opa wusste ja zu dem Zeitpunkt auch nichts von meiner bevorstehenden Freilassung. Aber wie gesagt, Opa hat nicht viel verlauten lassen.

Was er noch gesagt hat ist, dass er Heinz das Versprechen abgenommen hat, nie mehr nach Deutschland zurück zu kommen. Und das kann er sich ja auch gar nicht mehr erlauben. Wir nehmen jedenfalls an, dass er mit dem Auto über die Grenze nach Tschechien ist. Er hatte ja sein altes Vehikel hier bei einem Bekannten untergestellt. Natürlich wird er ein anderes Kennzeichen aufgetrieben haben, mit dem er sich dann über die Grenze traute.

Mir ist ganz dunkel in Erinnerung, dass die Familie Müller in der Tschechei irgendwelche entfernte Verwandte haben. Bei denen wird er vorerst untertauchen, bis er neue Papiere und vor allem Flugtickets hat. Zu Opa hat er was gesagt von einem Land in Südamerika, ein Land, das nicht ausliefert. Er will dort einen Neuanfang wagen. Vor allem will er auch nach seinem Vater forschen, so erzählte er Opa. Sein Vater soll sich ja irgendwo dort aufhalten.“

 

Und dann erzähle ich Dimitri die ganze Leidensgeschichte vom jungen Heinz, so wie ich sie heute Mittag von ihm selbst gehört habe. Dimitri hört aufmerksam zu und kann nur immer wieder entsetzt den Kopf schütteln.

„Kannst du jetzt verstehen, dass er mir leid tut? Und dass ich froh bin, dass ihm Opa geholfen hat? Freilich hat Herr Schmöller durch Opas Worte einen Verdacht geschöpft, aber das gibt sich wieder. Es wissen ja außer Opa nur wir Zwei, was hier vorgefallen ist, und von uns wird keiner was erzählen, das ist doch klar! Ehrlich Dimi, ich bin wirklich froh, dass es so ausgegangen ist. Natürlich wird die Polizei morgen noch Einiges wissen wollen und wird uns die Presse auf die Pelle rücken, aber auch das schaffen wir gemeinsam. Hauptsache gemeinsam!

Aber jetzt noch was anderes: Ich muss dir etwas gestehen, Dimi!“

„Ach ja? Ich dir nämlich auch!“

„Na dann los, sag es schon!“

„Warum ich zuerst, du hast angefangen!“

„Na gut! Ich hab etwas versprochen, als es mir in der Hütte draußen so dreckig ging und ich am Verzweifeln war. Wenn ich heute Abend wieder gesund mit dir beisammen sein kann, will ich zum Dank eine wunderschön verzierte große Kerze über die Wallfahrtsstiege zur Mariahilfkirche hinauf tragen und sie vor der Madonnenstatue aufstellen. Das hab ich versprochen! Aber warum lachst du mich deshalb aus? Mir ist das ernst!“

„Dummerchen, ich lach dich doch nicht aus. Ich muss nur lachen, naja, weil ich genau die selbe Idee hatte. Wir werden also gemeinsam dort hinauf pilgern und die Kerze wird dann halt um einiges größer ausfallen. Ich habs doch auch versprochen, wenn ich dich heute Abend wieder in den Arm nehmen darf!“

„Na und….?“

„Was na und..?“

„Nimmst du mich nun endlich in den Arm?“

 

***

 

Nico

 

 

Muss man wirklich erst eine Nacht in einem eiskalten, windigen Schuppen in der Nachbarschaft von Spinnen und Mäusen verbringen, um das eigene warme und saubere Bett wieder mehr zu schätzen? Es scheint mir so zu gehen! Nach der vorletzten grausamen Nacht fühlte und fühle ich mich in dieser letzten Nacht als läge ich in einem Himmelbett.

Ich hab wundervoll geschlafen und bin soeben wach geworden. Es ist bereits hell draußen und ich werfe einen Blick auf Dimitri, der neben mir noch süß schlummert. Soll er nur der Gute, hat doch auch gestern diesen schlimmen Tag erleben müssen.

Ich amüsiere mich immer köstlich, wenn ich in Geschichten, die auf gewissen Seiten im Internet abgedruckt sind, lese, wie zwei Freunde am Morgen aufwachen. Da müssen sich die einen erst sortieren, weil sie mit Händen und Füßen total verwurstelt sind. Ein anderer wird wach, weil etwas Schweres auf seine Brust drückt, was sich dann als Kopf des Freundes herausstellt. Wieder ein anderer wird wach, weil er auf dem Arm oder einem Bein des Partners liegt und das am Morgen dann doch als unbequem empfindet. Oder die beiden liegen eng umschlungen, noch genau so, wie sie am Abend eingeschlafen sind. Ich frage mich dann immer, was müssen die Leute für einen Schlaf haben! Direkt zum beneiden! Ich könnte das jedenfalls nicht und auch Dimitri braucht seine Bewegungsfreiheit im Bett.

Deshalb ist es auch kein Problem für mich, ohne den Partner zu wecken, aufzustehen und mich auf den Weg in die Küche zu machen. Dimitri soll ruhig weiterschlafen.

Da ich ja vorgestern meinen Plan vom Einkaufen infolge Kidnapping nicht mehr durchführen konnte, hat sich Mam bereit erklärt, für mich das heute zu erledigen. Es ist wirklich besser so, wenn wir für ein paar Tage nicht aus dem Haus gehen, bis sich der Presserummel etwas gelegt hat.

Wir sind auch gestern nicht mehr ans Telefon gegangen. Immer wieder haben zuvor Presseleute angerufen und wollten ein Interview. Ich hab sie jeweils an die Kripo verwiesen. Würde mich nicht wundern, wenn ich trotzdem in einem Boulevard-Blättchen ein Interview mit mir lesen würde. Die reimen sich dann halt irgend was zusammen, kennt man ja. Wie hat es einer mal formuliert?

„Glaub von dem, was in den Medien gebracht wird die Hälfte und dann zweifle an dieser Hälfte. Dann liegst du richtig!“

Wo sie meinen Namen und Adresse her bekommen haben, möchte ich ja auch gerne wissen. Aber ich denke, die sind uns gestern einfach nachgefahren, was weiß ich.

Inzwischen bin ich auch im Bad fertig und richte den Tisch fürs Frühstück. Auch wenn der Kühlschrank immer noch fast leer ist, Marmelade, Honig und Butter sind immer da, Kaffee, Tee oder Saft natürlich auch. Und die Semmeln aus dem Gefrierfach sind rasch aufgetaut.

So stünde also dem Frühstück nichts entgegen. Ja aber nur, wenn endlich auch der zweite Frühstücker auftaucht.

Und wie aufs Kommando erscheint auch schon ein noch ziemlich müde und verschlafen aussehender Dimitri.

„Na Langschläfer, auch wieder unter den Lebenden?“ begrüße ich ihn mit einem Kuss.

„Warum hast du mich nicht geweckt?“ will er wissen und küsst zurück.

„Du weißt genau, dass ich es nicht übers Herz bringe, dir den Schlaf zu rauben, wenn du so süß schlummerst!“

„Ich schlummere süß? Wer hat dir denn das erzählt?“

„Das braucht mir doch niemand erzählen, hab es schon oft selbst erleben dürfen!“

„Na ja, wenn du meinst!“

 

Unterm Frühstücken fällt mir wieder ein, dass Dimitri von einem Brief seines Vermieters erzählt hat, am Neujahrstag war das. Aber ich weiß bisher nicht, um was es da ging und so frage ich.

„Durch die ganzen Aufregungen der letzten Tage habe ich selber nicht mehr daran gedacht. Stell dir vor, ich muss aus der Wohnung wieder raus!“ berichtet Dimitri.

Auf mein entsetztes „Aber warum denn?“ antwortet er mir:

„Nicht nur ich muss raus, alle Mieter, das Haus wir komplett renoviert. Ich kann aber dafür in den total gleich gebauten Wohnblock gegenüber einziehen, bekomme dort die identische Wohnung. Dieses Haus ist komplett renoviert worden, vor allem ist die Heizung einschließlich aller Heizkörper neu, was ja schon viel wert ist. Also von der Wohnung her gesehen wäre es eine Verbesserung. Noch dazu hätte ich dann einen schöneren Ausblick auf die Donau. Aber ehrlich gesagt, ich mag doch nicht schon wieder umziehen, war doch so froh, als der ganze Stress damals vorbei war. Aber mir wird nichts anderes übrig bleiben, als in den sauren Apfel zu beißen.!“

„Ich wüsste da eine Möglichkeit, wie du dir das ´in den sauren Apfel beißen´ ersparen könntest. Naja, ein bisschen müsstest du dann wohl auch beißen, aber vielleicht ist dieser Apfel nicht gar so sauer!“

Dimitri sieht mich mit großen Augen fragend an.

„Ich wollte es dir schon zu Weihnachten sagen, aber immer kam was dazwischen: Dimi, möchtest du nicht bei mir einziehen, in meine Wohnung, die dann unsere Wohnung wäre? Schau, die Wohnung ist doch riesengroß, zu groß für mich allein. Und zusammen sind wir doch so die meiste Zeit. Darüber hinaus stehen noch zwei Zimmer völlig leer, wo wir deine Sachen, soweit du willst, unterbringen. Und du hast ein Rückzugsgebiet, wenn ich dich nerve. Pscht, sag jetzt nichts, überlege es dir gut! Es ist ja doch eine ganz gewichtige Entscheidung. Geht ja um mehr als meinetwegen um die Frage, ob ich dir noch ein Honigbrot schmieren soll.!“

„Apropos Honig – du hast da etwas Honig an deinem Mund, soll ich…?“

„Hatten wir das nicht schon einmal? Und weißt du noch, wie lange damals unser Frühstück dann dauerte, weil wir uns gegenseitig die Honigreste wegschleckten und dann…?“

Wir werden jetzt beide etwas rot und müssen schmunzeln.

Nach einer Weile meint Dimitri:

„Zu deinem Angebot Niki, ich brauche da nicht überlegen: Ja, von Herzen gerne will ich hier bei dir wohnen, kann mir nichts Schöneres vorstellen! Und das nicht in erster Linie wegen der wunderschönen Wohnung und der sicherlich für Passau einmaligen Dachterrasse, nein, vor allem, weil ich dann immer in deiner Nähe sein kann. Freilich kennen wir uns erst ein paar Monate. Aber gerade die letzten beiden Tage haben mir gezeigt, wie verloren ich ohne dich bin, dass ich dich brauche wie die Luft zum Atmen!“

„Wem sagst du das, Dimi, ich brauche die doch ebenso! Und ich würde mich glücklich schätzen, wenn wir dann immer beisammen wären.

Übrigens, bis wann musst du raus aus der jetzigen Wohnung?“

„Zum ersten März schon!“

„Na dann würde ich sagen, packen wir es bald an. Wenn wir zusammen helfen, mit Yuri und Thomas, mit deinen Eltern und meiner Mutter, haben wir deinen Umzug an einem Tag geschafft, ganz bestimmt schaffen wir das!“

„Naja, viel Zeug habe ich ja ohnehin nicht, dann ist das sicher bald geschehen. Übrigens da fällt mir ein, dass Thomas seit einiger Zeit eine eigene Wohnung sucht. Er ist ja immer noch bei seinen Eltern.“

„Fragen wir ihn mal. Dann hätten die beiden, Yuri und Thomas endlich ihr ungestörtes Liebesnest! Yuri wäre überglücklich, meine ich!“

Wir unterhalten uns noch lange und schmieden Pläne zum Umzug und Einrichten der gemeinsamen Wohnung.

Ich erzähle Dimitri dann auch, dass ich schon seit längerem den Wunsch nach einer eigenen Sauna hätte. Dazu wäre der Raum neben dem Bad doch ideal. Er ist mehr oder weniger bisher ein Abstellraum. Der Boden ist gefliest und es ist sogar Wasseranschluss für eine eventuelle Dusche vorhanden. Ich erzähle ihm aber auch, dass mir das Ganze im Moment zu teuer ist und ich Opas Freigebigkeit nicht überstrapazieren möchte. Hat ja eh schon viel zu viel für mich getan.

Wir schmieden weiter Pläne, bis Mam auftaucht und sich erkundigt, was sie für uns einkaufen soll. Sie erzählt auch, dass immer noch oder schon wieder Reporter und Fotografen an der Haustüre unten stehen. Das waren sicher auch die, die schon ein paarmal geläutet haben, aber wir machen keinem auf. Zum Glück hat Mam ja einen eigenen Schlüssel. Jedenfalls ist es im Moment besser für uns, wenn wir im Haus bleiben. Herr Schmöller hat bei Mam angerufen, da er uns nicht erreichen konnte, wir gingen ja gestern nicht mehr ans Telefon. Jedenfalls kommen heute Nachmittag Beamte von ihm vorbei, es sind ja noch Protokolle zu fertigen. Sie rufen aber an, sobald sie vorm Haus sind, damit wir sie reinlassen können.

 

***

 

Inzwischen sind zwei Wochen seit der Entführung vergangen. Die Presseleute haben uns tatsächlich in Ruhe gelassen. Wir können uns nun auch wieder ungestört zu Fuß in der Stadt bewegen. Ja, die Zeitungsfritzen haben wohl interessantere Themen gefunden, so hat der Prozess gegen die beiden Mörder der Passauer Studentin begonnen, über den sie ausführlich berichten, und natürlich über den Wahlkampf, der in seine heiße Phase tritt. Der Stadtrat und der Oberbürgermeister werden ja im März neu gewählt.

 

Nachdem ich die erste Nacht nach meiner Befreiung so himmlisch geschlafen habe, ich fühlte mich ja auch wie in einem Himmelbett, ging es dann die nächsten Nächte nicht immer so gut. Ich hatte manchmal schlimme Albträume, schreckte dann schweißgebadet auf und konnte lange nicht mehr einschlafen. Spätfolgen der Entführung, meinte mein Arzt.

Dimitri beruhigt mich dann, nimmt mich in den Arm und es geht mir wieder gut. Aber es ist jetzt eh schon viel besser geworden, diese Albträume kommen nur noch gelegentlich und werden sicher bald ganz vorbei sein.

Mein Arzt hat sich eh gewundert, dass ich von der ganzen Geschichte nicht mehr abbekommen habe. Manche derartigen Opfer sind anschließend monatelang traumatisiert, können nicht mehr alleine sein und sind für lange Zeit arbeitsunfähig. Was da bei mir eine große Rolle spielte war eben, dass ich meinen Entführer kannte, ja mit ihm befreundet war und ich somit das Ganze nicht gar so dramatisch empfand wie viele andere in ähnlicher Situation. Freilich schlimm war es für mich auch und nicht nur der Spinnen wegen.

 

 

Gestern haben wir nun endlich unsere große Kerze bekommen. Hat ziemlich lange gedauert, schließlich haben wir nun bereits Ende Januar. Die Kerze ist einen Meter hoch, hat einen Durchmesser von fünfzehn Zentimeter und ist mit wunderschönen Verzierungen versehen. Ein „Danke – von Nico und Dimitri“ haben wir in kunstvoll verzierter Schrift anbringen lassen.

So haben wir uns dann auch gleich aufgemacht und sind die mehr als dreihundert Stufen der Wallfahrtsstiege mit der schweren Kerze hinaufgestiegen. Mit dem Tragen haben wir uns abgewechselt, trotzdem kamen wir ganz schön ins Schwitzen, bis wir endlich oben in der Kirche waren. Die Kerze hat schon ihr Gewicht. Pater Kilian, den wir ja schon in der Silvesternacht kennen lernten, hat uns einen Platz angewiesen, wo wir die Kerze aufstellen konnten. Er hat sich übrigens gefreut, uns wieder zu sehen und sich ausführlich die ganze Entführungsgeschichte erzählen lassen.

 

 

Inzwischen haben wir auch schon den Umzug von Dimitri zu mir erledigt. Ging tatsächlich alles an einem Tag. Aber eben nur, weil alle mit anpackten. Zwar hat Dimitri nun weiter zu seiner Arbeit, ist jetzt aufs Auto angewiesen, aber wir haben eine gemeinsame Wohnung. Dimitri spricht inzwischen auch bereits von unserer Wohnung, was mich ungemein freut.

 

 

Thomas hat tatsächlich die Wohnung genommen, die Dimitri ab März hätte beziehen sollen, also in dem Wohnblock gegenüber der alten Wohnung. Natürlich haben wir auch bei diesem Umzug und der Einrichterei alle mitgeholfen.

 

 

Gestern habe ich Dimitri von meinem Studienkollegen, dem Conny erzählt. Konrad heißt er, aber alle sagen nur Conny. Ich kenne ihn schon vom Gymnasium her, haben im letzten Jahr das Abitur zusammen gemacht. Ich mag ihn, weil er ein sehr offenes Wesen hat, gerne lacht und ein Optimist ersten Ranges ist. Wir waren zwar schon in der Schule beisammen und sind es jetzt auf der Uni, aber in privater Hinsicht haben wir eigentlich bisher kaum was zusammen unternommen. Ich war lediglich einmal anlässlich einer Party bei ihm. Jedenfalls habe ich Dimitri erzählt, dass mich Conny zu seiner Geburtstagsfeier nächste Woche eingeladen hat. Ich würde gerne mit ihm zusammen dort hin gehen. Ich weiß gar nicht, warum er darauf so komisch reagierte. Ja, er wurde richtig sauer, wie ich es von ihm bisher nicht gewohnt bin. Ich rede angeblich dauernd von diesem Conny, hat er gemeint. Ist doch gar nicht wahr!

Na gut, es entstand kein Streit deshalb, wir haben das Thema Conny einfach ausgelassen. Aber wissen möchte ich doch, was ihn da so gereizt hat. Ich hab doch nichts…Meine Güte, der wird doch nicht…! Natürlich, das ist es:

Dimitri ist eifersüchtig!

 

***

 

Dimitri

 

 

Conny, Conny, nichts als Conny höre ich die ganze Zeit von Nico. Was für ein toller Kerl er doch sei, was er alles kann, wie gut er aussieht, wie schick er gekleidet ist, wie gerne er lacht…blablabla…Da soll man nicht sauer werden, wenn einem dauernd dieser Superboy vorgeführt wird. Na gut, dauernd ist übertrieben, genauer gesagt hat Nico erst zweimal von ihm erzählt. Aber gestern Abend ist mir das Ganze etwas sauer aufgestoßen, weil Nico nun auch noch zu seiner Geburtstagsfeier will und ich mitkommen soll zu diesem Blödmann. Kenn den Affen doch gar nicht!

Naja, es war nicht nur diese Geschichte, der ganze Tag gestern war einer von der Art, wo man am besten in der Früh gar nicht aufgestanden wäre. Der erste Ärger in der Werkstatt mit einem blöden alten Karren und einem noch blö…äh.. uneinsichtigen Kunden, dann eine Meinungsverschiedenheit mit dem Meister. Auf der Heimfahrt dann waren lauter Rindviecher unterwegs, zweibeinige wohlgemerkt. Einer hat mir doch glatt die Vorfahrt genommen, konnte gerade noch scharf bremsen, sonst hätte es gescheppert. Dann kurbelt dieser Idiot das Fenster herunter und beschimpft mich. Erst als ich mit der Polizei und einer Anzeige drohte, da suchte er schleunigst das Weite. Zum guten, besser gesagt schlechten Schluss war dann auch noch mein Stellplatz in der Tiefgarage, den wir inzwischen bekommen haben, von einem fremden Fahrzeug belegt. Da soll einem nicht der Hut hochgehen!

Und dann kommt Nico und schwärmt von diesem Conny! Und er fragt mich dann auch noch, ob ich etwa eifersüchtig wäre. Bah, ich und eifersüchtig auf diesen Lackaffen, in meinem Leben nicht! Andererseits frage ich mich schon, warum reagiere ich so gereizt, wenn nur der Name Conny fällt? Überhaupt „Conny“, was ist das für ein Name? Kommt von Konrad, hat Nico gesagt. Na, toller Name! Gibt es da nicht so ein Verslein von Wilhelm Busch mit diesem „Konrad sprach die Frau Mama, ich geh aus und…“

Ach das fällt mir auch was ein, mal sehen, ob ich das so hinkriege, also ganz ganz frei nach dem Busch Willi:

„Konrad, spricht der Dimitri, meinen Nico kriegst du nie!“

Ha, das reimt sich sogar, gut!

„Fasst du ihn noch einmal an, warte nur, dann biste dran!“

Na wer sagts denn, geht doch!

„Schneide ab dir deine …., werf sie in den nächsten Weiher!“

Ha, dem hab ich es aber gegeben! Wollen wir mal sehen, ob er hernach dann auch noch das Strahlemännchen ist!

Wir haben das Thema Conny an diesem Abend dann ausgespart. Wäre ja noch das Schönste, wenn uns dieser Herr den gemeinsamen Abend zerstören würde. Obwohl- so ganz bringe ich die Frage nicht weg, warum ich auf diesen Menschen so allergisch reagiere. Bin ich am Ende doch…?

 

Vorerst aber werde ich in meinen Gedanken unterbrochen, da Yuri und Thomas gekommen sind, jede Menge Tüten in den Händen. Es ist ja heute Rosenmontag und so wollen die Zwei in einen Maskenball gehen. Sie haben sich zum Umziehen ins Fremdenzimmer verzogen, wo sie ja nach dem Ball auch übernachten werden. Da die Veranstaltung hier in nächster Nähe ist, können sie bequem zu Fuß hingehen und später dann hierher zurückkehren. Sie haben es uns bisher nicht verraten, als was sie sich verkleiden werden. Auch haben sie Nico und mich schon vor Tagen überreden wollen, mitzukommen. Aber wir beide sind nun mal regelrechte Faschingsmuffel, keine Chance, uns mitzubekommen.

Man muss aber auch sagen, dass der Fasching, wie er ja in Bayern heißt, hier beileibe nicht den Stellenwert hat wie etwa im Rheinland der Karneval oder auch der Fasching in Franken. Er beschränkt sich hier fast überhaupt nur auf die Säle, eben mit Bällen. Straßenfasching gibt es höchstens noch in kleineren Orten, dann eben mit Umzügen.

Maskenbälle, dann noch mit Prämierung sind auch selten geworden. Aber heute ist ein solcher hier in der Nähe und Yuri und Thomas sind gerade beim Umziehen. Natürlich sind wir beide gespannt, was für Faschingsgestalten dann hernach vor uns stehen werden. Das mit der Osterüberraschung, das Yuri neulich als Maske für Thomas vorgeschlagen hat oder das mit dem Zappel-Yuri, das wird wohl nichts werden. War ja auch nicht ernst gemeint. Aber was dann?

Die Tür geht auf und vor uns stehen…ja klar, es sind Yuri und Thomas, aber was stellen sie dar? Es scheinen mittelalterliche Adelskostüme zu sein, ein Prinz vielleicht und eine adelige Dame? Moment – Mittelalter, Adelige, Mädchen und Junge – natürlich, Romeo und Julia! Thomas und Yuri als Romeo und Julia, ist das nicht himmlisch? Jetzt können wir auch verstehen, warum das so lange dauerte, sie haben sich auch sehr viel Mühe mit den Kostümen und dem Schminken gegeben. Vor allem die hübsche Julia sieht hinreißend aus, aber auch der fesche Romeo ist das Hinsehen wert.

„Sag mal Romeo, ist deine Hose nicht sehr gewagt, so gehst du unter die Leute?“ fragt ein schmunzelnder Nico.

In der Tat ist da schon ein große Ausbuchtung vorne zu sehen.

„Mein lieber Nico, das ist originalgetreu, so zeigten sich die adeligen Herren von damals, da kann ich nichts dafür!“ meint Romeo alias Thomas.

„Und du liebliche Julia, ist dein Ausschnitt nicht sehr gewagt?“ frotzle ich und greife zum Schein an die benannte Stelle.

„Wüstling, unterstehe er sich!“ empört sich gespielt die liebliche Julia, alias Yuri und meint:

„Aber wisst ihr, was das Beste an diesen Kostümen ist? Wir können auf dem Ball nach Herzenslust miteinander tanzen, uns umarmen, schmusen und busseln, ohne dass es einen stören wird. Schließlich verlangt man das doch von so einem historischen Liebespaar!“

„Da hat sie recht, sie geht wirklich als liebliche Julia durch. Pass blos auf Romeo, dass dir nicht einer der Herren auf dem Ball dein Edelfräulein abspenstig macht!“ empfiehlt ein sich vor Lachen schüttelnder Nico.

Schließlich verabschieden sich die beiden und wir wünschen ihnen viel Spaß, den sie aber sicher haben werden.

 

 

Ja, der Fasching ist vorbei, manche bedauern dies, für Nico und mich ist das aber völlig egal. Romeo und Julia haben auf dem Ball für großes Aufsehen gesorgt und tatsächlich den ersten Preis bei der Prämierung erhalten. Und was ist der erste Preis? Ein Reisegutschein über immerhin fünfhundert Euro von einem Reisebüro. Das war es auf alle Fälle wert, denn nun ist der Grundstock für eine Urlaubsfahrt heuer im Sommer für die beiden gelegt.

 

 

Aschermittwoch ist also heute und das ist immer der Tag im Jahr, wo in der ganzen Stadt kaum ein Durchkommen ist, wo die Presse- und Fernsehleute aus ganz Deutschland und darüber hinaus hierher kommen. „Politischer Aschermittwoch“ heißt das magische Wort, das alle anzieht. Die politischen Parteien schicken ihre Spitzenleute zu den verschiedenen Kundgebungen in der Dreiflüssestadt oder in Städten der Umgebung, weil hier gar nicht alle Platz hätten.

Nico und ich reden selten über Politik. Wie sagte Nico mal?

„Alle Parteien sind ein Übel, wählen kannst du immer nur das kleinste Übel!“

Hat er da nicht recht?

 

 

Ich sitze allein zu Hause und fühle mich hundeelend. Nicht nur, weil mir Nico fehlt, sondern auch, weil ich mich für mein Verhalten ohrfeigen könnte. Wir haben das Thema Conny bis gestern ausgeklammert. Da hat dann Nico gesagt, dass morgen die Geburtstagsfeier von Conny sei und dieser uns beide nochmals eingeladen hat. Nico will auf alle Fälle hingehen. „Auf alle Fälle“ hat er gesagt und das hat mich so geärgert, dass ich sagte „dann geh doch!“

Entgegen unserer Abmachung, nie ohne vorherige Versöhnung ins Bett zu gehen, taten wir es dann doch. Kein Wort mehr im Bett, kein Wort am nächsten Morgen. Als ich dann heute Abend von der Arbeit kam, da war Nico nicht da. Ich weiß nicht, ob er schon zur Feier ist, oder noch wo anders. Er ist jedenfalls bisher nicht aufgetaucht. So sitze ich also alleine rum und ärgere mich über mein kindisches Verhalten. Was wäre denn daran so schlimm gewesen, mitzukommen? Wir hätten ja nicht lange bleiben müssen. Aber warum muss er auch sagen, er geht da „auf alle Fälle“ hin? Das heißt doch, ganz egal, ob ich mitkomme oder nicht! Und das ärgert mich.

Ist dieser Conny mehr wert als ich und unsere Freundschaft?

Ach, was rede ich mir da ein, Nico liebt mich und würde nie mit einem anderen etwas anfangen! Ich vertraue ihm doch! Also dann benimm dich auch entsprechend, sagt meine innere Stimme. Und das nächste mal gehe ich mit, ganz bestimmt!

Jetzt ist morgen auch noch Valentinstag, der Tag der Liebenden. Ironie des Schicksals, dass wir ausgerechnet einen Tag zuvor unsere erste ernsthafte Auseinandersetzung haben. Das heißt, wir setzen uns ja gar nicht auseinander, im Gegenteil, wir schweigen uns an!

Ich habe in einem Blumengeschäft in der Stadt einen Strauß Rosen bestellt, den ich morgen nach der Arbeit abholen werde. Dazu habe ich mir noch was ausgedacht, was aber noch ein bisschen dauern und Nico auch noch nicht verraten wird.

Nico will ja gerne eine Sauna einbauen lassen, den Plan hat er aber vorerst aus finanziellen Gründen fallen lassen. Ich weiß, dass er nächste Woche für ein paar Tage auf einer Studienfahrt ist, das ist die Gelegenheit. Ich habe mit meinem Vater und Thomas schon vereinbart, dass wir dann die Sauna aufbauen werden. Zum Glück weiß ich, was Nico für eine Sauna vorschwebt und ich hab sie auch schon bestellt. Nächste Woche wird sie geliefert, eben dann, wenn Nico nicht da ist. Auch einen Elektriker haben wir schon zur Hand, der dann die entsprechenden Anschlüsse verlegt.

Nico wird vielleicht Augen machen, wenn er zurückkommt und eine nagelneue Sauna in seiner Wohnung hat! Soll eben meine Valentinsüberraschung sein! Und ein kleiner Beitrag meinerseits, als Dank, dass ich bei ihm sein darf. Durch den guten Verdienst in letzter Zeit war es mir doch möglich, etwas Anzusparen, für die Sauna reicht es jedenfalls.

Ja wenn wir nur diesen Streit, der ja eigentlich gar keiner ist, schon beigelegt hätten. Einen ganzen Tag ohne ein Wort zwischen uns, ohne seine unmittelbare Nähe, ohne seine Zuneigung, ohne Kuss! Ich fühle mich hundeelend und bin noch selber daran schuld! Ob es ihm ähnlich geht?

 

***

 

Nico

 

 

Warum muss Dimitri auch so stur sein und nicht zur Geburtstagsfeier mitkommen! Jetzt sitze ich hier unter jeder Menge Leute, die ich nur zum Teil von der Uni her kenne. Ich langweile mich, gleichzeitig könnte ich heulen, weil ich genau so ein Sturschädel bin wie er. Warum habe ich Dimitri zu Liebe nicht auf diesen Abend verzichtet? Wie schön könnten wir es jetzt zu Hause haben, nebeneinander auf der Couch oder eng umschlungen im Bett! Aber nein, ich musste ja auf alle Fälle her kommen, musste meinen Willen durchsetzen! Aber so funktioniert nun mal eine Partnerschaft nicht, hätte mir klar sein müssen!

Nun kann ich mir das Geschwafel rundum anhören und immer wieder höflich lächeln, wenn mich jemand ansieht. Das Stück von der Riesengeburtstagstorte war noch das Beste vom ganzen Abend bisher, aber auch da habe ich schon Besseres gehabt.

Überhaupt, ich hau jetzt ab, fahre heim zu meinem Dimi, rede endlich wieder mit ihm und der Abend ist gerettet! Noch dazu wo ja morgen unser erster gemeinsamer Valentinstag ist! Rosen habe ich schon bestellt, brauche sie morgen nur noch abholen. Dazu kriegt Dimitri aber noch was, nämlich eine Urlaubsreise im Sommer, eben einen Gutschein für eine solche. Über das Ziel werden wir uns sicher rasch einigen. Ich glaube schon, dass er sich freuen wird.

 

Es ist dann doch schon nach zehn Uhr, als ich in der Wohnung bin. Dimitri liegt bereits im Bett und schläft. Er wird nicht mal wach, als ich aus Versehen Licht mache. Leider wird es damit auch heute nichts mehr mit Reden, denn ihn dazu aufwecken, nein, das bringe ich nicht fertig. Na dann eben gleich morgen, bevor er zur Arbeit fährt!

 

Nein, es ist leider auch heute Morgen nichts geworden! Dimitri muss sehr leise aufgestanden sein, ich hab jedenfalls nichts gehört. Und als ich dann später in die Küche kam, war er bereits verschwunden. Hat er heute mit Absicht eher angefangen, um mir auszuweichen? Verdenken könnte ich es ihm ja wirklich nicht! Ob er heute an den Valentinstag denkt, trotz allem?

Lustlos schenke ich mir Kaffee ein. Alleine frühstücken ist einfach nur traurig! Höchste Zeit, dass dieser üble Zustand beseitigt wird!

 

***

 

Dimitri

 

 

Ich habe heute eher angefangen, weil ich ja vorhabe, schon um drei am Nachmittag aufzuhören. Dann kann ich noch in Ruhe die Rosen abholen und zu Hause etwas zu Essen herrichten, bevor Nico heimkommt. Soviel ich weiß, hat er ja heute bis vier Uhr Vorlesung. Und ich hoffe wirklich, es ist dann wieder alles gut zwischen uns. Den der derzeitige Zustand ist nicht zum Aushalten! Das ist überhaupt kein Zustand mehr, das ist reinste Folter! Und schuld bin ich selbst mit meinem Sturkopf und – naja, ich gebs ja zu, meiner Eifersucht, grundlosen Eifersucht.

Aber heute ist genau der richtige Tag, wo ich ihm sagen werde, wie sehr ich ihn brauche, wie lieb ich ihn hab! Und dass ich Vertrauen zu ihm habe! Jawohl, das sage ich! Und dazu überreiche ich die Rosen, einen ganzen Strauß.

Zum Abholen desselben stehe ich nun im Blumengeschäft mitten in der Stadt, wo heute natürlich Hochbetrieb herrscht. Muttertag und eben der Valentinstag – zwei der Hauptumsatztage eines jeden Blumenladens! Aber es ist ja ein großer Laden und es sind auch heute mehrere Verkäuferinnen beschäftigt. Außerdem habe ich meinen Strauß ja vorbestellt, also dürfte es nicht so lange dauern, nehme ich jedenfalls mal an.

Ich sehe mich etwas im Laden um. Nur zwei oder drei Damen warten auf Bedienung, meist sind es heute eben die Herren, ältere aber auch jüngere Jahrgänge, die alle ihrer Liebsten Blumen schenken wollen. Oder ist doch auch einer unter ihnen, der an seinen Liebsten denkt? So wie ich zum Beispiel, oder wie…Nein, das gibt es doch gar nicht…Aber wirklich, er ist es! Der junge Herr, schräg vor mir, der gerade einen großen, eingewickelten Strauß überreicht bekommt und ihn nun bezahlt, der denkt mit Sicherheit nicht an seine, sondern an seinen…! Jawohl es ist Nico!

Und als er sich nun umdreht und zurück zum Ausgang gehen will, da entdeckt er mich, bleibt stehen, sieht mich erstaunt an, sein Gesicht nimmt leicht Farbe an und dann lächelt er mich an! O, wie habe ich diese Lächeln die letzten Tage vermisst! Ich glaube, ich habe auch eine leichte Rotfärbung im Gesicht und lächle zurück. So lächeln wir uns eine Zeitlang an und ich überhöre glatt, dass mich die Verkäuferin schon angesprochen hat, ich bin nämlich schon dran. Erst als mir Nico mit einem Wink andeutet, dass er draußen wartet, wende ich mich zu meiner Blumenlady.

 

Mit meinem Rosenstrauß trete ich aus dem Laden und schaue nach Nico. Sehe ihn aber nirgends. Etwas verwundert gehe ich um die Ecke zu meinem Auto und sehe Nico darinnen sitzen. Wie geht das denn?

„Lässt du dein Auto immer offen, wenn du einkaufst?“ fragt er als ich einsteige.

Hab ich doch glatt das Zusperren vergessen! Naja, wenn man in der Arbeit zigmal am Tag von den verschiedensten Autos ein- und aussteigt, da vergisst man das schon mal. Ich lege meinen Strauß zu dem anderen auf der Rückbank und nehme Nicos Hände und drücke sie fest.

„Tut mir leid, dass ich…“ beginne ich stotternd.

„Nein, mir tut es leid, dass ich…“ erwidert er nicht weniger zaudernd.

Wir sehen uns an und können uns ein Grinsen nicht verkneifen.

„Also uns beiden tut es leid! Können wir es so sagen?“ meint Nico und ich kann nur zustimmend nicken.

Wir fallen uns in die Arme, soweit das im engen Auto möglich ist, und geben uns endlich den erlösenden Versöhnungskuss. So schlimm auch so eine Auseinandersetzung, oder ein Streit oder ein Nichtmehrmiteinanderreden sind, so wunderschön ist doch die Versöhnung hinterher! Da soll es doch Leute geben, die streiten ab und zu, weil sie es so schön finden, sich hinterher wieder zu versöhnen. Na, ich weiß nicht!

Ich erfahre nun auch, dass Nico die letzte Vorlesung hat sausen lassen, um ja vor mir zu Hause zu sein. Und dabei habe ich auch meine letzte Stunde „sausen“ lassen. Mit dem selben Hintergedanken.

So richten wir halt zusammen etwas zum Essen her, geht ja auch viel schneller gemeinsam.

Schließlich packen wir unsere Blumensträuße aus und hervor kommen zwei fast identische Sträuße wunderschöner roter Rosen, die wir einander lächelnd überreichen. Nico hat in den Strauß, der er mir gibt, noch rasch ein Kärtlein gesteckt, das ich nun heraus ziehe und lese:

 

Diese Rosen verlangen sehnsüchtig danach, zu dir zu kommen!

Aber nicht du sollst mit den Rosen dich schmücken, sondern die Rosen sich mit dir!

In Liebe – dein Niki!“

 

Ich bin zu tiefst gerührt und auch beschämt, weil ich es nur mit einfachen Worten sagen kann, die aber auch von Herzen kommen:

 

Niki, ich hab dich lieb!“

 

Später erfahre ich dann, dass dieser Vers nicht von Nico selbst stammt, sondern von einem gewissen Philostratos, der sie seinem Geliebten sandte, im alten Griechenland eben, wo die Männer- und Jünglingsliebe so hoch im Kurs stand.

Ich erhalte auch einen Gutschein für eine Urlaubsreise, über die ich mich natürlich auch riesig freue. Wird dann Zeit, dass wir hierzu Pläne schmieden.

Ich erzähle Nico, dass ich auch noch eine Überraschung habe, aber dazu muss er noch ein paar Tage warten. Er will natürlich Näheres aus mir rauskitzeln, aber ich bleibe standhaft, sonst wäre es ja keine Überraschung mehr.

Nach dem guten, weil gemeinsamen, Essen und einem ausführlichen Gespräch über Conny, über Eifersucht und Vertrauen und unsere Liebe, gehen wir noch ein wenig spazieren durch das nächtliche Passau. Es ist ganz angenehm draußen, obwohl wir ja noch Winter haben, ist ja erst Mitte Februar. Aber dieser Winter ist ja, wie schon sein Vorgänger, keiner bisher.

Wir gehen am Inn entlang, durch die Brücke durch und marschieren dann den Weg entlang, den ich vor noch nicht langer Zeit mit dem Koffer gehen musste. An der bewussten Bank, auf der ich damals so lange ausharren musste, bleiben wir stehen. Es ist ja auch die Bank, wo wir uns im Oktober letzten Jahres zum ersten mal trafen und wo es, zumindest bei mir, funkte. Wir setzen uns auf die Bank, rücken ganz nahe zusammen und dann frage ich Nico:

„Hab ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe, Niki?“

„Hast du, ja, aber sag es ruhig noch ein paarmal, das kann ich nicht oft genug hören. Weil ich dich doch auch von ganzen Herzen liebe, Dimi, mein Dimi!“

 

***

 

Nico

 

 

Das war vielleicht eine riesengroße Überraschung, als ich von der Studienreise zurück kam und mich Dimitri in die Sauna einlud. Erst hab ich ihn fragend angesehen, er aber hat nur meine Hand genommen und mich in die bisherige Rumpelkammer geführt, wo die fertige und bereits eingeschaltete Sauna stand. Noch dazu genau die, die ich haben wollte. Da mir von draußen eh saukalt war, taten mir die Saunagänge mehr als gut. Ja, diese Überraschung war Dimitri wirklich gelungen.

 

Bezüglich unserer Urlaubsreise haben wir uns auf Gran Canaria geeinigt, wo wir für August, zwei Wochen gebucht haben. Und das Tollste dabei ist, dass auch Yuri und Thomas mitkommen werden. Ich freue mich schon heute darauf, Yuri im Meer rumzappeln zu sehen. Auf alle Fälle wird das ein Heidenspaß und wir können es alle Vier kaum erwarten!

 

 

Nur noch wenige Tage trennen uns von Ostern. Yuri und Thomas sind wieder mal zu Besuch bei uns. Wir haben eben Kaffee getrunken und dazu den von Dimitri und mir gebackenen Nusskranz gegessen.

Wir haben jede Menge Eier gekocht und wollen sie hernach gemeinsam bemalen. Ich habe den anderen auch erzählt, dass es hier der Brauch ist, zu Ostern seiner Liebsten oder eben seinem Liebsten, das schönste rote Ei zu schenken. Den Brauch kannten sie alle nicht.

Bevor wir noch mit dem Malen anfangen, hüpft Yuri mal wieder in der im eigenen Art rum und bettelt Thomas darum, Eier bemalen zu dürfen. Verwundert schaut ihn dieser an.

„Na klar, Yurilein, du darfst Eier bemalen, warum nicht!“

„Echt? Ich darf wirklich?“

„Was fragst du denn, natürlich darfst du!“

„O fein! Gut, dann zieh dich mal aus!“ meint Yuri zu Thomas.

Dieser hat wohl selten dämlicher aus der Wäsche geguckt, wie in diesem Augenblick.

„Wieso soll ich mich ausziehen?“ fragt er deshalb und auch wir, Dimitri und ich, sehen etwas erstaunt drein, was wird Yuri jetzt im Sinn haben?

„Na weil ich die Eier anmalen darf, hast du selber gesagt!“ erklärt ein ganz und gar cooler Yuri.

Jetzt geht uns allmählich ein Licht auf, welche Eier Yuri anmalen möchte, dieser Schelm!

„Du hast gefragt, ob du Eier, ganz allgemein, anmalen darfst, aber nie war von den meinen die Rede, nie und nimmer!“ erwidert der nun doch etwas verwirrte Thomas.

„Aber ich hatte doch nur die zwei bestimmten im Sinn und du hast es erlaubt! Ich hab Zeugen dafür, ist es nicht so?“

Also wir können nur zustimmend nicken.

„Ach ihr spinnt ja wohl alle! Ich muss am Samstag Fußball spielen, was meint ihr was da los ist, wenn ich mit bemalten Eiern antanze. Ich bin das Gespött der Mannschaft!“

„Du musst doch nicht allen deine Eier zeigen, oder?“ frage ich und kann dabei ein Lächeln nicht verstecken.

„Gipskopf! Ich kann doch wohl kaum nach dem Spiel in Badehose duschen, oder?“ erklärt Thomas.

„Aber Schatzi, bis Samstag ist die Farbe doch längst weg, und wenn ich sie dir ablecken müsste!“ meint ein hinterhältig grinsender Yuri.

„Bestimmt ist die da längst weg!“ pflichte ich Yuri bei.

„Jetzt komm Thomilein, sei kein Spielverderber, du hast es ihm erlaubt“, glaubt nun auch Dimitri seinen Senf zugeben zu müssen.

„Warum ausgerechnet ich, warum sollen meine…?“ fragt Thomas.

„Weil du….“ will Dimitri ansetzen, doch Yuri quatscht dazwischen:

„Weil du von uns allen die schönsten und größten und rasierten hast, darum!“

„Thomas, brauchst jetzt nicht rot werden, Yuri hat doch recht“ meint Dimitri.

„Ach komm mein Schatzilein, mein Bärchen, mein Mäuseschwänzchen, meine Zuckerschnute, jetzt sei doch nicht so!“ zappelt Yuri vor seinem Thomas rum und setzt sich dann auf seinen Schoss.

„Also solche Kosenamen will ich in Zukunft auch von dir hören, Dimi! Oder wann hast du mich schon mal so lieb ´Mäuseschwänzchen´ genannt, hm?“ frage ich ihn lachend.

Der antwortet: „Weil du keinen so kleinen …, ach lassen wir das. Jetzt komm Thomas, zier dich nicht mehr lange. Du kannst doch deinem Yurilein nicht diese kleine Bitte abschlagen. Zu Kindern darf man doch nie nein sagen, das stört doch deren gesunde Entwicklung! Ja, schaut nicht so, hat diese schlaue Tante, das Supernännchen im Fernsehen neulich gesagt!“

„Die spinnt doch das Weib! Aber na gut, ich mach es, aber ihr andern da, ihr seht dabei weg. Ich mach mich doch nicht für euch zum Kasperl!“ sagt Thomas.

Und Yuri winselt: „Aber das ist doch nur der halbe Spaß, wenn keiner zuguckt. Jetzt stell dich nicht so an, bist doch sonst auch nicht so gschamig!“

Da gibt sich Thomas geschlagen und zieht die Hosen aus. Yuri taucht voller Freude einen Pinsel in die Farben und malt zuerst das linke Ei rot an, dann das rechte, nein, nicht auch rot, er nimmt nun die blaue Farbe. „Ist wegen dem Kontrast“ meint ein kluger Yuri.

Wir sehen uns an und müssen uns sehr beherrschen, um nicht laut zu lachen. Am Ende macht Thomas dann noch einen Rückzieher. Aber als wir dann die fertig bemalten Eier sehen, da können wir nicht anders, wir müssen laut loslachen, zu ulkig sieht das aber auch aus. Yuri strahlt über das ganze Gesicht über sein gelungenes Meisterwerk. Nur Thomas, der weiß noch nicht so recht, ob er lieber mitlachen oder doch eher schimpfen soll.

„Und ihr seid sicher, die Farbe geht leicht runter?“ fragt er uns.

„Aber klar doch!“ meint Dimitri.

Und ich bin mir fast sicher, er ist davon ebenso wenig überzeugt, wie ich. Ich hatte an den Fingern mal ein paar Tage Ostereierfarbe vom Bemalen dran. Und dabei kann man die Hände richtig schön abbürsten. Versuch das mal mit dem nun bemalten Körperteil von Thomas!

Dieser ist nun jedenfalls voll überzeugt und präsentiert uns voller Stolz das Kunstwerk seines Freundes.

„Jetzt noch die unteren Haare da grün einfärben und fertig ist das Osternest!“ behaupte ich mal so ganz ungefragt.

„Ja freilich, und den Schniedel dann gelb anmalen, dann hab ich die ganze Farbpalette an mir“, ereifert sich Thomas.

„Ach ja, darf ich? Bittebittebitte!“ bettelt ein übereifriger Yuri lächelnd und greift schon zum Pinsel.

„Untersteh dich, jetzt reichts!“ Und schon zieht Thomas seine Hosen wieder an.

Ich hoffe ja nur, die Farben sind schon trocken, sonst bekommt auch seine blütenweiße Unterhose etwas von den Ostereiern ab.

Wir machen uns aber nun ans Färben der eigentlich dafür vorgesehenen Eier. Vor allem bei den roten geben wir uns alle Mühe.

 

 

Wir sind soeben von der Ostermesse im Dom zurückgekommen. Es ist Ostersonntag und ich bekomme mein Ostergeschenk von Dimitri, einen großen Schokohasen und natürlich das rote Ei. Ich will mich revanchieren, mache es ihm mit meinem Geschenk nicht ganz so einfach. Ostereier und Osterhasen wollen gesucht werden! Also habe ich meine Sachen versteckt. Und Dimitri sucht und sucht und findet nichts. Ich hab dann aber Mitleid mit dem armen Suchenden und gebe ihm mit „heiß“ oder „kalt“ Hinweise auf das Versteck. Jedenfalls hat er jetzt schon mal die Küche als Versteck ausgemacht, denn von da geht es am Wärmsten her!

 

***

 

Dimitri

 

 

Das ist doch ein Schuft, ein lieber zwar, aber Schuft bleibt Schuft! Ich, anständig und fair wie ich bin, überreiche Nico, ohne dass er lange suchen muss, meinen Osterhasen und das rote Ei.

„Einen Schokohasen für meinen süßen Hasen!“ habe ich so aus dem Stegreif heraus formuliert. Naja, er ist ja auch süß, mein großer Hase! Aber was macht er? Er lässt mich suchen! Bin ich denn ein Kleinkind nach dem Motto:„So nun such schön s´Nesterl!“

Wenigstens zeigt er mir jetzt mit den Temperaturangaben das ungefähre Versteck an. Zuvor bin ich ja durch sämtliche Räume getigert, ohne was zu finden. Sogar den Klodeckl hab ich geöffnet, bei Nico weiß man ja nie!

In der Küche also, da wäre ich ja nie drauf gekommen! Ich öffne Schubläden und Schranktüren und bin nun endlich durch seine Hilfe an der Mikrowelle angekommen. Ich öffne sie – tatsächlich, da lacht mir ein Osterhase entgegen, nein, nicht einer, eine ganze Familie und dazu das rote Ei. Osternest in der Mikrowelle! Darauf kann auch nur Nico kommen!

„Danke mein süßer Osterhase, aber im nächsten Jahr, da denke ich mir auch was aus und du suchst lange, mein Freund!“ erkläre ich ihm.

 

 

Zu Mittag sind wir heute alle zu Nicos Großeltern eingeladen. Auch Nicos Mutter, meine Eltern und Yuri und Thomas sind dabei. Heute gibt es, wie in vielen Familien zu Ostern, Lammbraten. Eine Köstlichkeit!

Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich zu Thomas hinüber sehe und was uns Yuri vor dem Essen draußen noch rasch erzählte. Wie befürchtet, ist die Farbe nicht abgegangen. Er soll gebürstet haben wie wild, alles tat ihm schon weh. Aber letzten Endes musste er mit bunten Eiern zum Fußball spielen. Das Gelächter nach dem Spiel muss groß gewesen sein. Aber Thomas soll ganz selbstbewusst erklärt haben, dass das jetzt die neue Mode sei, aus den USA zu uns gekommen, so wie Vieles eben. Ob es ihm einer geglaubt hat? Naja, vielleicht hat beim nächsten Spiel der eine oder andere auch bunte Eier, wer weiß? Aber heute kann Thomas schon wieder darüber lachen und war uns zu keinem Zeitpunkt ernsthaft böse, schon gar nicht seinem Maler!

Es ist schon Tradition, hab ich mir von Nico sagen lassen, dass seine Großeltern wie zu Weihnachten auch zu Ostern Kinder aus einem Heim hier in Passau einladen. So werden auch heute Nachmittag etwa zehn Kinder zum Ostereier suchen kommen. Es soll immer sehr lebhaft und lustig zugehen. Die Kinder sollen mit Begeisterung dabei sein und suchen den ganzen Garten nach Schokohasen, Eiern und anderen Leckereien ab. Alles Gefundene wird dann zusammengetan und ins Heim gefahren. Es ist so reichlich, das jedes der dortigen Kinder was bekommt.

Heute habe er eine besondere Überraschung für die Kleinen und auch wir Großen werden Augen machen, erklärt uns Opa Willi. Verrät uns aber nicht mehr.

Die Kinder sind nun angekommen und wir gehen alle in den Garten. Wir müssen zusammen mit den Kindern vorne am Eingang stehen bleiben, der Osterhase sei noch nicht ganz fertig, erklärt uns Willi.

Und tatsächlich, ich traue meinen Augen kaum, hüpft da ein lebendiger großer Osterhase zwischen den Bäumen und Sträuchern umher. Einen Korb hat er auf dem Rücken gebunden und verteilt seine Sachen vor, hinter und zwischen all dem vielen Gebüsch. Weil es wirklich viele Sträucher und Bäume im Garten gibt, sieht man den hoppelnden Hasen nur sporadisch, wenn er zwischen all dem Geäst auftaucht. Und so sieht man auch nicht genau, wo er seine Leckereien ablegt. Den Kindern wäre ja sonst der Spaß des Suchens genommen.

Die Kinder strahlen nur so um die Wette und sie hält es kaum mehr auf ihren Plätzen am Rande des Gartens. Wann haben sie schon einen lebendigen Osterhasen gesehen? Da hatte Willi wirklich ein grandiose Idee, einen Osterhasen zu engagieren. Wusste gar nicht, dass es so was gibt! Naja, sicher ein Student, der im Verleih ein Osterhasenkostüm erstanden hat. Es ist ein hellbrauner Felloverall, der auch den Kopf bedeckt, man sieht die langen Ohren und das niedliche Schwänzchen hinten. Nur vom Gesicht des Hasen, da sieht man fast nichts.

Er hoppelt und hoppelt tatsächlich meist auf allen Vieren durch den Garten. Immer wieder hält er an, greift mit einer Hand hinter sich in die Kraxe und legt die Osterüberraschung ab. So kommt er wirklich den ganzen Garten ab. Da haben die Kleinen hernach aber was zu suchen!

Endlich ist Meister Langohr fertig und hoppelt an uns vorbei ins Haus.

Also wenn ich es nicht genau wüsste, dass es nicht sein kann, dann hätte ich jetzt fast gedacht, der Osterhase sieht aus wie….

Endlich dürfen die Kinder suchen und sie stürmen laut lärmend im Garten umher.

„Wisst ihr wo Yuri ist?“ fragt uns Thomas dann.

Jetzt fällt auch den anderen auf, dass sie ihn schon eine ganze Zeit nicht mehr gesehen haben. Während wir noch überlegen und sich mein Verdacht zu erhärten scheint, steht plötzlich der Gesuchte hinter uns, ganz normal, so als wäre er schon die ganze Zeit da gestanden und lacht uns an:

„Na, was ist, wollt ihr denn nicht suchen?“

Thomas sieht mich an, dann Nico, dann Yuri, dann schaut er zu den Kindern im Garten, dann wieder zu Yuri und fängt schallend an zu lachen. Er kann sich gar nimmer beruhigen. Alle steckt das fröhliche Lachen an und so lachen bald alle mit, obwohl keiner so recht weiß, warum.

Endlich hat sich Thomas so weit beruhigt, dass er zuerst auf den Garten zeigt, dann auf Yuri und immer noch kichernd meint:

„Das warst du!“

Nun geht erst recht das Gelächter los und Yuri lacht einfach mit. Das Beste, was er tun kann.

Unser Yuri, der Osterhase!

„Und so“, erklärt uns Nico, „ist aus dem Zappel-Yuri der Hoppel-Yuri geworden!“

Und Thomas breitet seine Arme aus und ruft ihm zu:

„Hoppel-Yuri! Komm her zu mir und lass dich drücken, mein Osterhäschen!“

 

 

ENDE

 

Kochgeschichten – Teil 9

Die Tage vergehen. Für die einen zu rasch, für die anderen nicht rasch genug.

Alexander hat sich in diesen Tagen auch mit seiner Mutter ausgesprochen. Wirklich ausgesprochen. Über alles. Beide sparen kein Thema aus. Auch über Alexanders Vater reden sie. Dass sich seine Mutter wohl scheiden lässt. Dass er seinen Vater endgültig verlieren wird. Obwohl – wann hat er ihn denn das letzte Mal gesehen? So gesehen, hält sich der Verlust auch wieder in Grenzen. Weiterlesen

Pitstories Treffen

Nun ist es schon vorbei, dass Wochenende, dass von vielen so herbei gesehnt wurde. Anlass eines Treffen war der zweite Geburtstag der Pitstoriesseite.

Aus allen Teilen Deutschland kam man angereist und traf sich am Freitag Abend zum gemeinsamen Abendessen, um sich danach frisch gestärkt, endlich mal real beschnuppern zu können. Gleich an diesem Abend gab es Geschenke unter anderem für jeden Einzelnen einen Engel.

Zusammen gestellt war das eine richtige Engelsparade. Natürlich ging es hauptsächlich um die Chatterei und es stand auch reichlich Laptops auf den Tischen. Gesucht und gefunden haben sich natürlich auch verschiedene Teile der Chatfamilie, ob Leser oder Autor.

„die fünf Geschwister kuschelnd vereint“ (Serena, Gaius, Gianna, Pit, Hyen)

So verbrachten alle ein wunderschönes Wochenende im Kreis der „Familie“ mit tollen Gesprächen vielen Lachern, wobei es doch den meisten die Feuchttüchern der neuen Pitgeschichte – Der Reiterhof – Teil 3 angetan hatte,

das recht einfühlsam von Hyen und Caspian vorgetragen wurde.
Ein rundum gelungenes Wochenende und von meiner Seite aus, möchte ich mich noch mal bei allen für das tolle Geschenk und die lieben Worte bedanken, besonders bei meinem Sohneman Luka, der mich wirklich zum Wanken gebracht hat. Und versprochen, das nächste Treffen kommt bestimmt.

Der Junge aus der Anstalt – Teil 2

NICO

Nun wohnte Sven schon zwei Wochen bei uns und er lebte langsam richtig auf. Ich musste weiterhin zur Schule gehen, wobei ich lieber bei meinem Schnuckel geblieben wäre. Aber meine Eltern blieben in dieser Hinsicht hart. Weiterlesen